In den letzten Wochen sind – in meiner Wahrnehmung – eine ganze Reihe gut gemachter Studien und Review-Paper zum Thema COVID-19 veröffentlicht worden, die verschiedene – in den letzten 2,5 Jahren diskutierte – Punkte endlich besser einzuordnen helfen. Ich werde mal in den nächsten Tagen einige davon hier vorstellen.
Warum der Slogan „Impfen schützt“ richtig ist
Aus aktuellem Anlass fangen wir mal mit einer „Impfen-schützt“-Studie an
Mittlerweile dürfte auch im Mainstream angekommen sein, dass auch Geimpfte die Intensivstationen stürmen, und dass Impfschäden mehr als genug bekannt sind. Dazu, dass Impf-Geschädigte von Impfärzten im Stich gelassen werden. Soviel zu dieser wunderbaren Solidarität!
Vorab: Wen in erster Linie Impfnebenwirkungen interessieren (ja, die gibt es auch), kann gerne hier (Link) oder hier (Link) weiterlesen, dort gibt es auch die Verlinkungen auf die PEI-Sicherheitsberichte. Ich gehe hier auf die Wirkung der COVID-Impfung hinsichtlich COVID-Erkrankungsfolgen ein, die in dieser Beobachtungsstudie noch mal eindrucksvoll gezeigt wurde:
Zisis SN, Durieux JC, Mouchati C, Perez JA, McComsey GA. The protective effect of covid-19 vaccination on post-acute sequelae of covid-19 (pasc): a multicenter study from a large national health research network. Open Forum Infectious Diseases. Published online May 7, 2022:ofac228. doi:10.1093/ofid/ofac228
In der Studie wurden Gesundheitsdaten aus dem TriNetX-Gesundheitsforschungs-Netzwerk (Link) verwendet. Eingeschlossen wurden gut 1,5 Millionen volljährige COVID-Erkrankte im Zeitraum vom September 2020 bis Dezember 2021 (dieser Zeitraum umfasst also COVID-Infektionen mit dem Wuhan-Typ, und vor allem der alpha- und delta-Variante) aus Ohio in den USA. Vergleichen wurden die Verläufe von einer Kohorte von gut 25.000 vollständig geimpften (in der Studie war das in der Regel eine zweimalige mRNA-Impfung, siehe supplementary data, Link) mit einer im Hinblick auf Alter, Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit und Vorerkrankungen (Bluthochdruck, Arteriosklerose, BMI, Diabetes mellitus, Asthma, COPD, chronische Niereninsuffizienz, Organtransplantationen, Tumorerkrankungen, HIV-Infektionen) bei Studieneinschluss gematchten Kontrollgruppe ohne COVID-Impfung.
“Gematcht“? Gematcht bedeutet, dass die Probanden der Kohorte mit Impfung und die ohne Impfung bei Studieneinschluss hinsichtlich der genannten Parameter so ausgewählt wurden, dass keine Unterschiede zwischen den beiden Gruppen bestanden. So ist es wahrscheinlicher, dass bei sonst gleich bleibenden äußeren Einflussfaktoren die erfassten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen tatsächlich mit dem Impfstatus zusammenhängen.
Fokus der Studie war nicht die primäre Krankheitsschwere der COVID-Erkrankung (die Studien, die hier eine sehr gute Wirkung der Impfung auf die Krankheitsschwere zeigen kennen wir alle), sondern Folgen einer COVID-Erkrankung. Die Gesundheitsdaten der beiden Gruppen wurden über einen Verlauf von drei Monaten verglichen und zwar jeweils an Tag 28 nach Infektion und Tag 90.
Erkrankungsfolgen
Mortalität
An Tag 28 betrug die Mortalität in der geimpften Gruppe 6,78/1.000 Erkrankte, in der ungeimpften Kohorte 20,69/1.000 Erkrankte, die Impfung drittelte also das Mortalitätsrisiko. An Tag 90 lag die Mortalität in der geimpften Gruppe bei 2,38/1.000, in der ungeimpften Gruppe bei 11,62/1.000 Erkrankungen und damit knapp 5 mal höher.
