Parkinson für Dummies 05: Schmerz und Parkinson

Nach langer Zeit geht es mit der Parkinson-Mini-Serie weiter. Dazu verwurste ich mal einen Artikel, den ich schon vor einiger Zeit mal als Paper konzipiert hatte, den aber bis auf so eine extrem abgespeckte Version im Hamburger Ärzteblatt (Link) niemand je so richtig haben wollte.

Epidemiologie von Schmerzen bei Parkinson

Schmerzen beim idiopathischen Parkinson-Syndrom werden zu den nicht-motorischen Symptomen gezählt, so wie die Obstipationsneigung, die Riech- und REM-Schlaf-Verhaltensstörung und die häufige orthostatische Dysregulation. Die nicht-motorischen Symptome standen lange Jahre sehr im Hintergrund und wurden erst in der letzten Zeit wieder zunehmend mehr beachtet. Und wie in allen Parkinson-Artikeln kann man auch in diesem Artikel an dieser Stelle dann was mit James Parkinson schreiben. Ich versuche das mal standesgemäß:

Dies ist in so fern erstaunlich, da die nicht motorischen Symptome schon in der Erstbeschreibung der Erkrankung durch James Parkinson 1817 einen gewichtigen Stellenwert eingenommen haben, selbst Schmerzen bei Parkinson als „schmerzhafte rheumatoide Beschwerden“ zumindest in einem Halbsatz erwähnt wurden.

Je nach Studie leiden dabei bis zu 85% aller Parkinson-Patienten an chronischen Schmerzen, im Gegenzug zu durchschnittlich 19% der Menschen in der europäischen Gesamtbevölkerung (was mir extrem viel vorkommt by the way). Für 25% der Parkinson-Erkrankten sind Schmerzen bei Parkinson eines der drei am relevantesten Beschwerden, für knapp 10% sogar die relevanteste Einschränkung, noch vor den motorischen Symptomen. Das Vorhandensein chronischer Schmerzen geht wiederum stark mit einer Einschränkung der Lebensqualität einher. Weibliches Geschlecht, eine komorbide depressive Störung, motorische Wirkfluktuationen und bestimmte genetische Konstellationen scheinen das Auftreten von Schmerzen bei Parkinson zu begünstigen.

Viele Parkinson-Erkrankte leiden an mehreren Schmerzqualitäten. Insgesamt werden die Häufigkeiten der einzelnen Schmerzen, welche in den verfügbaren Studien erheblich variieren (meist bei Möglichkeit von Mehrfachnennungen) in etwas wie folgt angegeben: Muskuloskelettale Schmerzen treten am häufigsten auf und werden in 41-70 % der Fälle berichtet, Schmerzen im Rahmen von motorischen Wirkfluktuationen in 17-40 %, radikuläre Schmerzen in 27-35% und Schmerzen, welche als zentrale Schmerzen klassifiziert werden (siehe unten), machen 10-20 % aus.

Pathophysiologie von Schmerzen bei Parkinson

Schmerzen bei Parkinson-Syndromen entstehen durch mehrere Mechanismen. Zum einen scheint es es durch Fehl- und Schonhaltungen häufiger als in der Normalbevölkerung muskuloskelettale und radikuläre Schmerzen zu geben, zum anderen verursacht die Parkinson-Erkrankung selbst offenbar häufig Schmerzen, was sich mit den in den letzten 10 Jahren gewonnenen Erkenntnissen über die pathophysiologischen Mechanismen neurodegenerativen Erkrankungen plausibel erklären lässt (also die Prion-artige Ausbreitung pathogener Eiweiße im ZNS). Wer hier noch wenig bewandert ist, kann dazu etwas im Blogeintrag zu Braak & Co nachlesen). Sehr früh, noch vor dem Beginn erster motorischer Kernsymptome lassen sich Lewy-Körperchen (also pathogenes alpha-Synuclein) im Riechhirn und im enterischen Nervensystem nachweisen, dann aszendierend über den Nervus vagus im Hirnstamm in den Kerngebieten des Nervus vagus und von dort sich über Hirnstamm, Mittel- und Zwischenhirn zum Großhirn ausbreitend. Zurück zum Schmerz: Das schmerzverarbeitenden afferenten Faserverbindungen werden in zwei Bahnsysteme unterteilt: Das mediale und das laterale System (das hatte ich hier auch schon mal erklärt). Das mediale System ist in die kognitive und affektive Schmerzverarbeitung, das Schmerzgedächtnis und in autonome Antworten auf Schmerzreize eingebunden. Im lateralen System werden insbesondere Informationen zum Schmerzort und zur Dauer des Schmerzreizes verarbeitet. Die absteigenden, schmerzhemmenden, Fasern als dritter Teil des schmerzverarbeitenden Systems verlaufen wiederum vom periaquäduktalen Grau, über den Locus caeruleus zum Rückenmark.

