Parkinson für Dummies 05: Schmerz und Parkinson

Nach langer Zeit geht es mit der Parkinson-Mini-Serie weiter. Dazu verwurste ich mal einen Artikel, den ich schon vor einiger Zeit mal als Paper konzipiert hatte, den aber bis auf so eine extrem abgespeckte Version im Hamburger Ärzteblatt (Link) niemand je so richtig haben wollte.

Epidemiologie von Schmerzen bei Parkinson

Schmerzen beim idiopathischen Parkinson-Syndrom werden zu den nicht-motorischen Symptomen gezählt, so wie die Obstipationsneigung, die Riech- und REM-Schlaf-Verhaltensstörung und die häufige orthostatische Dysregulation. Die nicht-motorischen Symptome standen lange Jahre sehr im Hintergrund und wurden erst in der letzten Zeit wieder zunehmend mehr beachtet. Und wie in allen Parkinson-Artikeln kann man auch in diesem Artikel an dieser Stelle dann was mit James Parkinson schreiben. Ich versuche das mal standesgemäß:

Dies ist in so fern erstaunlich, da die nicht motorischen Symptome schon in der Erstbeschreibung der Erkrankung durch James Parkinson 1817 einen gewichtigen Stellenwert eingenommen haben, selbst Schmerzen bei Parkinson als „schmerzhafte rheumatoide Beschwerden“ zumindest in einem Halbsatz erwähnt wurden.

Je nach Studie leiden dabei bis zu 85% aller Parkinson-Patienten an chronischen Schmerzen, im Gegenzug zu durchschnittlich 19% der Menschen in der europäischen Gesamtbevölkerung (was mir extrem viel vorkommt by the way). Für 25% der Parkinson-Erkrankten sind Schmerzen bei Parkinson eines der drei am relevantesten Beschwerden, für knapp 10% sogar die relevanteste Einschränkung, noch vor den motorischen Symptomen. Das Vorhandensein chronischer Schmerzen geht wiederum stark mit einer Einschränkung der Lebensqualität einher. Weibliches Geschlecht, eine komorbide depressive Störung, motorische Wirkfluktuationen und bestimmte genetische Konstellationen scheinen das Auftreten von Schmerzen bei Parkinson zu begünstigen.

Viele Parkinson-Erkrankte leiden an mehreren Schmerzqualitäten. Insgesamt werden die Häufigkeiten der einzelnen Schmerzen, welche in den verfügbaren Studien erheblich variieren (meist bei Möglichkeit von Mehrfachnennungen) in etwas wie folgt angegeben: Muskuloskelettale Schmerzen treten am häufigsten auf und werden in 41-70 % der Fälle berichtet, Schmerzen im Rahmen von motorischen Wirkfluktuationen in 17-40 %, radikuläre Schmerzen in 27-35% und Schmerzen, welche als zentrale Schmerzen klassifiziert werden (siehe unten), machen 10-20 % aus.

Pathophysiologie von Schmerzen bei Parkinson

Schmerzen bei Parkinson-Syndromen entstehen durch mehrere Mechanismen. Zum einen scheint es es durch Fehl- und Schonhaltungen häufiger als in der Normalbevölkerung muskuloskelettale und radikuläre Schmerzen zu geben, zum anderen verursacht die Parkinson-Erkrankung selbst offenbar häufig Schmerzen, was sich mit den in den letzten 10 Jahren gewonnenen Erkenntnissen über die pathophysiologischen Mechanismen neurodegenerativen Erkrankungen plausibel erklären lässt (also die Prion-artige Ausbreitung pathogener Eiweiße im ZNS). Wer hier noch wenig bewandert ist, kann dazu etwas im Blogeintrag zu Braak & Co nachlesen). Sehr früh, noch vor dem Beginn erster motorischer Kernsymptome lassen sich Lewy-Körperchen (also pathogenes alpha-Synuclein) im Riechhirn und im enterischen Nervensystem nachweisen, dann aszendierend über den Nervus vagus im Hirnstamm in den Kerngebieten des Nervus vagus und von dort sich über Hirnstamm, Mittel- und Zwischenhirn zum Großhirn ausbreitend. Zurück zum Schmerz: Das schmerzverarbeitenden afferenten Faserverbindungen werden in zwei Bahnsysteme unterteilt: Das mediale und das laterale System (das hatte ich hier auch schon mal erklärt). Das mediale System ist in die kognitive und affektive Schmerzverarbeitung, das Schmerzgedächtnis und in autonome Antworten auf Schmerzreize eingebunden. Im lateralen System werden insbesondere Informationen zum Schmerzort und zur Dauer des Schmerzreizes verarbeitet. Die absteigenden, schmerzhemmenden, Fasern als dritter Teil des schmerzverarbeitenden Systems verlaufen wiederum vom periaquäduktalen Grau, über den Locus caeruleus zum Rückenmark.

Bringt man diese Beobachtungen der Grundlagenforschung zusammen, wird deutlich, dass bei der Parkinson-Krankheit im Rahmen der sich ausbreitenden alpha-Synuklein-Pathologie schon sehr früh im Krankheitsverlauf schmerzverarbeitende Systeme von Neurodegeneration betroffen sind und sich hierüber – neben mechanischen Krankheitskonzepten insbesondere bei muskuloskelettalen Schmerzen – das häufige Auftreten von durch die Grunderkrankung bedingter Schmerzen erklären.

King’s Parkinson’s Disease Pain Scale

Zur Erfassung von Schmerzen bei Parkinson existierte lange Zeit kein validiertes Scoring-Instrument. In der Non-motor Symptoms Questionnaire und Scale als gängigster Score zur Erfassung nicht motorischer Symptome werden Schmerzen lediglich im Selbstauskunftsbogen in einer Frage thematisiert, ansonsten wird auf das Phänomen Schmerz bei Parkinson nicht weiter eingegangen.

Für den englischen Sprachraum wurde am King’s College in London eine semiquantitative Skala entwickelt, die seit kurzem auch in einer konsentierten Übersetzung vorliegt. In sieben Domänen werden 14 Items zu den Themen muskuloskelettale Schmerzen, chronische Schmerzen, Schmerzen im Rahmen von Wirkfluktuationen, nächtliche Schmerzen, orofaziale und abdominelle Schmerzen, Schmerzen durch Ödeme und radikuläre Schmerzen. Für alle 14 Items können der Schweregrad in den Stufen 0-3 (keine Beschwerden, leicht Beschwerden, mäßige Beschwerden, schwere Beschwerden) und die Häufigkeit in den Stufen 0-4 (nie Schmerzen, seltener als 1 x wöchentlich, 1 x wöchentlich, mehrere Male wöchentlich, täglich) angegeben werden. Beide Punktwerte werden miteinander multipliziert. Am Ende wird aus allen 14 Punktwerten die Gesamtsumme gebildet.

Schmerzarten bei Parkinson und ihre Therapie

Muskuloskelettale Rückenschmerzen

Muskuloskelettale Schmerzen machen – wie erwähnt – den größten Teil der Schmerzen bei Parkinson-Erkrankungen aus, am häufigsten ist der untere Rücken betroffen, aber auch die Schulter-Nacken-Region, Hüfte und Knie werden häufig als Schmerzorte angegeben. Typisch für muskuloskelettale Schmerzen bei Parkinson sind eine Zunahme der Beschwerden in Off-Phasen und ein relativ gutes Ansprechen auf eine dopaminerge Medikation. Neben dieser offenbar kausalen Verbindung zwischen muskuloskelettalen Schmerzen und der Parkinson-Erkrankung, entstehen derartige Beschwerden bei Parkinson-Patienten auch sekundär über ganz gewöhnliche Mechanismen – wie weiter oben schon erwähnt – welche sich auch bei nicht an Parkinson erkrankten Rückenschmerz-Patienten beobachten lassen: Zum Beispiel durch Fehl- und Schonhaltungen, Immobilität und Gangstörungen, welche zu einer Fehlbelastung der Rücken- und Extremitätenmuskulatur führen.

Ein weiteres häufiges Symptom sind Schulterschmerzen, insbesondere das Syndrom der frozen shoulder. Auch hier wird oft eine Beschwerdezunahme im Off und eine Besserung unter dopaminergen Substanzen berichtet. Bei 2-8% aller Parkinson-Patienten sind Schulterschmerzen sogar das erste Symptom der Erkrankung.

Muskuloskelettale Schmerzen bei Parkinson-Syndromen werden prinzipiell genauso wie bei nicht an Parkinson Erkrankten behandelt: Medikamentös mit NSAR, Metamizol, Opioiden (wo indiziert), bei chronischen Schmerzen mit Koanalgesie durch SSNRI oder Trizyklika (diese werden trotz anticholinerger Wirkung in der Regel gut vertragen) und insbesondere mit nicht-medikamentösen Therapiemaßnahmen, wie detonierenden Übungen, Muskelentspannungstechniken, manueller Therapie, Wärmeapplikation und – wenn zur Symptomkontrolle als hilfreich empfunden – auch mittels transkutaner elektrischen Nervenstimulation (TENS). Therapeutisch sollte zudem immer ein Ansprechen der Schmerzen auf eine dopaminerge Medikation überprüft werden.

Kamptokormie

Die Kamptokormie, also die ausgeprägte nach vorn übergebeugte Fehlhaltung des Rumpfes, tritt zwar am häufigsten bei Parkinson-Syndromen auf, ist für diese jedoch nicht spezifisch und kann auch bei anderen – in erster Linie neurodegenerativen – Erkrankungen beobachtet werden, wie bei Muskeldystrophien und Myositiden. Eine Kamptokormie bei Parkinson tritt in der Regel 4-14 Jahre nach den ersten motorischen Symptomen auf und spricht meis schlecht auf eine dopaminerge Medikation an. Andererseits wurde beobachtet, dass sich bei der tiefen Hirnstimulation, insbesondere des Globus pallidus internus Kamptokormien rasch und deutlich bessern können, so dass als Ursache des Phänomens Kamptokormie bei Parkinson mittlerweile a.e. eine nichtdopaminergen neuronalen Funktionsstörung in den Basalganglien angenommen wird.

Die Therapie der Kamptokormie, welche häufig auf Grund der ausgeprägten Fehlhaltung mit muskuloskelettalen Rückenschmerzen aber auch Radikulopathien assoziiert ist, ist medikamentös – wie erwähnt – schwierig. Neben dem schlechten Ansprechen auf L-Dopa, waren auch Therapiestudien mit der lokalen Injektion von Botulinumtoxin unter der Vorstellung einer fokalen Dystonie, als auch mit Steroiden unter der Auffassung einer Myopathie oder Myositis negativ. Für nicht-medikamentöse Therapieverfahren existieren einzelne, teils widersprüchliche, Fallberichte.

Viszerale, nozizeptive Schmerzen

Bei einem Großteil aller Parkinson-Patienten besteht eine gestörte Darmmotilität, was sich über die frühe Neurodegeneration des enterischen Nervensystems durch pathologische alpha-Synuklein-Ablagerungen erklärt. Das häufigste, in diesem Zusammenhang geäußerte Symptom ist eine Obstipationsneigung. Aber auch viszerale, eher dumpf-drückende Schmerzen werden bei Parkinsonerkrankten beschrieben. Diese Schmerzen können im gesamten Gastrointestinaltrakt von oral bis zum Analsphinkter beobachtet werden und treten oft wellen- und kolikartig im Rahmen der Peristaltik auf. Neben dem Einsatz von Prokinetika, einer vermehrten flüssigkeits- und ballaststoffreichen Ernährung und der Gabe von Laxanzien wie Macrogol, wird zudem die Durchführung einer Ernährungsberatung empfohlen. Die Gabe von Anticholinergika ist hingegen oft kontraproduktiv und führt eher zu einer Beschwerdezunahme.

Dystonie-bedingte Schmerzen

Unter dem Begriff Dystonie-bedingte Schmerzen – im englischen Sprachraum treffender als pain linked to motor symptoms bezeichnet – fasst man die typischen, häufig schmerzhaften, Wirkfluktuationen fortgeschrittener Parkinson-Syndrome zusammen, also beginning-of-dose-, end-of-dose- bzw. wearing-off-Phänomene, aber auch die teils schmerzhaften Überdosierungen oder Schmerzen in der Anflutungsphase des L-Dopa nach Medikamenteneinnahme. Das Erkennen und die Behandlung dieser Symptome ist in der Behandlung von Parkinson-Syndromen in der Regel gut etabliert, so dass Dystonie-bedingte Schmerzen relativ zuverlässig detektiert, durch Anpassung der dopaminergen Medikation behandelt werden und somit als weniger unterdiagnostiziert und -therapiert gelten, als die übrigen hier geschilderten Symptomkomplexe. Schmerzhafte Dystonien treten insbesondere bei jung erkrankten Parkinson-Patienten und bei bestimmten genetisch determinierten Parkinson-Formen, wie bei Parkin- oder PINK1-Mutationen auf.

Am häufigsten lassen sich frühmorgendlich auftretende schmerzhafte Dystonien beobachten, entweder vor der ersten morgendlichen Einnahme des L-Dopa oder während des langsamen Anfluten des ersten eingenommenen L-Dopa, welche typischerweise die unteren Extremitäten betreffen und mit muskelkrampfartiger Plantarflexion, Fußinversion und einer Streckung der Knie einhergehen.

Neuropathische Schmerzen

Bei den neuropathischen Schmerzen kann zwischen radikulären und zentralen Schmerzen unterschieden werden.

Radikuläre Schmerzen

Während – je nach epidemiologischer Studie – in der Allgemeinbevölkerung eine Prävalenz von Radikulopathien von ca. 10% beschrieben wird, leiden 14-35% der Parkinson-Erkrankten an radikulären Schmerzen. Dies wird in erster Linie mit der vermehrten mechanischen Schädigung der Wirbelsäule durch chronische Fehlhaltungen, wie durch die Kamptokormie und Dystonien erklärt.

Therapeutisch werden in der Regel – wie bei nicht an Parkinson Erkrankten – Koanalgetika aus der Gruppe der Antikonvulsiva eingesetzt, insbesondere Gabapentin und Pregabalin. Für Gabapentin, welches auch bei Parkinson überwiegend gut vertragen wird, existiert eine deutlich bessere Studienlage zum Einsatz bei neuropathischen Schmerzen im Rahmen einer Parkinson-Erkrankung als für Pregabalin. Auch die koanalgetische Aktivierung der absteigenden Schmerzhemmung mittels Gabe von Trizyklika und SSNRI unterscheidet sich nicht von der Behandlung von radikulären Syndromen ohne begleitende Parkinson-Erkrankung.

Zentrale Schmerzen

Ungefähr 10% der Schmerzen bei Parkinson-Syndromen machen zentrale Schmerzen aus. Diese werden oft an für Dyskinesien/Dystonien oder muskuloskelettale Schmerzen ungewöhnlichen Lokalisationen (Gesicht, Nase-/Rachen-Raum, Mund, Abdomen, Genitale) beschrieben, erscheinen teils bizarr, für Außenstehende wenig nachvollziehbar, werden meist als brennend und/oder verkrampfend beschrieben und zeigen oft eine Seitenbetonung, kongruent zu der von der Parkinson-Erkrankung schwerer betroffenen Körperseite. Vermehrt treten zentrale Schmerzen in Off-Phasen auf. Erklärt werden diese Schmerzen durch pathologische Alpha-Synuclein-Ablagerungen im Tractus spinoreticularis und Tractus spinothalamicus, die dort zur Neurodegeneration führen. Zentrale Schmerzen werden oft als derart beeinträchtigend empfunden, dass sie die übrige Parkinson-Symptomatik deutlich in den Hintergrund rücken lassen. Oft führt dies zu einer umfangreichen Abklärung des Schmerzes, ohne dass sich ein wegweisendes pathologisches Korrelat ergibt. Häufig besteht ein gutes Ansprechen der Schmerzen auf eine dopaminerge Medikation. Bei Therapieversagen können klassische Analgetika incl. Opioide, aber auch Trizyklika und atypische Neuroleptika versucht werden. Positive Fallberichte bestehen bei ansonsten therapierefraktären Schmerzen auch für eine tiefe Hirnstimulation des Ncl. subthalamicus beidseits.

Eine konsensuelle Definition und Abgrenzung zentraler Schmerzen von anderen Schmerzqualitäten bei der Parkinson-Erkrankung existiert nicht, üblicherweise werden Schmerzen, die nicht in eine der anderen genannten Kategorien fallen und für welche es keine plausiblere Erklärung als die Parkinson-Erkrankung selbst, als zentrale Schmerzen eingeordnet.

Schmerz und Parkinson: Wo und wie behandeln?

