SARS-CoV-2 und Neurodegeneration

Heute soll es relativ kurz und außer der Reihe um das Thema Führt eine COVID-19-Erkrankung zu einer höheren Wahrscheinlichkeit einer späteren neurodegenerativen Erkrankung? gehen. Anlass war diese Replik hier:

Das darin verlinkte Paper von Idrees und Kumar kannte ich bislang noch nicht, wohl aber ein ähnlich thematisch positioniertes von Pacheco-Herrero et al. (okay, zugegebenermaßen weil es im DGN-Covid-Paper-Journal-Club besprochen wurde (Link).

Kurze Zusammenfassung

SARS-CoV-2 spike protein interactions with amyloidogenic proteins: Potential clues to neurodegeneration

Diese Arbeit ist eine Arbeit aus der Grundlagenforschung. Es wurden mit einer Computersimulation mit dem HDOCK server (einer webbasierten Lösung, mit der Proteininteraktionen simuliert werden können) mögliche Interaktionen und Bindungen zwischen dem Spike-Protein von SARS-CoV-2 und den vier Proteinen, welche wir von den neurodegenerativen Erkrankungen kennen (ß-Amyloid, tau-Protein, a-Synuclein und TDP-43, hier kann man dazu etwas weiterlesen) ermittelt. Es handelt sich also um ein theoretisches Computer-Experiment. Heraus kam, dass das Spike-Protein durchaus mit den neurodegenerativen Proteinen interagieren und auch an diese mit einer gewissen Affinität binden kann. Die Autoren verweisen auf eine andere Arbeit, die die Induktion von neurodegenerativen Erkrankungen durch verschiedene Virusinfektionen gezeigt habe (Zhou et al.) und schlussfolgern, dass es sich mit SARS-CoV-2 ähnlich verhalten könnte.

Elucidating the Neuropathologic Mechanisms of SARS-CoV-2 Infection

In dieser Arbeit – welche auch im Mai 2021 erschien – ging es primär um verschiedene Infektionswege von SARS-CoV-2 und eine etwaige Neurotropie. Es ist ein sehr aufwändig gestaltetes Review-Paper, ebenfalls aus der Grundlagenforschung. Die Autoren fassen verschiedene molekularbiologische Aspekte einer SARS-CoV-2-Infektion über ACE-Rezeptoren zusammen (hier kann man dazu weiterlesen Link). Durch die ACE-Aktivierung wird NO ausgeschüttet, welches v.a. Mitochondrien-Schäden verursachen kann, zudem eine Hyperphosphorilierung von Tau-Protein induziert. Auch die Autoren verweisen auf andere Arbeiten, welche eine Assoziation zwischen Virusinfektionen und neurodegenerativen Erkrankungen zeigten.

Wie will man diese Erkenntnisse deuten?

Das ist die große Frage. Verwiesen wird in beiden Arbeiten auf andere Studien, zum Beispiel die von Zhou et al. zum Thema Neurodegeneration und Viruserkrankungen.

Noch ein Paper: Viruses and neurodegeneration

Auch hierzu eine kurze Zusammenfassung. Es handelt sich um eine relativ lange Review-Arbeit, in der für verschiedene (neurotrope) Viren die Möglichkeit einer Assoziation mit neurodegenerativen Erkrankungen erläutert werden. Dabei muss man beachten, dass die Arbeit von 2013 ist und einige hier präferierte Mechanismen in den letzten acht Jahren kaum noch diskutiert wurden. Die Autoren betonen eine Assoziation zwischen Herpes-Enzephalitiden und hierdurch wahrscheinlicher auftretenden Demenzerkrankungen, ziehen eine (sattsam bekannte) Verbindung zwischen Infektionen mit Viren aus der Herpes-Gruppe und der Entwicklung einer Multiplen Sklerose und zwischen Influenza-Infektionen und der Entwicklung von Parkinson. Es wird auch der historische Vergleich bemüht, dass nach verschiedenen Grippe-Pandemien verstärkt postinfektiöse Parkinson-Erkrankungen beobachtet wurden.

Einschränkend muss erwähnt werden, dass man hier zwar statistische Korrelationen zeigen kann, dass bis heute aber die Virus-Hypothese bei der Multiplen Sklerose nicht bewiesen werden konnte (anders als der Einfluss des Vitamin-D-Spiegels), ebenso wenig Influenza-Infektionen als Auslöser von Parkinson. Als statistisch evidente Risikofaktoren für die Entwicklung von Parkinson-Erkrankungen gelten weiterhin fehlender Koffein- Alkohol- und Nikotinkonsum, Kopftraumata, Obstipationsneigung, depressive Störungen, Angsterkrankungen, Beta-Blocker-Einnahme, kein Bluthochdruck, Arbeiten in der Landwirtschaft, Leben auf dem Land und Pestizid-Exposition (vgl. Pan-Montojo und Reichmann und Lill und Klein).

Beunruhigen mich die Paper?

Eher nicht. Und zwar in erster Linie deshalb, weil diese Frage nach der Rolle von Viren in der Genese sowohl von autoimmun-entzündlichen Erkrankungen als auch bei der Entstehung von neurodegenerativen Syndromen seit Jahren (im Endeffekt seit ich Neurologie mache) in ihrer Beantwortung stagniert und man sagen kann: Ja, es ist möglich, aber nicht unbedingt wahrscheinlich.

Wo man weiterlesen kann

Zhou, L., Miranda-Saksena, M., & Saksena, N. K. (2013). Viruses and neurodegeneration. Virology Journal, 10(1), 1. https://doi.org/10.1186/1743-422X-10-172

Pan-Montojo, F., & Reichmann, H. (2015). Ursache der Parkinson-Krankheit: Braak revisited. Aktuelle Neurologie, 41(10), 573–578. https://doi.org/10.1055/s-0034-1387475

Lill, C. M., & Klein, C. (2017). Epidemiologie und Ursachen der Parkinson-Erkrankung. Der Nervenarzt, 88(4), 345–355. https://doi.org/10.1007/s00115-017-0288-0

Idrees, D., & Kumar, V. (2021). SARS-CoV-2 spike protein interactions with amyloidogenic proteins: Potential clues to neurodegeneration. Biochemical and Biophysical Research Communications, 554, 94–98. https://doi.org/10.1016/j.bbrc.2021.03.100

Pacheco-Herrero, M., Soto-Rojas, L. O., Harrington, C. R., Flores-Martinez, Y. M., Villegas-Rojas, M. M., León-Aguilar, A. M., Martínez-Gómez, P. A., Campa-Córdoba, B. B., Apátiga-Pérez, R., Corniel-Taveras, C. N., Dominguez-García, J. de J., Blanco-Alvarez, V. M., & Luna-Muñoz, J. (2021). Elucidating the Neuropathologic Mechanisms of SARS-CoV-2 Infection. Frontiers in Neurology, 12(March 2020), 1–19. https://doi.org/10.3389/fneur.2021.660087

Parkinson für Dummies 05: Schmerz und Parkinson

Nach langer Zeit geht es mit der Parkinson-Mini-Serie weiter. Dazu verwurste ich mal einen Artikel, den ich schon vor einiger Zeit mal als Paper konzipiert hatte, den aber bis auf so eine extrem abgespeckte Version im Hamburger Ärzteblatt (Link) niemand je so richtig haben wollte.

Epidemiologie von Schmerzen bei Parkinson

Schmerzen beim idiopathischen Parkinson-Syndrom werden zu den nicht-motorischen Symptomen gezählt, so wie die Obstipationsneigung, die Riech- und REM-Schlaf-Verhaltensstörung und die häufige orthostatische Dysregulation. Die nicht-motorischen Symptome standen lange Jahre sehr im Hintergrund und wurden erst in der letzten Zeit wieder zunehmend mehr beachtet. Und wie in allen Parkinson-Artikeln kann man auch in diesem Artikel an dieser Stelle dann was mit James Parkinson schreiben. Ich versuche das mal standesgemäß:

Dies ist in so fern erstaunlich, da die nicht motorischen Symptome schon in der Erstbeschreibung der Erkrankung durch James Parkinson 1817 einen gewichtigen Stellenwert eingenommen haben, selbst Schmerzen bei Parkinson als „schmerzhafte rheumatoide Beschwerden“ zumindest in einem Halbsatz erwähnt wurden.

Je nach Studie leiden dabei bis zu 85% aller Parkinson-Patienten an chronischen Schmerzen, im Gegenzug zu durchschnittlich 19% der Menschen in der europäischen Gesamtbevölkerung (was mir extrem viel vorkommt by the way). Für 25% der Parkinson-Erkrankten sind Schmerzen bei Parkinson eines der drei am relevantesten Beschwerden, für knapp 10% sogar die relevanteste Einschränkung, noch vor den motorischen Symptomen. Das Vorhandensein chronischer Schmerzen geht wiederum stark mit einer Einschränkung der Lebensqualität einher. Weibliches Geschlecht, eine komorbide depressive Störung, motorische Wirkfluktuationen und bestimmte genetische Konstellationen scheinen das Auftreten von Schmerzen bei Parkinson zu begünstigen.

Viele Parkinson-Erkrankte leiden an mehreren Schmerzqualitäten. Insgesamt werden die Häufigkeiten der einzelnen Schmerzen, welche in den verfügbaren Studien erheblich variieren (meist bei Möglichkeit von Mehrfachnennungen) in etwas wie folgt angegeben: Muskuloskelettale Schmerzen treten am häufigsten auf und werden in 41-70 % der Fälle berichtet, Schmerzen im Rahmen von motorischen Wirkfluktuationen in 17-40 %, radikuläre Schmerzen in 27-35% und Schmerzen, welche als zentrale Schmerzen klassifiziert werden (siehe unten), machen 10-20 % aus.

Pathophysiologie von Schmerzen bei Parkinson

Schmerzen bei Parkinson-Syndromen entstehen durch mehrere Mechanismen. Zum einen scheint es es durch Fehl- und Schonhaltungen häufiger als in der Normalbevölkerung muskuloskelettale und radikuläre Schmerzen zu geben, zum anderen verursacht die Parkinson-Erkrankung selbst offenbar häufig Schmerzen, was sich mit den in den letzten 10 Jahren gewonnenen Erkenntnissen über die pathophysiologischen Mechanismen neurodegenerativen Erkrankungen plausibel erklären lässt (also die Prion-artige Ausbreitung pathogener Eiweiße im ZNS). Wer hier noch wenig bewandert ist, kann dazu etwas im Blogeintrag zu Braak & Co nachlesen). Sehr früh, noch vor dem Beginn erster motorischer Kernsymptome lassen sich Lewy-Körperchen (also pathogenes alpha-Synuclein) im Riechhirn und im enterischen Nervensystem nachweisen, dann aszendierend über den Nervus vagus im Hirnstamm in den Kerngebieten des Nervus vagus und von dort sich über Hirnstamm, Mittel- und Zwischenhirn zum Großhirn ausbreitend. Zurück zum Schmerz: Das schmerzverarbeitenden afferenten Faserverbindungen werden in zwei Bahnsysteme unterteilt: Das mediale und das laterale System (das hatte ich hier auch schon mal erklärt). Das mediale System ist in die kognitive und affektive Schmerzverarbeitung, das Schmerzgedächtnis und in autonome Antworten auf Schmerzreize eingebunden. Im lateralen System werden insbesondere Informationen zum Schmerzort und zur Dauer des Schmerzreizes verarbeitet. Die absteigenden, schmerzhemmenden, Fasern als dritter Teil des schmerzverarbeitenden Systems verlaufen wiederum vom periaquäduktalen Grau, über den Locus caeruleus zum Rückenmark.

