Ja, wirklich: Riesenzellarteriitis
Heute geht es tatsächlich um die Riesenzellarteriitis, welche übrigens die häufigste Vaskulitis in den Industrieländern ist. Frauen sind doppelt so häufig wie Männer von einer Riesenzellarteriitis betroffen, die Prävalenz liegt bei 15-44/100.00, das typische Erstmanifestationsalter bei über 50 Jahren mit einer deutlichen Erkrankungshäufigkeitszunahme im höheren Lebensalter, insbesondere nach dem 80. Lebensjahr. Die Riesenzellarteriitis ist mit einer bestimmten HLA-Konfiguration assoziiert (HLA-DRB1*04). Und wie immer bei autoimmunvermittelten Erkrankungen, welche mit einer bestimmten HLA-Konfiguration verknüpft sind, stellt sich die Frage nach einem (infektiösen) Auslöser; für die Riesenzellarteriitis ganz genauso, hier werden VZV, Parvoviren, Mycoplasmen und Clamydien als virale oder bakterielle eine Kreuzreaktion auslösende Antigene diskutiert.
Histologie and stuff
Aber worum handelt es sich bei der Riesenzellarteriitis denn wirklich? Histologisch gesehen um eine granulomatöse Panarteriitis – und wie bei allen anderen granulomatösen Erkrankungen finden sich hier im Rand des Granuloms eben Riesenzellen – welche große und mittelgroße supraaortale Gefäße betrifft. Durch eine ausgeprägte Intimaproliferation kommt es zu Stenosen – und bei kleineren Gefäßen – auch zu Gefäßverschlüssen. Immunhistochemisch spielen T-Zellen, welche Lymphozyten und Monozyten anlocken eine entscheidende Rolle in der Pathophysiologie der Riesenzellarteriitis. Die Lymphozyten scheinen dabei über IL-6 und IL-17 aktiviert zu werden, die Monozyten eher über IL-12 und IFN gamma.
Die Sache mit den Temporalarterieren und der BSG
Es gibt relativ alte – von 1990 stammende – klinische Klassifikationskriterien der Riesenzellarteriitis, welche aber bis heute unverändert gelten.
ACR-Klassifikationskriterien der RZA (1990) |
Alter > 50 Jahre |
Neuartige oder neu aufgetretene Kopfschmerzen |
Abnorme Temporalarterien (Druckdolenz, abgeschwächte Pulsation) |
BSG > 50 mm in der ersten Stunde |
Histologische Veränderungen bei Biospie der Temporalarterie |
Dennoch hat man in den letzten 30 Jahren deutlich mehr über die Erkrankung gelernt und weiß, dass es bei der Riesenzellarteriitis eben nicht nur um Kopfschmerzen bei über 50-Jährigen mit druckdolenten Temporalarterien und einer BSG-Erhöhung geht. So weiß man, das bestimmte Kombinationen klinischer Charakteristika die Wahrscheinlichkeit, dass eine Risenzellarteriitis stark erhöhen, hin bis zu einem positiven prädiktiven Wert von 100% bei der Kombination einer neu aufgetretenen Sehstörung und Schmerzen beim Kauen.
Klinische Merkmale | PPV in % | Betroffene Pat. in % |
Neue oder neuartige Kopfschmerzen | 46 | 49 |
Überempfindlichkeit der Kopfhaut | 61 | 18 |
Ermüdbarkeit beim Kauen | 78 | 17 |
Doppelbilder | 65 | 10 |
Ermüdbarkeit beim Kauen + Überempfindlichkeit der Kopfhaut + neue oder neuartige Kopfschmerzen | 90 | 6 |
Ermüdbarkeit beim Kauen + Doppelbilder oder Visusminderung | 100 | 0,7 |
Die Sehstörungen bei der Riesenzellarteriitis entstehen übrigens durch eine vaskulitische Mitbeteiligung des Sehnerven, welche dann zu einer AION führt. Das tückische ist, dass wenn erst eine AION besteht – welche eben auch zu einer Erblindung des Auges führen kann – die zweite oft nicht weit ist, was die mit dem Thema verknüpfte Dramatik begründet. Der Aortenbogen ist in 40-60% der Fälle mitbetroffen, die Aa. vertebrales wegen deren möglicher Mitbeteiligung wir Neurologen immer ganz nervös werden, gerade mal bei 2% der Erkrankungen. Dass es eine signifikante Überlappung der Riesenzellarteriitis mit der Polymyalgia rheumatica gibt, ist wiederum allen bekannt.