Bluthochdruck
Eine Bluthochdruck-Diagnose bestand bei 13,52/1.000 der Geimpften und 29,9/1.000 der Ungeimpften nach 28 Tagen und bei 6,42/1.000 der Geimpften und 19,59/1.000 der Ungeimpften nach 90 Tagen, war also 2 bis 3 mal höher bei der ungeimpften Kohorte.
Diabetes mellitus
Ein ähnliches Bild zeigte sich beim Thema Diabetes. Hier lagen die Erkrankungsraten an Tag 28 bei 5,98 vs. 13,88/1.000 und an Tag 90 bei 2,69 vs. 9,69/1.000 Infizierte. Auch hier war die Diabetes-Diagnose bei geimpften Probanden 2 bis 5 mal seltener.
Koronare Herzkrankheit
Eine KHK bestand an Tag 28 bei 15,41/1.000 der Geimpften und 31,17/1.000 der ungeimpften Probanden, an Tag 90 bei 7,19/1.000 der Geimpften und 20,26 der Ungeimpften, was einen Unterschied um den Faktor 2-3 ausmacht.
Beinvenenthrombosen
Beinvenenthrombosen traten bei Geimpften an Tag 28 nach Infektion bei 6,36/1.000 auf und bei Ungeimpften bei 15,14/1.000, an Tag 90 lag das Verhältnis bei 2,89/1.000 zu 10,67/1.000, was ebenfalls ein 2-3 mal höheres Erkrankungsrisiko in der ungeimpften Kohorte bedeutet.
Psychiatrische Diagnosen
Bei 14,77/1.000 der geimpften Erkrankten und bei 36,23/1.000 der ungeimpften Probanden wurde an Tag 28 eine psychiatrische Diagnose erhoben, an Tag 90 bei 6,45/1.000 der Geimpften und 25,53/1.000 der Ungeimpften. Das macht einen gut 2-fachen Unterschied nach 28 und einen fast 4-fachen Unterschied nach 90 Tagen aus.
Weitere Diagnosen
Das selbe Phänomen der deutlich häufigeren Diagnosen in der ungeimpften Kohorte bestand für Schilddrüsenerkrankungen, Tumorerkrankungen und für die Diagnose einer Rheumatoiden Arthritis.
Neue Symptome nach COVID-Infektion
Bei den „neuen“ Symptomen nach COVID-Infektion orientierten sich die Autoren an den häufigsten als Post COVID-Symptome angegebenen Beschwerden. Atemwegsbeschwerden, insbesondere Husten bestanden bei 89,71/1.000 der Geimpften an Tag 28 und bei 127,61/1.000 der Ungeimpften; an Tag 90 bei 49,59/1.000 der Geimpften und 92,92/1.000 der Ungeimpften. Bei Kopfschmerzen betrugen die Inzidenzen/1.000 Erkrankungen an Tag 28 17,84/1.000 vs. 31,87/1.000 und an Tag 90 9,79/1.000 vs. 25,17/1.000. Körperschmerzen hatten 9,32/1.000 der Geimpften an Tag 28 und 19,03/1.000 der Ungeimpften, an Tag 90 4,92/1.000 der Geimpften und 14,31/1.000 der Ungeimpften. Fatigue – also die vorschnelle Ermüdbarkeit – bestand bei 45,14/1.000 der Geimpften nach 28 Tagen und bei 69,38/1.000 der Ungeimpften und bei 23,98/1.000 der Geimpften und 50,27/1.000 der Ungeimpften nach 90 Tagen. Durchfälle oder Verstopfung bei 33,97/1.000 der Geimpften und 56,45/1.000 der Ungeimpften an Tag 28 und an Tag 90 bei 19,03/1.000 der Geimpften und 42,93/1.000 der Ungeimpften.
Es gab kein einziges Symptom und keine Diagnose die in der geimpften Kohorte häufiger als in der ungeimpften Gruppe auftrat.