Bringt man diese Beobachtungen der Grundlagenforschung zusammen, wird deutlich, dass bei der Parkinson-Krankheit im Rahmen der sich ausbreitenden alpha-Synuklein-Pathologie schon sehr früh im Krankheitsverlauf schmerzverarbeitende Systeme von Neurodegeneration betroffen sind und sich hierüber – neben mechanischen Krankheitskonzepten insbesondere bei muskuloskelettalen Schmerzen – das häufige Auftreten von durch die Grunderkrankung bedingter Schmerzen erklären.

King’s Parkinson’s Disease Pain Scale

Zur Erfassung von Schmerzen bei Parkinson existierte lange Zeit kein validiertes Scoring-Instrument. In der Non-motor Symptoms Questionnaire und Scale als gängigster Score zur Erfassung nicht motorischer Symptome werden Schmerzen lediglich im Selbstauskunftsbogen in einer Frage thematisiert, ansonsten wird auf das Phänomen Schmerz bei Parkinson nicht weiter eingegangen.

Für den englischen Sprachraum wurde am King’s College in London eine semiquantitative Skala entwickelt, die seit kurzem auch in einer konsentierten Übersetzung vorliegt. In sieben Domänen werden 14 Items zu den Themen muskuloskelettale Schmerzen, chronische Schmerzen, Schmerzen im Rahmen von Wirkfluktuationen, nächtliche Schmerzen, orofaziale und abdominelle Schmerzen, Schmerzen durch Ödeme und radikuläre Schmerzen. Für alle 14 Items können der Schweregrad in den Stufen 0-3 (keine Beschwerden, leicht Beschwerden, mäßige Beschwerden, schwere Beschwerden) und die Häufigkeit in den Stufen 0-4 (nie Schmerzen, seltener als 1 x wöchentlich, 1 x wöchentlich, mehrere Male wöchentlich, täglich) angegeben werden. Beide Punktwerte werden miteinander multipliziert. Am Ende wird aus allen 14 Punktwerten die Gesamtsumme gebildet.

Schmerzarten bei Parkinson und ihre Therapie

Muskuloskelettale Rückenschmerzen

Muskuloskelettale Schmerzen machen – wie erwähnt – den größten Teil der Schmerzen bei Parkinson-Erkrankungen aus, am häufigsten ist der untere Rücken betroffen, aber auch die Schulter-Nacken-Region, Hüfte und Knie werden häufig als Schmerzorte angegeben. Typisch für muskuloskelettale Schmerzen bei Parkinson sind eine Zunahme der Beschwerden in Off-Phasen und ein relativ gutes Ansprechen auf eine dopaminerge Medikation. Neben dieser offenbar kausalen Verbindung zwischen muskuloskelettalen Schmerzen und der Parkinson-Erkrankung, entstehen derartige Beschwerden bei Parkinson-Patienten auch sekundär über ganz gewöhnliche Mechanismen – wie weiter oben schon erwähnt – welche sich auch bei nicht an Parkinson erkrankten Rückenschmerz-Patienten beobachten lassen: Zum Beispiel durch Fehl- und Schonhaltungen, Immobilität und Gangstörungen, welche zu einer Fehlbelastung der Rücken- und Extremitätenmuskulatur führen.

Ein weiteres häufiges Symptom sind Schulterschmerzen, insbesondere das Syndrom der frozen shoulder. Auch hier wird oft eine Beschwerdezunahme im Off und eine Besserung unter dopaminergen Substanzen berichtet. Bei 2-8% aller Parkinson-Patienten sind Schulterschmerzen sogar das erste Symptom der Erkrankung.

Muskuloskelettale Schmerzen bei Parkinson-Syndromen werden prinzipiell genauso wie bei nicht an Parkinson Erkrankten behandelt: Medikamentös mit NSAR, Metamizol, Opioiden (wo indiziert), bei chronischen Schmerzen mit Koanalgesie durch SSNRI oder Trizyklika (diese werden trotz anticholinerger Wirkung in der Regel gut vertragen) und insbesondere mit nicht-medikamentösen Therapiemaßnahmen, wie detonierenden Übungen, Muskelentspannungstechniken, manueller Therapie, Wärmeapplikation und – wenn zur Symptomkontrolle als hilfreich empfunden – auch mittels transkutaner elektrischen Nervenstimulation (TENS). Therapeutisch sollte zudem immer ein Ansprechen der Schmerzen auf eine dopaminerge Medikation überprüft werden.

Kamptokormie

Die Kamptokormie, also die ausgeprägte nach vorn übergebeugte Fehlhaltung des Rumpfes, tritt zwar am häufigsten bei Parkinson-Syndromen auf, ist für diese jedoch nicht spezifisch und kann auch bei anderen – in erster Linie neurodegenerativen – Erkrankungen beobachtet werden, wie bei Muskeldystrophien und Myositiden. Eine Kamptokormie bei Parkinson tritt in der Regel 4-14 Jahre nach den ersten motorischen Symptomen auf und spricht meis schlecht auf eine dopaminerge Medikation an. Andererseits wurde beobachtet, dass sich bei der tiefen Hirnstimulation, insbesondere des Globus pallidus internus Kamptokormien rasch und deutlich bessern können, so dass als Ursache des Phänomens Kamptokormie bei Parkinson mittlerweile a.e. eine nichtdopaminergen neuronalen Funktionsstörung in den Basalganglien angenommen wird.

Die Therapie der Kamptokormie, welche häufig auf Grund der ausgeprägten Fehlhaltung mit muskuloskelettalen Rückenschmerzen aber auch Radikulopathien assoziiert ist, ist medikamentös – wie erwähnt – schwierig. Neben dem schlechten Ansprechen auf L-Dopa, waren auch Therapiestudien mit der lokalen Injektion von Botulinumtoxin unter der Vorstellung einer fokalen Dystonie, als auch mit Steroiden unter der Auffassung einer Myopathie oder Myositis negativ. Für nicht-medikamentöse Therapieverfahren existieren einzelne, teils widersprüchliche, Fallberichte.

Viszerale, nozizeptive Schmerzen

Bei einem Großteil aller Parkinson-Patienten besteht eine gestörte Darmmotilität, was sich über die frühe Neurodegeneration des enterischen Nervensystems durch pathologische alpha-Synuklein-Ablagerungen erklärt. Das häufigste, in diesem Zusammenhang geäußerte Symptom ist eine Obstipationsneigung. Aber auch viszerale, eher dumpf-drückende Schmerzen werden bei Parkinsonerkrankten beschrieben. Diese Schmerzen können im gesamten Gastrointestinaltrakt von oral bis zum Analsphinkter beobachtet werden und treten oft wellen- und kolikartig im Rahmen der Peristaltik auf. Neben dem Einsatz von Prokinetika, einer vermehrten flüssigkeits- und ballaststoffreichen Ernährung und der Gabe von Laxanzien wie Macrogol, wird zudem die Durchführung einer Ernährungsberatung empfohlen. Die Gabe von Anticholinergika ist hingegen oft kontraproduktiv und führt eher zu einer Beschwerdezunahme.

Dystonie-bedingte Schmerzen

Unter dem Begriff Dystonie-bedingte Schmerzen – im englischen Sprachraum treffender als pain linked to motor symptoms bezeichnet – fasst man die typischen, häufig schmerzhaften, Wirkfluktuationen fortgeschrittener Parkinson-Syndrome zusammen, also beginning-of-dose-, end-of-dose- bzw. wearing-off-Phänomene, aber auch die teils schmerzhaften Überdosierungen oder Schmerzen in der Anflutungsphase des L-Dopa nach Medikamenteneinnahme. Das Erkennen und die Behandlung dieser Symptome ist in der Behandlung von Parkinson-Syndromen in der Regel gut etabliert, so dass Dystonie-bedingte Schmerzen relativ zuverlässig detektiert, durch Anpassung der dopaminergen Medikation behandelt werden und somit als weniger unterdiagnostiziert und -therapiert gelten, als die übrigen hier geschilderten Symptomkomplexe. Schmerzhafte Dystonien treten insbesondere bei jung erkrankten Parkinson-Patienten und bei bestimmten genetisch determinierten Parkinson-Formen, wie bei Parkin- oder PINK1-Mutationen auf.

Am häufigsten lassen sich frühmorgendlich auftretende schmerzhafte Dystonien beobachten, entweder vor der ersten morgendlichen Einnahme des L-Dopa oder während des langsamen Anfluten des ersten eingenommenen L-Dopa, welche typischerweise die unteren Extremitäten betreffen und mit muskelkrampfartiger Plantarflexion, Fußinversion und einer Streckung der Knie einhergehen.

Neuropathische Schmerzen

Bei den neuropathischen Schmerzen kann zwischen radikulären und zentralen Schmerzen unterschieden werden.

Radikuläre Schmerzen

Während – je nach epidemiologischer Studie – in der Allgemeinbevölkerung eine Prävalenz von Radikulopathien von ca. 10% beschrieben wird, leiden 14-35% der Parkinson-Erkrankten an radikulären Schmerzen. Dies wird in erster Linie mit der vermehrten mechanischen Schädigung der Wirbelsäule durch chronische Fehlhaltungen, wie durch die Kamptokormie und Dystonien erklärt.

Therapeutisch werden in der Regel – wie bei nicht an Parkinson Erkrankten – Koanalgetika aus der Gruppe der Antikonvulsiva eingesetzt, insbesondere Gabapentin und Pregabalin. Für Gabapentin, welches auch bei Parkinson überwiegend gut vertragen wird, existiert eine deutlich bessere Studienlage zum Einsatz bei neuropathischen Schmerzen im Rahmen einer Parkinson-Erkrankung als für Pregabalin. Auch die koanalgetische Aktivierung der absteigenden Schmerzhemmung mittels Gabe von Trizyklika und SSNRI unterscheidet sich nicht von der Behandlung von radikulären Syndromen ohne begleitende Parkinson-Erkrankung.

Zentrale Schmerzen

Ungefähr 10% der Schmerzen bei Parkinson-Syndromen machen zentrale Schmerzen aus. Diese werden oft an für Dyskinesien/Dystonien oder muskuloskelettale Schmerzen ungewöhnlichen Lokalisationen (Gesicht, Nase-/Rachen-Raum, Mund, Abdomen, Genitale) beschrieben, erscheinen teils bizarr, für Außenstehende wenig nachvollziehbar, werden meist als brennend und/oder verkrampfend beschrieben und zeigen oft eine Seitenbetonung, kongruent zu der von der Parkinson-Erkrankung schwerer betroffenen Körperseite. Vermehrt treten zentrale Schmerzen in Off-Phasen auf. Erklärt werden diese Schmerzen durch pathologische Alpha-Synuclein-Ablagerungen im Tractus spinoreticularis und Tractus spinothalamicus, die dort zur Neurodegeneration führen. Zentrale Schmerzen werden oft als derart beeinträchtigend empfunden, dass sie die übrige Parkinson-Symptomatik deutlich in den Hintergrund rücken lassen. Oft führt dies zu einer umfangreichen Abklärung des Schmerzes, ohne dass sich ein wegweisendes pathologisches Korrelat ergibt. Häufig besteht ein gutes Ansprechen der Schmerzen auf eine dopaminerge Medikation. Bei Therapieversagen können klassische Analgetika incl. Opioide, aber auch Trizyklika und atypische Neuroleptika versucht werden. Positive Fallberichte bestehen bei ansonsten therapierefraktären Schmerzen auch für eine tiefe Hirnstimulation des Ncl. subthalamicus beidseits.

