Kompliziertes was eigentlich ganz einfach ist: Lagerungsschwindel

Die graue Theorie vorweg

Beim Lagerungsschwindel handelt es sich um die häufigste Schwindelform mit einer Lebenszeitprävalenz von 3-5%. Der Lagerungsschwindel tritt gehäuft bei älteren Menschen auf, kann aber schlussendlich jede Altersgruppe betreffen. Die meisten Lagerungsschwindelmanifestationen sind idiopathischer Genese, nur ca. 5% treten als symptomatischer Lagerungsschwindel z.B. nach Schädel-Hirn-Trauma oder nach längerer Immobilisation auf. In dem ganz überwiegenden Teil der Fälle ist der hintere Bogengang betroffen (was sich mit der Anatomie erklärt), doppelt so oft die rechte Seite (was vermutlich daran liegt, dass die meisten Menschen auf der rechten Körperseite schlafen), in ca. 10% der Fälle der horizontale Bogengang und ob es einen Lagerungsschwindel – den man übrigens oft auch mit BPPV entsprechend seinem englischen Namen abkürzt – des anterioren Bogenganges überhaupt gibt, ist umstritten.

Anatomie des Innenohres. Quelle: Link.

Wenig entscheidend und sehr theoretisch erscheint die Diskussion darum, ob es sich bei einem Lagerungsschwindel eigentlich um eine Canalolithiasis oder eine Cupolithiasis handelt. Die Antwort ist zusammengefasst: Beim Lagerungsschwindel des hinteren Bogenganges ist in der Regel eine Canalolithiasis ursächlich; kleine ausgefallene Kristalle, die den schönen Namen Otokonien haben, rutschen bei Lageränderungen im Bogengang hin und her und führen so indirekt über eine Sogwirkung zu einer vermerhten Auslenkung der kleinen Härchen im Bogengang und somit zu einer überschießenden Antwort des Vestibularsystems. Dies hat eine Latenz von 1 bis 5 Sekunden. Die Steinchen fallen entsprechend der Schwerkraft zum dann tiefsten Punkt des Bogenganges und setzen sich dort ab. Dies dauert bis zu 10 Sekunden. Durch die Krümmung des Bogenganges kommt es erst zu einer Beschleunigung, dann zu einem Abbremsen des Fallprozesses, was genau dem typischen Crescendo-Decrescendo-Charakter des Lagerungsschwindel entspricht. Die Otokonien hängen zunächst meist als Konglomerat zusammen, bröseln aber im Verlauf auseinander. Die einzelnen kleinen Partikel haben jedoch zu wenig Masse, um die Cupula auszulenken, so dass es beim BPPV zu einer Ermüdbarkeit der Schwindelattacken bei wiederholten Lagewechseln kommt. Die Cupolithiasis – also das verhaken der Kristalle in der Cupula – spielt allenfalls beim Lagerungsschwindel des horizontalen Bogenganges eine Rolle.

Was haben die Patienten und was sehe ich?

… zumindest beim BPPV des posterirren Bogenganges einen attackenartigen Drehschwindel bei Lageänderungen mit Crescendo-Decrescendo-Charakter und weitestgehender Beschwerdefreiheit in Ruhe (erstaunlich häufig wird allerdings ein leichter unsystematischer Dauerschwindel angegeben). Klinisch-neurologisch findet man in Ruhe einen unauffälligen Befund, im Rahmen der Lagerungsproben einen zum nach unten liegenden Ohr schlagenden Nystagmus, der sich ebenfalls an den Crescendo-Decrescendo-Charakter hält. Und in einem erheblichen Anteil der Fälle kommt es sekundär zu einem phobischen Schwindel.

Diese ganzen Lagerungsmanöver sind so kompliziert und ich kann mir die eh nicht merken …

… stimmt nicht. Ist ganz einfach, weil man für den hinteren Bogengang sowohl Diagnostik als auch Therapie mit dem Befreiungsmanöver nach Semont abdeckt und das Manöver für den horizontalen Bogengang fast noch einfacher ist. Doch dazu gleich mehr.

Diagnostik

Man lagert den Patienten entsprechend dem Semont-Manöver einmal nach rechts und einmal nach links (jeweils ohne „großen Wurf“, Video rechter Bogengang bis 0:55 min, Video linker Bogengang bis 0:50 min) und schaut unter der Frenzelbrille, ob ein Nystagmus auftritt, der auf der stärker betroffenen Seite auch nach unten schlägt. Und damit hat man die Diagnose und den betroffenen Bogengang schon rausgefunden.

Therapie

Super simpel, den meisten Patienten kann man sogar einfach nur das entsprechende Video empfehlen:

Semont-Manöver für den rechten hinteren Bogengang
Semont-Manöver für den linken hinteren Bogengang

Auch ohne Therapie ist der BPPV in 70% der Fälle regredient, mit Therapie in über 95% der Fälle. Die Patienten müssen nur die jeweilige Übung einige Tage am besten mehrfach täglich (und gerne auch mehrfach hintereinander, wird von mal zu mal eh besser) durchführen.

Sonderfall horizontaler Bogengang

Der BPPV des horizontalen Bogenganges ist seltener, aber eigentlich genauso einfach zu diagnostizieren und therapieren. Hier gibt es halt sowohl eine Canalolithiasis als auch eine Cupolithiasis, was zu verschiedenen Nystagmus-Richtungen führen kann, aber das ist am Ende alles egal: Es kommt bei maximaler Kopfwendung in flacher Rückenlage zu einem länger anhaltenden Drehschwindel, der oft kaum eine Latenz hat und oft auch ohne Crescendo-Decrescendo-Charakter auftritt. Der Nystagmus erscheint weniger ausgeprägt und schlägt horizontal zum oben liegenden Ohr (hat also je nach Kopflage eine Richtungsumkehr). Das betroffene Ohr ist schlicht das, bei dem bei Lagerung der intensivere Schwindel auftritt. Auch hier kann man es sich einfach machen und sich ein Befreiungs-Manöver merken, mit dem man sowohl Canalolithiasis als auch Cupolithiasis behandeln kann und was es ebenfalls in zwei Versionen gibt:

Befreiungsmanöver für den rechten horizontalen Bogengang
Befreiungsmanöver für den linken horizontalen Bogengang

Selbst die genaue Seitenlokalisation ist hier am Ende sogar egal, aus sitzender Position wird der Patient einfach auf die Seite gelegt, auf der der Nystagmus am geringsten ist. Im Zweifelsfall funktioniert das Manöver aber auch in beide Richtungen.

Wo man weiterlesen kann
  1. Strupp, M. & Brandt, T. Benigner peripherer paroxysmaler Lagerungsschwindel. Nervenheilkunde 28, 18–20 (2009).
  2. Schmäl, F. & Stoll, W. Diagnostik und Therapie des benignen paroxysmalen Lagerungsschwindels. Laryngo-Rhino-Otologie 81, 368–380 (2002).