Ich glaube, das A&O ist das dran denken und das nachfragen, wenn Patienten von alleine nicht von Schmerzen berichten. Zudem muss man im Hinterkopf haben, dass es sich bei Schmerzen beim Parkinson-Syndrom oft um Mischbilder verschiedener Schmerzqualitäten handelt, welche zudem chronifiziert sind und im Rahmen einer progredienten, neurodegenerativen Erkrankung auftreten. Das kann dazu führen, dass die klassische unimodale Schmerztherapie rasch an ihre Grenzen gerät und eine Behandlung im Setting einer multimodalen Schmerztherapie mit einem interdisziplinären Behandlungsteam vorteilhafter sein kann.

Wo man weiterlesen kann:

Beiske AG, Loge JH, Rønningen A, Svensson E. Pain in Parkinson’s disease: Prevalence and characteristics. Pain. 2009;141:173–177.

Ford B. Pain in Parkinson’s disease. Mov Disord. 2010;25 Suppl 1:S98–S103.

Truini A, Frontoni M, Cruccu G. Parkinson’s disease related pain: a review of recent findings. J Neurol. 2013;260:330–334.

Valkovic P, Minar M, Singliarova H, et al. Pain in Parkinson’s Disease: A Cross-Sectional Study of Its Prevalence, Types, and Relationship to Depression and Quality of Life. PLoS ONE. 2015;10:e0136541.

Tick, Trick und TAK: Trigemino-autonome Kopfschmerzen (feat. by a world of pain & Marky Mark)

Irgendwie ballt sich das Thema trigemino-autonome Kopfschmerzen bei uns in der letzten Zeit. Also höchste Zeit, sich dieser Kopfschmerzentität einmal anzunehmen. Die internationale Kopfschmerzklassifikation listet vier Kopfschmerzerkrankungen auf, die zu den trigemino-autonomen Kopfschmerzen gehören: Cluster-Kopfschmerzen, paroxysmale Hemikranie, SUNCT und die Hemicrania continua, die erst in den letzten Jahren ihren Weg in die Kategorie der trigemino-autonomen Kopfschmerzen gefunden hat.

TAK: Gesichts- und eher keine Kopfschmerzen

Bei den trigemino-autonomen Kopfschmerzen handelt es sich um klinisch und historisch definierte Syndrome (wie eigentlich bei allen anderen Kopfschmerzentitäten auch), d.h. wie es bei vielen anderen Erkrankungen auch gilt, müssen klinischer Eindruck und eigentlich pathogenetischer Mechanismus nicht übereinstimmen. Gemeinsam ist allen ein halbseitiger Gesichts- und weniger ein Kopfschmerz und das Auftreten autonomer Symptome, wie Tränen- oder Nasenlaufen, ein gerötetes Auge, starkes Schwitzen, eine Rötung der Haut, ein Fremdkörpergefühl im Ohr und ggfs. eine Ptose o.ä.

Hauptsächlich unterscheiden tun sich die verschiedenen trigemino-autonomen Kopfschmerzen durch ihr Ansprechen auf unterschiedliche – oft auch als diagnostischer spezifischer Test verwendbare – Therapien und in erster Linie durch die unterschiedliche Attackendauer.

Wenn man das wiederum weiß, wird die Einteilung in der o.g. Reihenfolge in der Kopfschmerzklassifikation ganz schnell verständlich und einfach: Die drei „alten“ trigemino-autonomen Kopfschmerzerkrankungen sind nach der Attackendauer sortiert (Cluster-Attacken dauern am längsten, SUNCT am kürzesten) und hinten steht die sehr seltene Hemicrania continua.

Cluster-Kopfschmerzen: Kommt ein unruhiger und extrem dünnhäutiger junger Mann nachts in die ZNA

Cluster-Kopfschmerzen sind die häufigste Form der trigemino-autonomen Kopfschmerzen, mit einer Prävalenz von 0,1-0,15% der Bevölkerung aber – gerade im Vergleich zur Migräne – insgesamt doch relativ selten. Treffen tut man Patienten mit Cluster-Kopfschmerzen – wie schon angeteasert – nachts in der ZNA. Cluster-Kopfschmerzen treten nämlich zum Einen im Rahmen des namensgebenden Clusters intervallartig (v.a. im Frühling und Herbst) gehäuft auf, zum Anderen dann meist in den Abend- und Nachtstunden (und hier teilweise immer zur selben Uhrzeit). Die Attackendauer liegt definitionsgemäß zwischen 15 und 180 Minuten, der Kopfschmerz betrifft bei knapp 80% der Betroffenen immer die selbe Seite und ja, Männer sind deutlich häufiger betroffen (Verhältnis 4:1) als Frauen, Frauen können aber sehr wohl auch Cluster-Kopfschmerzen bekommen. Cluster-Kopfschmerzen remittieren auch im Alter nicht wirklich (bzw. bei ca. 80% nicht). Man unterscheidet episodische von chronischen Cluster-Kopfschmerzen. Auch hier spielen die überall in der Schmerzmedizin vorkommenden drei Monate ein Rolle. Chronische Cluster-Kopfschmerzen liegen nämlich vor, wenn das beschwerdefreie Intervall zwischen zwei Clustern kürzer als drei Monate ist. Und auch hier kann man sich noch mal 80% merken: 80% der Cluster-Kopfschmerzen verlaufen als episodische Kopfschmerzen.

Die Kopfschmerzintensität wird in der Regel als sehr heftig beschrieben, die Kopfschmerzqualität als bohrend-reißend und eben oft periokulär lokalisiert. Die Betroffen sind sind in der Regel – wie erwähnt – unruhig und angetrieben, tigern durch die Notaufnahme, was man durchaus auch diagnostisch verwerten kann, da Menschen mit Migräne sich eher zurückziehen. Weniger eindeutig wird die klinische Zuordnung, wenn vegetative Symptome und Phono- und Photophobie auftreten oder eine Aura, was in bis zu 25% der Fälle auftreten soll.

Cluster-Attacken lassen sich häufig triggern, etwa durch Alkoholkonsum, durch eine Histamin-Ausschüttung oder durch die Einnahme vasodilatativer Substanzen wie Nitroglycerin oder Sildenafil.

Triptane oder Sauerstoff? Was geben?

… helfen beide. Allerdings gibt es keine andere primäre Kopfschmerzerkrankung, welche durch Sauerstoffinhalation recht schnell besser wird, so dass man das Ansprechen auf Sauerstoff durchaus als Diagnostikum verwenden kann. Die Devise hier ist aber: Viel hilft viel. Also keine Sauerstoffbrille verwenden und mit 2l/min fröhlich blubbern lassen, sondern mit Maske applizieren und den Hahn aufdreht, dass es pfeift (12-15l/min). Und jetzt kommt noch mal 80% vor: In 80% der Fälle sistiert dann die Attacke innerhalb von 15 min. Bei den Triptanen gilt ebenso viel hilft viel und s.c. hilft besser als p.o. Um das Cluster zu unterbrechen, ist es seit vielen Jahren gängig, Prednisolon (60-80 mg, je nach Quelle auch 1 mg/kg KG) in absteigender Dosis einzusetzen. Seit diesem Jahr gibt es nun endlich auch eine statistisch signifikante Evidenz, dass dies eine sinnvolle Therapieoption ist. Der Klassiker, der durch viele Köpfe spukt, Verapamil, ist eher bei chronischen Cluster-Kopfschmerzen als Prophylaxe interessant. Mit einer Tagesdosis von 160-240 mg (maximal 480 mg) kommt man aber schon in einen kardiovaskulär relevanten Bereich, so dass man eine Auf- und Eindosierung nur unter regelmäßigen EKG-Kontrollen (AV-Block?) bewerkstelligen kann. Eine Alternative ist Lithium mit einem Ziel-Plasmaspiegel von 0,8-1,2 mmol/l mit allen Nachteilen, die Lithium so hat.

Paroxysmale Hemikranie: Die Sache mit dem Indometacin – Teil 1

Das übersichtliche an der paroxysmalen Hemikranie ist, dass all das, was für Cluster-Kopfschmerzen gilt, auch für die paroxysmale Hemikranie gilt. Mit drei Ausnahmen: 1. Die Attacken sind kürzer, dauern zwischen 2 und 30 Minuten. 2. Frauen sind häufiger als Männer betroffen. 3. Indometacin hilft und das ist auch ein diagnostisches Kriterium. Die paroxysmale Hemikranie soll 3-6% aller TAK ausmachen und ist mit einer Prävalenz von 0,1 Promille noch mal 10 mal seltener als Cluster-Kopfschmerzen.

Da die Attacken ja recht kurz sind bietet es sich an, Indometacin nicht bedarfsweise, sondern in so einem Cluster von Hemikranie-Attacken zu festen Zeitpunkten einzunehmen mit einer Tagesdosis von 150-250 mg. Bei Indometacin ist die zusätzliche Gabe eines Protonenpumpenhemmers extrem wichtig, da es als vollkommen unselektiver COX-Hemmer häufig zu GI-Beschwerden insbesondere Ulzera führt. Wenn Indometacin eingenommen wird und auch gut wirkt, sollte innerhalb von 1-2 Wochen die niedrigsten wirksame Dosis titriert werden und auch hier nach einiger Zeit ein Auslassversuch erfolgen.

Auch bei der paroxysmalen Hemikranie gibt es neben einer episodischen eine chronische Verlaufsform, die exakt gleich wie bei den Cluster-Kopfschmerzen definiert ist.

SUNCT und SUNA: Die schönen Akronyme

Trigemino-autonome Kopfschmerzen mit sehr, sehr kurzen Attacken (meist wenige Sekunden Dauer) und dafür sehr sehr hoher Attackenfrequenz (bis 200 mal täglich) werden traditionell als SUNCT bezeichnet, wobei das für short-lasting unilateral neuralgiform headache attacks with conjunctival injection and tearing steht. Da sich in den letzten Jahren die klinisch schon lange bestehende Erkenntnis, dass es kurze TAK auch mit anderen autonomen Symptomen gibt, mittlerweile auch bis in die Diagnosekriterien durchsetzen konnte, gibt es seit auch noch den Begriff SUNA ( short-lasting unilateral neuralgiform headache attacks with cranial autonomic symptoms). Vermutlich ist SUNA also die eigentliche Krankheitskategorie und SUNCT dann eine spezielle klinische Manifestationsart, aber so ganz genau weiß das bislang keiner.

SUNA und SUNCT sind so selten, dass es keine validen Angaben zur Prävalenz gibt, vermutlich sind Männer häufiger als Frauen betroffen. Da die Attacken wirklich furchtbar kurz sind, ist eine Attackenbehandlung kaum möglich. Vielmehr muss man versuchen, das SUNCT- oder SUNA-Cluster zu durchbrechen. Hier gibt es etwas klinische Erfahrung mit Lamotrigin, welches ganz gut zu funktionieren scheint, was allerdings in seiner Aufdosierung natürlich sehr sehr langsam ist.

Wichtigste Differentialdiagnose ist die Trigeminusneuralgie, die ja ebenfalls sehr kurze hochfrequente Schmerzattacken macht.

Auch hier – man glaubt es kaum – gibt es wieder die schon bekannte Unterscheidung in eine episodische und chronische Verlaufsform wieder mit der Frage, ob das attackenfreie Intervall kürzer oder länger als 3 Monate ist.

Die Sache mit dem Indometacin Teil 2: Hemicrania continua

Die Hemicrania continua ist vermutlich unterdiagnostiziert und darüber hinaus schlecht verstanden. Früher galt sie als absolute Rarität, mittlerweile ist man sich sicher, dass sie doch häufiger sein dürfte. Man kann sich die Hemicrania continua als Dauer-TAK mit wellenförmigen Exazerbationen vorstellen. Die Diagnosekriterien fordern tatsächlich eine Kopfschmerzdauer von mindestens 3 Monaten. Zudem spricht auch die Hemicrania continua in der Regel sehr sehr gut auf Indometacin an, so dass man auch hier das als Diagnostikum benutzen kann. Eine übliche Startdosis ist 3 x 25 mg, was auf 3. x 50 mg gesteigert werden kann. Es scheint die Hemicrania continua mit Kopfschmerzpausen von mehr als 24 Stunden zu geben und ohne Kopfschmerzpausen.

Cluster-KopfschmerzenParoxysmale HemikranieSUNCT / SUNAHemicrania continua
Verhältnis F : M1 : 42 : 11 : 1,52 : 1
Schmerz
QualitätScharf, stechend, pochendScharf, stechend, pochendScharf, stechend, pochendDrückend, mit stechend-scharfen Exazerbationen
IntensitätSehr starkSehr starkStarkDauerschmerz: Mäßig Exazerbationen: Stark
Attacken
Frequenz/Tag1 – 85 – 501 – 200Dauerschmerzen
Dauer (min)15 – 1802 – 300,01 – 10Exazerbationen: Ca. 30 min
Episodisch vs. chronisch90 : 1035 : 6510 : 9015 : 85
Assoziierte Symptome
Unruhe90%80%65%70%
Zirkadiane Rhythmik80%SeltenSeltenSelten
Triggerfaktoren
AlkoholJaJaNeinJa
NitroglycerinJaJaNeinSelten
HalsbewegungenNeinJaJaNein
Ansprechen auf Behandlung
Sauerstoff80%NeinNeinNein
Sumatriptan 6 mg s.c.90%20%Kaum EffekteKein Effekt
IndometacinKaum Effekte100%Kein Effekt100%
Tabelle nach: Burish, M. (2018). Cluster Headache and Other Trigeminal Autonomic Cephalalgias. CONTINUUM: Lifelong Learning in Neurology, 24(4), 1137–1156. https://doi.org/10.1212/CON.0000000000000625

Wie entstehen trigemino-autonome Kopfschmerzen?

Angesichts der Seltenheit von paroxysmaler Hemikranie, SUNCT/SUNA und Hemicrania continua gibt es die beste Evidenz für die Pathophysiologie des Cluster-Kopfschmerzes. Allerdings ist es wohl nicht unwahrscheinlich, dass hier relevante Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen TAK-Entitäten bestehen.

Dreh- und Angelpunkt: Der Hypothalamus

Bei den TAK scheint der Hypothalamus eine ganz wesentliche Rolle zu spielen. Einmal als Ort von Schmerzgenerierung selber, aber auch als Struktur, in die Afferenzen hineinprojizieren, die bei den TAK involviert sind. In fMRT-Studien konnte für mehrere TAK-Entitäten eine Überaktivität des Hypothalamus gezeigt werden und in einzelnen Studien auch eine neuronale Hyperplasie im Sinne einer pathologisch abgelaufenen Neuroplastizität. Und er ist bei TAK-Attacken in fMRT-Studien auch der erste Ort, der im schmerzverarbeitenden System übermäßig aktiviert wird.

Vom Hypothalamus aus wird die Schmerzmatrix angesteuert, die wir ja schon kennen. Der Hypothalamus ist ganz entscheidend in die zirkadiane Rhythmik involviert, ebenso in aggressive Verhaltensweisen, was beides zu Phänomenen passt, die wir bei TAK sehen, wie die tageszeitliche Regelmäßigkeit der Schmerzen und die Ruhe- und Rastlosigkeit der Betroffenen.

Das trigeminovaskuläre Netzwerk

Dieser überaktive Hypothalamus scheint ganz besonders von trigeminalen Afferenzen getriggert zu werden. Insbesondere V1 ist hieran beteiligt. Hier enden (erwartungsgemäß) Afferenzen von Schmerzfasern aus dem Stirn- und periorbitalen Bereich, aber auch aus der Dura mater und von den Dehnungsrezeptoren der größeren Gefäße. Hier findet bei Aktivierung auch die Ausschüttung von CGRP statt, vermutlich der entscheidende Faktor, warum Triptane und CGRP-Antikörper (zumindest beim Cluster-Kopfschmerz) (vgl. Goadsby, P. J., Dodick, D. W., Leone, M., Bardos, J. N., Oakes, T. M., Millen, B. A., Zhou, C., Dowsett, S. A., Aurora, S. K., Ahn, A. H., Yang, J.-Y., Conley, R. R., & Martinez, J. M. (2019). Trial of Galcanezumab in Prevention of Episodic Cluster Headache. New England Journal of Medicine, 381(2), 132–141. https://doi.org/10.1056/NEJMoa1813440) wirksam sind. Anders aber als bei der Migräne, ist CGRP aber offenbar nicht ganz so zentral bedeutsam, sondern ein Baustein von mehreren für die Entstehung von TAK.

