Kopfschmerzen im Alter = Riesenzellarteriitis!

Ja, wirklich: Riesenzellarteriitis

Heute geht es tatsächlich um die Riesenzellarteriitis, welche übrigens die häufigste Vaskulitis in den Industrieländern ist. Frauen sind doppelt so häufig wie Männer von einer Riesenzellarteriitis betroffen, die Prävalenz liegt bei 15-44/100.00, das typische Erstmanifestationsalter bei über 50 Jahren mit einer deutlichen Erkrankungshäufigkeitszunahme im höheren Lebensalter, insbesondere nach dem 80. Lebensjahr. Die Riesenzellarteriitis ist mit einer bestimmten HLA-Konfiguration assoziiert (HLA-DRB1*04). Und wie immer bei autoimmunvermittelten Erkrankungen, welche mit einer bestimmten HLA-Konfiguration verknüpft sind, stellt sich die Frage nach einem (infektiösen) Auslöser; für die Riesenzellarteriitis ganz genauso, hier werden VZV, Parvoviren, Mycoplasmen und Clamydien als virale oder bakterielle eine Kreuzreaktion auslösende Antigene diskutiert.

Histologie and stuff

Aber worum handelt es sich bei der Riesenzellarteriitis denn wirklich? Histologisch gesehen um eine granulomatöse Panarteriitis – und wie bei allen anderen granulomatösen Erkrankungen finden sich hier im Rand des Granuloms eben Riesenzellen – welche große und mittelgroße supraaortale Gefäße betrifft. Durch eine ausgeprägte Intimaproliferation kommt es zu Stenosen – und bei kleineren Gefäßen – auch zu Gefäßverschlüssen. Immunhistochemisch spielen T-Zellen, welche Lymphozyten und Monozyten anlocken eine entscheidende Rolle in der Pathophysiologie der Riesenzellarteriitis. Die Lymphozyten scheinen dabei über IL-6 und IL-17 aktiviert zu werden, die Monozyten eher über IL-12 und IFN gamma.

Die Sache mit den Temporalarterieren und der BSG

Es gibt relativ alte – von 1990 stammende – klinische Klassifikationskriterien der Riesenzellarteriitis, welche aber bis heute unverändert gelten.

ACR-Klassifikationskriterien der RZA (1990)
Alter > 50 Jahre
Neuartige oder neu aufgetretene Kopfschmerzen
Abnorme Temporalarterien (Druckdolenz, abgeschwächte Pulsation)
BSG > 50 mm in der ersten Stunde
Histologische Veränderungen bei Biospie der Temporalarterie

Dennoch hat man in den letzten 30 Jahren deutlich mehr über die Erkrankung gelernt und weiß, dass es bei der Riesenzellarteriitis eben nicht nur um Kopfschmerzen bei über 50-Jährigen mit druckdolenten Temporalarterien und einer BSG-Erhöhung geht. So weiß man, das bestimmte Kombinationen klinischer Charakteristika die Wahrscheinlichkeit, dass eine Risenzellarteriitis stark erhöhen, hin bis zu einem positiven prädiktiven Wert von 100% bei der Kombination einer neu aufgetretenen Sehstörung und Schmerzen beim Kauen.

Klinische MerkmalePPV in %Betroffene Pat. in %
Neue oder neuartige Kopfschmerzen4649
Überempfindlichkeit der Kopfhaut6118
Ermüdbarkeit beim Kauen7817
Doppelbilder6510
Ermüdbarkeit beim Kauen + Überempfindlichkeit der Kopfhaut + neue oder neuartige Kopfschmerzen906
Ermüdbarkeit beim Kauen + Doppelbilder oder Visusminderung1000,7
Positiver prädiktiver Wert verschiedener klinischer Merkmale bei der RZA

Die Sehstörungen bei der Riesenzellarteriitis entstehen übrigens durch eine vaskulitische Mitbeteiligung des Sehnerven, welche dann zu einer AION führt. Das tückische ist, dass wenn erst eine AION besteht – welche eben auch zu einer Erblindung des Auges führen kann – die zweite oft nicht weit ist, was die mit dem Thema verknüpfte Dramatik begründet. Der Aortenbogen ist in 40-60% der Fälle mitbetroffen, die Aa. vertebrales wegen deren möglicher Mitbeteiligung wir Neurologen immer ganz nervös werden, gerade mal bei 2% der Erkrankungen. Dass es eine signifikante Überlappung der Riesenzellarteriitis mit der Polymyalgia rheumatica gibt, ist wiederum allen bekannt.