Bringt man diese Beobachtungen der Grundlagenforschung zusammen, wird deutlich, dass bei der Parkinson-Krankheit im Rahmen der sich ausbreitenden alpha-Synuklein-Pathologie schon sehr früh im Krankheitsverlauf schmerzverarbeitende Systeme von Neurodegeneration betroffen sind und sich hierüber – neben mechanischen Krankheitskonzepten insbesondere bei muskuloskelettalen Schmerzen – das häufige Auftreten von durch die Grunderkrankung bedingter Schmerzen erklären.

King’s Parkinson’s Disease Pain Scale

Zur Erfassung von Schmerzen bei Parkinson existierte lange Zeit kein validiertes Scoring-Instrument. In der Non-motor Symptoms Questionnaire und Scale als gängigster Score zur Erfassung nicht motorischer Symptome werden Schmerzen lediglich im Selbstauskunftsbogen in einer Frage thematisiert, ansonsten wird auf das Phänomen Schmerz bei Parkinson nicht weiter eingegangen.

Für den englischen Sprachraum wurde am King’s College in London eine semiquantitative Skala entwickelt, die seit kurzem auch in einer konsentierten Übersetzung vorliegt. In sieben Domänen werden 14 Items zu den Themen muskuloskelettale Schmerzen, chronische Schmerzen, Schmerzen im Rahmen von Wirkfluktuationen, nächtliche Schmerzen, orofaziale und abdominelle Schmerzen, Schmerzen durch Ödeme und radikuläre Schmerzen. Für alle 14 Items können der Schweregrad in den Stufen 0-3 (keine Beschwerden, leicht Beschwerden, mäßige Beschwerden, schwere Beschwerden) und die Häufigkeit in den Stufen 0-4 (nie Schmerzen, seltener als 1 x wöchentlich, 1 x wöchentlich, mehrere Male wöchentlich, täglich) angegeben werden. Beide Punktwerte werden miteinander multipliziert. Am Ende wird aus allen 14 Punktwerten die Gesamtsumme gebildet.

Schmerzarten bei Parkinson und ihre Therapie

Muskuloskelettale Rückenschmerzen

Muskuloskelettale Schmerzen machen – wie erwähnt – den größten Teil der Schmerzen bei Parkinson-Erkrankungen aus, am häufigsten ist der untere Rücken betroffen, aber auch die Schulter-Nacken-Region, Hüfte und Knie werden häufig als Schmerzorte angegeben. Typisch für muskuloskelettale Schmerzen bei Parkinson sind eine Zunahme der Beschwerden in Off-Phasen und ein relativ gutes Ansprechen auf eine dopaminerge Medikation. Neben dieser offenbar kausalen Verbindung zwischen muskuloskelettalen Schmerzen und der Parkinson-Erkrankung, entstehen derartige Beschwerden bei Parkinson-Patienten auch sekundär über ganz gewöhnliche Mechanismen – wie weiter oben schon erwähnt – welche sich auch bei nicht an Parkinson erkrankten Rückenschmerz-Patienten beobachten lassen: Zum Beispiel durch Fehl- und Schonhaltungen, Immobilität und Gangstörungen, welche zu einer Fehlbelastung der Rücken- und Extremitätenmuskulatur führen.

Ein weiteres häufiges Symptom sind Schulterschmerzen, insbesondere das Syndrom der frozen shoulder. Auch hier wird oft eine Beschwerdezunahme im Off und eine Besserung unter dopaminergen Substanzen berichtet. Bei 2-8% aller Parkinson-Patienten sind Schulterschmerzen sogar das erste Symptom der Erkrankung.