Autonomes Nervensystem

Das autonome Nervensystem ist bei TAK insbesondere über den Nucleus salivatorius superior in die Kopfschmerzsymptomaik involviert, der wiederum in das Ganglion sphenopalatinum projiziert. Hier werden all die Dinge gesteuert, die bei TAK als autonome Symptome auftreten können. Und andersherum lindert eine elektrische Stimulation des Ganglion sphenopalatinum Cluster-Attacken. Auch die Sauerstoffgabe scheint über das autonome Nervensystem vermittelt zu wirken. In Grundlagenforschung-Arbeiten konnte gezeigt werden, dass hochdosierter Sauerstoff zu einer Abnahme der Entladungsfrequenz von Zellen im trigeminalen autonomen Reflexbogen führt.

Trigeminovaskuläres Netzwerk und trigeminaler autonomer Reflexbogen landen wiederum im Hypothalamus…

Wo man weiterlesen kann

S1-Leitlinie Clusterkopfschmerz und trigeminoautonome Kopfschmerzen https://dgn.org/leitlinien/ll-54-ll-clusterkopfschmerz-und-trigeminoautonome-kopfschmerzen/

Barloese, M. C. J. (2018). The pathophysiology of the trigeminal autonomic cephalalgias, with clinical implications. Clinical Autonomic Research, 28(3), 315–324. https://doi.org/10.1007/s10286-017-0468-9

Burish, M. (2018). Cluster Headache and Other Trigeminal Autonomic Cephalalgias. CONTINUUM: Lifelong Learning in Neurology, 24(4), 1137–1156. https://doi.org/10.1212/CON.0000000000000625

Hoffmann, J., & May, A. (2018). Diagnosis, pathophysiology, and management of cluster headache. The Lancet Neurology, 17(1), 75–83. https://doi.org/10.1016/S1474-4422(17)30405-2

May, A., Schwedt, T. J., Magis, D., Pozo-Rosich, P., Evers, S., & Wang, S.-J. (2018). Cluster headache. Nature Reviews Disease Primers, 4(1), 18006. https://doi.org/10.1038/nrdp.2018.6

Obermann, M., Nägel, S., Ose, C., Sonuc, N., Scherag, A., Storch, P., Gaul, C., Böger, A., Kraya, T., Jansen, J.-P., Straube, A., Freilinger, T., Kaube, H., Jürgens, T. P., Diener, H.-C., Katsarava, Z., Kleinschnitz, C., & Holle, D. (2021). Safety and efficacy of prednisone versus placebo in short-term prevention of episodic cluster headache: a multicentre, double-blind, randomised controlled trial. The Lancet Neurology, 20(1), 29–37. https://doi.org/10.1016/S1474-4422(20)30363-X

Kompliziertes, was eigentlich ganz einfach ist: Radikulopathien und Rückenschmerz mit und ohne Ausstrahlung

Spezifische und nicht-spezifische Rückenschmerzen

Hier ging es ja schon einmal um chronische Rückenschmerzen, jetzt – so ohne Schmerz-Prüfung vor Augen – müssen wir uns aber dringend noch mal den akuten Rückenschmerzen zuwenden. Der akute Rückenschmerz ist noch mal deutlich häufiger als der chronische und betrifft – zumindest was den unteren Rücken betrifft – mit einer 85%-Lebenszeitprävalenz nahezu jeden irgendwann einmal. Ganz offiziell werden Rückenschmerzen in spezifische und nicht-spezifische Rückenschmerzen unterteilt, womit man meint, dass es Rückenschmerzen gibt, die auf einer ganz klaren Ursache wie einem Bandscheibenvorfall, einer Spinalkanalstenose, einer Wirbelkörperfaktur, eine Spondylodiszitits usw. beruhen und die mit der Behandlung dieser Grunderkrankung auch wieder verschwinden und dass es Schmerzen gibt, bei denen das eben nicht so ist. Die Genese der nicht-spezifischen Rückenschmerzen ist auch im Jahr 2020 unklar und vermutlich gibt es auch nicht die eine Ursache, sondern viele verschiedene Gründe, die zu nicht-spezifischen Rückenschmerzen führen. Eine Hypothese besagt, dass ein großer Teil der akuten Rückenschmerzen vertebragen bedingt ist, also aus den Wirbelkörpern (und Bandscheiben) stammt und in erster Linie ein Nozizeptor-Schmerz ist (welcher demnach auch gut auf Analgetika ansprechen müsste). In schmerztherapeutischen Kreisen wird in der Regel der paarvertebralen Muskulatur mit dem Konzept der myofaszialen Schmerzen die größte Bedeutung bei der Entstehung und Behandlung der Rückenschmerzen zugeschrieben. Relativ klar – wenn in ihrer genauen pathogenetischen Einordnung nicht gänzlich verstanden – ist auch die Bedeutung psychosozialer Belastungsfaktoren nicht nur für die Chronifizierung von Rückenschmerzen, sondern auch für die Entstehung akuter Rückenschmerzen. Dabei muss man dabei wieder drei Untergruppen unterscheiden und berücksichtigen:

  • psychosoziale Faktoren des Patienten selber, die in der NVL Kreuzschmerz sogar eine eigene Warnflaggen-Farbe bekommen und als yellow flags gelten. Dazu gehören: Vorbestehende depressive Symptome, Distress (also negativer Stress), die Neigung zum Katastrophisieren, Hilf- und Hoffnungslosigkeit, Angst-Vermeidungs-Verhalten mit passivem Schmerzverhalten und übermäßiger Schonhaltung und die Neigung zur Somatisierung; dazu die üblichen Probleme: Rauchen, Alkoholkonsum, Übergewicht und fehlende Kondition
  • arbeitsplatzbezogene Risikofaktoren, welche als blue flags bezeichnet werden (und welche natürlich nur bei berufstätigen Patienten wichtig sind) und die sich teilweise mit den intrinsischen Risikofaktoren von gerade überschneiden: Körperliche schwere Arbeit, monotone Körperhaltung, Vibrationsexposition, geringe berufliche Qualifikation, geringer Einfluss auf die Arbeitsgestaltung, geringe soziale Unterstützung, berufliche Unzufriedenheit und Verlust des Arbeitsplatzes, Kränkungserleben am Arbeitsplatz und Mobbing und eine negative Erwartungshaltung hinsichtlich einer Rückkehr an den Arbeitsplatz mit Angst vor erneuter Akquise von Rückenschmerzen dort
  • und am faszinierendsten: Risikofaktoren, welche durch den Arzt selber generiert werden und die da lauten: Fehlende Akzeptanz der multifaktoriellen Genese von Rückenschmerzen, Überbewertung radiologischer Befunde bei nicht-spezifischen Schmerzen, zu lange Krankschreiben, Förderung passiver Therapiekonzepte (Spritzen, Fango, Massagen) und übertriebener Einsatz von Diagnostik.
Ohne gute Untersuchung geht es nicht

Damit ist aber auch klar, das ganze Thema steht und fällt mit der möglichst richtigen Zuordnung in spezifische und nicht-spezifische Rückenschmerzen. Und wenn wir uns nicht sicher sind und einfach mal Großgerätediagnostik verballern, machen wir den Schmerz unter Umständen einfach nur schlimmer und nicht besser. In der NVL (Nationale Versorgungsleitlinien sind ja sozusagen so Fachgesellschaft-übergreifende Konsensusleitlinien) findet sich daher auch als erste Empfehlung beim Thema Diagnostik folgender Satz:

Finden sich bei Patienten mit Kreuzschmerzen durch Anamnese und körperliche Untersuchung beim Erstkontakt keine Hinweise auf gefährliche Verläufe oder andere ernstzunehmende Pathologie, sollen vorerst keine weiteren diagnostischen Maßnahmen durchgeführt werden.

Dies bezieht sich natürlich einmal auf neurologische Ursachen der Schmerzen, aber auch auf andere Erkrankungen, die mit Rückenschmerzen einhergehen können wie Cholezystitiden, Pankreatitiden, Aortenaneurysmen, gynäkologisch und urologische Erkrankungen. In der NVL werden darüberhinaus red flags formuliert, welche für die Themen Fraktur, Infektion, Radikulopathien, Neuropathien, Tumorleiden und axiale Spondylarthritis jeweils anamnestische und klinische Hinweise formulieren, die es zu erfragen/untersuchen gilt und die sicherlich einmal einen ausgeprägten Blick wert sind:

Fraktur/Osteoporose: schwerwiegendes Trauma z. B. durch Autounfall oder Sturz aus größerer Höhe, Sportunfall; Bagatelltrauma (z. B. Husten, Niesen oder schweres Heben) bei älteren oder potentiellen Osteoporosepatienten; systemische Steroidtherapie.

Infektion: allgemeine Symptome, wie kürzlich aufgetretenes Fieber oder Schüttelfrost, Appetitlosigkeit, rasche Ermüdbarkeit; durchgemachte bakterielle Infektion; i.v.-Drogenabusus; Immunsuppression; konsumierende Grunderkrankungen; kürzlich zurückliegende Infiltrationsbehandlung an der Wirbelsäule; starker nächtlicher Schmerz.

Radikulopathien/Neuropathien: bei jüngerem Lebensalter eher Bandscheibenvorfall als Ursache der Wurzelkompression; im Dermatom in ein oder beide Beine ausstrahlende Schmerzen, ggf. verbunden mit Gefühlsstörungen wie Taubheitsgefühlen oder Kribbelparästhesien im Schmerzausbreitungsgebiet oder Schwächegefühl; Kaudasyndrom: plötzlich einsetzende Blasen-/Mastdarmstörung, z. B. Urinverhalt, vermehrtes Wasserlassen, Inkontinenz; Gefühlsstörung perianal/perineal; ausgeprägtes oder zunehmendes neurologisches Defizit (Lähmung, Sensibilitätsstörung) der unteren Extremität; Nachlassen des Schmerzes und zunehmende Lähmung bis zum kompletten Funktionsverlust des Kennmuskels (Nervenwurzeltod).

Tumor/Metastasen: höheres Alter; Tumorleiden in der Vorgeschichte; allgemeine Symptome: Gewichtsverlust, Appetitlosigkeit, rasche Ermüdbarkeit; Schmerz, der in Rückenlage zunimmt; starker nächtlicher Schmerz.

Axiale Spondyloarthritis: länger anhaltende Kreuzschmerzen (> 12 Wochen) und Beginn vor dem 45. Lebensjahr; schleichender Beginn der Schmerzen; Morgensteifigkeit (≥ 30 Minuten); Verbesserung der Kreuzschmerzen durch Bewegung, nicht in Ruhe; schmerzbedingtes frühmorgendliches/nächtliches Erwachen; alternierender Gesäßschmerz; zunehmende Steifheit der Wirbelsäule; begleitende periphere Arthritis, Enthesitis, Uveitis; bekannte Psoriasis, entzündliche Darmerkrankung.

Für Neurologen bedeutet das, dass man im Zweifel derjenige ist, der sich zum Thema Radikulopathie/Neuropathie verlässlich äußern muss und das geht halt nur, wenn man die Dermatom- und Reflexzuordnung und die jeweiligen Kennmuskeln für die einzelnen Nervenwurzeln kennt. Und das ist etwas, was man wohl oder übel halt auswendig lernen muss.

Uralte Dermatomkarte, aber sehr übersichtlich. Diese D10-Schreibweise ist etwas veraltet, heute würde man Th10 schreiben …

SegmentMuskelnReflexSensibilitätsstörung
C4Zwerchfell

C5M. deltoideus, M. bicepsBSRSchulter
C6M. biceps, M. brachioradialisBSR, RPRSchulter und lateraler Oberarm
C7M. triceps, M. pectoralis majorTSRUnterarmstreckerseite, Handrücken, Finger II-IV
C8Kleine HandmuskelnTrömner, TSRUlnarer Unterarm, Finger IV-V
Th1HyothenarTrömnerOberarm-Unterseite
Kennmuskeln, Reflexe und Sensibilitätsstörung bei Affektion der zervikalen Segmente
SegmentMuskelnReflexSensibilitätsstörung
L1

Leiste oberhalb des Leistenbandes
L2M. iliopsoas, AdduktorenADRUnterhalb des Leistenbandes
L3M. quadriceps femorisADR, PSRStreck- und Innenseite Oberschenkel bis zum Knie
L4M. quadriceps femorisPSRAußenseite Oberschenkel über Patella bis zur Tibiavorderkante
L5M. gluteus medius, FußheberTPRKnie, Außenseite Unterschenkel, Fußrücken, Großzehe
S1M. gastrocnemiusASRAußenseite Oberschenkel, Unterschenkel, Malleolus lateralis, Kleinzehe
Kennmuskeln, Reflexe und Sensibilitätsstörung bei Affektion der lumbalen Segmente

Mit diesem Wissen kann man dann unterscheiden, ob es sich um einen Rückenschmerz mit Ausstrahlung oder eine Radikulopathie handelt.

Fallstricke bei der klinischen Untersuchung

Es sind eigentlich zwei Dinge, worauf man immer wieder reinfällt: Alte Reflexdefizite nach einem stattgehabten Bandscheibenvorfall in der Vorgeschichte mit einem jetzt nicht-radikulären Schmerzsyndrom und die berühmte schmerzbedingte oder algophobe Minderinnervation, welche funktionell relevante Paresen imitieren kann. Beim ersten Punkt hilft nur der Versuch die Schmerzausstrahlung möglichst genau zu erfragen und immer wieder zu schauen, ob das einem radikulären Syndrom entsprechen könnte, beim zweiten Punkt kann man oft ein ruckartiges Nachgeben in der Einzelkraftprüfung beobachten: Erst wird volle Kraft aufgebracht, dann kommt es zu einem einschießenden Schmerz und dadurch zu dem rückartigen Nachlassen der Muskelkraftentwicklung.

Helfen kann manchmal der Schmerzcharakter, wobei das jetzt nicht evidenzbasierte Medizin ist: Nicht-spezifische Rückenschmerzen schmerzen im Bereich des Rückens oft viel mehr, als Radikulopathien, wo nicht selten, der Hauptschmerz im betreffenden Dermatom und weniger im Rücken lokalisiert ist. Nicht-spezifische Rückenschmerzen sind in Ruhe oft besser, verstärken sich typischerweise durch körperliche Belastung und langes Stehen und Sitzen, auf radikulären Rückenschmerzen können viele Betroffene auch kurz nicht gut sitzen oder liegen und sind eher angetrieben, rastlos und versuchen in ständiger leichter Bewegung zu bleiben.

Im Zweifelsfall ein Bild machen?

Ist man sich nicht sicher oder das klinische Bild nicht eindeutig, steht man vor der Zwickmühle: MRT-Bildgebung veranlassen oder nicht? Folgt man der NVL wäre die Antwort: Eher nein, folgt man der Versorgungsrealität lautet die Antwort ja. Dies führt aber zum nächsten Fallstrick: Wie beim Thema chronische Rückenschmerzen erwähnt, ist die Rate an auffälligen radiologischen Befunden ohne klinisches Korrelat gerade beim Thema Rückenschmerz und gerade mit steigendem Lebensalter extrem hoch.

Die Abbildung hatte ich schon beim chronischen Rückenschmerz …
nach: Brinjikji, W. et al. Systematic Literature Review of Imaging Features of Spinal Degeneration in Asymptomatic Populations. Am. J. Neuroradiol. 36, 811–816 (2015).

Und das bedingt dann, dass man eine reale Chance hat, mit einem unpräzisen klinischen Befund und einem MRT eine vermeintlich die Schmerzen bedingende strukturelle Ursache ausmachen zu können, die dann im Zweifelsfall sogar operiert wird und dann zu dem Phänomen failed back surgery beiträgt.

Halt, wird der ein oder andere jetzt sagen: Aber der Rechtsanwalt! Wenn wir kein Bild machen und dann einen Bandscheibenvorfall übersehen, werden wir vielleicht verklagt. Mag sein, ist aber Schwachsinn. Denn die Behandlung von radikulären Schmerzen ohne OP-Indikation und von nicht-spezifischen Rückenschmerzen ist erst einmal gleich, doch dazu gleich mehr. Man verpasst also nichts, wenn man sich sicher ist, dass keine OP-Indikation besteht und man kein MRT veranlasst und das gilt es auch den Patienten zu vermitteln.

Wann muss man denn operieren?

Dazu kann man kurz und knackig sagen: Wenn progrediente oder alltagsrelevante Paresen oder eine Blasen- und Mastdarmstörung durch einen Bandscheibenvorfall bestehen. Alle anderen Gründe sind eine kann-Indikation, also in erster Linie konservativ nicht suffizient behandelbare Schmerzen durch eine Radikulopathie. Ansonsten gilt, dass mit einer OP sich die Schmerzen und auch funktionell nicht-relevante Paresen schneller zurückbilden, als ohne Eingriff, dass aber nach 12 Monaten kein messbarer Unterschied zwischen operierten und nicht-operierten Patienten besteht.

Und wann muss man einem Patienten von einer OP abraten?