Ultraschall oder Biopsie

Zu diesem Thema sind relativ viele Studien erfolgt und es finden sich – wenn man hierzu sucht – Paper über Paper. Zusammenfassend lässt sich sagen, in Kombination mit einem passenden klinischen Befund liegt die Sensitivität beider Verfahren jeweils bei über 90% und die Spezifität zwischen 77 und 81%. Dementsprechend wird heute meist folgender Algorithmus vorgeschlagen: Screening bei klinischem Verdacht mit Ultraschall und nur, wenn der Ultraschall nicht eindeutig ist, zusätzliche Durchführung einer Biopsie.

Behandlung: Kortison und dann?

Dass man bei einer Riesenzellarteriitis eine längerfristige Therapie mit Steroiden durchführt, ist uns allen klar. Doch wie lange und wie hoch dosiert soll es denn sein? Und soll man ASS dazu geben oder nicht? Sichere Antworten hierauf gibt es übrigens nicht. Das mit dem ASS geben wird tatsächlich meist so gehandhabt. Steroidschemata gibt es – wie meistens bei fehlender eindeutiger Studienlage – mehrere. Hier sei dass aus der DGN-Leitlinie erwähnt, nach der man ganz klassisch internistisch mit 1 mg Prednisolon je kg Körpergewicht beginnt. Nach klinischer Besserung und Normalisierung der Entzündungsparameter – die man zum Therapiemonitoring benutzt – kann man alle 2 Wochen um 10 mg auf eine Tagesdosis von 20 mg reduzieren, dann nur noch 2,5 mg alle 2 Wochen und unter 10 mg dann 1 mg im Monat. Bei einer Riesenzellarteriitis mit eine AION oder anderen schweren Gefäßkomplikationen wird ein Steroidstoß mit 500-1000 mg Methylprednisolon für 3-5 Tage empfohlen. Bei einem Rezidiv der Riesenzellarteriitis geht man auf die letzte wirksame Prednisolons und legt noch 10 mg drauf.

Prinzipiell scheint der IL-6/IL-17-Transduktionsweg deutlich besser auf eine Steroidtherapie anzusprechen, als der IL-12/IFN-gamma-Weg. Rezidive stellen generell ein großes Problem bei der Riesenzellarteriitis dar. Gerade mal 1/3 aller Betroffenen haben kein Rezidiv der Riesenzellarteriitis innerhalb von 12 Monaten.

Dementsprechend muss eine längerfristige Therapie her, mit der man ebenfalls immunsuppressiv und gleichzeitig steroidsparend unterwegs ist. Klassischerweise ist das Methotrexat (0,3 mg/kg KG/Woche) inklusive Gabe von 10 mg Folsäure am nächsten Tag. Aber wie das so ist mit „alten“ Therapieverfahren ist, ist die MTX-Gabe schon immer eine off-label-Therapie gewesen. Eine Zulassung-, eine Zulassungsstudie usw. hat es nie gegeben. Anders ist das mit Tocilizumab einem monoklonalen Antikörper gegen IL-6. Tocilizumab wird einmal wöchentlich s.c. appliziert. Der Hauptvorteil von Tocilizumab ist, dass im Rahmen der Zulassungsstudie ein Steroid-Ausschleichschema vorgesehen war, was innerhalb von 6 Monaten zu einem kompletten Absetzen des Kortisons führt. Hauptnachteil sind sicherlich die monatlichen Behandlungkosten von 1840 Euro gegenüber gut 30 EUR bei einer MTX-Behandlung.