Eine konsensuelle Definition und Abgrenzung zentraler Schmerzen von anderen Schmerzqualitäten bei der Parkinson-Erkrankung existiert nicht, üblicherweise werden Schmerzen, die nicht in eine der anderen genannten Kategorien fallen und für welche es keine plausiblere Erklärung als die Parkinson-Erkrankung selbst, als zentrale Schmerzen eingeordnet.

Schmerz und Parkinson: Wo und wie behandeln?

Ich glaube, das A&O ist das dran denken und das nachfragen, wenn Patienten von alleine nicht von Schmerzen berichten. Zudem muss man im Hinterkopf haben, dass es sich bei Schmerzen beim Parkinson-Syndrom oft um Mischbilder verschiedener Schmerzqualitäten handelt, welche zudem chronifiziert sind und im Rahmen einer progredienten, neurodegenerativen Erkrankung auftreten. Das kann dazu führen, dass die klassische unimodale Schmerztherapie rasch an ihre Grenzen gerät und eine Behandlung im Setting einer multimodalen Schmerztherapie mit einem interdisziplinären Behandlungsteam vorteilhafter sein kann.

Wo man weiterlesen kann:

Beiske AG, Loge JH, Rønningen A, Svensson E. Pain in Parkinson’s disease: Prevalence and characteristics. Pain. 2009;141:173–177.

Ford B. Pain in Parkinson’s disease. Mov Disord. 2010;25 Suppl 1:S98–S103.

Truini A, Frontoni M, Cruccu G. Parkinson’s disease related pain: a review of recent findings. J Neurol. 2013;260:330–334.

Valkovic P, Minar M, Singliarova H, et al. Pain in Parkinson’s Disease: A Cross-Sectional Study of Its Prevalence, Types, and Relationship to Depression and Quality of Life. PLoS ONE. 2015;10:e0136541.

Drei alte Nazis, Kalk-und Eisenbirnen

Ich habe letztens die erste Folge von Das Hausboot geschaut und irgendwie kam mir da schon der Gedanke, dass ich mal was zu Eisen- und Kalkablagerungen im Gehirn schreiben könnte. Weiß nicht, ob das jetzt mehr wegen Gunter Gabriel oder dem Hausboot an und für sich war. Und dann hatten wir prompt einen Patienten mit einem Morbus Fahr auf Station und deswegen geht jetzt um diese beiden Phänomene.

Aber auch nur so halb, denn was eigentlich viel interessanter ist, ist die Frage, welche Rolle Eisen bei neurodegenerativen Erkrankungen wie dem idiopathischen Parkinson-Syndrom oder der Alzheimer-Demenz spielt. Darum soll es auf jeden Fall auch gehen. Und damit fangen wir auch an. Die Literatur dazu ist allesamt so gute 5 Jahre alt, teilweise noch älter und ein wenig drängt sich der Eindruck auf, das ganze ist etwas aus dem Fokus geraten bei allen Versuchen Antikörper gegen Tau- oder ß-Amyloid- oder alpha-Synuclein-Ablagerungen zu finden.

Eisen und Neurodegeneration

Eisen-Physiologie im Gehirn im Laufe des Lebens

Der zerebrale Eisenstoffwechsel ist eine erstaunlich komplexe Kiste. Das Problem an Eisen ist, dass es für das Gehirn ziemlich unentbehrlich ist, da es sowohl in zwei- als auch dreiwertiger Form Elektronen abgeben kann und das in verschiedenen Stoffwechselvorgängen (z.B. der Atmungskette) gebraucht wird. Dieser Vorteil ist aber gleichzeitig auch das Hauptproblem, da Eisen über diese Elektronenabgabe freie Radikale bilden kann. Im Blut gelöstes Eisen kann selber nicht die Blut-Hirn-Schranke überwinden und benötigt daher ein spezielles Transportprotein namens transferrin receptor 1 (TfR1), welches von Neuronen gebildet wird. Es gibt Regulator-Proteine mit dem einfallsreichen Namen iron regulatory protein 1 und iron regulatory protein 2, sowie weitere Steuerungsproteine wie hypoxia inducible factor. Diese Steuerproteine sind wichtig, um den Eisenstoffwechsel in exakter Balance zu halten und eben nicht zu viel Radikalbildung zuzulassen.

Mit zunehmendem Lebensalter lässt sich (teilweise auch nur mikroskopisch) bei fast allen Individuen eine progrediente Eisenablagerung in den Stammganglien und der Substantia nigra beobachten. Der Grund hierfür ist unklar, ein Zusammenhang mit der im Alter ja zunehmend durchlässigen Blut-Hirn-Schranke wird aber diskutiert. Das ist in sofern ein Problem, da bei den jetzt folgenden Punkten eine große Schwierigkeit besteht, die Rolle der Eisenablagerungen richtig einzuschätzen, in wiefern sie einen normalen Alterungsprozess oder eine Pathologie darstellen.

Eisen bei neurodegenerativen Erkrankungen

Beim idiopathischen Parkinson-Syndrom scheint dreiwertiges Eisen die Akkumulation von alpha-Synuclein in den Lewy-Körperchen zu beschleunigen. Die alpha-Synuclein-Aggregate sind selber neuropathogen, da sie AMPA-Rezeptoren im großen Stil aktivieren und diese über den damit verbundenen Kalium-Einstrom auch neurotoxisch wirken, aber auch selbst als Aggregat neurotoxisch sind. Injiziert man Ratten Eisen in die Substantia nigra, entwickeln sie einen Ratten-Parkinson. In kleinen Fallserien wurden Eisenchelatbildner in der Therapie des idiopathischen Parkinson-Syndroms ausprobiert und haben neben einer Eisenabnahme auch zu einer Vermessung im UPDRS Teil III geführt.

Auch bei der Alzheimer-Demenz findet sich ein vermehrter Eisengehalt in den pathogenen Protein-Ablagerungen, v.a. in den ß-Amyloid-Plaques. Durch den Mangel an Tau-Protein scheint es einen Einfluss auf eine verminderte Aktivität auf die Eisen-Regulations-Proteine zu geben, mit der Folge, dass immer mehr Eisen akkumuliert. Bei Patienten mit einer leichten kognitiven Störung konnte gezeigt werden, dass ein erhöhter Liquor-Ferritin-Spiegel mit einer gute 9-Monate schnelleren Konversion zu einer Alzheimer-Demenz einherging und diese Patienten auch eine ausgeprägtere Hippocampus-Atrophie zeigten.

Ziemlich sicher ist eine aus der Grundlagenforschung abgeleitete Korrelation zwischen zunehmenden Eisenablagerungen und nachlassenden kognitiver Leistungsfähigkeit, sowie zwischen Eisenablagerungen und einer zunehmenden Feinmotorikstörung der Hände belegt.

Morbus Fahr und Neurodegeneration mit Eisenakkumulation im Gehirn

Neben diesen allgemeinen Beobachtungen bei neurodegenerativen Erkrankungen existieren zwei weitere Krankheitsbilder, um die es hier gehen soll. Der Morbus Fahr, bei dem es zu Kalziumablagerungen im Gehirn kommt und die Neurodegeneration mit Eisenakkumulation im Gehirn (nun ja, hier ist der Name Programm). Beides sind – in der symptomatischen Form – seltene bis sehr seltene Krankheitsbilder.

Morbus Fahr: Der erste Nazi und Kalziumablagerungen im (alternden) Gehirn

Häufiger als zu Eisen-, kommt es zu Kalziumablagerungen v.a. im Bereich der Stammganglien und des Kleinhirns. Es sind aber auch andere Manifestationsorte beschrieben, z.B. der Thalamus, das Marklager oder auch der Kortex. Diese Ablagerungen sind – in wenig bis mäßig ausgeprägtem Ausmaß – gar nicht selten (2-10% der Fälle in bildgebenden Reihenuntersuchungen) und häufig asymptomatisch. Symptomatische Formen sollen mit einer Häufigkeit von etwas über 1:1.000.000 auftreten. Theodor Fahr hat diese Krankheit 1930 erstmal beschrieben. Theodor Fahr ist von den drei deutschen Pathologen, um die es heute gehen soll und die alle in die Kategorie alte Nazis fallen, vermutlich noch der unproblematischste. Das ist wohl auch der Grund warum – anders als bei der Neurodegeneration mit Eisenakkumulation im Gehirn – noch der Eigenname für die Krankheit verwendet wird. Synonyme, die man aber auch ab und zu findet sind: Idiopathische Stammgabglienkalzifikation, striopallidodentale Kalzifikation.

Pathophysiologie

Aufgrund eines fehlerhaften Eisentransports und der Produktion freier Radikale (siehe oben, kennen wir ja schon) kommt es zu Gewebeschäden, die dann in einem zweiten Schritt zu den Kalzifikationen führen. Die Verkalkungen entwickeln sich zunächst innerhalb der Gefäßwand und in den perivaskulären Räumen und erstrecken sich später bis zu den Neuronen. Eine fortschreitende Mineralisierung der Basalganglien neigt dazu, das Gefäßlumen zu komprimieren, wodurch ein Teufelskreis aus gestörter Durchblutung, Verletzung des Nervengewebes und Mineralablagerung ausgelöst wird.

Den Morbus Fahr gibt es in verschiedenen Varianten:

  • als autosomal-dominante Erkrankung
  • als autosomal-rezessive Erkrankung

Dann gibt es noch ein sekundäres Fahr-Syndrom bei folgenden – in erster Linie endokrinologischen – Erkrankungen:

Bei der tuberösen Sklerose finden sich gehäuft Stammganglienverkalkungen, auch bei der Brucellose als Infektionskrankheit.

Klinik des Morbus Fahr

Die Klinik des Morbus Fahr richtet sich in erster Linie nach der Lokalisation der Verkalkungen und ihrem Ausmaß. So sind hypokinetisch-rigide, choreatiforme oder dystone Symptome durch die nahezu immer vorhandene Beteiligung der Stammganglien als häufigste klinische Manifestation beschrieben, aber auch Myoklonien oder spastische Paresen bei Einbeziehung der Pyramidenbahn.

Gehäuft kommt es zu einer symptomatischen Epilepsie und zu kognitiven Störungen. Nach einer Übersichtsarbeit (siehe unten) sind die Häufigkeiten von Bewegungsstörung bei einem Morbus Fahr in etwa wie folgt beschrieben: Bei 57% Parkinson-Syndrom, bei 19% Chorea, bei 8% Tremor, bei 8% Dystonie, bei 8% Atheose 5% und bei 3% der Patienten liegt eine orofaziale Dyskinesie vor.