Muskuloskelettale Schmerzen bei Parkinson-Syndromen werden prinzipiell genauso wie bei nicht an Parkinson Erkrankten behandelt: Medikamentös mit NSAR, Metamizol, Opioiden (wo indiziert), bei chronischen Schmerzen mit Koanalgesie durch SSNRI oder Trizyklika (diese werden trotz anticholinerger Wirkung in der Regel gut vertragen) und insbesondere mit nicht-medikamentösen Therapiemaßnahmen, wie detonierenden Übungen, Muskelentspannungstechniken, manueller Therapie, Wärmeapplikation und – wenn zur Symptomkontrolle als hilfreich empfunden – auch mittels transkutaner elektrischen Nervenstimulation (TENS). Therapeutisch sollte zudem immer ein Ansprechen der Schmerzen auf eine dopaminerge Medikation überprüft werden.

Kamptokormie

Die Kamptokormie, also die ausgeprägte nach vorn übergebeugte Fehlhaltung des Rumpfes, tritt zwar am häufigsten bei Parkinson-Syndromen auf, ist für diese jedoch nicht spezifisch und kann auch bei anderen – in erster Linie neurodegenerativen – Erkrankungen beobachtet werden, wie bei Muskeldystrophien und Myositiden. Eine Kamptokormie bei Parkinson tritt in der Regel 4-14 Jahre nach den ersten motorischen Symptomen auf und spricht meis schlecht auf eine dopaminerge Medikation an. Andererseits wurde beobachtet, dass sich bei der tiefen Hirnstimulation, insbesondere des Globus pallidus internus Kamptokormien rasch und deutlich bessern können, so dass als Ursache des Phänomens Kamptokormie bei Parkinson mittlerweile a.e. eine nichtdopaminergen neuronalen Funktionsstörung in den Basalganglien angenommen wird.

Die Therapie der Kamptokormie, welche häufig auf Grund der ausgeprägten Fehlhaltung mit muskuloskelettalen Rückenschmerzen aber auch Radikulopathien assoziiert ist, ist medikamentös – wie erwähnt – schwierig. Neben dem schlechten Ansprechen auf L-Dopa, waren auch Therapiestudien mit der lokalen Injektion von Botulinumtoxin unter der Vorstellung einer fokalen Dystonie, als auch mit Steroiden unter der Auffassung einer Myopathie oder Myositis negativ. Für nicht-medikamentöse Therapieverfahren existieren einzelne, teils widersprüchliche, Fallberichte.

Viszerale, nozizeptive Schmerzen

Bei einem Großteil aller Parkinson-Patienten besteht eine gestörte Darmmotilität, was sich über die frühe Neurodegeneration des enterischen Nervensystems durch pathologische alpha-Synuklein-Ablagerungen erklärt. Das häufigste, in diesem Zusammenhang geäußerte Symptom ist eine Obstipationsneigung. Aber auch viszerale, eher dumpf-drückende Schmerzen werden bei Parkinsonerkrankten beschrieben. Diese Schmerzen können im gesamten Gastrointestinaltrakt von oral bis zum Analsphinkter beobachtet werden und treten oft wellen- und kolikartig im Rahmen der Peristaltik auf. Neben dem Einsatz von Prokinetika, einer vermehrten flüssigkeits- und ballaststoffreichen Ernährung und der Gabe von Laxanzien wie Macrogol, wird zudem die Durchführung einer Ernährungsberatung empfohlen. Die Gabe von Anticholinergika ist hingegen oft kontraproduktiv und führt eher zu einer Beschwerdezunahme.

Dystonie-bedingte Schmerzen

Unter dem Begriff Dystonie-bedingte Schmerzen – im englischen Sprachraum treffender als pain linked to motor symptoms bezeichnet – fasst man die typischen, häufig schmerzhaften, Wirkfluktuationen fortgeschrittener Parkinson-Syndrome zusammen, also beginning-of-dose-, end-of-dose- bzw. wearing-off-Phänomene, aber auch die teils schmerzhaften Überdosierungen oder Schmerzen in der Anflutungsphase des L-Dopa nach Medikamenteneinnahme. Das Erkennen und die Behandlung dieser Symptome ist in der Behandlung von Parkinson-Syndromen in der Regel gut etabliert, so dass Dystonie-bedingte Schmerzen relativ zuverlässig detektiert, durch Anpassung der dopaminergen Medikation behandelt werden und somit als weniger unterdiagnostiziert und -therapiert gelten, als die übrigen hier geschilderten Symptomkomplexe. Schmerzhafte Dystonien treten insbesondere bei jung erkrankten Parkinson-Patienten und bei bestimmten genetisch determinierten Parkinson-Formen, wie bei Parkin- oder PINK1-Mutationen auf.