Wo man weiterlesen kann

S1-Leitlinie Zerebrale Vaskulitis und zerebrale Beteiligung bei systemischen Vaskulitiden und rheumatischen Grunderkrankungen https://www.dgn.org/leitlinien/3601-ll-030085-zerebrale-vaskulitis-2018

  1. Labarca, C. et al. Predictors of relapse and treatment outcomes in biopsy-proven giant cell arteritis: a retrospective cohort study. Rheumatology 55, 347–356 (2016).
  2. Luqmani, R. et al. The Role of Ultrasound Compared to Biopsy of Temporal Arteries in the Diagnosis and Treatment of Giant Cell Arteritis (TABUL): a diagnostic accuracy and cost-effectiveness study. Health Technol. Assess. (Rockv). 20, 1–238 (2016).
  3. Younger, D. S. Giant Cell Arteritis. Neurol. Clin. 37, 335–344 (2019).

Kopfschmerzen im Alter = Riesenzellarteriitis?

Vorweg

Zeit für eine neue Miniserie zum Thema Kopfschmerzen im Alter. Die eine oder der andere wird wissen, dass das Thema einem Vortrag entliehen ist, den ich vor nicht allzu langer Zeit gehalten habe. Aber das gibt mir die Möglichkeit, mich daran entlang zu hangeln und das eine oder andere hinzuzufügen, aber auch Dinge wegzulassen. Die Parkinson-Serie läuft aber trotzdem weiter. Da soll es als nächstes um die Braak-Stadien gehen und dann um Parkinson und Schmerz.

Migräne im Alter

Wir alle glauben zu wissen, dass Migräne im Alter, besser noch nach den Wechseljahren seltener wird und daher bei älteren Menschen kaum noch eine Rolle spielt. Außerdem haben wir alle schon Sätze wie „nach dem 55. Lebensjahr werden Sie praktisch keine Erstmanifestation primärer Kopfschmerzerkrankungen mehr sehen“ gehört und verinnerlicht. Doch stimmt das eigentlich?

Die Antwort ist nicht ganz banal. Es gibt recht gute Daten zur Prävalenz der Migräne bis zum Alter von 75 Jahren (und sehr schlechte für ältere Semester), die schon ein gewisses Seltener-Werden zu belegen scheinen:

> 60 Jahre60-65 Jahre65-70 Jahre70-75 Jahre> 80 Jahre
♂︎bis 20,4 %8,9 %6,8 %3,4 %5 %
♀︎5,63 %4,3 %3,8 %2,1 %5 %
1-Jahres Prävalenz der Migräne nach:
1. Wijeratne, T., Tang, H. M., Crewther, D. & Crewther, S. Prevalence of Migraine in the Elderly: A Narrated Review. Neuroepidemiology 52, 104–110 (2019).
2. Haan, J., Hollander, J. & Ferrari, M. Migraine in The Elderly: A Review. Cephalalgia 27, 97–106 (2007).

Auch andere Studien zeigen eine Abnahme der Attackenfrequenz im Alter. Anders herum ist genauso gut belegt, dass sich die Charakteristika von Migränekopfschmerz und Migräneattacken im Alter verändern. So weiß man, das bei unter 60-Jährigen ungefähr 70% der Migränepatienten unter einer Migräne ohne Aura leiden, ca. 30% unter einer Migräne mit Aura. Bei >60-Jährigen nimmt die Prävalenz von Attacken ohne Aura ab und Migräneattacken mit Aura werden im Gegenzug häufiger. Auch eine Migräneaura ohne nachfolgenden Kopfschmerz, also eine Migraine sans Migraine wird im Alter häufiger, ebenso nuchale muskuläre Schmerzen als Triggerfaktor für Migräneattacken. Parallel verändern sich aber auch die Attacken. Sie werden eher kürzer, treten öfters beidseitig auf, sind dann weniger pulsierend und öfters drückend, die Schmerzintensität nimmt ab, ebenso die vegetativen Begleitsymptome und die Verstärkung der Kopfschmerzen durch körperliche Aktivität. Kurz gesagt, sie ähneln zunehmend Spannungskopfschmerzen. Dies führt aber vermutlich zu einer Unterdiagnostik von Migräneattacken.