Diagnosekriterien

Zur Abgrenzung von symptomatischen Formen hat man erstmals in den 1970er Jahren (mit Revisionen 1989 und 2005) Diagnosekriterien geschaffen, die wie folgt lauten:

  • Bilaterale Verkalkung der Basalganglien in der Bildgebung. Andere Gehirnregionen können ebenfalls betroffen sein.
  • Progressive neurologische Dysfunktionen, die im Allgemeinen eine Bewegungsstörung und / oder neuropsychiatrische Manifestationen umfassen. Das Erkrankungsalter liegt normalerweise im vierten oder fünften Jahrzehnt, obwohl die Symptome auch in der Kindheit auftreten können
  • Fehlen biochemischer Anomalien und somatischer Merkmale, die auf eine mitochondriale oder metabolische Erkrankung oder eine andere systemische Störung hinweisen.
  • Fehlen einer infektiösen, toxischen oder traumatischen Ursache.
  • Familienanamnese im Einklang mit einer autosomal-dominanten Vererbung.
Diagnostik

Einfach ist der Morbus Fahr in der CT zu diagnostizieren, aber auch in der MRT kann man die Stammganglienkalzifizierungen mit einer Signalabsenkung in der T2 und hypo- aber auch hyperintensen T1-Veränderungen recht einfach feststellen.

Laborchemisch macht es Sinn eine Störung des Kalziumstoffwechsels zu überprüfen (Serum-Kalzium, Phosphat, Magnesium, Alkalische Phosphate, Calcitonin, PTH), ggfs. auch eine Schwermetallintoxikation zu erwägen. Zudem sollte eine diagnostische Liquorpunktion erfolgen, da es Kalzifikationen im Gehirn auch postinfektiös gibt.

Es gibt verschiedene Genloki, auf denen Mutationen vorkommen, die zu einem Morbus Fahr führen.

Behandlung

Eine kausale Therapie existiert nicht. Wenn eine endokrinologische Störung vorliegt, kann man wohl zumindest eine Progredienz durch die Behandlung der endokrinologischen Behandlung verhindern.

Die anderen beiden Nazis: Neurodegeneration mit Eisenakkumulation im Gehirn (neurodegeneration with brain iron accumulation, NBIA)

NBIA ist der Oberbegriff für verschiedene genetische Erkrankungen, die zu einer vermehrten Eisenakkumulation in den Stammganglien führen und darüber zu extrapyramidal-motorischen Symptomen. Teilweise finden sich auch noch andere Symptome, insbesondere zerebelläre Atrophien und früh einsetzende demenzielle Symptome. Teilweise sind schon Kinder- und Jungendliche betroffen. Auf Wikipedia findet sich eine recht umfangreiche Auflistung der gängigsten NBIA, die alle extrem selten sind, selbst in der Summe aller NBIA. Bei den allermeisten NBIA handelt es sich um autosomal-rezessiv vererbte Erkrankungen.

Pantothenatkinase-assoziierte Neurodegeneration

Die Pantothenatkinase-assoziierte Neurodegeneration ist noch die häufigste NBIA mit einer Prävalenz von 1-3/1.000.000 Einwohner. Und hier kommen die anderen beiden alten Nazis ins Spiel und zwar zwei wirklich schlimme: Julius Hallervorden und Hugo Spatz, beide waren unmittelbar an der Aktion T4 und auch der Kindereuthanasie beteiligt und haben im großen Stil Gehirne ermordeter Menschen mit Behinderung präpariert und untersucht. Die Pantothenatkinase-assoziierte Neurodegeneration war lange nach diesen beiden als Hallervorden-Spatz-Syndrom bekannt und diese Bezeichnung hält sich immer noch im Sprachgebrauch einzelner Neurologen und Radiologen.

Wo man weiterlesen kann:

Bei Orpha-Net: Morbus Fahr & NBIA

Saleem, S., Aslam, H., Anwar, M., Anwar, S., Saleem, M., Saleem, A., & Rehmani, M. A. (2013). Fahr’s syndrome: literature review of current evidence. Orphanet Journal of Rare Diseases, 8(1), 156. https://doi.org/10.1186/1750-1172-8-156

Schneider, S. A. (2016). Neurodegeneration with Brain Iron Accumulation. Current Neurology and Neuroscience Reports, 16(1), 9. https://doi.org/10.1007/s11910-015-0608-3

Küpper, C., Levin, J., & Klopstock, T. (2016). Eisen im alternden Gehirn. Aktuelle Neurologie, 43(01), 32–40. https://doi.org/10.1055/s-0035-1565121

Neurodegenerative Krankheiten: WYSIWYG oder nicht? Die Sache mit den Tauopathien und den Synukleinopathien.

Windows 95 und neurodegenerative Erkrankungen

Den WYSIWYG-Vergleich wollte ich schon ganz lange machen. Gehen soll es heute um neurodegenerative Erkrankungen und die Frage, ob es auch wirklich Parkinson ist, wenn es wie Parkinson ausschaut. WYSIWYG ist ja so ein Begriff, der ungefähr aus der Ära von Karl Klammer und Windows 95 kommt. Ganz kurz gesagt: Word ist WYSIWYG. Da sieht man beim Erstellen das Dokument, so wie es später – aus dem Drucker – herauskommt. Markdown-Editoren (mit so einem schreibe ich das hier) sind eher das Gegenteil.

Die einzelnen neurodegenerativen Erkrankungen sind in der Regel historisch bedingte Syndrome, von deren Pathogenese man bei der Erstbeschreibung und Krankheitsdefinition noch gar keine Idee hatte. Dies war insbesondere bei den atypischen Parkinson-Syndromen so, für die es relativ strenge und dogmatische Diagnosekriterien gab. Da war es dann ein Ding der Unmöglichkeit, dass eine Erkrankung z.B. eine Multisystematrophie sein konnte, da der Patient ja auch eine Demenz hatte und das bei der Multisystematrophie aber definitionsgemäß nicht vorkommt. Exemplarisch findet man das z.B. bei Gilman et al. (s.u.), wo eine Demenz-Symptomatik als explizites Ausschlusskriterium einer MSA aufgeführt wird.

Aber das war ganz lange so, es gab klinische Diagnosekriterien – typischerweise mit der Unterteilung mögliche, wahrscheinliche und gesicherte MSA/PSP/Alzheimer-Demenz/Lewy-Körperchen-Demenz/idiopathisches Parkinson-Syndrom – wobei die gesicherte Variante stets eine post mortem-Autopsiediagnose war. Ganz übersichtlich finden sich diese Diagnosekriterien für die atypischen Parkinson-Syndrome z.B. bei Fuchs et al.:

Wo man weiterlesen kann
  1. Gilman, S. et al. Consensus statement on the diagnosis of multiple system atrophy. J. Neurol. Sci. 163, 94–98 (1999).
  2. Fuchs, P. & Wenning, G. Atypische Parkinsonsyndrome – Neues aus Diagnostik und Therapie. Aktuelle Neurol. 39, 534–545 (2013).

Zusätzlich zu den klinischen Diagnosekriterien bestand meist seit der Erstbeschreibung eine histopathologische Beschreibung der Erkrankung, eben die gesicherte Version. So wurden für einzelne neurodegenerative Erkrankungen morphologische Beschreibungen von Einschlusskörperchen (z.B. Lewy-Körperchen, gliale zytoplasmatische Einschlusskörperchen bei der MSA, senile Plaques, neurofibrilläre Bündel usw.) veröffentlicht, teilweise gelang es auch die jeweiligen Proteine zu identifizieren, über die jeweilige Binnenstruktur in den Proteinablagerungen konnte man jedoch in der Regel nichts sagen.

Synukleinopathien, Tauopathien und ß-Amyloid-Erkrankungen

Aus dieser Zeit stammt die Einteilung der neurodegenerativen Erkrankungen in die Gruppe der Synukleinopathien, Tauopathien und ß-Amyloid-Erkrankungen, wobei die Alzheimer-Demenz interessanterweise relativ lange irgendwie parallel lief und es keine systematische Verknüpfung zu anderen neurodegenerativen Erkrankungen (v.a. denen mit Bewegungsstörungen) gab.

Zu den ⍺-Synukleinopathien in diesem klassischen Sinn gehören das idiopathische Parkinson-Syndrom, die Lewy-Körperchen-Demenz und die verschiedenen Multisystematrophie-Formen, zu den Tauopathien die PSP und die CBD. Die Alzheimer-Demenz war demnach eine ß-Amyloid-Erkrankung. Dem geneigten Leser im Jahr 2021 fällt auch hier recht mühelos die Schwierigkeit dieser – wieder sehr schematischen – Einteilung auf, da natürlich bei der Alzheimer-Erkrankung sowohl Tau-Protein als auch ß-Amyloid-Ablagerung vorkommen, bei der Lewy-Körperchen-Demenz ⍺-Synuclein und ß-Amyloid usw.

Das Problem mit der kortikobasalen Degeneration (CBD)

Bei der CBD kam man in diesem Krankheitskonzept schnell an die Grenzen, da man zwar sehr schön ein kortikobasales Syndrom (CBS) bestehend aus alien limb Phänomen, lateralisierten Apraxien, Neglect-artigen Wahrnehmungsstörungen, stimulus-sensitiven Myoklonien und fokale Dystonien definieren kann, dieses sich aber sehr oft in eine andere neurodegenerative Erkrankung weiterentwickelt, häufig eine PSP oder eine FTD-Variante (v.a. die Varianten mit Aphasie, wie primär progressive Aphasie und semantische Demenz). Insbesondere die fronttemporale Demenzen hatten zu diesem Zeitpunkt noch gar keine richtige Verbindung zu den atypischen Parkinson-Syndromen.

Neuropathologie mit Elektronenmikroskop und Immunhistochemie

Zunehmend war es dann möglich die Binnenstrukturen der für die einzelnen neurodegenerativen Erkrankungen typischen Protein-Ablagerungen aufzudecken und darüber dann die jeweiligen Erkrankungen zu definieren. Wenn man das post mortem macht, kann es aber vorkommen (und das gar nicht so selten), dass ein Patient klinisch z.B. ein idiopathisches Parkinson-Syndrom hatte oder eine reine Demenzerkrankung, neuropathologisch aber eine PSP. Dies führte bei der PSP zur Differenzierung der Erkrankung in verschiedene Subtypen, der schon geschilderten Erkenntnis, dass ein kortikobasales Syndrom nicht unbedingt eine kortikobasale Degeneration sein muss und dem Standardsatz in vielen Publikationen, dass die PSP vermutlich unterdiagnostiziert sei. Durch diesen Schritt gelang es aber erstmals die historisch gewachsene Unterteilung in Bewegungsstörungen und Demenzen zu brechen.