Ultraschall oder Biopsie
Zu diesem Thema sind relativ viele Studien erfolgt und es finden sich – wenn man hierzu sucht – Paper über Paper. Zusammenfassend lässt sich sagen, in Kombination mit einem passenden klinischen Befund liegt die Sensitivität beider Verfahren jeweils bei über 90% und die Spezifität zwischen 77 und 81%. Dementsprechend wird heute meist folgender Algorithmus vorgeschlagen: Screening bei klinischem Verdacht mit Ultraschall und nur, wenn der Ultraschall nicht eindeutig ist, zusätzliche Durchführung einer Biopsie.
Behandlung: Kortison und dann?
Dass man bei einer Riesenzellarteriitis eine längerfristige Therapie mit Steroiden durchführt, ist uns allen klar. Doch wie lange und wie hoch dosiert soll es denn sein? Und soll man ASS dazu geben oder nicht? Sichere Antworten hierauf gibt es übrigens nicht. Das mit dem ASS geben wird tatsächlich meist so gehandhabt. Steroidschemata gibt es – wie meistens bei fehlender eindeutiger Studienlage – mehrere. Hier sei dass aus der DGN-Leitlinie erwähnt, nach der man ganz klassisch internistisch mit 1 mg Prednisolon je kg Körpergewicht beginnt. Nach klinischer Besserung und Normalisierung der Entzündungsparameter – die man zum Therapiemonitoring benutzt – kann man alle 2 Wochen um 10 mg auf eine Tagesdosis von 20 mg reduzieren, dann nur noch 2,5 mg alle 2 Wochen und unter 10 mg dann 1 mg im Monat. Bei einer Riesenzellarteriitis mit eine AION oder anderen schweren Gefäßkomplikationen wird ein Steroidstoß mit 500-1000 mg Methylprednisolon für 3-5 Tage empfohlen. Bei einem Rezidiv der Riesenzellarteriitis geht man auf die letzte wirksame Prednisolons und legt noch 10 mg drauf.
Prinzipiell scheint der IL-6/IL-17-Transduktionsweg deutlich besser auf eine Steroidtherapie anzusprechen, als der IL-12/IFN-gamma-Weg. Rezidive stellen generell ein großes Problem bei der Riesenzellarteriitis dar. Gerade mal 1/3 aller Betroffenen haben kein Rezidiv der Riesenzellarteriitis innerhalb von 12 Monaten.
Dementsprechend muss eine längerfristige Therapie her, mit der man ebenfalls immunsuppressiv und gleichzeitig steroidsparend unterwegs ist. Klassischerweise ist das Methotrexat (0,3 mg/kg KG/Woche) inklusive Gabe von 10 mg Folsäure am nächsten Tag. Aber wie das so ist mit „alten“ Therapieverfahren ist, ist die MTX-Gabe schon immer eine off-label-Therapie gewesen. Eine Zulassung-, eine Zulassungsstudie usw. hat es nie gegeben. Anders ist das mit Tocilizumab einem monoklonalen Antikörper gegen IL-6. Tocilizumab wird einmal wöchentlich s.c. appliziert. Der Hauptvorteil von Tocilizumab ist, dass im Rahmen der Zulassungsstudie ein Steroid-Ausschleichschema vorgesehen war, was innerhalb von 6 Monaten zu einem kompletten Absetzen des Kortisons führt. Hauptnachteil sind sicherlich die monatlichen Behandlungkosten von 1840 Euro gegenüber gut 30 EUR bei einer MTX-Behandlung.
Wo man weiterlesen kann
S1-Leitlinie Zerebrale Vaskulitis und zerebrale Beteiligung bei systemischen Vaskulitiden und rheumatischen Grunderkrankungen https://www.dgn.org/leitlinien/3601-ll-030085-zerebrale-vaskulitis-2018
- Labarca, C. et al. Predictors of relapse and treatment outcomes in biopsy-proven giant cell arteritis: a retrospective cohort study. Rheumatology 55, 347–356 (2016).
- Luqmani, R. et al. The Role of Ultrasound Compared to Biopsy of Temporal Arteries in the Diagnosis and Treatment of Giant Cell Arteritis (TABUL): a diagnostic accuracy and cost-effectiveness study. Health Technol. Assess. (Rockv). 20, 1–238 (2016).
- Younger, D. S. Giant Cell Arteritis. Neurol. Clin. 37, 335–344 (2019).