Selbst Neumanifestationen im Alter scheint es zu geben, so wurde schon in den 1980er Jahren ein Konzept zur Abgrenzung von Migräneattacken mit Aura von Schlaganfallsymptomen entwickelt und in den letzten Jahren weiter verfeinert.

Late life migraine accompaniments (LLMA)

  • Visuelle Aura-Symptome
  • Graduelle Zunahme, Expansion, march of convulsion der Aura, „serieller Übergang“ eines Aurasymptomes in ein anderes (visuell → Parästhesien)
  • Mindestens 2 Aurasymptome treten auf
  • In mindestens 50% der Fälle Kopfschmerzen
  • Dauer der Aura 15–25 min (vs. TIA meist < 15 min)
  • Unauffällige Schlaganfallabklärung

Migräneattacken im Alter behandeln: NSAR oder Triptane oder gar nix?

Hält man sich an die reine Lehre und an alle PRISCUS-Listen und so müsste man eigentlich sagen: Gar nix, ist aber nicht so schlimm, da die Attacken ja oft weniger intensiv sind und notfalls geht ja auch noch Paracetamol. Im wahren Leben funktioniert die reine Lehre aber wie so oft nur mehr schlecht als recht, und genauso wie bei Schwangeren die Antwort „eigentlich gar nix“ zwar formal richtig sein mag, bringt es den Betroffenen aber meist ebenfalls rein gar nix.

Also wird man wohl oder übel auf die NSAR vs. Triptan-Frage zurück kommen. Von NSAR wissen wir, dass sie bei älteren Menschen das kardiovaskuläre Risiko deutlich erhöhen. Für Ibuprofen liegt dies bei einem 1,6-fach erhöhten Risiko für Herzinfarkte, einem über 3,36 fach erhöhten für Schlaganfälle und einem 2,4 fach erhöhten Risiko für einen kardiovaskulären Tod. Ähnlich sieht das für Diclofenac aus und erst recht für COX2-Hemmer. ASS und Naproxen scheinen hier weniger schlimm zu sein, führen aber beide zu einer massiven Zunahme von GI-Blutungen gerade bei Älteren.

Für Triptane sieht es hingegen – vielleicht etwas unerwartet – sogar besser aus. Es gibt zu dem Thema sogar prospektive Daten aus der Framnigham Heart Study, nach denen es vertretbar ist Triptane einzunehmen, wenn das 10-Jahres-kardiovaskulärer Tod-Risiko nach dem Framnigham Risk Score (https://www.mdcalc.com/framingham-risk-score-hard-coronary-heart-disease) unter 10% liegt. Zudem gibt es eine große retrospektive Auswertung von knapp 30.000 Patienten mit einer Triptan- und Ergotamin-Einnahme auch mit parallel vorhandenen Herz-Kreislauf-Erkrankungen (und damit einem Framnigham Risk Score > 10%), welche kein erhöhtes vaskuläres Risiko zeigen konnte, selbst bei einem Triptan-Übergebrauch.

Migräneprophylaxe im Alter: Synergie-Effekte nutzen

Medikamentöse Migräneprophylaxe im Alter ist eigentlich viel einfacher als bei jungen Menschen, da man relativ oft Synergie-Effekte nutzen kann. So benötigen viele Patienten eh einen Betablocker oder ein Sartan oder aber auch ein Antiepileptikum oder ein Antidepressivum. Gerade die gut verträglichen ACE-Hemmer und Sartane, die aber in der Migräneprophylaxe off label-Medikamente sind, können ja aber on label als Antihypertensivum verordnet werden. Richtig abgeraten wird (nicht nur in der PRISCUS-Liste) eigentlich nur von dem ansonsten von mir sehr geschätzten Amitriptylin (auf Grund seines Nebenwirkungsprofils), das stattdessen empfohlene Topiramat halte ich nach meiner Erfahrung für das am häufigsten schon nach kurzer Zeit wegen nicht tolerabler Nebenwirkungen abgesetzte Medikament zur Migräneprophylaxe.