Die Prion-Hypothese

Richtig in Fahrt kam das neue (jetzt auch schon so gut 15 Jahre alte) Verständnis der neurodegenerativen Erkrankungen dann durch die Erkenntnis, dass die Protein-Ablagerungen in der Regel selber pathogen sind und nicht nur die Folge von Neurodegeneration und dass sie sich von Zelle zu Zelle prion-artig ausbreiten. Besonders bekannt ist das durch die Braak-Stadien beim idiopathischen Parkinson-Syndrom geworden, man kann das aber im Endeffekt für alle neurodegenerativen Erkrankungen und die unterschiedlichen Eiweiße zeigen:

Wo man weiterlesen kann
  1. Braak, H. et al. Staging of brain pathology related to sporadic Parkinson’s disease. Neurobiol. Aging 24, 197–211 (2003).
  2. Braak, H., Rub, U., Jansen Steur, E. N. H., Del Tredici, K. & de Vos, R. A. I. Cognitive status correlates with neuropathologic stage in Parkinson disease. Neurology 64, 1404–1410 (2005).
  3. Braak, H., Ghebremedhin, E., Rüb, U., Bratzke, H. & Del Tredici, K. Stages in the development of Parkinson’s disease-related pathology. Cell Tissue Res. 318, 121–134 (2004).
  4. Braak, H., Feldengut, S. & Del Tredici, K. Pathogenese und Prävention des M. Alzheimer. Nervenarzt 84, 477–482 (2013).
  5. Braak, H., Neumann, M., Ludolph, A. & Del Tredici, K. Breitet sich die sporadisch auftretende amyotrophe Lateralsklerose über axonale Verbindungen aus? Aktuelle Neurol. 44, 409–414 (2017).

Und was heißt das jetzt?

Zusammengefasst kann man folgende grundlegende Eigenschaften neurodegenerativer Erkrankungen definieren:

  • Neurodegenerative Erkrankungen werden in der Regel von sich prion-artig ausbreitenden pathogenen Protein-Konfigurationen von physiologisch vorkommenden neuronalen Proteinen verursacht.
  • Eine spezifische Protein-Pathologie kann zu verschiedenen klinischen Phänotypen führen.
  • Von einem klinischen Syndrom kann man nicht zwanglos auf die zu Grunde liegende Protein-Pathologie schließen.
  • Overlap-Syndrome, welche Symptome verschiedener klassischer neurodegenerativer Erkrankungen aufweisen sind häufig.

Bei mir führt das Einreißen von vorher dogmatisch und stur vorgetragenen Gewissheiten in der Medizin immer zu einer tiefen Befriedigung. Darüber hinaus kann das natürlich zu einer gewissen Beliebigkeit in der Diagnostik neurodegenerativer Erkrankungen führen, da man sich ja gar nicht mehr festlegen muss (und/oder kann). Am Ende wird man das jeweilige Syndrom zunächst einmal deskriptiv beschreiben müssen und darf sich nicht wundern, wenn man eine Diagnose im weiteren Verlauf auch mal revidieren muss. Für die Patienten ist zunächst einmal wichtig, gibt es eine dopamin-sensitive Bewegungsstörung und ist eine kognitive Störung dabei, ggfs. liquordiagnostisch eine, die man zu einer Alzheimer-Demenz zählen kann und welche man zumindest symptomatisch antidementiv behandeln könnte?

Wo man weiterlesen kann
  1. Klucken, J. et al. Parkinson-Syndrom(e) – Neue Konzepte für eine sich ausbreitende Erkrankung? Aktuelle Neurol. 40, 327–332 (2013).
  2. Pan-Montojo, F. & Reichmann, H. Ursache der Parkinson-Krankheit: Braak revisited. Aktuelle Neurol. 41, 573–578 (2015).
  3. Schäffer, E. & Berg, D. Neudefinition der Parkinson-Erkrankung. Aktuelle Neurol. 44, 260–266 (2017).
  4. Becktepe, J., Gövert, F. & Deuschl, G. Übergreifende Konzepte der Neurodegeneration. Aktuelle Neurol. 44, 19–26 (2017).

Parkinson für Dummies 04: Tremordominantes Parkinson-Syndrom

Mehr Schüttel als Lähmung: Tremordominantes Parkinson–Syndrom

Aus aktuellem Anlass (brainpainblog hat ein kleines Tip-Problem), wie man ja so schön sagt, versuche ich mich mal mit einem Blog-Beitrag, den ich über Siri diktiere und dann hoffentlich nicht bis unendlich korrigieren muss. Also schauen wir mal, wie das so wird.

„Häufiges ist häufig“ bringt einem manchmal nichts

Das tremordominante Parkinson-Syndrom ist im Vergleich zum Parkinson-Syndrom vom Äquivalenztyp und zum akinetisch-rigiden Parkinson-Syndrom durchaus seltener und führt in der der Wald und Wiesen-Neurologie, wie sie die meisten von uns betreiben, ein wenig ein Schattendasein. Das liegt sicherlich auch daran, dass Patienten mit tremordominanten Parkinson-Syndrom eher früher erkranken als Patienten, die ein Parkinson-Syndrom vom Äquivalenztyp oder ein akinetisch-rigides Parkinson-Syndrom entwickeln und dass auch die genetisch bedingten Parkinson-Syndrome durchaus mit tremordominanten Verlaufsformen einhergehen. Daher findet man diese Patienten eher in spezialisierten Zentren und weniger im klinischen Alltag des Durchschnittsneurologen.

Zudem – und das scheint angesichts der durchaus verschiedenen Erkrankungsverläufe (neben dem früheren Erkrankungsalter sind die Verläufe oft milder, affektive Begleiterkrankungen seltener, Demenzen ebenfalls) auch gut nachvollziehbar – unterscheidet sich die Pathophysiologie bei tremordominanten Parkinson-Erkrankungen durchaus von den anderen Verlaufsformen. Neuroinflammation scheint bei tremordominanten Verlaufsformen eine viel größere Rolle zu spielen, ein Hypometabolismus im präfrontalen Kortex und den Stammganglien hingegen viel seltener aufzutreten.

Parallel ist die Datenlage zur medikamentösen Behandlung der tremordominanten Verlaufsformen eher dünn und das was es gibt, beschäftigt sich vor allem mit dem Thema tiefe Hirnstimulation und neuerdings auch mit ultraschallgestützter läsioneller Chirurgie. Nur das bringt einem im klinischen Alltag alles herzlich wenig, wenn die einzige wirklich gut fundierte Empfehlung ist, Patienten mit tremordominanten Parkinson-Syndromen möglichst frühzeitig in Zentren vorzustellen, wo eine tiefe Hirnstimulation erfolgen kann, wenn die medikamentöse Therapie denn gescheitert ist. Aber genau da stellt sich ja die Frage, wie diese Therapie denn auszusehen hat.

Das Pferd von hinten aufzäumen: Ist die tiefe Hirnstimulation wirklich so gut?

Fangen wir doch von hinten an, wenn es am Ende auf eine tiefe Hirnstimulation hinausläuft, was ist denn der so unschlagbare Vorteil dieses Verfahrens? Es gibt fünf große randomisierte Studien, welche zwischen 2006 und 2013 veröffentlicht wurden und welche alle eine Überlegenheit der tiefen Hirnstimulation gegenüber einer medikamentösen Therapie zeigen konnten, wenn bestimmte Eingangsvoraussetzungen erfüllt waren. Hauptvorteil der tiefen Hirnstimulation ist neben der Verbesserung nahezu aller klinischer Parameter, welche man bei Parkinson-Erkrankten messen kann, die gute Tremor-Unterdrückung, welche medikamentös oft deutlich schlechter gelingt. Nachteilig sind die Komplikationen durch den Hirnstimulator, zum Beispiel Infektionen und die Prozedur der Implantation der Hirnstimulator-Sonden als solche, welche nicht für alle Patienten in Frage kommt. Als Eingangsvoraussetzungen zur Hirnstimulator-Anlage gelten:

  • medikamentös nicht ausreichend behandelbare Wirkfluktuationen und/oder Dyskinesien und/oder Tremor
    Oder
    • Patientenalter beim Auftreten von Wirkfluktuationen oder Dyskinesien unter 60 Jahre
    Und
    • Ansprechen der Symptome prinzipiell auf L-Dopa (30% UPDRS-Besserung bei Wirkfluktuationen, 50%-Besserung bei jungen Patienten)
    • keine Frühsymptome einer Demenz
    • Keine instabilen psychiatrischen Komorbiditäten
    • Keine signifikanten somatischen Komorbiditäten
    • Keine neurochirurgischen Kontraindikationen

Und welche Medikamente helfen gegen Tremor?

L-Dopa

Natürlich hilft L-Dopa in den meisten Fällen durchaus gegen Tremor, wenn auch Hypokinese und Rigor oft besser ansprechen. Das mag an den Zielstrukturen liegen – Substantia nigra bei Hypokinese und Rigor und Thalamus und cerebello-thalamische Bahnen beim Tremor und die Stammganglien bei allen Symptomen, dennoch ist – s.o. – das Ansprechen auf L-Dopa sogar Vorbedingung für eine Implantation eines tiefen Hirnstimulators. Zur Dosierung und den Einnahmezeitpunkten unterscheiden sich die Empfehlungen nicht von den Leitgedanken bei hypokinetisch-rigiden oder Parkinson-Syndromen vom Äquivalenztyp.

Pramipexol

Für Pramipexol existiert eine Studie aus 2002, welche ein besonders gutes Ansprechen auch des Tremors auf die Pramipexol-Standarddosis von 2,1 mg/Tag zeigen konnte. Ob die anderen Dopaminagonisten genauso gut helfen, bleibt auch bei intensiverer Recherche etwas schwammig, vermutlich aber schon.

Biperiden

Mit den Anticholinergika ist das so eine Sache. Es gibt wenige Medikamente, welche noch mehr psychotrop wirken, als Anticholinergika und welche gleichzeitig auch noch ein Abhängigkeitspotential (mehr bei der i.v.-, als bei der p.o.-Gabe) haben. Wenn man einen psychisch gesunden, jüngeren Parkinson-Patienten dennoch mit Biperiden behandeln will, beginnt man mit 1 mg 1 x Tag und steigert dies auf 3 x 2-4 mg. Ein bisschen witzig ist, dass eine besondere tremorlytische Eigenschaft von Biperiden überhaupt nicht belegt ist, Biperiden aber in allen mir bekannten Neurologenköpfen relativ weit vorne herumspukt, wenn es um die Behandlung von tremordominanten Parkinson-Syndromen geht,

Amantadin

Getestet und belegt ist die Wirkung auf motorische Wirkfluktuationen, insbesondere Dyskinesien in Spätstadien der Parkinson-Erkrankung, nicht aber in der Frühphase. Sichere Daten, die eine Tremorlyse abseits von Expertenmeinungen zeigen, gibt es nicht, außer wenn der Tremor insbesondere bei Wirkfluktuationen auftritt. Die übliche Tagesdosis bei Parkinson-Patienten liegt zwischen 100 und 300 mg Amantadin, welche in 1-2 Einnahmezeitpunkte aufgeteilt wird. Hauptproblem bei Amantadin sind psychotische Nebenwirkungen, welche teilweise schon bei niedriger Tagesdosis auftreten können.

Clozapin

Clozapin ist sozusagen der Gegenentwurf zum Biperiden. Clozapin wirkt recht gut auf Tremores, ist allerdings auf Grund seiner blutdrucksenkenden und sezierenden Nebenwirkungen bei Parkinson-Patienten nicht ganz unproblematisch, ganz abgesehen von den anderen Clozapin-Besonderheiten (Blutbildkontrollen, Gewichtszunahme). Dafür wirkt es antipsychotisch und gegen den Tremor, was sozusagen ein Alleinstellungsmerkmal im Vergleich zu den anderen Substanzen ist. Clozapin kann man in Dosierungen von 25-75 mg abends versuchen, ggfs. auch noch etwas steigern.