Limitationen
Als Limitationen der Studie benennen die Autoren die Tatsache, dass nur elektronisch gemeldete Diagnosen und Symptome zur Verfügung standen und keine „echten“ Studienvisiten stattfanden. Leichter betroffene Erkrankte ohne Arztkontakt (und damit Diagnoseerhebung) wurden so sehr wahrscheinlich deutlich untererfasst, erst recht Erkrankte mit einem asymptomatischen oder kaum symptomatischen Verlauf. Eine weitere Schwäche ist, dass das „Grundrauschen“, die Häufigkeit der Post COVID-Symptome in der Bevölkerung nicht sicher bekannt ist. Außerdem handelt es sich um eine retrospektive Beobachtungsstudie und um keine prospektive Arbeit.
Fazit
Studien die einen Impfeffekt gegenüber immunnaiven Personen untersuchen werden mit immer größerer Grundimmunität in der Bevölkerung (durch eine hohe Impfquote aber auch durch die vielen Reinfektionen) zunehmend schwieriger durchzuführen sein (wer ist denn auch überhaupt noch immunnaiv?). Dementsprechend werden aller Wahrscheinlichkeit nach auch weitere Studien eher retrospektive Erhebungen sein (müssen), so wie diese Arbeit.
Der Charme dieser Studie ist der Vergleich mit einer „Placebogruppe“, nämlich der Gruppe der ungeimpften Probanden. So lässt sich – auf dem Boden einer relativ großen und gut gematchten Datenbasis – ein valider Vergleich zwischen den beiden Gruppen herausarbeiten. Zusammenfassend senkt eine COVID-Impfung das Risiko verschiedener Folgeerkrankungen nach COVID-Infektion, aber auch das Risiko der typischen Long COVID-, bzw. Post COVID-Beschwerden um den Faktor 2-3. Umgekehrt ist es so, dass eine COVID-Erkrankung offenbar zu einer relevanten Erhöhung des Risikos von Folgeerkrankungen (wie Herz- und Nierenerkrankungen, aber auch Diabetes mellitus) führt. Dies kennen wir z.B. aus der prospektiven Hamburg City Health Studie (Petersen et al.), in der Probanden mit milden COVID-Verläufen eingeschlossen wurden. Was beide Studien auf Grund ihres Designs nicht beantworten können ist, ob es derartige Phänomene in diesem Ausmaß auch bei anderen Infektionskrankheiten gibt. Darum soll es – für einen Teilbereich – beim nächsten Mal gehen. Was man auch nicht ableiten kann ist, ob eine durchgemachte Infektion mit vorheriger Impfung zu einem jeweiligen Erkrankungsrisiko auf dem Niveau der „Hintergrund-Inzidenz“ führt, also das Mehr an Erkrankungsrisiko wieder wett macht oder ob nicht auch mit einer COVID-Impfung die Wahrscheinlichkeit einer KHK, einer Hypertonie usw. höher ist, als wenn man nie eine COVID-Infektion erlitten hätte.
Wo man weiterlesen kann:
Zisis SN, Durieux JC, Mouchati C, Perez JA, McComsey GA. The protective effect of covid-19 vaccination on post-acute sequelae of covid-19 (pasc): a multicenter study from a large national health research network. Open Forum Infectious Diseases. Published online May 7, 2022:ofac228. doi:10.1093/ofid/ofac228
Petersen EL, Goßling A, Adam G, Aepfelbacher M, Behrendt CA, Cavus E, Cheng B, Fischer N, Gallinat J, Kühn S, Gerloff C, Koch-Gromus U, Härter M, Hanning U, Huber TB, Kluge S, Knobloch JK, Kuta P, Schmidt-Lauber C, Lütgehetmann M, Magnussen C, Mayer C, Muellerleile K, Münch J, Nägele FL, Petersen M, Renné T, Riedl KA, Rimmele DL, Schäfer I, Schulz H, Tahir E, Waschki B, Wenzel JP, Zeller T, Ziegler A, Thomalla G, Twerenbold R, Blankenberg S. Multi-organ assessment in mainly non-hospitalized individuals after SARS-CoV-2 infection: The Hamburg City Health Study COVID programme. Eur Heart J. 2022 Mar 14;43(11):1124-1137. doi: 10.1093/eurheartj/ehab914.