Die nicht-medikamentöse Migräneprophylaxe, die ja den deutlich wichtigeren Part darstellt, kann so oder so auch im Alter durchgeführt werden. Gegen die regelmäßige Anwendung von Muskelentspannungsverfahren spricht sowieso gar nichts, 2-3 x wöchentlicher Ausdauersport länger als 30 Minuten muss ggfs. etwas an die jeweilige Realität angepasst werden.

Wo man weiterlesen kann

S1-Leitlinie Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne: https://www.dgn.org/leitlinien/3583-ll-030-057-2018-therapie-der-migraeneattacke-und-prophylaxe-der-migraene

  1. Wammes-van der Heijden, E. A., Rahimtoola, H., Leufkens, H. G. M., Tijssen, C. C. & Egberts, A. C. G. Risk of ischemic complications related to the intensity of triptan and ergotamine use. Neurology 67, 1128–1134 (2006).
  2. Haan, J., Hollander, J. & Ferrari, M. Migraine in The Elderly: A Review. Cephalalgia 27, 97–106 (2007).
  3. Mathew, S. & Ailani, J. Traditional and Novel Migraine Therapy in the Aging Population. Curr. Pain Headache Rep. 23, 42 (2019)
  4. Wijeratne, T., Tang, H. M., Crewther, D. & Crewther, S. Prevalence of Migraine in the Elderly: A Narrated Review. Neuroepidemiology 52, 104–110 (2019).

Parkinson für Dummies 02: Parkinson-Behandlung bei älteren Patienten

Medikamentöse Behandlung von älteren Patienten mit idiopathischen Parkinson-Syndromen: L-Dopa

Folgt man noch einmal dem Therapieschema aus Teil 1, dann besteht die Behandlung älterer Patienten mit (idiopathischen) Parkinson-Syndromen vor allem aus einer Monotherapie mit L-Dopa.

Für den klassischen Krankenhausneurologen wird dies der Regelfall sein, da Ersteinstellungen (und auch Therapieanpassungen) bei unter 70-jährigen in der Regel eine Domäne der ambulanten Neurologie sind. Im Krankenhaus sehen wir hingegen eher ältere, multimorbide und sehr häufig begleitend demenzkranke Patienten.

Wie fange ich an?

Naja könnte man sagen, irgendwie so wie immer: Kleine Dosis L-Dopa erst einmal, dann zweimal, dann dreimal täglich und fertig. Ist auch fast so, aber nicht ganz. Zunächst muss man bedenken, dass L-Dopa (auch wenn in den Präparaten ein Decarboxylasehemmer enthalten ist, der die Umwandlung in Dopamin in der Peripherie weitestgehend verhindert), im enterischen Nervensystem und der Area postrema wirkt und doch relativ stark zu Übelkeit und Erbrechen führt. Darum fängt man mit einem antiemetisch und prokinetisch wirkenden Medikament an, was nicht Metoclopramid ist, da dieses als zentraler Dopaminantagonist Parkinson-Syndrome verschlimmert, sondern mit Domperidon. Hier ist die Standarddosis 3 x 10 mg und 1-2 Tage vor Beginn einer L-Dopa-Behandlung sollte man anfangen, Domperidon zu verordnen.

Erst danach sollte man das L-Dopa eindosieren.