Wenn es sich um einen nicht-spezifischen Rückenschmerz handelt, da man dann das Risiko einer failed back surgery vergrößert, aber das hatten wir ja gerade schon im vorletzten Abschnitt.

Bettruhe, Stufenbett und Oxycodon?

Kernaussage der Behandlung nicht-spezifischer Kreuzschmerzen ist: In Bewegung bleiben, Bettruhe und Stufenbett sind also genau das Falsche wie übermäßige Medikation. Dennoch kann in Einzelfällen die Gabe auch stark wirksamer – retardierter – Opioide notwendig erscheinen. Prinzipiell gilt aber: Möglichst einfache, aber wirksame Medikation, nicht-wirksame Präparate auch wieder absetzen (wenn sie vorher ausreichend hoch dosiert versucht wurden), Mischintoxikationen vermeiden, es gibt keine Evidenz, dass frühzeitige Physiotherapie bei nicht-spezifischen Kreuzschmerzen zu einem besseren Outcome führt als entspanntes Zuwarten und Eigenmobilisation des Patienten.

Die Evidenz hinsichtlich der optimalen medikamentösen Behandlung ist generell ziemlich mau. Es gibt aber drei Erkenntnisse: Paracetamol hilft nicht besser als Placebo, Pregabalin scheint bei der akuten Lumboischialgie – auch bei neuropathischen Schmerzen – nicht sicher zu wirken, zumindest wenn keine sichere Radikulopathie oder Myelon-Verletzung vorliegt und Muskelrelaxantien bringen beim nicht-spezifischen Kreuzschmerz kaum einen Effekt (auch wenn sie das eigentlich müssten, wenn man das Konzept der myofaszialen Schmerzen betrachtet). Am Ende landet man bei NSAR, Metamizol und retardierten Opioiden und bei sicheren Radikulopathien mit neuropathischen Schmerzen bei einer Koanalgesie mit Pregabalin oder Gabapentin. Die Dauer der medikamentösen Behandlung soll möglichst kurz sein, d.h. es muss eigentlich immer schon beim Ansetzen auch über das Absetzen des jeweiligen Medikaments nachgedacht werden. Und zum Schluß noch ein kleiner Opiat-Fallstrick: Ich habe hier jetzt ja schon mehrfach retardiert vor Opiat-Nennungen geschrieben und das hat auch einen tieferen – von der NVL gestützten – Sinn. Die übliche 2/3-Retard-, 1/3-Bedarfsmedikation mit Opiaten, welche aus der Tumorschmerztherapie stammt, sollte bei der Behandlung von Rückenschmerzen wenn überhaupt in der Eindosierungsphase angewendet werden, nicht aber bei der eigentlichen Behandlung (auch nicht, wenn sie kurz ist), da gerade beim Thema Rückenschmerz die Gefahr einer Entwicklung einer Opiatabhängigkeit bei der Verwendung nicht-retardierter Opiate doch erheblich ist.

Wo man weiterlesen kann

S2k-Leitlinie Lumbale Radikulopathie https://www.dgn.org/leitlinien/3516-ll-030-058-2018-lumbale-radikulopathie

S2k-Leitlinie Zervikale Radikulopathie https://www.dgn.org/leitlinien/3514-ll-030-082-2017-zervikale-radikulopathie

Nationale VersorgungsLeitlinie Kreuzschmerz https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/nvl-007.html

  1. Brinjikji, W. et al. Systematic Literature Review of Imaging Features of Spinal Degeneration in Asymptomatic Populations. Am. J. Neuroradiol. 36, 811–816 (2015).
  2. Friedman, B. W. et al. Naproxen With Cyclobenzaprine, Oxycodone/Acetaminophen, or Placebo for Treating Acute Low Back Pain. JAMA 314, 1572 (2015).
  3. Fritz, J. M. et al. Early Physical Therapy vs Usual Care in Patients With Recent-Onset Low Back Pain. JAMA 314, 1459 (2015).
  4. Machado, G. C. et al. Efficacy and safety of paracetamol for spinal pain and osteoarthritis: Systematic review and meta-analysis of randomised placebo controlled trials. BMJ 350, 1–13 (2015).
  5. Chou, R. et al. Systemic Pharmacologic Therapies for Low Back Pain: A Systematic Review for an American College of Physicians Clinical Practice Guideline. Ann. Intern. Med. 166, 480 (2017).
  6. Chou, R. et al. Nonpharmacologic Therapies for Low Back Pain: A Systematic Review for an American College of Physicians Clinical Practice Guideline. Ann. Intern. Med. 166, 493 (2017).
  7. Mathieson, S. et al. Trial of Pregabalin for Acute and Chronic Sciatica. N. Engl. J. Med. 376, 1111–1120 (2017).

Legalize it? Cannabis und Schmerzmedizin

Das Fettnäpfchen-Thema kommt zum Schluss. Mit Cannabis in der Schmerztherapie ist es ungefähr so, wie mit der Frage ob und wie man die Schulen bei Corona öffnen sollte, nahezu jeder hat eine vorgefasste Meinung dazu und man versucht diesen Standpunkt durch eine Menge kleiner, schlecht gemachter, nicht verblindeter oder nicht ausreichend gepowerter Studien zu belegen. Vermutlich wird man beim Thema Schmerz und Cannabis für jede These eine bestätigende und widerlegende Arbeit finden. Da das auf Dauer sehr ermüdend ist, nähern wir uns mal ein bisschen anders diesem Thema.

Das Cannabinoid-System

Wie dem Einen der der Anderen sicherlich bekannt ist, besitzen wir ein körpereigenes cannabinoides System mit zwei Cannabinoid-Rezeptoren, nämlich CB1- und CB2-Rezeptoren. Diese sind ganz ähnlich wie die Opioid-Rezeptoren überall im Körper verteilt und nehmen verschiedene Funktionen war. Die CB1-Rezeptoren kommen betont in schmerzverarbeitenden Strukturen vor, z.B. im Hippocampus, dem periäquaduktalen Grau, der Amygdala und den Basalganglien. Die Stimulierung von CB1-Rezeptoren scheint eher die affektive Verarbeitung von Schmerzreizen zu beeinflussen und weniger die Schmerzintensität (also mehr die mediale und weniger die laterale Schmerzmatrix). CB2-Rezeptoren sind an der Steuerung von Entzündungs- und Autoimmunprozessen beteiligt, daher keimt immer wieder die Idee auf, entzündliche Schmerzsyndrome mit Cannabinoiden zu behandeln.

Im Cannabis wie es so im Freien (oder in gut getarnten Plantagen) wächst sind neben den beiden Haupt-Wirkstoffen THC und CBD noch unglaublich viele andere Inhaltsstoffe enthalten, man geht so von 350 aus. Ca. 70 davon sind bislang charakterisiert worden. THC bindet hauptsächlich an CB1-Rezeptoren, CBD an CD2-Rezeptoren. Die beiden Wirkstoffe sind dann aber zusätzlich noch partielle Agonisten am jeweiligen anderen Rezeptor, so dass sich im natürlichen Cannabis die Wirkung teilweise gegenseitig hemmt.

Haddu Haschisch? Die verschiedenen medizinisch zugelassenen Cannabis-Präparate

Okay, ganz schlechter Häschenwitz, musste aber sein. Und nein, Haschisch, also der getrocknete Harz der weiblichen Hanfpflanzen ist weiterhin nur als Rauschmittel beim Dealer des Vertrauens erhältlich. Bis 2017 war es praktisch unmöglich von wenigen Fertigarzneimitteln abgesehen (Sativex bei Spastik bei MS), Cannabis-Produkte medizinisch zu verordnen. Dann kam 2017 das Cannabisgesetz, welches die medizinische Verordnung von Cannabisprodukten regelte und ermöglichte, über das man aber auch trefflich streiten kann und welchem man seine Intention und auch sein Messen mit zweierlei Maß (siehe Ausführungen zur Fahrtauglichkeit dort) anmerkt.

Prinzipiell gibt es synthetische oder halbsynthetische Präparate mit den beiden Cannabis-Hauptwirkstoffen THC und CBD, entweder nur als THC-Präparat oder als Mischung aus THC und CBD. Diese sind häufig als ölige oder alkoholische Lösung aufbereitet. Die gängigste Formulierung ist Dronabinol, eine ölige reine THC-Lösung. Man kann das THC aber auch in Kapseln verpacken, was aber seltener passiert. Verbreitet ist auch Sativex, was aber der Handelsname ist, der Wirkstoff heißt Nabiximol. Das ist eingedicktes THC/CBD, welches als Mundspray appliziert wird und über die Schleimhäute aufgenommen wird. Es gibt auch noch andere Und dann gibt es Vollextrakte, also ausgekochtes Cannabis mit den 348 anderen Wirkstoffen darin. Das, was die meisten mit medizinischem Cannabis verbinden sind aber Cannabis-Blüten. Da gibt es verschiedene Blütensorten, welche von der Bundesopiumstelle als Medizinalcannabis anerkannt sind und welche sich durch verschiedene THC- und CBD-Spiegel haben. Vorgesehen ist die Einnahme als Tee oder im Verdampfer, man muss aber davon ausgehen, dass die meisten Patienten, das Cannabis klassisch als Joint rauchen werden. Das mit dem Rauchen hat sogar einen tieferen Sinn. Und zwar ist das THC in den Cannabis-Blüten (anders als beim Haschisch) überwiegend carboxyliert und wirkt so kaum. Erst durch Hitzeeinwirkung erfolgt die Decarboxylierung und da gilt: Je heißer, desto besser. Daher kann man so eine Wirkstärke-Analogie aufmachen wie: Tee ist weniger wirksam als Kekse (weil die gebacken wurden) sind weniger wirksam als Cannabis, welches verdampft wird, ist weniger wirksam als Cannabis, welches klassisch geraucht wird.

Die Sache mit der Wirksamkeit von Cannabinoiden

Ja, und jetzt kommt das Studien-Problem dann doch. Das Problem an dem Thema Cannabis und Schmerzen ist, dass es unglaublich viele kleine, nicht verblendete, Studien oder Fallberichte zu ganz verschiedenen Schmerz-Themen gibt, meistens mit recht guten Ergebnissen, v.a. was Lebensqualität und Schmerzintensität betrifft, aber eben fehlender Evidenz. Ausnahmen gibt es nur für die Themen Spastik bei MS und neuropathische und zentrale Schmerzen mit Ausnahme der diabetischen Polyneuropathie. Dabei bestätigte sich der Eindruck, dass über die Schleimhäute aufgenommenes und gerauchtes Cannabis besser wirken, als oral eingenommenes. Und noch was bestätigte sich, was sich – bei schlechterer Datenlage aber so ähnlich – auch durch die anderen Indikationsgebiete zieht: Die number needed to treat liegt mit 10-14 für eine relevante Schmerzreduktion um 30-50% sehr hoch, die number needed to harm mit 3-8 deutlich niedriger. Das Problem ist nun aber, dass bei der number needed to härm auch Rauschzustände mit einfließen. Da ein Cannabis-Rausch aber auch ganz nice sein kann, kann es gut sein, dass sich hierin die Diskrepanz zu den nicht-kontrollierten Studien erklärt. Wenn der Rausch als Teil der Wirksamkeit wahrgenommen und positiv attributiert wird, ist die Wirkstärke deutlich besser, wenn man nur eine rauschfreie Cannabis-Wirkung haben will, deutlich schlechter. Dazu kommt, dass selbst den einzigen drei Metaanalyse zum Thema Schmerzen & Cannabis statistische Fehler mit Überschätzung der Cannabis-Wirkstärke vorgeworfen werden müssen.

Daher empfehlen die meisten Leitlinien Cannabinoide nur, wenn andere Therapieverfahren keine Linderung erbracht haben, was wiederum mit der Erwartung vieler Patienten und auch dem sehr Cannabis-freundlichen Gesetzestext des Cannabis-Gesetzes kollidiert. Wen das Thema weiter interessiert, sei besonders der Artikel von Häuser et al. empfohlen.

Wo man weiterlesen kann
  1. Finnerup, N. B., Sindrup, S. H. & Jensen, T. S. The evidence for pharmacological treatment of neuropathic pain. Pain 150, 573–581 (2010).
  2. Karst, M. Cannabinoide in der Schmerzmedizin. Der Schmerz 32, 381–396 (2018).
  3. Mainka, T., Stork, J., Hidding, U. & Buhmann, C. Cannabis bei Parkinson – Hype oder Heilmittel? Fortschritte der Neurol. · Psychiatr. 86, 106–116 (2018).
  4. Häuser, W. & Petzke, F. Evidenz der Wirksamkeit und Sicherheit von Cannabispräparaten bei chronischen Schmerzen. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforsch. – Gesundheitsschutz 62, 836–844 (2019).
  5. Block, F. Cannabis in der Neurologie. DGNeurologie 3, 116–119 (2020).

Migräneprophylaxe und die Sache mit dem CGRP

Heute geht es also um Migräneprophylaxe. Dazu muss man gleich vorweg eine unangenehme Wahrheit schicken. Eine richtige Migräneprophylaxe besteht immer aus drei Dingen: Regelmäßigem Ausdauersport > 30 min (2-3x/Woche), der regelmäßigen (tägliche) Anwendung von Muskelentspannungsverfahren und einer medikamentösen Migräneprophylaxe. Mit diesen drei Komponenten zusammen kann man die Zahl der monatlichen Migränetage um bis zu 70% senken, nur mit der Einnahme eines Medikamentes zur Migräneprophylaxe nur um 20-30%, wenn es richtig gut läuft um 50% (was aber wohl sehr optimistisch ist), wenn es denn lang genug eingenommen wird und auch wirkt. Dies ist bitter für die Ärzte, für dieser Teil der Migräneprophylaxe ja das Kerngeschäft (zumindest traditionell) ist und es ist mindestens so bitter für viele Migränepatienten, denn sowohl der Ausdauersport als auch die Muskelentspannungsverfahren erfordern viel Eigeninitiative, Durchhaltevermögen, einen ständigen Kampf mit dem inneren Schweinehund und auch noch Zeit. Da ist die Einnahme einer Pille deutlich weniger aufwändig und schneller gemacht.

Und trotzdem soll es jetzt hier um die 20-50% Wirkung durch die Pillen gehen. Hier gibt es noch eine unangenehme Wahrheit: Die meisten Migränepatienten setzen die meisten Migräneprophylaktika irgendwann ab, oft wegen Nebenwirkungen oder fehlender Wirksamkeit. Und noch eine: Es sind nur eine Handvoll Medikamente überhaupt zur Migräneprophylaxe zugelassen und davon ist kaum eines wirklich nebenwirkungsarm und eine off label-Migräneprophylaxe ist im ambulanten Bereich ziemlich aufwändig weiterzuverordnen.

Ein großes Problem dabei ist, dass die klassischen Migräneprophylaktika ja alle Zufallsentdeckungen in der Migräneprophylaxe sind, weil halt irgendwer einen Betablocker, Amitriptylin oder was auch immer eingenommen hat aus der jeweiligen Original-Indikation und dann auffiel, dass eine komorbid vorliegende Migräne auch besser (bzw. in erster Linie seltener) wurde. Manche Präparate wurden dann explizit als Migräneprophylaxe in Studien untersucht, andere nie so richtig. Bei den allermeisten dieser klassischen Migräneprophylaktika ist auch der Wirkmechanismus, der die Migräne seltener werden lässt, nicht hinreichend verstanden, eben weil es eine zufällig entdeckte Nebenwirkung ist.

Anders ist das mit Botulinumtoxin und den CGRP-Antikörpern, hier existieren sowohl Wirkkonzepte als auch aussagekräftige Studien.

Wann soll man überhaupt eine Migräneprophylaxe einnehmen

Dazu sagen die Leitlinien folgendes:

  • Drei und mehr Migräneattacken pro Monat, die die Lebensqualität beeinträchtigen
  • Migräneattacken, die regelmäßig länger als 72 Stunden anhalten
  • Attacken, die auf eine Therapie […] zur Akuttherapie (inkl. Triptanen) nicht ansprechen
  • Patienten, welche die Nebenwirkungen der Akuttherapie nicht tolerien können
  • bei Zunahme der Attackenfrequenz und Einnahme von Schmerz- oder Migränemitteln an mehr als 10 Tagen im Monat
  • bei komplizierten Migräneattacken mit beeinträchtigenden (z.B. hemiplegischen) und/oder langanhaltenden Auren
  • Nach einem migränösen Hirninfarkt bei Ausschluss anderer Infarktursachen

Das sind aber Expertenmeinungen, eine Evidenzlage hierzu gibt es nicht.