Mir ist die Diskussion um die COVID-19-Impfung von Kindern- und Jugendlichen zwischen 5 und 11 Jahren – gerade bei Twitter – viel zu unsachlich, zu sehr von Vorurteilen und vorgefestigten Meinungen geprägt und in die eine und die andere Richtung zu alarmistisch. Ich habe mir daher überlegt, hier aufzuschreiben, weshalb wir zu der Entscheidung gekommen sind, unsere beiden Töchter im Januar gegen COVID-19 impfen zu lassen und das ganze möglichst systematisch „aufzubereiten“. Ich glaube, nur wenn man die Emotionalität aus dem Thema etwas herausnimmt, kann man darüber konstruktiv – und durchaus auch kritisch – diskutieren. Ich glaube, es bräuchte eine breite, aber nüchterne Aufklärungskampagne, die die Vor- und Nachteile einer COVID-Impfung für diese Altersgruppe (und auch für die anderen Altersgruppen, aber darauf geh ich jetzt nicht ein, sonst wird das zu lang) fair und gut verständlich herausarbeitet. Social Media allein scheint mir keine gute Quelle für eine Entscheidung zu sein, wenn man nicht von den dort präsentierten Informationen aus weiter liest und sich seine eigenen Gedanken macht.
Dringlichkeit besteht nicht immer
Frei nach Tocotronic handelt es sich bei der Entscheidung für oder gegen eine COVID-Impfung der eigenen Kinder wohl in den aller-allermeisten Fällen um keine zeitkritische Entscheidung. Man kann das in Ruhe vorbesprechen, abwägen und sich eine eigene Meinung bilden. Die Zahl der Kinder bei denen tatsächlich eine derartige Risikokonstellation vorgelegen hat, dass eine umgehende Impfung aus medizinischen Gründen zwingend notwendig war und ggfs. auch nicht der Zulassungsprozess für den altersabgestimmten Impfstoff abgewartet werden konnte, dürfte – auch wenn man bei COVID-Twitter einen anderen Eindruck bekommt – sehr gering gewesen sein.
Wir haben das zwischen unserem Herbsturlaub im Oktober und den Weihnachtstagen 2021 vermutlich eher zu lange immer wieder diskutiert. Das mag aber auch in wesentlichen Teilen an meinem Corona-Fimmel gelegen haben.
Gründe für eine Impfentscheidung
Ich habe mir überlegt, welche objektivierbaren Gründe es für oder gegen eine COVID-Impfung der eigenen Kinder geben könnte und bin zu folgenden Kategorien gekommen
Die persönliche / familiäre Risikosituation, also die Fragen, wie wahrscheinlich eine COVID-Infektion der Kinder sein dürfte, ob man COVID „aus dem Weg gehen kann“ oder auch nicht, und was das für die Familie (abseits der medizinischen Konsequenzen) bedeuten würde
Die „harten Fakten“, also das, worum es eigentlich geht. Was kann der Impfstoff? Wie wahrscheinlich verhindert er Komplikationen einer COVID-Infektion und kann er eine Infektion verhindern?
Die „Softskills“, Gründe für eine Impfung, die nicht unmittelbar am medizinisch-naturwisschenschaftlichen Part hängen, wie Quarantäne- oder Zugangsregelungen.
Und auf der negativen Seite mögliche Nebenwirkungen durch die Impfung.
Ich dekliniere das am Beispiel unserer Familie mal durch, versuche aber auch Quellen und Weiterlesetips anzugeben, so dass jede und jeder sich ein eigenes Bild machen kann.
Familiäre Situation
Wir haben zwei Töchter, die ältere ist 9,5 Jahre alt, die jüngere ist knapp 6. Die Große geht in die dritte Klasse einer Grundschule, die Kleine in eine Inklusions-Kita. Ich hatte hier ja schon einmal ausgeführt, dass sie eine Wahrnehmungs- und motorische und sprachliche Entwicklungsstörung hat.