Am häufigsten lassen sich frühmorgendlich auftretende schmerzhafte Dystonien beobachten, entweder vor der ersten morgendlichen Einnahme des L-Dopa oder während des langsamen Anfluten des ersten eingenommenen L-Dopa, welche typischerweise die unteren Extremitäten betreffen und mit muskelkrampfartiger Plantarflexion, Fußinversion und einer Streckung der Knie einhergehen.

Neuropathische Schmerzen

Bei den neuropathischen Schmerzen kann zwischen radikulären und zentralen Schmerzen unterschieden werden.

Radikuläre Schmerzen

Während – je nach epidemiologischer Studie – in der Allgemeinbevölkerung eine Prävalenz von Radikulopathien von ca. 10% beschrieben wird, leiden 14-35% der Parkinson-Erkrankten an radikulären Schmerzen. Dies wird in erster Linie mit der vermehrten mechanischen Schädigung der Wirbelsäule durch chronische Fehlhaltungen, wie durch die Kamptokormie und Dystonien erklärt.

Therapeutisch werden in der Regel – wie bei nicht an Parkinson Erkrankten – Koanalgetika aus der Gruppe der Antikonvulsiva eingesetzt, insbesondere Gabapentin und Pregabalin. Für Gabapentin, welches auch bei Parkinson überwiegend gut vertragen wird, existiert eine deutlich bessere Studienlage zum Einsatz bei neuropathischen Schmerzen im Rahmen einer Parkinson-Erkrankung als für Pregabalin. Auch die koanalgetische Aktivierung der absteigenden Schmerzhemmung mittels Gabe von Trizyklika und SSNRI unterscheidet sich nicht von der Behandlung von radikulären Syndromen ohne begleitende Parkinson-Erkrankung.

Zentrale Schmerzen

Ungefähr 10% der Schmerzen bei Parkinson-Syndromen machen zentrale Schmerzen aus. Diese werden oft an für Dyskinesien/Dystonien oder muskuloskelettale Schmerzen ungewöhnlichen Lokalisationen (Gesicht, Nase-/Rachen-Raum, Mund, Abdomen, Genitale) beschrieben, erscheinen teils bizarr, für Außenstehende wenig nachvollziehbar, werden meist als brennend und/oder verkrampfend beschrieben und zeigen oft eine Seitenbetonung, kongruent zu der von der Parkinson-Erkrankung schwerer betroffenen Körperseite. Vermehrt treten zentrale Schmerzen in Off-Phasen auf. Erklärt werden diese Schmerzen durch pathologische Alpha-Synuclein-Ablagerungen im Tractus spinoreticularis und Tractus spinothalamicus, die dort zur Neurodegeneration führen. Zentrale Schmerzen werden oft als derart beeinträchtigend empfunden, dass sie die übrige Parkinson-Symptomatik deutlich in den Hintergrund rücken lassen. Oft führt dies zu einer umfangreichen Abklärung des Schmerzes, ohne dass sich ein wegweisendes pathologisches Korrelat ergibt. Häufig besteht ein gutes Ansprechen der Schmerzen auf eine dopaminerge Medikation. Bei Therapieversagen können klassische Analgetika incl. Opioide, aber auch Trizyklika und atypische Neuroleptika versucht werden. Positive Fallberichte bestehen bei ansonsten therapierefraktären Schmerzen auch für eine tiefe Hirnstimulation des Ncl. subthalamicus beidseits.

Eine konsensuelle Definition und Abgrenzung zentraler Schmerzen von anderen Schmerzqualitäten bei der Parkinson-Erkrankung existiert nicht, üblicherweise werden Schmerzen, die nicht in eine der anderen genannten Kategorien fallen und für welche es keine plausiblere Erklärung als die Parkinson-Erkrankung selbst, als zentrale Schmerzen eingeordnet.

Schmerz und Parkinson: Wo und wie behandeln?

Ich glaube, das A&O ist das dran denken und das nachfragen, wenn Patienten von alleine nicht von Schmerzen berichten. Zudem muss man im Hinterkopf haben, dass es sich bei Schmerzen beim Parkinson-Syndrom oft um Mischbilder verschiedener Schmerzqualitäten handelt, welche zudem chronifiziert sind und im Rahmen einer progredienten, neurodegenerativen Erkrankung auftreten. Das kann dazu führen, dass die klassische unimodale Schmerztherapie rasch an ihre Grenzen gerät und eine Behandlung im Setting einer multimodalen Schmerztherapie mit einem interdisziplinären Behandlungsteam vorteilhafter sein kann.