L-Dopa und L-Dopa

Hier ist nur wichtig zu wissen, dass es L-Dopa mit zwei verschiedenen Decarboxylasehemmern zu kaufen gibt, zum Einen mit Carbidopa, zum Anderen mit Benserazid. Die Präparate mit L-Dopa/Carbidopa sind immer mit der Dosis L-Dopa/Dosis Decarboxylasehemmer bezeichnet, also z.B. 100/25 mg oder 50/12,5 mg. Die Firma, die die Präparate mit Benserazid unter dem Namen Madopar vertreibt, rechnet beide Dosen zusammen. Deshalb sind in Madopar 125 mg ebenfalls 100 mg L-Dopa und 25 mg Benserazid enthalten. Theoretisch sind die beiden Präparate-Gruppen austauschbar und man könnte sie vermutlich wild abwechselnd geben, in der Praxis wird man dies vermeiden um nicht irgendwelche Unterschiede in Pharmakodynamik und -kinetik versehentlich mitzunehmen.

L-Dopa 3 x tgl.

Wie gesagt, es lohnt sich mit der niedrigsten Dosis, also der 50 mg-Dosis unter Domperidon-Gabe zu beginnen und die L-Dopa-Dosis nach einigen Tagen dann auf 3 x 100 mg zu steigern. Nach wenigen Tagen kann man dann auch das Domperidon wieder absetzen. Eine Sache gilt es zu beachten, L-Dopa muss eine halbe Stunde vor oder 1,5 Stunden nach den Mahlzeiten eingenommen werden, damit es wirken kann. Dementsprechend müssen die Einnahmezeitpunkte „um die Mahlzeiten herum“ geplant werden. Die drei mal tägliche L-Dopa-Gabe funktioniert meistens nur einen begrenzten Zeitraum lang. Dies hat folgenden Hintergrund: L-Dopa muss, damit es nicht zu Phasen von Über- und Unterdosierung kommt, bei der drei mal täglichen Gabe als Dopamin in der Substantia nigra zwischengespeichert und dann nach und nach wieder freigesetzt werden. Dies geht natürlich nur so lange es ausreichend Dopamin-speichernde Neuronen in der Substantia nigra gibt. Da man grob davon ausgehen kann, dass eine typische Parkinson-Klinik erst bei einem Zelluntergang von 50% aller dopaminergen Neuronen auftritt, kann man sich vorstellen, dass bei einer weiteren Neurodegeneration die Zahl der intakten Neuronen derart schnell abnimmt, dass die Zwischenspeicherfunktion nicht sehr lange ausreicht. Und das leitet über zu:

L-Dopa 4 x tgl.: Das L-Dopa-Uhrzeit-Raster

Mit einer 4 x tgl. Gabe alle 4 Stunden schafft man es in den allermeisten Fällen den Wach-Zeitraum am Tag abzudecken und trotzdem „nur“ 2 Halbwertszeiten in der L-Dopa-Verstoffwechselung zwischen den einzelnen Einnahmezeitpunkten zu haben und so einen relativ konstanten Wirkstoffspiegel gewährleisten zu können. Dies bedeutet aber auch, dass man schon ab einer 4 x tgl. Gabe eine Gabe nach Uhrzeiten einführt, um die Einnahme-Abstände zu gewährleisten. Und das führt zu dem „Standard-Uhrzeiten-Raster“ der L-Dopa-Gabe was sich sehr bewährt hat: 7, 11, 15, 19 Uhr. An diesem Raster, welches man je nach Lebenssituation der Patienten nach vorne und nach hinten schieben kann, kann man sich in der Behandlung von Parkinson-Syndromen meistens sehr lange entlang hangeln und zwar so:

Einfaches Therapieschema, L-Dopa Tagesdosis 400 mg
7.00 Uhr11.00 Uhr15.00 Uhr19.00 Uhr
L-Dopa/Carbidopa 100/25 mg
 oder
L-Dopa/Benserazid 100/25 mg
1111
Erweiterung des Therapieschemas, L-Dopa Tagesdosis 600 mg

Wenn dies nicht mehr reicht, dann meistens weil entweder der Start in den Tag oder der nächtliche Toilettengang Probleme bereiten. Den Start morgens kann man mit schnell wirksamen L-Dopa-Formulierungen erleichtern, die Nacht mit den sonst auf Grund ihrer unzuverlässigen kontinuierlichen Wirkstofffreisetzung wenig benutzten Retard-Tabletten.