Meine Frau arbeitet als pädagogische Leitung in einer Kita, ist auch viel im Gruppendienst, ich – wie ihr wisst – in einem Krankenhaus in der Neurologie. Da wir beide somit in der kritischen Infrastruktur arbeiten kommt Homeoffice für uns (mit Kinderbetreuung und -beschulung) nicht in Frage. Die Kinder waren somit in allen Notbetreuungen die über die Pandemie angeboten wurden (und würden diese im Falle erneuter Einrichtungsschließungen auch wieder besuchen), durchaus mit wechselnden Gruppen / Kohorten. Parallel haben wir ein relativ hohes Eintragungsrisiko über unsere Arbeit, was sowohl im Dezember 2020 ,als drei von uns vier positiv getestet wurden, als auch jetzt (diesmal nur beide Erwachsenen) auch genauso passiert ist.
Wir leben in einem Mehrfamilienhaus in einer 4-Zimmer-Wohnung, es gibt einen Gemeinschaftsgarten in dem auch die Nachbarskinder spielen. Wir haben (noch) kein eigenes Auto, erledigen anstehende Fahrten mit Fahrrad, Bus und Bahn und längere Strecken per Carsharing.
In der Summe heißt das, dass wir weder privat noch beruflich COVID „aus dem Weg gehen“ können, wiederholte COVID-Infektionen in unserer Familie (und das hat sich nun auch schon zwei Mai bewahrheitet) sind relativ realistisch.
Die harten Fakten
Hauptanliegen für uns war (und ist) der Schutz vor schweren COVID-Krankheitsverläufen, worunter wir in erster Linie – wie wohl die meisten – Hospitalisation, Tod durch COVID und bei Kindern PIMS (Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome), im englischen übrigens meistens als MIS-C (Inflammatory Multisystem Syndrome-Children) abgekürzt, verstehen. Der Schutz vor Ansteckung und damit symptomatischer (oder asymptomatischer) Infektion war für uns deutlich weniger wichtig, „nur für einen Schnupfen“ hätten wir unsere Kinder vermutlich nicht impfen lassen.
Schwere COVID-Verläufe bei Kindern
Was weiß man dazu? Für die Situation in Deutschland gibt es zum Thema PIMS und COVID-Hospitalisationen das PIMS-Survey der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI). Dieses arbeitet die Hospitalisationen, aber auch die PIMS-Fälle sehr anschaulich auf. Die Rate der Hospitalisationen folgt im Groben den Inzidenzzahlen, wobei die Dauer der stationären Behandlungen in der Regel recht kurz zu sein scheint. Die Notwendigkeit einer intensivmedizinischen Behandlung ist in Deutschland wie in vielen europäischen Ländern auch bei Kindern und Jugendlichen sehr gering, man nimmt an, dass nur 0,1% aller mit COVID infizierten Kinder eine intensivmedizinische Behandlung benötigen, ca. 1% der infizierten Kinder und Jugendlichen wird im Krankenhaus stationär behandelt. Diese Häufigkeitsangaben sind zudem vermutlich zu hoch angesetzt, da man bei Kindern- und Jugendlichen von vielen übersehenen, da milden bis asymptomatischen Verläufen ausgeht.
PIMS scheint relativ stabil beim Wildtyp, der alpha- und delta-Variante mit einer Häufigkeit um 1:5.000 aufgetreten zu sein, bei Omicron offenbar seltener. COVID-Todesfälle sind auch weiterhin – Gott sei Dank – bei Kindern und Jugendlichen sehr selten, nach dem mir bekannten aktuellsten Stand wurden über die gesamte Pandemie bislang 39 Todesfälle in der Altersgruppe 0-9 Jahre und 41 Todesfälle in der Altersgruppe 10-19 Jahre berichtet. Die case fatality rate (also das jemand an COVID-verstirbt) beträgt für 0-9-Jährige 0,156/10.000 Infektionen (mit diesen aktuellen Infektionszahlen) und 0,12/10.000 Infektionen für 10-19 Jährige (hier ist die Rechnung auf 10.000 Infektionen üblich, bei der sonst z.B. bei der Inzidenz verwendeten Berechnung auf 100.000 Fälle/Personen usw. wären das 1,56/100.000 Infektionen und 1,2/100.000 Infektionen). Ich beziehe mich in meinen „Bauchgefühl-Berechnungen“ gerne auf Hamburg und da sind das dann bei zuletzt 316.485 Kindern und Jugendlichen 4-5 COVID-Todesfälle in Hamburg.