Wo man weiterlesen kann:

Beiske AG, Loge JH, Rønningen A, Svensson E. Pain in Parkinson’s disease: Prevalence and characteristics. Pain. 2009;141:173–177.

Ford B. Pain in Parkinson’s disease. Mov Disord. 2010;25 Suppl 1:S98–S103.

Truini A, Frontoni M, Cruccu G. Parkinson’s disease related pain: a review of recent findings. J Neurol. 2013;260:330–334.

Valkovic P, Minar M, Singliarova H, et al. Pain in Parkinson’s Disease: A Cross-Sectional Study of Its Prevalence, Types, and Relationship to Depression and Quality of Life. PLoS ONE. 2015;10:e0136541.

Parkinson für Dummies 03: Braak & Co. Wie geht eigentlich Parkinson?

Eigentlich das erste Thema der Serie. Aber irgendwie auch nicht. Nach der Erstbeschreibung der shaking palsy durch James Parkinson 1817, welcher durchaus auch nicht-motorische Symptome der Parkinson-Erkrankung beschrieb, standen spätestens nach der Verfügbarkeit von L-Dopa v.a. die motorischen Symptome und ihre Behandlung im Vordergrund.

95 Jahre später, 1912, wurden durch Friedrich Jacob Heinrich Lewy die später nach ihm benannten Einschlusskörperchen in Neuronen von Parkinson-Patienten entdeckt, von denen man heute weiß, dass diese Einschlusskörperchen aus großen Mengen fehlgefaltetem alpha-Synuclein bestehen. Alpha-Synuclein ist ein kleines, ubiquitär in Nervenzellen vorkommendes Protein, welches normalerweise Stützaufgaben beim Vesikeltransport zu haben scheint.

In den frühen bis mittleren 2000er Jahren finden dann zwei bahnbrechende Entdeckungen statt: In einer Arbeit von Li et al. (Li, J.-Y. et al. Lewy bodies in grafted neurons in subjects with Parkinson’s disease suggest host-to-graft disease propagation. Nat. Med. 14, 501–503 (2008)) wurde in Hinbiopsien verstorbener Patienten, welche zuvor eine Stammzell-Transplantation bei einer Parkinson-Erkrankung erhalten hatten, Lewy Körperchen in den Transplantaten nachgewiesen. Dies kollidierte mit den damals vorherrschenden Erklärungsmodellen der Parkinson-Erkrankung (einer genetisch determinierten Erkrankung, bzw. einem verfrühten Alterungsprozess), da die Zellen ja von einem genetisch unterschiedlichen Individuum stammten und im Gegensatz zum restlichen Gehirn erst 11-16 Jahre alt waren. Parallel publizierte der Ulmer Neuropathologe Heiko Braak zusammen mit seiner Arbeitsgruppe Fallserien von Autopsien von Parkinson-Patienten, in welchen er eine Ausbreitung der Lewy-Körperchen vom Hirnstamm, über die Pons, die Stammganglien bis in die Kortexareale nachweisen und diese mit den jeweiligen klinischen Befunden vor Versterben in Einklang bringen konnte.

Braak-StadiumBetroffene neuroanatomische Strukturen
IBulbus olfactorius und dorsaler Vaguskern
IIUntere Raphe-Kerne sowie der Coeruleus/Subcoeruleus-Komplex 
IIIMittelhirn mit der Substantia nigra
IVbasales Vorderhirn 
V-VIkortikale Strukturen
Braak-Stadien
Bildquelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/Gray%27s_Anatomy_plates, eigene Anmerkungen

Später konnte er diese Stadien noch um den N. vagus, das enterische Nervensystem und das Riechhirn erweitern, in welchen noch früher alpha-Synuclein-Ablagerungen nachweisbar waren.