06.30 Uhr7.00 Uhr11.00 Uhr15.00 Uhr19.00 Uhr22.00 Uhr
L-Dopa/Carbidopa 100/25 mg
 oder
L-Dopa/Benserazid 100/25 mg
1111
L-Dopa/Benserazid 100/25 mg LT1
L-Dopa/Benserazid 100/25 mg retard1
Eskalation des Schemas bei Wirkfluktuationen

Im weiteren Verlauf der Erkrankung kommt es typischerweise trotz der 4-Stunden-Abstände mit zunehmender Neurodegeneration zu Wirkfluktuationen mit End-of-Dose-Phänomenen und wearing-off. Dann kann ein COMT-Hemmer helfen, die Wirkdauer des L-Dopa trotzdem auf 4 Stunden zu strecken:

06.30 Uhr7.00 Uhr11.00 Uhr15.00 Uhr19.00 Uhr22.00 Uhr
L-Dopa/Carbidopa/Entacapon 100/25/200 mg1111
L-Dopa/Benserazid 100/25 mg LT1
L-Dopa/Benserazid 100/25 mg retard1
Fortgeschrittene Parkinson-Syndrome

In den allermeisten Fällen wird man irgendwann die Höhe einzelner Dosen ändern müssen, um auf einzelne unter- oder überbewegliche Phasen zu reagieren. Oft reicht die Morgendosis trotz LT-Tablette eigentlich nicht aus, so dass man so etwas versuchen kann:

06.30 Uhr7.00 Uhr11.00 Uhr15.00 Uhr19.00 Uhr22.00 Uhr
L-Dopa/Carbidopa/Entacapon 150/37,5/200 mg1
L-Dopa/Carbidopa/Entacapon 100/25/200 mg111
L-Dopa/Benserazid 100/25 mg LT1
L-Dopa/Benserazid 100/25 mg retard1

Häufig kommt es dafür dann nachmittags zu eher überbeweglichen Phasen (oder psychotischen Nebenwirkungen), so dass man dann hier die Dosis verringern kann und muss:

06.30 Uhr7.00 Uhr11.00 Uhr15.00 Uhr19.00 Uhr22.00 Uhr
L-Dopa/Carbidopa/Entacapon 150/37,5/200 mg1
L-Dopa/Carbidopa/Entacapon 100/25/200 mg1
L-Dopa/Carbidopa/Entacapon 50/12,5/200 mg11
L-Dopa/Benserazid 100/25 mg LT1
L-Dopa/Benserazid 100/25 mg retard1

Die Einnahmeabstände muss man in den allerwenigsten Fällen ändern, was sehr oft das ganze unheimlich kompliziert macht, da es dann kürzere und längere Zeiträume gibt, die es zu überbrücken gilt. Die meisten Probleme lassen sich mit einer Dosis- oder Wirkstoffanpassung gut kompensieren.

Was schief gehen kann, geht schief: Fallstricke

Die beiden typischsten Fallstricke sind sicherlich:

  • komplizierte, ausufernde Medikationen mit teilweise antagonistisch wirkenden Präparaten und
  • zu hektische Medikamentenumstellungen und
  • multimorbide Patienten, welche im Rahmen einer akuten Erkrankung oder eines Delirs ihre Medikamente nicht mehr schlucken können
Fallstrick: Gas und Bremse gleichzeitig

So etwas sieht man relativ häufig:

06.30 Uhr7.00 Uhr11.00 Uhr15.00 Uhr19.00 Uhr22.00 Uhr
L-Dopa/Carbidopa/Entacapon 100/25/200 mg1111
L-Dopa/Benserazid 100/25 mg LT1
L-Dopa/Benserazid 100/25 mg retard1
Pramipexol 0,35 mg111
Quetiapin 25 mg12
Rivastigmin 9,5 mg/24h-Pflaster1