Was kann die Impfung?
Zum Zeitpunkt unserer Entscheidung für die Impfung unserer Kinder gab es im Wesentlichen die Daten aus der Zulassungsstudie, die im wesentlichen eine ca. 90%ige-Risikoreduktion vor symptomatischen Verläufen und PIMS gezeigt hatte, aber unter „Delta-Bedingungen“ entstanden war. Wie zu erwarten hat sich das im längerfristigen Verlauf (und mit Omicron) auf niedrigere Werte eingependelt.
Man kann die Schutzwirkung der Impfung bei Kindern derzeit nicht abschließend einschätzen, da die Studienergebnisse uneinheitlich sind: In dieser Studie betrug die Risikoreduktion von Hospitalisationen bei Omicron über 22 Wochen bei 5-11-jährigen 68% , in diesem Preprint aus New York nahm sie bei unter 12-jährigen recht schnell von 100% auf 48% innerhalb von einem Monat ab. Ganz aktuell gibt es Daten der CDC hinsichtlich Hospitalisationen unter Omicron in den USA:
Neue @CDCgov Analyse Hospitalisierung Kinder 5-11 J in #Omikron-Welle. Auf insgesamt niedrigem Niveau schützt Impfen erw.gemäß auch 5-11 vor schweren Verläufen: 9 KH-Einweisungen pro 100.000 Kinder dieser Altersgruppe vs. 19/100.000 wenn ungeimpft. https://t.co/95Acx6WKDa
Aber, und das ist wichtig zur Einschätzung: Diese relativen Risikoreduktionen sind schwierig zu fassen. Besser funktioniert für viele (auch für mich), die number needed to vaccinate (NNV), also die Anzahl von Kindern und Jugendlichen, die man impfen muss, um ein PIMS, eine Krankenhausaufnahme usw. zu verhindern. Diese beträgt, wenn man die CDC-Daten für die Hospitalisierung nimmt 1:10.000, d.h. 10.000 Kinder und Jugendliche müssen geimpft werden, damit ein Kind nicht stationär behandlungspflichtig wird:
Vielleicht ergänzend noch hierzu, ich finde dieses Bsp zeigt schön, dass es wichtig ist, absolute Zahlen zu kommunizieren. Das ist eine medizinjournalistische Grundtugend, die in der Pandemie Federn gelassen hat. Die genannten Zahlen bedeuten konkret, dass in #Omikron Welle (1/2) https://t.co/DaqFI7pZH0
Die Briten haben das sehr schön in Ihrer Impfempfehlung (die relativ zurückhaltend formuliert ist), die ich aber als unglaublich hilfreich empfinde aufgeschlüsselt und unterscheiden zusätzlich „harmlosere“ (wie Omikron) und „schwerer verlaufende“ (wie Delta) zukünftige Virusvarianten:
NNV für PIMS
NNV für KH
NNV für ITS
schwere Welle
17.000
10.300
340.000
leichte Welle
95.000
58.000
1.900.000
KH: Krankenhausaufnahme, ITS: Aufnahme auf eine Intensivstation, aus JCVI statement on vaccination of children aged 5 to 11 years old, Published 16 February 2022, Link
Die NNV liegt bei Masern abhängig von der Altersgruppe zwischen 135 bei Kindern und knapp 10.000 bei Erwachsenen (Link), bei Keuchhusten bei Schwangeren zur Vermeidung einer Infektion ihrer Neugeborenen zwischen 900 und 1500 (Link) bei der Grippe um 70 (Link), bei Kindern sogar bei 7 (Link), bei Varizellen zwischen 45 und 106 (Link), bei Pneumokokken für ältere Erwachsene zwischen 2.500 (Infektion) und 20.000 (Todesfall) (Link), es kommt immer darauf an, was man verhindern will (symptomatische Infektion, schwere Komplikation, Tod) und über welchen Zeitraum.