Klassische Migräneprophylaktika

Bislang gab es drei Betablocker, einen Kalziumkanalblocker, zwei Antikonvulsiva, ein Antidepressivum, zwei NSAR und dann noch Magnesium als Migräneprophylaktika. Seit einigen Jahren ist noch Botulinumtoxin für die chronische Migräne hinzugekommen. Zuerst zu den klassischen Migräneprophylaktika im Einzelnen:

Betablocker: Zugelassen und erprobt sind Metoprolol in der Dosis 50-200 mg, Propranolol (40-240 mg) und Bisoprolol (5-10 mg). Für die Wirksamkeit der Betablocker besteht eine gute Evidenzlage, problematisch sind die typischen Betablocker-Nebenwirkungen (gerade bei jungen Patienten) Hypotonie, Bradykardie und Impotenz. Unproblematischer sind die Betablocker, wenn sie aus kardiologischer Indikation eh gegeben werden müssen oder schon eingenommen werden.

Kalziumkanalblocker: Zugelassen ist nur Flunarizin, die typische Startdosis sind 5 mg, max. 10 mg. Flunarizin macht eher müde, daher gibt man es typischerweise abends. Typischste Nebenwirkungen sind Müdigkeit, Schwindel und eine Gewichtszunahme.

Antikonvulsiva: Die zur Migräneprophylaxe zugelassenen und wirksamen sind ein Trauerspiel. Valproat (500-1000 mg) macht dick und kann Frauen im gebärfähigen Alter nicht verschrieben werden. Topiramat macht zwar eher dünn, ist zumindest gefühlt das am meisten abgesetzte und nicht-eingenommene Medikament überhaupt. Dafür sind v.a. die Nebenwirkungen verantwortlich, es macht müde, Gedächtnis- und Sprachstörungen. Das soll zwar offiziell nur in hohen Dosierungen passieren, sehr viele Migränepatienten bemerken dies aber auch schon bei geringen Tagesdosen. Wenn es eingenommen wird, muss man nur selten mehr als 75 mg geben. Generell, aber insbesondere bei Topiramat gilt der Migräneprophylaxe-Grundsatz start slow, go low besonders.

Antidepressiva: Da gibt es nur das unvermeidliche Amitriptylin. Das ist zwar nice, wenn eine Mischform von Migräne mit Spannungskopfschmerzen oder eine klomorbide Schlafstörung vorliegen; eher ungünstig ist aber, dass man schon Tagesdosen bis 50 mg geben muss und die berüchtigte Amitriptylin-Gewichtszunahme schon dosisabhängig zu sein scheint und überschaubar bei 10 mg, aber oft erheblich bei 50 mg ist.

NSAR führen in der Migräneprophylaxe ein Nischendasein. Mit Naproxen kann man recht gut eine Intervall-Prophylaxe bei der zyklusgebundenen Migräne mit 2 x 250 mg vier Tage vor bis drei Tage nach der Periode versuchen, man braucht aber oft einen Magenschutz mit einem Protonenpumpenhemmer. Zudem ist vermutlich ASS in der 300 mg-Thrombozytenfunktionshemmungs-Dosis in der Migräneprophylaxe wirksam. Die Datenlage ist aber dünn, das Ausmaß der Wirksamkeit vermutlich auch.

Magnesium (2 x 300 mg) v.a. in der Kombination mit Vitamin B2 (2 x 200 mg) und Koenzym Q10 (2 x 75 mg) verringert wohl in erster Linie die Heftigkeit der Migräneattacken und weniger ihre Frequenz. Die Kombinationsgabe ist aber eine gute Option, wenn die anderen Medikamente auf Grund ihres Nebenwirkungsprofils nicht in Frage kommen, nicht aber in der Schwangerschaft, da Magnesium mit fetalen Knochenschäden assoziiert wird (dann tatsächlich eher Betablocker oder Amitriptylin).

Weniger Falten und weniger Migränetage: Botulinumtoxin

Botulinumtoxin konnte in zwei Studien eine gute Wirksamkeit in der Prophylaxe der chronischen Migräne zeigen, nicht aber in der der episodischen Migräne. Botulinumtoxin wirkt vermutlich auf verschiedene Arten migräneprophylaktisch. Einmal sehr mechanistisch, in dem durch die Injektion von Botulinumtoxin in Kopf-, Nacken- und Schultermuskeln der Tonus dort gesenkt wird und darüber die verspannten Muskeln weniger Migräneattacken triggern können, aber auch durch direkte Wirkung von Botulinumtoxin auf Schmerzfasern (C-Fasern) und auf die Ausschüttung von nozizeptiv wirkenden Botenstoffen.

Gängig in der Migräneprophylaxe mit Botulinumtoxin ist die Injektion von 195 IE Botulinumtoxin A nach dem PREEMPT-Schema an 31 Injektionspunkten (je 5 IE) an der mimischen Muskulatur, der Kau-, Nacken- und Schultermuskulatur.

Die Wirkung von Botulinumtoxin hält (wie bei anderen Indikationen auch) ca. 3 Monate an, so dass man die Behandlung typischerweise alle 3 Monate wiederholt. Sollte es auch nach dem 3. Zyklus kein Ansprechen geben, ist eine generelle Wirksamkeit nicht sehr wahrscheinlich und die Behandlung mit Botulinumtoxin sollte abgebrochen werden.

So und jetzt die Sache mit dem CGRP

CGRP und der CGRP-Rezeptor

Die Erkenntnis, dass CGRP eine wichtige Rolle in der Pathophysiologie der Migräne spielt ist fast 30 Jahre alt und stammt aus den frühen 1990er Jahren. Lange war aber nicht klar, was genau passiert. Hier hat sich erst in den letzten Jahren deutlich mehr Klarheit ergeben. Migräneattacken werden – und das wissen wir u.a. aus fMRT-Studien ja recht viel über das trigeminale Schmerzsystem getriggert und projizieren hinsichtlich ihrer Schmerzlokalisation ja auch hin. Im trigeminalen Innervationsgebiet ist die Dichte von Schmerzfasern sehr hoch. Die unmyelinisierten C-Fasern können (das können sie aber auch überall anders im Körper) bei Reizung Schmerzmediatoren freisetzen, die dann weitere Nervenfasern reizen (nämlich die A𝛿-Fasern. Dafür benutzen sie Substanz P und – wer hätte es gedacht – CGRP, welches wiederum an CGRP-Rezeptoren andocken kann und so die bemerkten A𝛿-Fasern sensibilisiert. Die so gereizten Nervenfasern enden im unteren Trigeminuskern und projizieren von dort in den Thalamus und den Hypothalamus. Ab dort befinden sie sich in der Schmerzmatrix und zwar sowohl in nach kortikal projizierenden Strukturen, als auch im Ursprung der absteigenden Schmerzhemmung, die durch diese direkte Innervation in ihrer Funktion massiv gehemmt wird. Auch durale perivaskuläre Schmerzfasern weisen diese CGRP-Sensibilisierung auf. Reizt man die dualen perivaskulären Schmerzfasern, z.B. durch eine massive Vasodilatation, wie sie CGRP ja als Mediator einer neurogenen Entzündung vermittelt, kann man einen pochenden, migräneähnlichen Kopfschmerz experimentell auslösen. Serotonin-Rezeptoren haben wiederum eine hemmende Wirkung auf die CGRP-Ausschüttung, an diesen wirken wiederum Triptane.

So, bis da hab ich das mit der Pathogenese ungefähr verstanden, dann geht es irgendwie noch um Thalamusneurone dritter Ordnung und da hört dann meine Expertise auch auf.

CGRP-Antikörper

CGRP-Antikörper gibt es in zwei Bauarten, einmal als monoklonaler Antikörper gegen den CGRP-Rezeptor (das ist dann Erenumab) und drei Mal als monoklonaler Antikörper gegen CGRP selber (Eptinezumab, Fremanezumab und Galcanezumab). Alle diese Antikörper werden im Intervall s.c. oder i.v. gespritzt, teils monatlich, teils vierteljährlich. Wirksam sind sie sowohl in der Behandlung der episodischen, als auch der chronischen Migräne. Der Witz an der Sache ist jetzt, das so alles über alles, Verum gegen Placebo, diese teuren und hochmodernen monoklonalen Antikörper auch nur eine 30%-Reduktion von Migränetagen erreichen, also genauso viel wie die alten und nicht-spezifischen Medikamente auch. Allerdings scheint es in dem Kollektiv der behandelten Patienten welche zu geben, die exzellent ansprechen, bei denen die ansonsten kaum behandelbare Migräne dann nahezu weg ist, welche bei denen das so Mittel ist und bleibt und Non-Responder, bei denen das ganze nur wenig bis keine Wirkung hat.

Das spricht wiederum dafür, dass CGRP ein Baustein, aber nicht die Erklärung der gesamten Migränepathophysiologie ist und es auch noch andere Mechanismen geben muss, die zu Migräneattacken führen können.

Andererseits gibt es jetzt eine sehr nebenwirkungsarme Option (allerdings machen die Antikörper weil sie auch auf CGRP im Darm wirken relativ fiese Verstopfung), welche für einen Teil der Betroffenen eine Erlösung ist. Weil die Tages- und Jahrestherapiekosten aber so exorbitant hoch sind, gibt es die Bedingung zur Verordnung, dass man die gängige low Budget Migräneprophylaxe nicht vertragen hat oder sie kontraindiziert ist, damit die Behandlungskosten von den Krankenkassen übernommen werden. Gefordert wird einen Betablocker, Flunarizin, Valproat und Topiramat und Amitriptylin auszuprobieren oder nicht geben zu können. Bei chronischer Migräne muss auch noch Botulinumtoxin gescheitert sein. Zudem muss mit einem Kopfschmerztagebuch der Therapieerfolg gemonitort werden. Analog zum Botulinumtoxin muss man eine nicht erfolgreiche Therapie nach 3 Zyklen dann auch beenden.

Wo man weiterlesen kann

S1-Leitlinie Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne https://www.dgn.org/leitlinien/3583-ll-030-057-2018-therapie-der-migraeneattacke-und-prophylaxe-der-migraene

S1-Leitlinienergänzung Prophylaxe der Migräne mit monoklonalen Antikörpern gegen CGRP oder den CGRP-Rezeptor https://www.dgn.org/leitlinien/3859-ll-030-057-cgrp-addendum-migraene-leitlinie-2019

  1. Iyengar, S., Johnson, K. W., Ossipov, M. H. & Aurora, S. K. CGRP and the Trigeminal System in Migraine. Headache 59, 659–681 (2019).
  2. Diener, H.-C. et al. Prophylaxe der Migräne mit monoklonalen Antikörpern gegen CGRP oder den CGRP-Rezeptor, Ergänzung der S1-Leitlinie Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne. DGNeurologie 3, 124–128 (2020).
  3. Diener, H.-C. & Nägel, S. Prophylaxe episodischer und chronischer Migräne mit CGRP ( Rezeptor ) -Antikörpern. InFo Neurol. Psychiatr. 22, 28–39 (2020).

Der Schlafmohn-Blog

So Zielgerade: Opiate, Cannabis und eine Extra-Runde-Migräneprophylaxe werden es noch vor der Schmerz-Prüfung. Heute geht es also um alles, was man aus Schlafmohn und seinen Derivaten so machen kann, um Opiate und Opioide.

Opiate & Opioide und Opioid-Rezeptoren: Was ist was?

Kleine Begriffsklärung zu Beginn. Als Opiat bezeichnet man alles, was aus dem Schlafmohnsaft (Opium) gewonnen und daraus weiter verarbeitet wurde (z.B. Morphin). Opioide nennt man alle Stoffe, die an Opioid-Rezeptoren binden, egal, ob sie aus dem Schlafmohn stammen oder synthetisch hergestellt wurden. Von den Opioid-Rezeptoren haben wir ja mehrere Subtypen, von denen drei geläufig sind: μ, κ, δ. Es gibt wohl aber noch mehrere. Diese Rezeptoren sind natürlich eigentlich gar keine Opioid-Rezeptoren, da die Natur nicht eingeplant hatte, dass irgendwer aus Spaß oder aus analytischen Gründen Schlafmohnsaft trinken möchte, sondern für die Bindung von körpereigenen Substraten, nämlich Endorphin, Enkephalin und Dynorphin vorgesehen. Diese Opioid-Rezeptoren finden sich überall im Körper und haben nicht nur mit der Schmerzwahrnehmung zu tun, sondern eben auch mit Atmungssteuerung und Magen-Darm-Motilität, aber auch vielen anderen Körperfunktionen. Alle drei Rezeptoren sind aber im schmerzverarbeitenden System vorhanden, auch wenn der µ-Rezeptor sicher der bekannteste ist. Κ- und δ-Rezeptoren vermitteln so zum Beispiel die analgetische Opiat-Wirkung auf Rückenmarksebene.

Wann gibt man jetzt Opioide und wann nicht?

Kurz gesagt: Wenn es nötig ist und der Schmerz opioidsensibel ist.

Lang gesagt: Allen geläufig ist das WHO-Stufenschema. Das WHO-Stufenschema ist sehr alt, es stammt aus 1986 und es heißt eigentlich „WHO-Stufenschema zur Behandlung von Tumorschmerzen“. D.h. die Empfehlungen, die Schmerzmedikation von NSAR oder Paracetamol oder Metamizol auf schwach wirksame Opioide und dann auf stark wirksame Opioide zu steigern gilt für Tumorschmerzen. Punkt. Für nichts anderes. Jetzt gibt es natürlich Schmerzen, die funktionieren ganz ähnlich wie Tumorschmerzen (also wenn ein Tumor in irgendein anderes Gewebe reinwächst, wo er nichts zu suchen hat), Frakturschmerzen zum Beispiel oder postoperative Schmerzen. Primäre Kopfschmerzen sind hingegen so gut wie nie opioidsensibel, muskuläre Schmerzen nur manchmal und diffuse Schmerzen wie die der Fibromyalgie fast nie. Im Umkehrschluss heißt das aber z.B. für das Thema Rückenschmerzen, je älter ein Patient ist und umso mehr Verschleiß, Osteoporose, Facettengelenksarthrose, Wirbelgleiten usw. da ist, um so wahrscheinlicher wird ein Opioid auch helfen. Je jünger ein Patient ist und umso mehr der Rückenschmerz v.a. muskulär vermittelt ist, umso schlechter wird das Opioid helfen.

Wie fängt man an?

Ganz einfach, man schnappt sich ein schwach und ein stark wirksames Opioid mit dem man sich am sichersten fühlt und beginnt. Ziel ist es bei opioidnaiven Patienten eine Tagesdosis von 10-30 mg Morphin p.o. (als Äquivalent) nicht zu überschreiten, vermutlich wird das völlig ausreichen.

Vergessen darf man nicht, die Patienten ausreichend zu informieren, aufzuklären und potentielle Nebenwirkungen (Übelkeit und Verstopfung) zu behandeln. Und dann muss man noch eine Sache wissen: Bei der Akutschmerzbehandlung ist es ja üblich, einen Teil der Tagesdosis fest nach Uhrzeiten als retard-Präparat zu geben und 1/3 bis 1/6 der Tagesdosis nicht retardiert als Bedarfsmedikament. Das macht man bei chronischen Schmerzen mit Absicht nicht, da das mit den nicht-retardierten Opioiden nur kurz gut geht, bis das psychische Verlangen, das Craving einsetzt und dann hat man eine Opioidabhängigkeit geschaffen. Daher besteht die Opiat-Therapie chronischer Schmerzen nahezu immer aus der Gabe von Retard-Präparaten oder Pflastern. Verzichtet man auf schnell anflutende Wirkstoffspiegel ist die Gefahr der psychischen Abhängigkeit sehr gering.

Und warum muss man dann trotzdem die Dosis immer weiter erhöhen?

Weil es bei einem Langzeit-Einsatz von Opioiden nahezu immer eine Toleranzentwicklung gibt, die typischerweise nach 6 Monaten bis 2 Jahren einsetzt. Dies führt dann zu einem Wirkverlust mit der Folge, dass man die Opioiddosis immer weiter steigern muss, um noch eine analgetische Wirkung zu erhalten. Zudem kann man mit hohen Dosen Opiaten (und da gilt die Faustregel > 100 mg Morphin i.v.) recht zuverlässig eine opioidinduzierte Hyperalgesie generieren. Dies ist ein nicht ganz verstandener paradoxer Effekt vermutlich v.a. auf Rückenmarksebene, zu welchem es bei der Gabe sehr hochdosierter Opiate kommt. Die opioidinduzierte Hyperalgesie wird gerne kleingeredet und in vielen Köpfen ist verankert, dass man dann neuropathische Schmerzen habe, man könne die Patienten oft kaum noch anfassen und weil das jetzt so nicht sei, sei das auch keine opioidinduzierte Hyperalgesie. Dabei ist diese in der Regel viel unspektakulärer: Bei chronischen Schmerzen kommt es zur Entwicklung diffuser Schmerzen, oft von Rückenschmerzen. Und bei der Behandlung z.B. postoperativer akuter Schmerzen scheinen dann die Opiate kaum zu helfen. Postoperativ kann man sich mit NMDA-Rezeptor-Antagonisten wie Ketamin behelfen, bei chronischen Schmerzen bleibt nur die Opioid-Dosis-Reduktion und oft auch -Rotation. Aber das hilft dann auch.