Und hier gilt frei nach Kettcar: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Jetzt sind Parkinson-Medikationspläne meist historisch gewachsen und uns ist oft die Vorgeschichte nur in Teilen bekannt, aber gerade deshalb kann ein unverstellter Blick von außen manchmal recht hilfreich sein. Da aber auch Neurologen narzisstisch kränkbar sind, lohnt es sich ,vor dem Absetzen der meisten Präparate durchaus mit dem Verordner einmal zu telefonieren und sich abzusprechen. In dem aufgeführten (relativ typischen) Beispiel könnte man sich folgendes überlegen: Pramipexol führt wie alle Dopaminagonisten gerade bei älteren Patienten oft zu psychotischen Nebenwirkungen, insbesondere wenn eine Demenzerkrankung (Rivastigmin-Pflaster) vorliegt. Rivastigmin wiederum ist zwar zur Behandlung der Parkinson-Demenz zugelassen und indiziert, führt aber wiederum durch die cholinerge Wirkung oft zu einer motorischen Verschlechterung und wirkt zudem noch prodelirogen. Quetiapin und L-Dopa parallel zu geben ist in gewisser Weise widersinnig, auch wenn uns das Phänomen von psychiatrischen Nebenwirkungen bei dennoch unterbeweglichen Patienten sicherlich allen gut bekannt ist. Und an dieser Stelle hilft die gute alte geriatrische Medikamentenhygiene: Absetzen, was für die Patienten keinen nennenswerten Effekt (mehr) hat. Und so wäre es einen Versuch wert, dass Rivastigmin zu pausieren und das Pramipexol abzusetzen, vermutlich muss man dann gar nicht so viel an der L-Dopa-Dosis verändern und kann auch das Quetiapin nur noch bedarfsweise geben. Und im schlimmsten Fall setzt man einzelne Präparate halt wieder schrittweise an.

Fallstrick: Schnell-schnell

In unserem Beispiel von gerade kann man jetzt natürlich alle Medikamente auf einmal ab- oder auch wieder ansetzen oder das ganze schrittweise machen. Je älter und multimorbider Patienten sind, desto langsamer und schrittweiser sollten Medikamentenumstellungen erfolgen, da sich sonst die einzelnen Umstellungsschritte gar nicht mehr zuordnen lassen.

Der nächste Fehler ist, Medikamentenumstellung in (abklingende) Infekte oder Delirien hinein zu beginnen. Ähnlich wie bei anderen chronischen ZNS-Erkrankungen lässt sich eine infektbedingte Verschlechterung auch bei Parkinson-Erkrankungen beobachten, welche oft auch wieder reversibel ist.

Fallstrick: Patient kann die Medikamente nicht schlucken

Um es kurz zu sagen: Man kann alle Parkinson-Medikamente mörsern und über eine Magensonde geben bis auf Kapseln (die man aber 1:1 in Tabletten umsetzen kann) und Retard-Präparate. Und das ist in den meisten Fällen auch der einfachste Weg.

Alternativ kann man auch ein Rotigotin-Pflaster geben, was aber in den allermeisten Fällen die 1:1-Umsetzung der Hausmedikation nicht ersetzen kann, drittens Amantadin i.v., für welches das selbe gilt + dass Amantadin gerade bei älteren Patienten oft zu psychotischem Erleben führt.

Wo man weiterlesen kann

S3-Leitlinie Idiopathisches Parkinson-Syndrom: https://www.dgn.org/leitlinien/3219-030-010-idiopathisches-parkinson-syndrom

  1. Jost, W. H. Medikamentöse Therapie der motorischen Symptome beim Morbus Parkinson. Nervenarzt 88, 373–382 (2017).
  2. Deuschl, G. Frühtherapie bei Morbus Parkinson. Aktuelle Neurol. 38, 483–487 (2011).
  3. Baas, H. et al. Stellenwert von L-Dopa in der Therapie der Parkinson-Krankheit. Aktuelle Neurol. 40, 338–342 (2013).