Propranolol und Primidon

Mit sehr schlechter Evidenz oder bei Überschneidungen mit einem essentiellen Tremor (Haltetremor steht im Vordergrund), gibt es auch noch die Option die symptomatische essentielle Tremor-Therapie zu versuchen.

Das Kochrezept

Alles in allem kann man vermutlich festhalten: Am Ende unterscheidet sich die Erstbehandlung von tremordominanten Parkinson-Syndromen gar nicht so sehr von der der anderen Verlaufsform. Man würde also bei jüngeren Patienten mit Dopamin-Agonisten und dann L-Dopa beginnen, bei älteren direkt mit L-Dopa. Spannender wird, wenn diese Standardbehandlung nicht ausreicht. Dann wird man eines oder mehrere der genannten zusätzlichen Medikamente probieren müssen, je jünger und weniger psychiatrisch krank die Patienten dann sind, desto mehr Optionen hat man.

Muss die Therapie-Schema-Abbildung nicht geändert werden?

Hier (Mini-Serie: Parkinson für Dummies // 01) und hier (Mini-Serie: Parkinson für Dummies // 02) hatte ich ja ein Therapieschema-Bild gepostet, was seit Jahren durch meine Unterlagen spukt. Ich würde es nach der jetzigen Recherche ein wenig anpassen und dann auch in den älteren Beiträgen geändert einfügen.

Wo man weiterlesen kann

S3-Leitlinie Idiopathisches Parkinson-Syndrom: https://www.dgn.org/leitlinien/3219-030-010-idiopathisches-parkinson-syndrom

  1. Prodoehl, J. et al. Differences in brain activation between tremor- and nontremor-dominant parkinson disease. Arch. Neurol. 70, 100–106 (2013).
  2. Bond, A. E. et al. Safety and efficacy of focused ultrasound thalamotomy for patients with medication-refractory, tremor-dominant Parkinson disease a randomized Clinical trial. JAMA Neurol. 74, 1412–1418 (2017).
  3. Dirkx, M. F. et al. Dopamine controls Parkinson’s tremor by inhibiting the cerebellar thalamus. Brain 140, 721–734 (2017).
  4. Lian, T.-H. et al. Tremor-Dominant in Parkinson Disease: The Relevance to Iron Metabolism and Inflammation. Front. Neurosci. 13, 1–9 (2019).

Parkinson für Dummies 03: Braak & Co. Wie geht eigentlich Parkinson?

Eigentlich das erste Thema der Serie. Aber irgendwie auch nicht. Nach der Erstbeschreibung der shaking palsy durch James Parkinson 1817, welcher durchaus auch nicht-motorische Symptome der Parkinson-Erkrankung beschrieb, standen spätestens nach der Verfügbarkeit von L-Dopa v.a. die motorischen Symptome und ihre Behandlung im Vordergrund.

95 Jahre später, 1912, wurden durch Friedrich Jacob Heinrich Lewy die später nach ihm benannten Einschlusskörperchen in Neuronen von Parkinson-Patienten entdeckt, von denen man heute weiß, dass diese Einschlusskörperchen aus großen Mengen fehlgefaltetem alpha-Synuclein bestehen. Alpha-Synuclein ist ein kleines, ubiquitär in Nervenzellen vorkommendes Protein, welches normalerweise Stützaufgaben beim Vesikeltransport zu haben scheint.

In den frühen bis mittleren 2000er Jahren finden dann zwei bahnbrechende Entdeckungen statt: In einer Arbeit von Li et al. (Li, J.-Y. et al. Lewy bodies in grafted neurons in subjects with Parkinson’s disease suggest host-to-graft disease propagation. Nat. Med. 14, 501–503 (2008)) wurde in Hinbiopsien verstorbener Patienten, welche zuvor eine Stammzell-Transplantation bei einer Parkinson-Erkrankung erhalten hatten, Lewy Körperchen in den Transplantaten nachgewiesen. Dies kollidierte mit den damals vorherrschenden Erklärungsmodellen der Parkinson-Erkrankung (einer genetisch determinierten Erkrankung, bzw. einem verfrühten Alterungsprozess), da die Zellen ja von einem genetisch unterschiedlichen Individuum stammten und im Gegensatz zum restlichen Gehirn erst 11-16 Jahre alt waren. Parallel publizierte der Ulmer Neuropathologe Heiko Braak zusammen mit seiner Arbeitsgruppe Fallserien von Autopsien von Parkinson-Patienten, in welchen er eine Ausbreitung der Lewy-Körperchen vom Hirnstamm, über die Pons, die Stammganglien bis in die Kortexareale nachweisen und diese mit den jeweiligen klinischen Befunden vor Versterben in Einklang bringen konnte.

Braak-StadiumBetroffene neuroanatomische Strukturen
IBulbus olfactorius und dorsaler Vaguskern
IIUntere Raphe-Kerne sowie der Coeruleus/Subcoeruleus-Komplex 
IIIMittelhirn mit der Substantia nigra
IVbasales Vorderhirn 
V-VIkortikale Strukturen
Braak-Stadien
Bildquelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/Gray%27s_Anatomy_plates, eigene Anmerkungen

Später konnte er diese Stadien noch um den N. vagus, das enterische Nervensystem und das Riechhirn erweitern, in welchen noch früher alpha-Synuclein-Ablagerungen nachweisbar waren.

Aszensionshypothese beim idiopathischen Parkinson-Syndrom

Damit war die Aszensionshypothese zumindest beim idiopathischen Parkinson-Syndrom geboren. Es stellte sich dann nur die Frage, wie kommen die Lewy-Körperchen von Zelle zu Zelle. Und damit kommen die frühen 1990er Jahre und die BSE-Krise ins Spiel. Damals wurde das Konzept der Prion-Erkrankungen hoffähig, also die Annahme, dass ein reguläres intrazelluläres Protein durch eine Konformationsänderung zu einem pathogenen Agens werden kann, dann andere „normale“ Proteine ebenfalls zu einer Konformationsänderung bringt und sich zudem von Zelle zu Zelle ausbreitet. Bei den klassischen Prion-Erkrankungen kommt zur Dramatiksteigerung noch hinzu, dass das Prion-Protein in der pathologischen Form auch noch extrem hitzebeständig und auch ansonsten nahezu unzerstörbar ist.

Ähnlich wie das Prion-Protein scheint das fehlgefaltete alpha-Synuclein über verschiedene relativ unspektakuläre Exozytose- und Endozytose-Mechanismen (Golgi Apparat, endoplasmatisches Retikulum) von Zelle zu Zelle zu gelangen. Das Fehlen spezifischer Transportmechanismen macht wiederum eine zielgerichtete, z.B. Antikörper-Therapie gegen den Krankheitsprogress ungemein schwierig.

Der Clou an der Sache ist aber eigentlich, dass nach und nach klar wurde, dass eigentlich alle neurodegenerativen Erkrankung auf diese Weise (pathologische Protein-Ablagerungen, Prion-artige Ausbreitung) zu funktionieren scheinen, nur dass sich die jeweiligen Proteine und Ausbreitungswege unterscheiden. Aber das ist ein eigenen Blogeintrag wert.

Ist Parkinson dann nicht eigentlich ansteckend? Und warum bekommen nicht alle Parkinson?

Von den Prion-Erkrankung kommend, müsste man eigentlich annehmen, dass Parkinson dann auch ansteckend sein könnte. V.a. wenn die Erkrankung im enterischen Nervensystem und im Riechhirn zu beginnen scheint, also in Strukturen, wo Nervenzellen relativ direkten Kontakt zur Außenwelt haben. Epidemiologische Daten und auch Tiermodelle scheinen dies aber nicht zu bestätigen. Vielmehr scheint es so zu sein, dass eine genetische Prädisposition vorhanden sein muss, damit fehlgefaltetes alpha-Synuclein sich von Zelle zu Zelle ausbreiten kann, was relativ überzeugend mit transgenen Mäusen gezeigt werden konnte. Und so scheint es am Ende zu sein, wie bei vielen anderen Erkrankungen: Es muss eine genetische Prädisposition vorhanden sein, damit verschiedene Umweltfaktoren dann eine Parkinson-Erkrankung auslösen können. Diese sind bislang nur in Ansätzen offenbar: So scheinen fehlender Kaffee-, Nikotin- und Alkoholkonsum das Auftreten einer Parkinson-Erkrankung zu begünstigen, ebenfalls Kopftraumata in der Vorgeschichte. Eine Obstipationsneigung, depressive Symptome, fehlender Bluthochdruck und Betablocker-Einnahme scheinen eher Frühsymptomen der Parkinson-Erkrankung, bzw. ihrer Behandlung zu entsprechen. Das Quartett Leben auf dem Land, Trinken von Brunnenwasser, Pestizid-Exposition und Tätigkeit in der Landwirtschaft stammt aus großen amerikanischen Registern und gehört vermutlich zusammen, wobei der Kern dann wohl a.e. die Pestizid-Exposition sein dürfte. Interessanterweise sind sogar die sonst immer angeschuldigten drei Faktoren Handystrahlung, Impfen und Aluminum-Exposition untersucht und als nicht das Risiko einer Parkinson-Syndroms erhöhend eingeschätzt worden.

Wo man weiterlesen kann
  1. Braak, H. et al. Staging of brain pathology related to sporadic Parkinson’s disease. Neurobiol. Aging 24, 197–211 (2003).
  2. Braak, H., Sastre, M., Bohl, J. R. E., de Vos, R. A. I. & Del Tredici, K. Parkinson’s disease: lesions in dorsal horn layer I, involvement of parasympathetic and sympathetic pre- and postganglionic neurons. Acta Neuropathol. 113, 421–429 (2007).
  3. Pan-Montojo, F. & Reichmann, H. Ursache der Parkinson-Krankheit: Braak revisited. Aktuelle Neurol. 41, 573–578 (2015).
  4. Klingelhoefer, L. & Reichmann, H. Aszensionshypothese beim idiopathischen Parkinson-Syndrom. Aktuelle Neurol. 44, 170–179 (2017).

Parkinson für Dummies 02: Parkinson-Behandlung bei älteren Patienten

Medikamentöse Behandlung von älteren Patienten mit idiopathischen Parkinson-Syndromen: L-Dopa

Folgt man noch einmal dem Therapieschema aus Teil 1, dann besteht die Behandlung älterer Patienten mit (idiopathischen) Parkinson-Syndromen vor allem aus einer Monotherapie mit L-Dopa.

Für den klassischen Krankenhausneurologen wird dies der Regelfall sein, da Ersteinstellungen (und auch Therapieanpassungen) bei unter 70-jährigen in der Regel eine Domäne der ambulanten Neurologie sind. Im Krankenhaus sehen wir hingegen eher ältere, multimorbide und sehr häufig begleitend demenzkranke Patienten.

Wie fange ich an?

Naja könnte man sagen, irgendwie so wie immer: Kleine Dosis L-Dopa erst einmal, dann zweimal, dann dreimal täglich und fertig. Ist auch fast so, aber nicht ganz. Zunächst muss man bedenken, dass L-Dopa (auch wenn in den Präparaten ein Decarboxylasehemmer enthalten ist, der die Umwandlung in Dopamin in der Peripherie weitestgehend verhindert), im enterischen Nervensystem und der Area postrema wirkt und doch relativ stark zu Übelkeit und Erbrechen führt. Darum fängt man mit einem antiemetisch und prokinetisch wirkenden Medikament an, was nicht Metoclopramid ist, da dieses als zentraler Dopaminantagonist Parkinson-Syndrome verschlimmert, sondern mit Domperidon. Hier ist die Standarddosis 3 x 10 mg und 1-2 Tage vor Beginn einer L-Dopa-Behandlung sollte man anfangen, Domperidon zu verordnen.