You spin me right round: Opioid-Rotation

Haben Patienten schon ein Opioid und man möchte auf ein anderes wechseln (rotieren), dann braucht man eine Opioid-Umrechnungstabelle. Dabei gilt: Man rechnet um und nimmt dann 1/3 bis die Hälfte der errechneten Äquivalenzdosis, da recht häufig eine Toleranzentwicklung vorliegt und man sonst unbemerkt eine Überdosis verabreichen kann.

Ich habe die Tabelle mal nach WHO-Stufe und nach Einsatzzwecken, sowie nach der analgetischen Potenz geordnet. Die i.v.-Präparate sind in dünnerer Schrift, grün ist Morphin i.v. als Referenzdosis unterlegt und rot die zu hohen Dosen > 100 mg Morphin-Äquivalent, bei denen man stutzig werden sollte.

Welches Opioid ist denn nun am besten?

Es gibt ja viele vermeintliche Wahrheiten zum Thema Opioide: Tramadol helfe besonders gut gegen neuropathische Schmerzen, Hydromorphon würde sich für ältere oder Palliative Patienten besonders gut eignen, Tapentadol habe das Antidepressivum zur Stärkung der absteigenden Schmerzhemmung schon eingebaut und Oxycodon zusammen mit Naloxon verhindere besonders gut Verstopfung und helfe besonders gut gegen Restless Legs-Beschwerden. Die Wahrheit ist, das ist in erster Line Marketing-Gedöns. Tramadol und Oxycodon wurden in mehren Zulassungsstudien untersucht, für Tilidin hingegen existieren so gut wie keine Therapiestudien. Vermutlich tun sie sich alle – in ihrer jeweiligen Äquivalenzdosis – nicht so viel und sind recht austauschbar, auch wenn das zumindest für Tapentadol angesichts der relativen Neuheit der Präparates noch umstritten ist.

Es kommt doch auf die Länge an

Nun ist es so, dass – wie immer – die allermeisten Therapiestudien nur einen kurzen, begrenzten Zeitraum der Opioid-Gabe untersucht haben. Das sind in der Regel 4-12 Wochen gewesen. Die allerwenigsten Menschen mit chronischen Schmerzen bekommen aber nur 4-12 Wochen ein Opioid. Die meisten deutlich länger. Unter anästhesiologischer Federführung ist deswegen vor Jahren schon die Leitlinie „Langzeitanwendung von Opioiden bei nicht tumorbedingten Schmerzen“ entstanden, die auch etwas ungalant mit „LONTS“ abgekürzt wird. Da stehen durchaus banale, aber wichtige Sachen drin, wie dass die Gabe des Opioids regelmäßig kritisch reevaluiert werden muss, aber es sind auch noch mal die einzelnen Indikationen zur Opioid-Langzeit-Gabe abgeprüft worden, auch wenn der geneigte Neurologie diese teilweise noch kritischer sehen wird.

Wo man weiterlesen kann:

S3 – Leitlinie „Langzeitanwendung von Opioiden bei nicht tumorbedingten Schmerzen – „LONTS“ https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/145-003.html

  1. Fletcher, D. & Martinez, V. Opioid-induced hyperalgesia in patients after surgery: a systematic review and a meta-analysis. Br. J. Anaesth. 112, 991–1004 (2014).
  2. Heyn, J. & Azad, S. C. Differenzialindikation von Opioiden in der Schmerztherapie. Anaesthesist 66, 829–839 (2017).
  3. Hoffman, E. M., Watson, J. C., St Sauver, J., Staff, N. P. & Klein, C. J. Association of Long-term Opioid Therapy With Functional Status, Adverse Outcomes, and Mortality Among Patients With Polyneuropathy. JAMA Neurol. 74, 773 (2017).
  4. Deeks, E. D. Tapentadol Prolonged Release: A Review in Pain Management. Drugs 78, 1805–1816 (2018).
  5. Krebs, E. E. et al. Effect of Opioid vs Nonopioid Medications on Pain-Related Function in Patients With Chronic Back Pain or Hip or Knee Osteoarthritis Pain. JAMA 319, 872 (2018).

Kompliziertes, was eigentlich ganz einfach ist: CRPS

Beim Thema CRPS befürchte ich, wird das Konzept kompliziertes, was eigentlich ganz einfach ist erstmals richtig scheitern, denn es ist unglaublich schwer, das Thema soweit zu vereinfachen, dass man das große Ganze dahinter erkennen kann, vermutlich in diesem Fall, weil niemand das große Ganze wirklich kennt.

Beim CRPS hat sich in den letzen 2-5 Jahren ganz viel getan, es gibt einen komplett geänderten Behandlungalgorithmus, weil sich auch die Auffassung, was das CRPS ist und wie man es behandeln sollte in weiten Teilen geändert hat. Das führt aber dazu, das auch in aktuellen Lehrbüchern wie dem von Diener et al. zum Thema Schmerzmedizin noch die alte Behandlung des CRPS geschildert wird und man wirklich auf aktuelle Paper und die 2018 aktualisierte Leitlinie angewiesen ist.

Unnötig verkompliziert wird das Thema zudem durch ellenlange Aufzählungen in der Literatur, welche Symptome zum CRPS gehören können (ohne dass man danach schlauer wäre) und eine ganze Menge urban legends und Fehlvorstellungen, die durch unsere Mediziner-Köpfe spuken, wann und warum man ein CRPS bekommt oder auch nicht.

Was das CRPS ist und wie es entsteht

Das CRPS ist eine Schmerzerkrankung, welche sich typischerweise nach einem Trauma einer Extremität entwickelt. Ausnahmen bestätigen die Regel und deshalb gibt es CRPS auch ohne Trauma, nur post-operativ usw., aber das mit dem Trauma ist die Regel. Wie der Name sagt, ist es eine komplexe Schmerzerkrankung, die immer aus sensiblen, motorischen, autonomen und tropischen Störungen besteht, häufig aber zusätzlich auch aus neuropsychologischen Defiziten. Das CRPS wird in 2 Subtypen unterteilt, Typ 1 ist das CRPS ohne Nervenverletzung, CRPS das mit Nervenverletzung. Für die Beschwerdekomplexe und die Behandlung außerhalb einer etwaigen Nervenrekonstruktions-OP ist das aber gar nicht erheblich. Vermutlich viel wichtiger ist die Unterscheidung in Patienten mit einem warmen CRPS

Vorstellen muss man sich das CRPS vermutlich wie eine sehr rasche Schmerzchronifizierung mit all den peripheren und zentralen Sensibilisierungsmechanismen, die ich hier aufgeführt habe. Zu dieser Sensibilisierung kommt eine heftige neurogene Entzündung hinzu, in der nicht nur CGRP und Substanz P (wie sonst immer), sondern auch klassische Entzündungsmediatoren wie TNF-⍺ und IL-6 mitmischen, zudem – zumindest im Tiermodell – Autoantikörper, die man sich so ähnlich wie die beim Guillain-Barré-Syndrom vorstellen muss und ganz viele Mastzellen und aktivierte Osteoklasten.

Welche Beschwerden macht das CRPS?

Das gute des CRPS ist, dass es eine klinische Diagnose mit Diagnosekriterien ist und diese beschreiben wiederum die Kernsymptome. Daher kann man sich im Zweifelsfall an den Diagnosekriterien entlang hangeln. Die Diagnosekriterien gehen so:

1) Anhaltender Schmerz, der durch das Anfangstrauma nicht mehr erklärt wird

2) Die Patienten müssen über jeweils mindestens 1 Symptom aus 3 der 4 folgenden Kategorien in der Anamnese berichten:

a. Hyperalgesie (Überempfindlichkeit für Schmerzreize); „Hyperästhesie“ (Überempfindlichkeit für Berührung, Allodynie)

b. Asymmetrie der Hauttemperatur; Veränderung der Hautfarbe

c. Asymmetrie des lokalen Schwitzens; Ödem

d. Reduzierte Beweglichkeit, Dystonie, Tremor, „Paresen“ (im Sinne von Schwäche); Veränderungen von Haar- oder Nagelwachstum

3) Bei den Patienten müssen jeweils mindestens 1 Symptom aus 2 der 4 folgenden Kategorien zum Zeitpunkt der Untersuchung vorliegen:

a. Hyperalgesie auf spitze Reize (z.B. Zahnstocher); Allodynie; Schmerz bei Druck auf Gelenke/Knochen/Muskeln

b. Asymmetrie der Hauttemperatur; Veränderung der Hautfarbe

c. Asymmetrie des lokalen Schwitzens; Ödem

d. Reduzierte Beweglichkeit, Dystonie, Tremor, „Paresen“ (im Sinne von Schwäche); Veränderungen von Haar- oder Nagelwachstum

4) Eine andere Erkrankung erklärt die Symptomatik nicht hinreichend.

Der Vorteil dieser Diagnosekriterien ist, dass sie sehr sensitiv sind, der Nachteil, dass sie nicht sonderlich spezifisch sind. Wichtig ist dementsprechend die Ausschlussdiagnostik, wobei es bei einem typischen CRPS auf Grund des Symptomkomplexes dann auch nicht mehr so viel auszuschließen gibt.

CRPS der Hand. Quelle: Link

Dröselt man die typischen CRPS-Symptome noch einmal nach ihren vier Symptomgruppen auf, so erscheint das ganze relativ eingängig:

Sensible Symptome: Klar, es bestehen Schmerzen, wobei die Schmerzen beim CRPS an der betroffenen Extremität „distal generalisieren“, sich also nicht mehr an das Innervationsgebiet eines Nerven, einer Nervenwurzel oder eines Plexus halten und dann distal am Arm oder Bein „schellenartige“ Schmerzen hervorrufen. Diese bestehen in der Regel aus einer erheblichen neuropathischen Schmerzkomponente mit mechanischer Allodynie und Hyperalgesie, zudem eine Druckschmerzhaftigkeit der Gelenke, welche sich innerhalb des Schmerzareals befinden (also meistens Handgelenk oder Sprunggelenk).

Motorische Symptome: Durch meinen Kopf schwirren immer als erstes dystone Fehlhaltungen, wobei das in der Regel ein späteres und prognostisch schlechtes Symptom ist. Viel, viel häufiger, weil fast immer, kommt es zu einer ganz ausgeprägten Einschränkung der aktiven und passiven Beweglichkeit distal in der betroffenen Extremität, aber auch zu zentralen motorischen Symptomen wie einer Feinmotorikstörung (und wiederum seltener zu Tremor oder Myoklonien).

Autonome Symptome finden sich nahezu immer in einer Veränderung der Hautdurchblutung mit Veränderung von Hautfarbe und -temperatur, einem Ödem und einer Veränderung der Schweißproduktion.

Trophische Störungen meint eine Veränderung von Nagel- und Hautwachstum, aber auch von Muskeln, Knochen und Bindegewebe. Auch dies trägt vermutlich zu der raschen ausgeprägten Bewegungseinschränkung in den betroffenen Gelenken bei.

Neuropsychologische Defizite: Der Klassiker ist das „Neglekt-artige Symptom“ mit einer Veränderung der sensiblen Somatotopie im sensiblen Kortex.

Apparative Diagnostik um ein CRPS festzustellen

Die 3-Phasen-Skelettszintigraphie ist nicht besonders sensitiv, aber sehr spezifisch zur Detektion des CRPS über eine Mehranreicherung im Bereiche der betroffenen Gelenke. Zudem erscheint die Messung der Hauttemperatur und ihrer Unterschiede rechts sinnvoll, um die klinische Diagnose eines CRPS zu stützen.

Urban legends

Durch die Köpfe spuken Dinge wie:

  • Das CRPS entwickelt sich nur nach einem Behandlungsfehler
  • Das CRPS entwickelt sich nur bei vorbestellenden psychiatrischen und/oder psychosomatischen Komorbiditäten
  • Ein CRPS liegt nur vor, wenn im Röntgen eine distale Kalksalzminderung auffällig ist
  • Eine CRPS-Extremität muss man schonen und darf sie nicht anfassen oder bewegen

Wie man ein CRPS behandelt

Das hat sich mittlerweile ja relativ stark geändert und die Devise heißt mittlerweile „hands on“. Dabei ist wichtig, dass besonders am Anfang alles erlaubt ist, was die Schmerzen nicht verstärkt und eine aktive Mitarbeit des Patienten voraussetzt. Daher kann es hier sehr sinnvoll sein auch großzügig Analgetika einzusetzen, damit dieses Therapieziel auch gut und rasch erreicht werden kann. Manöver, welche zu einer Schmerzverstärkung führen haben tatsächlich das große Risiko, zu einer Exazerbation des CRPS zu führen. Je besser die Schmerzen regredient sind, desto intensiver können die rehabilitative Bemühungen erfolgen.

Medikamentöse Behandlung in der Akutphase

Am Anfang des CRPS scheint ja eine autoimmun und neurogen vermittelte Entzündungsreaktion zum stehen, welche u.a. Osteoklasten aktiviert und zu ganz viel Schmerzmediatoren-Ausschüttung führt. Daher kann man in dieser Phase tatsächlich gut mit Steroiden und Bisphosphonaten behandeln.

Da es sich bei den CRPS-Schmerzen um neuropathische Schmerzen handelt, ist die Behandlung wie bei anderen neuropathischen Schmerzsyndromen mit SSNRI, Trizyklika und Gabapentin oder Pregabalin sicher aus pathophysiologischen Erwägungen sinnvoll, eine explizite Testung gibt es aber nur für Gabapentin und tatsächlich für Ketamin i.v. als NMDA-Rezeptor-Antagonist (und für Memantine p.o. mit der selben Intention in Verbindung mit Morphin). Dann bleibt es verrückt, es gibt eine Substanz namens Dimethylsulfoxid (DMSO), welche man topisch auftragen kann und welche normalerweise als Trägersubstanz dient, wenn man irgendwelche Stoffe über die Haut applizieren will (wenn ich das richtig verstanden habe z.B. Polonium, wenn man russischer Geheimdienst-Meuchel-Mörder ist). DMSO ohne Zusatz hat aber in einer Studie aus Holland gute Erfolge beim CRPS gezeigt.

Nicht-medikamentöse Therapien

Physiotherapie hilft, ggfs. – das ist aber etwas umstritten – auch die „Pain Exposure Physical Therapy“, worunter man versteht, dass man mit der Zustimmung des Patienten die physiotherapeutischen Übungen durchführt, egal, ob sie Schmerzen hervorrufen oder auch nicht. Ergotherapie hilft auch, besonders aber die Spiegeltherapie. Ob man Psychotherapie benötigt, hängt sehr vom Einzelfall ab.

Interventionelle Therapie

Wenn es Hinweise auf eine sympathisch unterhaltenen Schmerz gibt bietet es sich an, eine Sympathikusblockade durchzuführen. Dafür benötigt man einen kundigen Anästhesisten und es gilt „Versuch macht klug“, da es keine klinischen sicheren Zeichen gibt, die einen sympathisch unterhaltenen Schmerz anzeigen. Anders herum, wenn sie dann gut hilft, wird es schon so gewesen sein (oder der Placebo-Effekt). Alles andere SCS und so, steht auf sehr wackeligen Füßen, was die Evidenz betrifft.

Prognose

Mit einem CRPS hat man lange zu tun, dennoch gilt heutzutage, dass die Prognose bei weitem nicht mehr so desolat ist, wie vor wenigen Jahren, auch wenn immer noch eine Restitutionszeit von 1 Jahr schon als guter Verlauf gilt.