Aszensionshypothese beim idiopathischen Parkinson-Syndrom

Damit war die Aszensionshypothese zumindest beim idiopathischen Parkinson-Syndrom geboren. Es stellte sich dann nur die Frage, wie kommen die Lewy-Körperchen von Zelle zu Zelle. Und damit kommen die frühen 1990er Jahre und die BSE-Krise ins Spiel. Damals wurde das Konzept der Prion-Erkrankungen hoffähig, also die Annahme, dass ein reguläres intrazelluläres Protein durch eine Konformationsänderung zu einem pathogenen Agens werden kann, dann andere „normale“ Proteine ebenfalls zu einer Konformationsänderung bringt und sich zudem von Zelle zu Zelle ausbreitet. Bei den klassischen Prion-Erkrankungen kommt zur Dramatiksteigerung noch hinzu, dass das Prion-Protein in der pathologischen Form auch noch extrem hitzebeständig und auch ansonsten nahezu unzerstörbar ist.

Ähnlich wie das Prion-Protein scheint das fehlgefaltete alpha-Synuclein über verschiedene relativ unspektakuläre Exozytose- und Endozytose-Mechanismen (Golgi Apparat, endoplasmatisches Retikulum) von Zelle zu Zelle zu gelangen. Das Fehlen spezifischer Transportmechanismen macht wiederum eine zielgerichtete, z.B. Antikörper-Therapie gegen den Krankheitsprogress ungemein schwierig.

Der Clou an der Sache ist aber eigentlich, dass nach und nach klar wurde, dass eigentlich alle neurodegenerativen Erkrankung auf diese Weise (pathologische Protein-Ablagerungen, Prion-artige Ausbreitung) zu funktionieren scheinen, nur dass sich die jeweiligen Proteine und Ausbreitungswege unterscheiden. Aber das ist ein eigenen Blogeintrag wert.

Ist Parkinson dann nicht eigentlich ansteckend? Und warum bekommen nicht alle Parkinson?

Von den Prion-Erkrankung kommend, müsste man eigentlich annehmen, dass Parkinson dann auch ansteckend sein könnte. V.a. wenn die Erkrankung im enterischen Nervensystem und im Riechhirn zu beginnen scheint, also in Strukturen, wo Nervenzellen relativ direkten Kontakt zur Außenwelt haben. Epidemiologische Daten und auch Tiermodelle scheinen dies aber nicht zu bestätigen. Vielmehr scheint es so zu sein, dass eine genetische Prädisposition vorhanden sein muss, damit fehlgefaltetes alpha-Synuclein sich von Zelle zu Zelle ausbreiten kann, was relativ überzeugend mit transgenen Mäusen gezeigt werden konnte. Und so scheint es am Ende zu sein, wie bei vielen anderen Erkrankungen: Es muss eine genetische Prädisposition vorhanden sein, damit verschiedene Umweltfaktoren dann eine Parkinson-Erkrankung auslösen können. Diese sind bislang nur in Ansätzen offenbar: So scheinen fehlender Kaffee-, Nikotin- und Alkoholkonsum das Auftreten einer Parkinson-Erkrankung zu begünstigen, ebenfalls Kopftraumata in der Vorgeschichte. Eine Obstipationsneigung, depressive Symptome, fehlender Bluthochdruck und Betablocker-Einnahme scheinen eher Frühsymptomen der Parkinson-Erkrankung, bzw. ihrer Behandlung zu entsprechen. Das Quartett Leben auf dem Land, Trinken von Brunnenwasser, Pestizid-Exposition und Tätigkeit in der Landwirtschaft stammt aus großen amerikanischen Registern und gehört vermutlich zusammen, wobei der Kern dann wohl a.e. die Pestizid-Exposition sein dürfte. Interessanterweise sind sogar die sonst immer angeschuldigten drei Faktoren Handystrahlung, Impfen und Aluminum-Exposition untersucht und als nicht das Risiko einer Parkinson-Syndroms erhöhend eingeschätzt worden.

Wo man weiterlesen kann
  1. Braak, H. et al. Staging of brain pathology related to sporadic Parkinson’s disease. Neurobiol. Aging 24, 197–211 (2003).
  2. Braak, H., Sastre, M., Bohl, J. R. E., de Vos, R. A. I. & Del Tredici, K. Parkinson’s disease: lesions in dorsal horn layer I, involvement of parasympathetic and sympathetic pre- and postganglionic neurons. Acta Neuropathol. 113, 421–429 (2007).
  3. Pan-Montojo, F. & Reichmann, H. Ursache der Parkinson-Krankheit: Braak revisited. Aktuelle Neurol. 41, 573–578 (2015).
  4. Klingelhoefer, L. & Reichmann, H. Aszensionshypothese beim idiopathischen Parkinson-Syndrom. Aktuelle Neurol. 44, 170–179 (2017).