Erst danach sollte man das L-Dopa eindosieren.

L-Dopa und L-Dopa

Hier ist nur wichtig zu wissen, dass es L-Dopa mit zwei verschiedenen Decarboxylasehemmern zu kaufen gibt, zum Einen mit Carbidopa, zum Anderen mit Benserazid. Die Präparate mit L-Dopa/Carbidopa sind immer mit der Dosis L-Dopa/Dosis Decarboxylasehemmer bezeichnet, also z.B. 100/25 mg oder 50/12,5 mg. Die Firma, die die Präparate mit Benserazid unter dem Namen Madopar vertreibt, rechnet beide Dosen zusammen. Deshalb sind in Madopar 125 mg ebenfalls 100 mg L-Dopa und 25 mg Benserazid enthalten. Theoretisch sind die beiden Präparate-Gruppen austauschbar und man könnte sie vermutlich wild abwechselnd geben, in der Praxis wird man dies vermeiden um nicht irgendwelche Unterschiede in Pharmakodynamik und -kinetik versehentlich mitzunehmen.

L-Dopa 3 x tgl.

Wie gesagt, es lohnt sich mit der niedrigsten Dosis, also der 50 mg-Dosis unter Domperidon-Gabe zu beginnen und die L-Dopa-Dosis nach einigen Tagen dann auf 3 x 100 mg zu steigern. Nach wenigen Tagen kann man dann auch das Domperidon wieder absetzen. Eine Sache gilt es zu beachten, L-Dopa muss eine halbe Stunde vor oder 1,5 Stunden nach den Mahlzeiten eingenommen werden, damit es wirken kann. Dementsprechend müssen die Einnahmezeitpunkte „um die Mahlzeiten herum“ geplant werden. Die drei mal tägliche L-Dopa-Gabe funktioniert meistens nur einen begrenzten Zeitraum lang. Dies hat folgenden Hintergrund: L-Dopa muss, damit es nicht zu Phasen von Über- und Unterdosierung kommt, bei der drei mal täglichen Gabe als Dopamin in der Substantia nigra zwischengespeichert und dann nach und nach wieder freigesetzt werden. Dies geht natürlich nur so lange es ausreichend Dopamin-speichernde Neuronen in der Substantia nigra gibt. Da man grob davon ausgehen kann, dass eine typische Parkinson-Klinik erst bei einem Zelluntergang von 50% aller dopaminergen Neuronen auftritt, kann man sich vorstellen, dass bei einer weiteren Neurodegeneration die Zahl der intakten Neuronen derart schnell abnimmt, dass die Zwischenspeicherfunktion nicht sehr lange ausreicht. Und das leitet über zu:

L-Dopa 4 x tgl.: Das L-Dopa-Uhrzeit-Raster

Mit einer 4 x tgl. Gabe alle 4 Stunden schafft man es in den allermeisten Fällen den Wach-Zeitraum am Tag abzudecken und trotzdem „nur“ 2 Halbwertszeiten in der L-Dopa-Verstoffwechselung zwischen den einzelnen Einnahmezeitpunkten zu haben und so einen relativ konstanten Wirkstoffspiegel gewährleisten zu können. Dies bedeutet aber auch, dass man schon ab einer 4 x tgl. Gabe eine Gabe nach Uhrzeiten einführt, um die Einnahme-Abstände zu gewährleisten. Und das führt zu dem „Standard-Uhrzeiten-Raster“ der L-Dopa-Gabe was sich sehr bewährt hat: 7, 11, 15, 19 Uhr. An diesem Raster, welches man je nach Lebenssituation der Patienten nach vorne und nach hinten schieben kann, kann man sich in der Behandlung von Parkinson-Syndromen meistens sehr lange entlang hangeln und zwar so:

Einfaches Therapieschema, L-Dopa Tagesdosis 400 mg
7.00 Uhr11.00 Uhr15.00 Uhr19.00 Uhr
L-Dopa/Carbidopa 100/25 mg
 oder
L-Dopa/Benserazid 100/25 mg
1111
Erweiterung des Therapieschemas, L-Dopa Tagesdosis 600 mg

Wenn dies nicht mehr reicht, dann meistens weil entweder der Start in den Tag oder der nächtliche Toilettengang Probleme bereiten. Den Start morgens kann man mit schnell wirksamen L-Dopa-Formulierungen erleichtern, die Nacht mit den sonst auf Grund ihrer unzuverlässigen kontinuierlichen Wirkstofffreisetzung wenig benutzten Retard-Tabletten.

06.30 Uhr7.00 Uhr11.00 Uhr15.00 Uhr19.00 Uhr22.00 Uhr
L-Dopa/Carbidopa 100/25 mg
 oder
L-Dopa/Benserazid 100/25 mg
1111
L-Dopa/Benserazid 100/25 mg LT1
L-Dopa/Benserazid 100/25 mg retard1
Eskalation des Schemas bei Wirkfluktuationen

Im weiteren Verlauf der Erkrankung kommt es typischerweise trotz der 4-Stunden-Abstände mit zunehmender Neurodegeneration zu Wirkfluktuationen mit End-of-Dose-Phänomenen und wearing-off. Dann kann ein COMT-Hemmer helfen, die Wirkdauer des L-Dopa trotzdem auf 4 Stunden zu strecken:

06.30 Uhr7.00 Uhr11.00 Uhr15.00 Uhr19.00 Uhr22.00 Uhr
L-Dopa/Carbidopa/Entacapon 100/25/200 mg1111
L-Dopa/Benserazid 100/25 mg LT1
L-Dopa/Benserazid 100/25 mg retard1
Fortgeschrittene Parkinson-Syndrome

In den allermeisten Fällen wird man irgendwann die Höhe einzelner Dosen ändern müssen, um auf einzelne unter- oder überbewegliche Phasen zu reagieren. Oft reicht die Morgendosis trotz LT-Tablette eigentlich nicht aus, so dass man so etwas versuchen kann:

06.30 Uhr7.00 Uhr11.00 Uhr15.00 Uhr19.00 Uhr22.00 Uhr
L-Dopa/Carbidopa/Entacapon 150/37,5/200 mg1
L-Dopa/Carbidopa/Entacapon 100/25/200 mg111
L-Dopa/Benserazid 100/25 mg LT1
L-Dopa/Benserazid 100/25 mg retard1

Häufig kommt es dafür dann nachmittags zu eher überbeweglichen Phasen (oder psychotischen Nebenwirkungen), so dass man dann hier die Dosis verringern kann und muss:

06.30 Uhr7.00 Uhr11.00 Uhr15.00 Uhr19.00 Uhr22.00 Uhr
L-Dopa/Carbidopa/Entacapon 150/37,5/200 mg1
L-Dopa/Carbidopa/Entacapon 100/25/200 mg1
L-Dopa/Carbidopa/Entacapon 50/12,5/200 mg11
L-Dopa/Benserazid 100/25 mg LT1
L-Dopa/Benserazid 100/25 mg retard1

Die Einnahmeabstände muss man in den allerwenigsten Fällen ändern, was sehr oft das ganze unheimlich kompliziert macht, da es dann kürzere und längere Zeiträume gibt, die es zu überbrücken gilt. Die meisten Probleme lassen sich mit einer Dosis- oder Wirkstoffanpassung gut kompensieren.

Was schief gehen kann, geht schief: Fallstricke

Die beiden typischsten Fallstricke sind sicherlich:

  • komplizierte, ausufernde Medikationen mit teilweise antagonistisch wirkenden Präparaten und
  • zu hektische Medikamentenumstellungen und
  • multimorbide Patienten, welche im Rahmen einer akuten Erkrankung oder eines Delirs ihre Medikamente nicht mehr schlucken können
Fallstrick: Gas und Bremse gleichzeitig

So etwas sieht man relativ häufig:

06.30 Uhr7.00 Uhr11.00 Uhr15.00 Uhr19.00 Uhr22.00 Uhr
L-Dopa/Carbidopa/Entacapon 100/25/200 mg1111
L-Dopa/Benserazid 100/25 mg LT1
L-Dopa/Benserazid 100/25 mg retard1
Pramipexol 0,35 mg111
Quetiapin 25 mg12
Rivastigmin 9,5 mg/24h-Pflaster1

Und hier gilt frei nach Kettcar: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Jetzt sind Parkinson-Medikationspläne meist historisch gewachsen und uns ist oft die Vorgeschichte nur in Teilen bekannt, aber gerade deshalb kann ein unverstellter Blick von außen manchmal recht hilfreich sein. Da aber auch Neurologen narzisstisch kränkbar sind, lohnt es sich ,vor dem Absetzen der meisten Präparate durchaus mit dem Verordner einmal zu telefonieren und sich abzusprechen. In dem aufgeführten (relativ typischen) Beispiel könnte man sich folgendes überlegen: Pramipexol führt wie alle Dopaminagonisten gerade bei älteren Patienten oft zu psychotischen Nebenwirkungen, insbesondere wenn eine Demenzerkrankung (Rivastigmin-Pflaster) vorliegt. Rivastigmin wiederum ist zwar zur Behandlung der Parkinson-Demenz zugelassen und indiziert, führt aber wiederum durch die cholinerge Wirkung oft zu einer motorischen Verschlechterung und wirkt zudem noch prodelirogen. Quetiapin und L-Dopa parallel zu geben ist in gewisser Weise widersinnig, auch wenn uns das Phänomen von psychiatrischen Nebenwirkungen bei dennoch unterbeweglichen Patienten sicherlich allen gut bekannt ist. Und an dieser Stelle hilft die gute alte geriatrische Medikamentenhygiene: Absetzen, was für die Patienten keinen nennenswerten Effekt (mehr) hat. Und so wäre es einen Versuch wert, dass Rivastigmin zu pausieren und das Pramipexol abzusetzen, vermutlich muss man dann gar nicht so viel an der L-Dopa-Dosis verändern und kann auch das Quetiapin nur noch bedarfsweise geben. Und im schlimmsten Fall setzt man einzelne Präparate halt wieder schrittweise an.

Fallstrick: Schnell-schnell

In unserem Beispiel von gerade kann man jetzt natürlich alle Medikamente auf einmal ab- oder auch wieder ansetzen oder das ganze schrittweise machen. Je älter und multimorbider Patienten sind, desto langsamer und schrittweiser sollten Medikamentenumstellungen erfolgen, da sich sonst die einzelnen Umstellungsschritte gar nicht mehr zuordnen lassen.

Der nächste Fehler ist, Medikamentenumstellung in (abklingende) Infekte oder Delirien hinein zu beginnen. Ähnlich wie bei anderen chronischen ZNS-Erkrankungen lässt sich eine infektbedingte Verschlechterung auch bei Parkinson-Erkrankungen beobachten, welche oft auch wieder reversibel ist.