Wo man weiterlesen kann

S1-Leitlinie Diagnostik und Therapie komplexer regionaler Schmerzsyndrome (CRPS) https://www.dgn.org/leitlinien/3618-ll-030-116-diagnostik-und-therapie-komplexer-regionaler-schmerzsyndrome-crps-2018

  1. Birklein, F., Ajit, S. K., Goebel, A., Perez, R. S. G. M. & Sommer, C. Complex regional pain syndrome — phenotypic characteristics and potential biomarkers. Nat. Rev. Neurol. 14, 272–284 (2018).
  2. David Clark, J., Tawfik, V. L., Tajerian, M. & Kingery, W. S. Autoinflammatory and autoimmune contributions to complex regional pain syndrome. Mol. Pain 14, 174480691879912 (2018).
  3. Maihöfner, C., Handwerker, H. O., Neundörfer, B. & Birklein, F. Cortical reorganization during recovery from complex regional pain syndrome. Neurology 63, 693–701 (2004).
  4. Frettlöh, J., Hüppe, M. & Maier, C. Severity and specificity of neglect-like symptoms in patients with complex regional pain syndrome (CRPS) compared to chronic limb pain of other origins. Pain 124, 184–189 (2006).
  5. Birklein, F. & Schlereth, T. Aktuelles zur Therapie des komplex-regionalen Schmerzsyndroms. Nervenarzt 84, 1436–1444 (2013).
  6. Krumova, E., Maier, C. & Tegenthoff, M. Neues aus der Forschung zum Komplexen Regionalen Schmerzsyndrom (CRPS). Aktuelle Neurol. 40, 478–485 (2013).
  7. Wolter, T., Knöller, S. & Rommel, O. Komplexes regionales Schmerzsyndrom bei Nervenwurzelkompression und nach Wirbelsäulenoperation. Der Schmerz 30, 227–232 (2016).

Meine Fibro und ich

Ich glaube, es war mein erster oder zweiter Tag in der Schmerztherapie, als eine Patientin von „meiner Fibro“ sprach und ich sofort dachte, „oh Gott ich bin hier falsch“. Das hat dann nicht mal zwei Wochen gedauert, bis ich zu einer anderen Patientin gesagt habe „Ihre Fibro“. Also, man gewöhnt sich dran. Aber was ist das eigentlich, das Fibromyalgie-Syndrom?

Fibromyalgie vs. Fibromyalgie-Syndrom

So Standard-Definitionen des Fibromyalgie-Syndroms lauten „Das Fibromyalgiesyndrom (FMS) ist eine extreme Ausprägung […] im Sinne eines Kontinuums von regionalen zu generalisierten Schmerzen bei zunehmendem Distress.“ Äh ja. Also, als Fibromyalgie oder Fibromyalgie-Syndrom (warum die zweite Formulierung eigentlich besser ist, dazu gleich noch mehr) oder neudeutsch chronic widespread pain (wobei das eigentlich der Oberbegriff und Fibromyalgie-Syndrom dann der Unterbegriff sein müsste) bezeichnet man diffuse, oft aber nicht immer gelenknahe, Schmerzen an verschiedenen – teils wechselnden – Körperregionen, die teilweise so multipel verteilt sind, dass am Ende Ganzkörper-Schmerzen resultieren. Das wäre dann ein chronic widespread pain. Die Schmerzen nehmen oft bei körperlicher Belastung und psychosozialem Stress zu. Dazu kommen aber noch weitere Symptome, typischerweise Schlafstörungen mit fragmentiertem, nicht erholsamen Schlaf, Morgensteifigkeit und eine vermehrte körperliche und geistige Ermüdbarkeit. Und das ist dann das Fibromyalgie-Syndrom.

Da ganz verschiedene Menschen die Fibromyalgie-Symptome entwickeln können – die typische Spanne geht von Menschen mit einer rheumatischen Erkrankung, die diese Symptomatik im Verlauf entwickeln bis hin zu Menschen mit Traumafolgestörungen und Missbrauchserfahrungen, die dann Jahre nach dem Trauma diese Schmerzen bekommen – kann es sich am Ende nicht um eine definierte Krankheit (also die eine Fibromyalgie) handeln, sondern um ein Syndrom (im klassischen neurologischen Sinne), welches die gemeinsame Endstrecke verschiedener Pathomechanismen darstellt.

Wer und wie bekommt man ein Fibromyalgie-Syndrom?

Klischeemäßig bekommen v.a. übergewichtigere mittelalte Frauen mit Kurzhaar-Frisur ein Fibromyalgie-Syndrom. Aber wie ist die Fibromyalgie wirklich verteilt hinsichtlich ihrer Auftretenshäufigkeit? Insgesamt ist die Fibromyalgie eine Erkrankung der westlichen Industrieländer, je nach Diagnosekriterien kann man davon ausgehen, dass zwischen 1-3% der Bevölkerung betroffen ist. Frauen sind häufiger als Männer betroffen, wobei die Angaben zur Verteilung von 6:1 bis 2:1 schwanken (ebenfalls je nach Diagnosekriterien, 2:1 ist das Verhältnis mit den neueren Diagnosekriterien von 2010). Und es ist eine Erkrankung des mittleren Lebensalters mit einem Peak zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr.

An so schwammigen Sätzen wie „Das FMS kann als funktionelles somatisches Syndrom klassifiziert werden“. kann man erkennen, dass die Pathogenese (bzw. unter der Annahme von oben die verschiedenen Wege der Pathogenese) relativ unklar sind, wobei sich so ganz langsam eine allgemein akzeptierte Auffassung herausbildet. Am Ende kann man sich das Fibromyalgie-Syndrom noch a.e. als eine abgeschlossene Schmerzchronifizierung mit (peripherer und) zentraler Sensibilisierung vorstellen, wobei der Auslöser dieser Chronifizierung nicht eindeutig zu benennen ist, bzw. vermutlich verschiedene Auslöser existieren. Aber die generelle Schmerzüberempfindlichkeit mit den Teils neuropathisch empfundenen Schmerzen und den psychischen Begleitsymptomen entspricht diesem Konstrukt recht gut.

Als akzeptierte Risikofaktoren für die Entwicklung eines Fibromyalgie-Syndromes gelten folgende Punkte, welche man noch einmal in drei Gruppen unterteilen kann:

Biologische Faktoren:

  • Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis
  • Genpolymorphismen des 5HT2- Rezeptors
  • Vitamin D Mangel

Lebensstil-Faktoren:

  • Nikotinabhängigkeit
  • Adipositas
  • Mangelnde körperliche Aktivität

Psychische Faktoren:

  • Körperlicher und sexueller Missbrauch in der Kindheit
  • sexuelle Gewalt im Erwachsenenalter
  • Depressive Erkrankungen

Zu den Veränderungen, die ich mit „abgeschlossene Schmerzchronifizierung“ zusammengefasst habe, kommen noch andere Aspekte hinzu. So konnte man bei einem Teil von Fibromyalgie-Patienten in Studien eine autonome Dysfunktion herausarbeiten, wobei sowohl sympathikotone (die meisten Arbeiten), aber auch asympathikotone Dysregulationen (dtl. weniger Arbeiten) beschrieben wurden. Relativ neu ist die Beobachtung, dass ebenfalls bei einem Teil von Fibromyalgie-Patienten eine reduzierte intraepidermale Nervenfaserdichte gefunden wurde. Dieses Phänomen findet sich (mit etwas anderer histologischer Betonung) bei der small fibre Neuropathie, aber auch bei der Zoster-Neuralgie und auch bei Parkinson-Patienten (die ja ebenfalls häufig über Schmerzen klagen). Warum das so ist bei der small fibre Neuropathie (wobei die genaue Pathogenese recht unverstanden erscheint), ist mal einen eigenen Blogeintrag wert. Auch ist mir nicht ganz klar, warum beim Fibromyalgie-Syndrom autonome Störungen als eigner Pathomechanismus neben der small fibre-Pathologie gelten, wo sie bei der small fibre Neuropathie als eine Unterformen beschrieben werden.

Wie diagnostiziert man ein Fibromyalgie-Syndrom?

In unseren Köpfen spuken beim Thema Fibromyalgie und deren Diagnose immer noch die tender points herum, wobei diese in den mittlerweile 30 Jahre alten ACR-Diagnosekriterien von 1990 vorkamen und in den auch schon 10 Jahre alten revidierten Kriterien ersatzlos gestrichen wurden. In den aktuell verwendeten Diagnosekriterien geht es einmal um einen Ausschluss einer anderen, die Symptomatik erklärenden, Diagnose und zum anderen um die Feststellung, dass an mindestens 7 von 19 Lokalisationen (die dann doch wieder den tender points ähneln) Schmerzen bestehen und dass es Zusatzsymptome wie Bauchschmerzen, depressive Störungen, Müdigkeit, nicht-erholsamer Schlaf usw. gibt. Diese Symptome werden in der Regel standardisiert über Fragebögen erfasst. Als Ausschlussdiagnostik empfehlen die Autoren der aktuellen Leitlinie eine vollständige neurologische und orthopädische Untersuchung und eine laborchemische Diagnostik incl. BSG, CRP, BB, CK, Kalzium, TSH und Vitamin D. Gefordert wird dann noch eine „Vollständige medizinische Anamnese inkl. Medikamentenanamnese“ und das wars. Das erscheint mir ingesamt recht überschaubar.

Und wie behandelt man ein Fibromyalgie-Syndrom

Zunächst einmal nicht kausal, da wir den oder die Gründe für die Entwicklung eines Fibromyalgie-Syndromes ja nicht kennen. Medikamentös ist die Studienlage sehr überschaubar, in erster Linie gibt es eine schwache Evidenz für Medikamente, welche die absteigende Schmerzhemmung stärken, also Trizyklika (und Duloxetin), das ganze aber auch nur zeitlich begrenzt. Und dann kann man noch Pregabalin erwägen, das war es dann aber schon. Der Schwerpunkt der Behandlung des Fibromyalgie-Syndromes liegt aber sowieso in den nicht-medikamentösen Verfahren, in ganz viel Edukation, ganz viel Schmerz-Psychologie und -Psychotherapie, um Schmerz-Teufelskreise zu durchbrechen, ein Verständnis für ggfs. vorliegende psychiatrische Komorbiditäten und ihre Behandlung zu schaffen und um erste Ansätze von Selbstwirksamkeit zu vermitteln; das ganze kombiniert mit der regelmäßigen Anwendung von Muskelentspannungsverfahren und einem freundlich aber bestimmten Heranführen an körperliche Betätigung in Form von Ausdauersport. Am besten gelingt dies – insbesondere bei schwereren Krankheitsverläufen – in einem multimodalen schmerztherapeutischen Behandlungssetting, idealerweise in einem tagesklinischen Setting.

Wo man weiterlesen kann

S3-Leitlinie Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie des Fibromyalgiesyndroms https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/145-004.html

  1. Woolf, C. J. Central sensitization: Implications for the diagnosis and treatment of pain. Pain 152, S2–S15 (2011).
  2. Eich, W. et al. Das Fibromyalgiesyndrom. Der Schmerz 26, 247–258 (2012).
  3. Chinn, S., Caldwell, W. & Gritsenko, K. Fibromyalgia Pathogenesis and Treatment Options Update. Curr. Pain Headache Rep. 20, 25 (2016).
  4. Evdokimov, D. et al. Reduction of skin innervation is associated with a severe fibromyalgia phenotype. Ann. Neurol. 86, 504–516 (2019).

Muskuläre Schmerzen

Myofasziale Schmerzen & Triggerpunkte: Es hätte so schön sein können

Heute geht es um ein Kernthema der Schmerztherapie: Die myofaszialen Schmerzen. Hier hat sich seit den 1970er Jahren eine ganze eigene Welt um die Beobachtung herum entwickelt, dass es bei vielen Menschen mit chronischen Schmerzen zu ausgesprochen druckdolenten, verhärteten und verkürzten Muskeln kommt, die im Laufe einer Schmerzerkrankung irgendwann den Hauptfaktor des Schmerzerlebens darstellen können. Dieses Konstrukt der myofaszialen Schmerzen wurde immer weiter erweitert und zuletzt sogar um Beobachtung zu CGRP ergänzt. 2015 kam dann ein aufwändig recherchiertes Paper von Quinter et al. heraus, welches das Konzept myofaszialer Schmerzen ziemlich rigoros in Frage gestellt hat. Doch Schritt für Schritt, erst einmal zum myofaszialen Schmerzsyndrom, da es auch weiterhin im wahren Leben in der Schmerztherapie und in der Physiotherapie und da besonders in der manuellen Therapie kaum weg zu denken ist.

Die Entstehung der Triggerpunkte

Um Muskelfasern herum, im umgebenden Bindegewebe (den Faszien) und in den Gelenkkapseln liegen relativ viele Nozizeptoren, die über A-𝛿-Fasern und C-Fasern zum Rückenmark projizieren. Normalerweise haben diese Nozizeptoren relativ hohe Reizschwellen, kommt es jedoch zu Gewebsverletzungen und zur Freisetzung proinflammatorischer Zytokine, werden diese Nozizeptoren zunehmend sensibilisiert (wie sonst auch bei der peripheren Sensibilisierung) und reagieren nun auch auf geringere Reize. Die peri-muskulären Schmerzfasern werden insbesondere durch freies ATP und einen sauren pH-Wert aktiviert. Diese Beobachtung entstammt u.a. auch der Pathogenese anderer Erkrankungen mit muskulärer Beteiligung wie den Schmerzen bei pAVK. Durch Muskeltraumata, z.B. im Rahmen einer Mehr- oder Fehlbelastung lässt sich der selbe Effekt erzielen. Durch eine vermehrte Acetylcholin-Ausschüttung kommt es dann zu einer Dauerkontraktion einzelner Muskelfasern, welche wiederum zu einer latenten Hypoxämie mit Entstehung eines noch saueren pH-Wertes führt. Diese Dauerkontrakturen kann man als „Myogelosen“ oder „Triggerpunkte“ tasten, im Englischen findet sich häufig auch der Begriff „taut band“. Diese Triggerpunkte gibt es in schlimmer, dann schmerzen sie schon in Ruhe oder nur bei leichter Belastung und heißen dann aktive Triggerpunkte oder in etwas weniger schlimm, dann schmerzen sie nur bei stärkere Druck und heißen latente Triggerpunkte. Zuletzt gab es dann noch Beobachtungen, dass in Muskeln mit aktiven Triggerpunkte z.B. erhöhte CGRP-Spiegel bestimmbar waren, welches ja zu einer neurogenen Entzündung führt, was dem ganzen Geschehen ja durchaus zu entsprechen scheint, und daher ganz passend erschien.

Auf Rückenmarksebene kommt es ebenfalls zur Sensibilisierung mit Aktivierung „stiller Synapsen“, welche ursächlich für die Übertragung des Schmerzes in weiter entfernte Körperregionen sein sollen (referred pain).

Durch psychosozialen Stress, schlechten Schlaf, Fehl- und Schonhaltungen, repetitive Bewegungen und Inaktivität kann man dieses Phänomen deutlich verschlimmern.

Wie bekommt man Triggerpunkte wieder weg?

Die Therapie gestaltet sich recht mechanistisch. Zum einen bekommt man Triggerpunkte durch manuelle Therapie wieder weg, zum anderen verhindert man durch die Anwendung von Mukelentspannungstechniken die Wiederentstehung. Danach stehen ein Muskelaufbau und vermehrte körperliche Aktivität zur Vermeidung erneuter fokaler Überlastungen der Muskeln im Vordergrund.

Der ärztliche Part in der Behandlung myofaszialer Schmerzen ist relativ überschaubar, die Wirkevidenz von muskelrelaxierend wirkenden Medikamenten noch überschaubarer, die Injektion von Botulinumtoxin war in kleinen Studien vielversprechend, ist aber off label und wird nicht von den Krankenkassen erstattet, was dazu führt, dass es angesichts des Preises von Botulinumtoxin kaum angewendet wird. Eine interessante Beobachtung bei der Botulinumtoxin-Injektion ist, dass die genaue Stelle der Injektion – also in den Triggerpunkt hinein – gar nicht so entscheidend zu sein scheint. Das macht Sinn, wenn man sich vor Augen hält, dass die Hauptwirkung von Botulinumtoxin auch bei anderen Erkrankungen gar nicht die muskelrelaxierende Wirkung ist, sondern die Blockade u.a von CGRP und Substanz P an Schmerzfasern.

Etwas aus der Mode gekommen ist die Neuraltherapie, also die Injektion von Lokalanästhetika in die Triggerpunkte, ebenfalls das etwas martialische „dry needling“, bei der einfach fächerförmig in einen Triggerpunkt mit einer Nadel reingestochen wird, um eine Hyperämie auszulösen und den Triggerpunkt so zu zerstören.

Das Charmante an der Triggerpunkt-Hypothese

Das Charmante an der Triggerpunkt-Hypothese und dem Syndrom der myofaszialen Schmerzen ist, dass es auch für die Betroffenen, aber auch für die ärztlichen und nicht ärztlichen Behandler ein rundes Bild abgibt. Es lässt logisch erscheinen, warum die Therapie chronischer Schmerzen so ist, wie sie ist, mit Muskelentspannung und parallel regelmäßiger körperlicher Bewegung, es deckt sich mit der unbestreitbaren klinischen Beobachtung der verhärteten, druckdolenten Muskeln, es begründet die medikamentöse Zurückhaltung. Und es lässt sich wirklich gut um die aktuellen Themen der Schmerzmedizin erweitern, wie man in dem Artikel von Gerwin et al. nachlesen kann.