Fallstrick: Patient kann die Medikamente nicht schlucken

Um es kurz zu sagen: Man kann alle Parkinson-Medikamente mörsern und über eine Magensonde geben bis auf Kapseln (die man aber 1:1 in Tabletten umsetzen kann) und Retard-Präparate. Und das ist in den meisten Fällen auch der einfachste Weg.

Alternativ kann man auch ein Rotigotin-Pflaster geben, was aber in den allermeisten Fällen die 1:1-Umsetzung der Hausmedikation nicht ersetzen kann, drittens Amantadin i.v., für welches das selbe gilt + dass Amantadin gerade bei älteren Patienten oft zu psychotischem Erleben führt.

Wo man weiterlesen kann

S3-Leitlinie Idiopathisches Parkinson-Syndrom: https://www.dgn.org/leitlinien/3219-030-010-idiopathisches-parkinson-syndrom

  1. Jost, W. H. Medikamentöse Therapie der motorischen Symptome beim Morbus Parkinson. Nervenarzt 88, 373–382 (2017).
  2. Deuschl, G. Frühtherapie bei Morbus Parkinson. Aktuelle Neurol. 38, 483–487 (2011).
  3. Baas, H. et al. Stellenwert von L-Dopa in der Therapie der Parkinson-Krankheit. Aktuelle Neurol. 40, 338–342 (2013).

Parkinson für Dummies 01: Behandlung jüngerer Patienten

Medikamentöse Behandlung von jüngeren Patienten mit idiopathischen Parkinson-Syndromen: Dopaminagonisten

Für die Behandlung idiopathischer Parkinson-Syndrome existiert ein eigentlich sehr schönes, wenn auch etwas in die Jahre gekommenes Schema aus den alten Leitlinien-Versionen, welches eine relativ einfache Unterteilung nach Krankheitsform und Alter des Patienten macht. Unterschieden werden dabei hypokinetisch-rigides und Parkinson-Syndrom vom Äquivalenztyp vom tremor-dominanten Parkinson-Syndrom und junge Patienten – womit man ein Lebensalter bei Erstmanifestation von < 70 Jahren meint – und Patienten, die älter als 70 Jahre sind.

Jüngere Patienten werden demnach in den allermeisten Fällen initial mit einem Dopaminagonisten behandelt, wovon in der Regel nur noch die Non-Ergot-Dopaminagonisten eingesetzt werden. Von diesen gibt es wiederum vier verschiedene Präparate (Piribedil, Pramipexol, Ropinirol und Rotigotin), wobei Pramipexol und Ropinirol auch als Retard-Präparate verfügbar sind, Rotigotin nur als trandermales Pflaster. Die Eindosierung und die Zieldosis unterscheiden sich von Präparat zu Präparat. Relativ praktisch empfinde ich aber diese Aufstellung, an die man sich gut halten kann und die – so glaube ich jedenfalls, finde die Originalquelle nicht mehr) ebenfalls aus einer älteren Leitlinienversion stammt:

SubstanzBeginnWöchentlich. SteigerungErhaltungsdosisGesamtdosis
Piribedil50 mg abends50 mg alle 2 Wochen2-3 x 50-100 mg150-250 mg
Pramipexol0,088 mg 3 x tgl.2. Woche:
0,18 mg 3 x tgl.
3. Woche:
0,35 mg 3 x tgl.
danach:
0,18 mg 3 x tgl. pro Woche
0,35-0,7 mg 3 x tgl.1,05-3,3 mg
Pramipexol retard0,26 mg morgens2. Woche:
0,52 mg morgens
3. Woche:
1,05 mg morgens
danach:
2,1 mg morgens
3,15 mg morgens
1,05-2,1 mg morgens1,05-3,15 mg morgens
Ropinirol1 mg morgens1 mg
ab 6 mg 1,5-3 mg/Woche
3-8 mg 3 x tgl.6-24 mg
Ropinirol retard2 mg morgens2 mg6-24 mg6-24 mg
Rotigotin transdermal2 mg/24 h2 mg/24 h4-8 mg/24 h (Frühstadium)
8-16 mg/24 h (fortgeschrittenes IPS)
6-16 mg/24 h

Zu Beginn einer Behandlung mit einem Dopaminagonisten kann – genauso wie bei der Behandlung mit L-Dopa – die vorübergehende prokinetische und antiemetische Behandlung mit Domperidon hilfreich sein. Dopaminagonisten sind ansonsten in der Regel gut verträglich, können aber zu relevanten Nebenwirkungen führen: Zum Einen zu einer Tagesmüdigkeit mit imperativem Schlafdrang, welcher durchaus auch beim Autofahren auftreten kann. Zum Anderen zu Impulskontrollstörungen und insbesondere bei älteren und ggfs. komorbid demenzkranken Patienten zu Halluzinosen und psychotischem Erleben. Sowohl Impulskontrollstörungen (welche von Hypersexualität bis zu Suchterkrankungen wie Kauf-, Spielsucht oder Substanzkonsum reichen können) und psychotische Nebenwirkungen sollten zu einem umgehenden Absetzen des Dopaminagonisten und zur Einleitung einer Therapie mit L-Dopa führen, um die es das nächste Mal gehen soll.

Medikamentöse Behandlung von jüngeren Patienten mit idiopathischen Parkinson-Syndromen: MAO-Hemmer

Eine weitere – gerade in der Frühtherapie des Parkinson-Syndroms – gerne genutzte Option ist die Behandlung mit einem MAO-Hemmer und zwar mit einem MAO-B-Hemmer (MAO-A-Hemmer werden als Antidepressiva eingesetzt). MAO-B-Hemmer gibt es nur zwei: Rasagilin und Selegilin. Selegilin ist das ältere Präparat wird im Gehirn teilweise in Amphetamine umgewandelt, scheint hierüber neurotoxisch zu wirken und wird dementsprechend kaum noch eingesetzt. Für Rasagilin gilt das nicht, zwischenzeitliche gegenteilige Hoffnungen auf einen direkten neuroprotektiven Effekt konnten zwar nie so richtig bestätigt werden, es konnte aber eine Art „krankheitsmodifizierende“ Wirkung gezeigt werden. Und zwar wurde in der Hoffnung der Bestätigung des neuroprotektiven Effektes, welcher sich wohl in Labor- und Tierstudien angedeutet hatte, ein sogenanntes Delayed-Start-Design in einer der Zulassungsstudien (ADAGIO) verwendet. D.h. ein Teil der Patienten begann mit Rasagilin, die anderen mit Placebo und im Laufe der Studie erfolgte ein Wechsel der zweiten Gruppe auch auf Rasagilin. Die früher behandelten Patienten wiesen einen für die mit Placebo gestarteten Probanden uneinholbaren Vorsprung in den motorischen Untersuchungsscores auf, so dass zumindest eine nur rein symptomatische Wirkung von Rasagilin wenig plausibel erscheint.
Mit 1 mg Rasagilin 1 x tgl. kann man Frühphasen einer Parkinson-Erkrankung teilweise sogar als Monotherapie behandeln und ansonsten ca. 100 mg L-Dopa-Äquivalent in der Tagesdosis einsparen (s.u.). Insbesondere Rasagilin ist sehr gut verträglich, relevante Nebenwirkungen treten kaum auf.

Äquivalenzdosis-Tabelle

Nicht ganz so präzise wie bei Opiaten, aber mit gewissen Einschränkungen ist es durchaus möglich, eine Äquivalenzdosis-Tabelle für Parkinson-Medikamente zu erstellen, so dass eine Umrechnung und Einordnung der gewählten Medikamenten-Dosis möglich wird:

MedikamentenklasseMedikamentÄquivalent 100 mg L-Dopa
L-DopaL-Dopa100
L-Dopa ret.133
Duodopa90
COMT-Hemmer*EntacaponL-Dopa x 0,33
TolcaponL-Dopa x 0,5
Dopamin-AgonistenPramipexol0,7 – 1,0 mg
Ropinirol3,0 – 5,0 mg
Rotigotin4 mg/24h
Piribedil100
MAO-B-HemmerSelegilin 10 mg p.o.10
Selegilin 1,25 mg s.l.1,25
Rasagilin1,0
andereAmantadin100
Apomorphin10
* bei den COMT-Hemmern die gesamte L-Dopa-Dosis incl. L-Dopa ret. mal den entsprechenden Wert nehmen. Bei Stalevo muss man L-Dopa + 33% mehr Wirkung über Entacapon zusammen rechnen.

nach S2K-Leitlinie Parkinson-Syndrome: Diagnostik und Therapie, 2012.
https://www.dgn.org/images/red_leitlinien/LL_2012/pdf/ll_09_2012_parkinson-syndrome__diagnostik_und_therapie.pdf

Wann behandeln?

Bei der Behandlung von Parkinson-Syndromen müssen wir uns „eigentlich“ ja immer noch und weiterhin mit einer rein symptomatischen Therapie begnügen, was auf den ersten Blick wenig für eine umgehenden Therapiebeginn zu sprechen scheint. In den gängigen aktuelleren Publikationen wird aber immer mehr die früher durchaus akzeptierte „wait and see“-Strategie bei Parkinson-Syndromen in Frage gestellt und eine Behandlung bei Diagnosenstellung empfohlen. Hierfür werden in der Regel vier Punkte angeführt, wobei die ersten beiden und der letzte sich lediglich darauf beziehen, dass auch bei einem motorisch „frühen“ Parkinson-Syndrom ja „eigentlich“ die Erkrankung schon recht weit fortgeschritten ist und dementsprechend meist alltagsrelevante motorische und nicht-motorische Beschwerden mit in Studien relevanter Einschränkung der Lebensqualität bestehen, wovon wir in erster Linie die motorischen gut lindern können und das dementsprechend auch sollten. Entscheidender ist aber Punkt 3. Hier geht es noch einmal um Rasagilin und die „krankheitsmodifizierende“ Wirkung. Auf Grund dieses Umstandes wird ein unmittelbarer Therapiebeginn bei Diagnosenstellung empfohlen. Dies müsste man m.E. aber dann auch konsequent auf eine (Ko-)Behandlung mit Rasagilin eingrenzen, da es bis heute nicht überzeugend gelungen ist, einen ähnlichen Effekt z.B. für Dopaminagonisten zu zeigen.

Wo man weiterlesen kann

S3-Leitlinie Idiopathisches Parkinson-Syndrom: https://www.dgn.org/leitlinien/3219-030-010-idiopathisches-parkinson-syndrom

  1. Jost, W. H. Medikamentöse Therapie der motorischen Symptome beim Morbus Parkinson. Nervenarzt 88, 373–382 (2017).
  2. Deuschl, G. Frühtherapie bei Morbus Parkinson. Aktuelle Neurol. 38, 483–487 (2011).
  3. Jost, W., Friede, M. & Schnitker, J. Indirekte Metaanalyse randomisierter plazebokontrollierter klinischer Studien zu Rasagilin und Selegilin in der symptomatischen Behandlung der Parkinson-Krankheit. Aktuelle Neurol. 38, 242–252 (2011).
  4. Olanow, C. W. et al. A Double-Blind, Delayed-Start Trial of Rasagiline in Parkinson’s Disease. N. Engl. J. Med. 361, 1268–1278 (2009).
  5. Parkinson Study Group. A Controlled Trial of Rasagiline in Early Parkinson Disease. Arch. Neurol. 59, 1937 (2002).