Das Dumme an der Triggerpunkt-Hypothese

Dumm ist nur, dass es für all das keine oder nur eine ganz schlechte Evidenz gibt. Und hier setzt die Arbeit von Quinter et al. an. Die Autoren führen gleich eine ganze Armada von Gegenargumenten gegen das Konstrukt myofaszialer Schmerzen in die Schlacht, von der unglaublich schlechten Interrater-Reliabilität bei der Identifikation von aktiven und latenten Triggerpunkten, der schwierigen Abgrenzung gegenüber normalen chronischen Schmerzen, der Tatsache, dass die erhöhte CGRP-Konzentration z.B. auch in nicht betroffenen Muskeln gemessen werden konnte, der Ungenauigkeit bei der angeblichen Beobachtung von Spontanaktivität im EMG in den Triggerpunkten und der Tatsache, dass es bis heute nicht reproduzierbar gelungen ist, Triggerpunkte im MRT oder auch sonographisch als strukturell verändertes Muskelgewebe darzustellen, was sie aber angesichts der Hypothese sein müssten.

Auch die Behandlungsmethoden kommen nicht besonders gut weg. Quintessenz ist zusammenfassend, dass zum Einen der Placeboeffekt wahnsinnig hoch ist, dass unklar ist, ob die manuelle Therapie oder die detonisierenden Eigenübungen eigentlich die Schmerzen lindern und dass die meisten Behandlungsverfahren einfach nur schmerzhaft sind, was wiederum durch eine Verschiebung der Aufmerksamkeit auch zu einer Linderung des zuerst bestehenden Schmerzes führt.

Evidenz sehen die Autoren bei Überlegungen, dass eine fokale Neuritis Ursache der lokal druckdolenten Muskeln sein könnte – was wiederum CGRP mit ins Spiel bringen würde.

Die Antwort auf diese Kritik ist übrigens ziemlich müde. Sie besteht v.a. darin, zu betonen, dass es Triggerpunkte aber gibt und dass man – nur weil es überwiegend schlechte Studien ohne Evidenz gibt – nicht auf die Falschheit der Hypothese schließen könne.

Das eigentlich überraschende ist aber, dass sich in den 5 Jahren seit diesem Paper an der Behandlungsrealität in der Behandlung muskulärer Schmerzsyndrome gar nichts relevantes geändert hat. Muss es vielleicht auch nicht, da das Konstrukt ja in seiner Gänze auch weiterhin funktioniert und sich als durchaus alltagstauglich bewiesen hat und auch Quinter et al. zumindest zugestehen mussten, dass es das Phänomen der myofaszialen Schmerzen (wenn man sie denn so nennen möchte) schlicht und einfach gibt.

Wo man weiterlesen kann
  1. Gerwin, R. D., Dommerholt, J. & Shah, J. P. An expansion of Simons’ integrated hypothesis of trigger point formation. Curr. Pain Headache Rep. 8, 468–475 (2004).
  2. Quintner, J. L., Bove, G. M. & Cohen, M. L. A critical evaluation of the trigger point phenomenon. Rheumatology 54, 392–399 (2015).
  3. Dommerholt, J. & Gerwin, R. D. A critical evaluation of Quintner et al: Missing the point. J. Bodyw. Mov. Ther. 19, 193–204 (2015).

Chronischer Rückenschmerz

Wenden wir uns dem Brot- und Butter-Geschäft der Schmerztherapie zu, was für den Krankenhaus-Neurologen der Schlaganfall ist, ist in der Schmerztherapie der chronische Rückenschmerz.

Alles ein alter Hut?

Die Bedeutung chronischer Rückenschmerzen durch die pure Masse der Betroffenen ist glaube ich allen bewusst, dennoch sind die – vielleicht auch mittlerweile zu oft zitierten – Kennzahlen schon beeindruckend: Die Lebenszeitprävalenz von lumbalen Rückenschmerzen beträgt mindestens 85%, mindestens 23% die von chronischen Rückenschmerzen, ca. 12% der erwachsenen Bevölkerung ist in ihrer Arbeitsfähigkeit durch Rückenschmerzen eingeschränkt, die Behandlungskosten allein für Rückenschmerzen liegen jährlich in Deutschland bei ca. 50 Milliarden Euro, was gut 2% des Bruttosozialprodukts entspricht.

Dem geneigten Neurologen ist zudem klar, dass es eine riesige Diskrepanz zwischen bildgebenden pathologischen Befunden und der Klinik der Betroffenen gibt und dass eindrückliche bildgebende Befunde mit dem Alter stark zunehmen, ohne dass sie überhaupt Symptome machen müssen. Anschaulich wird dies z.B. hier aufgearbeitet:

nach: Brinjikji, W. et al. Systematic Literature Review of Imaging Features of Spinal Degeneration in Asymptomatic Populations. Am. J. Neuroradiol. 36, 811–816 (2015).

Aus diesem Grund ist die Behandlung von Rückenschmerzen auch eigentlich extrem gut standardisiert und mit allen Arten von Leitlinien ausgestattet, die man sich nur vorstellen kann (s.u.). Und trotzdem tummeln sich auf eben diesem Gebiet extrem viel semiseriöse Behandlungsangebote, finden viel zu viele interventionelle und operative Eingriffe statt und werden Medikamente in astronomischen Ausmaß verordnet.

Was wir wissen

Bei chronischen Rückenschmerzen – und um diese, nicht um die akuten, soll es hier gehen, finden sich überhaupt nur in gerade mal 10% der Fälle überhaupt radiologische Befunde, welche sich auch bei kritischer Reevaluation mit der jeweiligen Klinik in Übereinstimmung bringen lassen. Im Umkehrschluss heißt das, das 90% der Patienten eine „unsichtbare“ Schmerzursachehaben müssen. Gute 10-15 Jahre – seit der Etablierung der multimodalen Schmerztherapie – war man sich beim Großteil der Behandler sicher, dass es sich überwiegend um funktionelle und myofasziale Schmerzen handeln muss. An dem Konzept muss man allerdings gewichtige Zweifel anmelden, doch dazu in einem eigenen Blogbeitrag mehr. Mittlerweile wird man das Phänomen des noziplastischen Schmerzes sicher mitanführen müssen, um die 90% zu erklären. Dazu kommt, dass sich diese 10-90% Unterteilung meist in neurologischen Übersichtsarbeiten findet, dass der kundige Orthopäde aber einwenden wird:

Halt, was ist mit der Stufendiagnostik?

Mit Stufendiagnostik meint man das sequenzielle Anspritzen verschiedener Strukturen an der Wirbelsäule und in ihrer Nähe mit Lokalanästhetika, um sich systematisch an den bildgebenden Auffälligkeiten entlang vorzuarbeiten, um herauszufinden, was nun schmerzt. Man arbeitet sich also von in Frage kommenden Nervenwurzeln (PRT) zu den Facettengelenken vor, dann zum ISG und ggfs. auch noch zum Hüftgelenk. Es gibt durchaus Studien, die diesem Vorgehen eine relativ hohe Spezifität zuschreiben, insbesondere bei wiederholtem und placebokontrollierten Vorgehen. Macht man eine ordentliche Stufendiagnostik, wird sich die 10-90%-Unterteilung sicherlich noch eimal deutlich verschieben.

Doppelt-Halt: Was ist denn mit der Anamnese?

Ja, irgendwie ist die Reihenfolge hier falsch. Normale Reihenfolge ist ja eigentlich immer: Anamnese, Untersuchung, Auffassung bilden, ggfs. Zusatzdiagnostik veranlassen. Und das gilt natürlich auch – und insbesondere – für chronische Rückenschmerzen. Der große Mist ist nur, dass die aktuelle Anamnese – insbesondere bei den 90% der Patienten – oft relativ gleich ist, interessant sind eher die Vorgeschichte, die bisherigen Behandlungen, die Dynamik der Schmerzen und die biographische Anamnese und die Sozialanamnese. Denn im überwiegenden Teil der Fälle berichten die Patienten, dass die aktuellen Schmerzen immer vorhanden seien, bei körperlicher Belastung – insbesondere Heben und Stehen – stark zunehmen würden, ebenfalls bei Lagewechseln, dass morgens eine gewisse Morgensteifigkeit bestehe, dass der Schlaf fragmentiert und unerholsam sei und das Wärme und leichte körperliche Bewegung schmerzlindernd seien. Typisch ist zudem eine Schmerzausstrahlung von lumbal ins Gesäß, die Leiste oder in den lateralen Oberschenkel.

Das führt dann wieder zum Thema myofasziale oder noziplastische Schmerzen, irgendwie ist es ja schon wahrscheinlich, dass die klinische Endstrecke chronischer Rückenschmerzen unabhängig ihres genauen Auslösers relativ gleich zu sein scheint.

Failed back-surgery

Eine weitere Gemeinsamkeit vieler Patienten mit chronischen Rückenschmerzen sind eine oder mehrere operative Vorbehandlungen, die zu keiner Schmerzlinderung, sondern zu gleichbleibenden oder sogar schlimmer werdenden Schmerzen geführt haben. Dies nennt man auf Neudeutsch failed back-surgery. Dieses Syndrom hat wiederum verschiedene Ursachen:

  • Zum Einen beheben viele Operationen die Schmerzen nicht, weil sie von vornherein Strukturen behandelt haben, die mit dem Schmerzen wenig bis nichts zu tun hatten und somit eigentlich gar nicht indiziert waren.
  • Verletzungen und Traumata durch die Operation, also z.B. an den die Wirbelsäule stabilisierenden tiefen Rückenmuskeln
  • Iatrogene Komplikationen durch den Eingriff
Psychopathologie: Schon wieder der ist voll Psycho

Psychopathologische und psychosoziale Gründe spielen bei vielen chronischen Schmerzsyndromen eine große Rolle, was sich über das biopsychosoziale Modell chronischer Schmerzen erklärt. Insbesondere bei chronischen Rückenschmerzen scheinen sie jedoch ganz erheblich zu sein. Das wiederum hat Gründe, welche im Wesen des Rückenschmerzes mit seinen Einschränkungen für Alltag und Berufsleben liegen, anders herum scheinen gewisse psychopathologische und psychodynamische Prozesse, die Chronifizierung von Rückenschmerzen zu begünstigen. Diese unheilvolle Kombination führt oft zu sehr ähnlichen maladaptiven Verhaltensweisen:

  • objektivierbar nicht nachvollziehbares Vermeidungsverhalten bei inadäquat erscheinend hohen wahrgenommenen Schmerzintensitäten
  • vermehrtes Rückzugsbedürfnis, lange Ruhezeiten, Fokussierung auf Schmerzmanagement
  • depressiv getönte Verhaltensweisen oder manifeste Depressionen
movement control deficit

Die Beobachtung einer sich verändernden Körperwahrnehmung mit z.B. immer schlechter werdender 2-Punkt-Diskrimination und Propriozeption bei chronischen Rückenschmerzen ist schon recht alt und stammt aus den frühen 2000er Jahren. Lange Jahre wurde dieses Phänomen unter dem Begriff movement control deficit subsumiert, mittlerweile könnte man es vermutlich beim noziplastischen Schmerz und den Folgen der Schmerzchronifizierung einsortieren.

Was man tun kann

Noch mal richtig nachgucken?

Nein! Die aller-allermeisten Patienten mit chronischen Rückenschmerzen sind schon völlig überdiagnostiziert, es existieren oft nicht 1, sondern gleich mehrere MRT der LWS, dann noch 1-2 x der HWS, dann noch eine BWS, ein Becken usw. Aufgabe bei der Behandlung von Patienten mit chronischen Schmerzen ist es eher, diese ganzen Befunde zusammen mit dem Patienten in den entsprechenden klinischen Kontext zu rücken, hier viel Edukation zu betreiben und die Bedeutung vermeintlicher „schlimmer“ Befunde entsprechend ihrer wahren Bedeutung zu relativieren. Dies bedeutet aber auch, dass wichtiger als noch ein MRT, weil das letzte „ja schon 1 Jahr alt ist“, eine gründliche neurologische und neuro-orthopädische Untersuchung ist, damit man nicht etwaige red flags dann doch beim ganzen Relativieren übersieht.

Keine One-Man-Show

Gerade chronische Rückenschmerzen sind die Domäne der multimodalen Schmerztherapie, die ja nicht immer im stationären oder tagesklinischen Setting stattfinden muss, sondern natürlich auch ambulant erfolgen kann. Aber ein interdisziplinäres Behandlungsteam, in der es eben auch physiotherapeutische und schmerzpsychologische Expertise gibt, ist schon extrem wichtig. Denn:

Medikamente sind allgemein überbewertet

Die medikamentöse Behandlung chronischer Rückenschmerzen ist eher supportiv. In den meisten Fällen muss man erst mal ganze Cocktails nicht-wirksamer Medikamente absetzen (übrigens ein fächerübergreifendes Medizin-Phänomen, dass wenn ein Medikament nicht wirkt, dieses nicht abgesetzt wird, sondern in der Regel die Dosis erhöht und eine Kombinationstherapie begonnen wird unter Beibehaltung des unwirksamen Präparates). Dann sind viele Patienten mit chronischen Rückenschmerzen mit Opiaten vorbehandelt, ebenfalls meistens mit mäßiger Wirksamkeit. Hier stellt sich dann die Frage, ob die Schmerzen überhaupt Opiat-sensibel sind oder ob ein Wirkverlust vorliegt und es Gründe für eine Opiatrotation gibt. Als Faustregel kann gelten, dass je älter ein Patient mit chronischen Rückenschmerzen ist, desto wahrscheinlicher zumindest Teile des Rückenschmerzes Opiat-sensibel sind, da sie durch degenerative Prozesse mit entsprechender Nozizeptor-Aktivierung bedingt sind. Bei jüngeren Patienten liegen meist v.a. noziplastische Schmerzen vor, hier wirken Opiate entsprechend schlechter. Indiziert bei chronischen Schmerzen sind v.a. Medikamente zur Aktivierung des absteigenden schmerzhemmenden Systems, also trizyklische Antidepressiva oder SSNRI.

Und was macht man nun nicht-medikamentös?

Typische Therapieziele der nicht-medikamentösen Behandlung chronischer Rückenschmerzen sind:

  • Erhöhung des Aktivitätsniveaus mit Abbau inadäquaten Krankheitsverhaltens
  • Steigerung des Kontrollerlebens durch Verbesserung der Koordination und Körperwahrnehmung und Steigerung der allgemeinen Fitness
  • und hierdurch Abbau von Angst und Depressivität

Dafür braucht man zum Einen Einzel-Physiotherapie, bei der relativ schnell die Anleitung zu Eigenübungen im Fokus stehen sollte, zum Anderen so etwas wie medizinische Trainingstherapie oder Reha-Sport und ganz viel Edukation im Bereich der biopsychosozialen Schmerzfaktoren um hier den Betroffenen Handwerkszeug mitgeben zu können, Teufelskreise zu durchbrechen.

Wo man weiterlesen kann

S2k-Leitlinie Lumbale Radikulopathie https://www.dgn.org/leitlinien/3516-ll-030-058-2018-lumbale-radikulopathie

S2k-Leitlinie Zervikale Radikulopathie https://www.dgn.org/leitlinien/3514-ll-030-082-2017-zervikale-radikulopathie

Nationale VersorgungsLeitlinie Kreuzschmerz https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/nvl-007.html

  1. Brinjikji, W. et al. Systematic Literature Review of Imaging Features of Spinal Degeneration in Asymptomatic Populations. Am. J. Neuroradiol. 36, 811–816 (2015).
  2. Chou, R. et al. Systemic Pharmacologic Therapies for Low Back Pain: A Systematic Review for an American College of Physicians Clinical Practice Guideline. Ann. Intern. Med. 166, 480 (2017).
  3. Maschke, M. & Überall, M. Leitliniengerechte medikamentöse Therapie des chronischen Rückenschmerzes. Aktuelle Neurol. 40, 90–95 (2013).
  4. Mertens, P., Blond, S., David, R. & Rigoard, P. Anatomy, physiology and neurobiology of the nociception: A focus on low back pain (part A). Neurochirurgie 61, S22–S34 (2015).
  5. Rommel, O. Operative Eingriffe ohne interdisziplinäre Abklärung vermeiden. Nervenarzt 90, 194–196 (2019).
  6. Zhuk, A., Schiltenwolf, M. & Neubauer, E. Langfristige Wirksamkeit einer multimodalen Schmerztherapie bei chronischen Rückenschmerzen. Nervenarzt 89, 546–551 (2018).