Die NNV für Erwachsenen, die gegen COVID geimpft werden, wurde im Frühjahr 2021 noch mit 119 geschätzt (Link), ist aber auch dort extrem altersabhängig.
Es gibt Hinweise darauf, dass die COVID-Impfung die Wahrscheinlichkeit an Long Covid zu erkranken um ca. 50% reduziert, ich hatte hier mal etwas dazu aufgeschrieben. Inwiefern das aber auch für Kinder gilt ist unklar.
Das ist die Habenseite. Dem gegenüber stehen die möglichen Impfkomplikationen. Einen Zwischenpunkt habe ich aber noch, „weiche Gründe“, warum wir uns für die Impfung entschieden haben.
Die Softskills
Für uns waren auch Überlegungen zu Quarantäne- und Zugangsregelungen (2G, 3G) ein Argument für die Impfung. Das kann man sicherlich kontrovers sehen, weil dies ja politisch gemachte Regelungen und keine Naturgesetze sind. Und ja, wir wissen, die STIKO hatte der Politik extra ins Stammbuch geschrieben, dass der Impfstatus von Kindern und Jugendlichen kein Grund für nicht stattfindende soziale Teilhabe sein darf, aber die Situation war ja durchaus eine andere. Und so lustig war es nicht, wenn die Große in den Winterferien für jede Bus- oder U-Bahn-Fahrt einen negativen Schnelltest von einem Testzentrum brauchte oder für Indoor-Ausflugsziele.
Mögliche Impfkomplikationen
Auf der Impfkomplikationsseite stehen die üblichen Impfreaktionen, Fieber, Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit, die unsere Mädels bei beiden Impfungen aber gar nicht hatten und dann die Impfnebenwirkungen. Da gibt es einmal zwei Felder, die „klassischen“ Impfnebenwirkungen, also Autoimmun-Prozesse, die durch die Impfung getriggert werden (die wichtigsten aus dem Bereich der Neurologie hatte ich hier mal vorgestellt), die aber bei den mRNA-Impfstoffen eher selten zu sein scheinen und das große Thema Myokarditis. Dazu gibt es eine aktuelle Studie, die noch mal deutlich macht, dass es auch bei mRNA-Impfstoffen die Myokarditis eine seltene Nebenwirkung ist, seltener als bei anderen Impfungen und seltener als bei der COVID-Infektion, aber eben alters- und geschlechtsabhängig auftritt und dabei Jungen und junge Männer besonders häufig betrifft. Wir hatten hier mal einen ausführlichen Beitrag dazu geschrieben, der inhaltlich auch weiter aktuell ist und auf den ich verweisen möchte.
Mein Fazit
Unsere Kinder wurden am 10. Januar das erste Mal und drei Wochen später am 31. Januar das zweite Mal gegen COVID geimpft, haben die Impfung gut vertragen und haben sich jetzt so 2,5 Monate nach der zweiten Impfung nicht bei uns angesteckt, als zunächst meine Frau und dann ich Omicron-infiziert waren (und sind). Von daher hat es aktuell sogar für einen Schutz vor symptomatischer Infektion gereicht (hard skill) und die Mädels mussten nicht in Quarantäne (soft skill). Ich bin weiterhin froh, dass wir diese Entscheidung getroffen haben, auch wenn der Schutz vor symptomatischer Infektion sicher nicht – wie oben erwähnt – im Vordergrund unserer Entscheidung stand.
Das Fazit des JCVI
Die Zusammenfassung des Joint Committee on Vaccination and Immunisation (JCVI), also der britischen STIKO, finde ich sehr gelungen und möchte dieses einfach hier wiedergeben, ich denke es fasst alle wesentlichen Punkte zusammen:
Vaccination of children aged 5 to 11 who are not in a clinical risk group is anticipated to prevent a small number of hospitalisations and intensive care admissions in this population and would provide short-term protection against non-severe infection (asymptomatic and symptomatic infection that does not require hospital-based care). The extent of these impacts is highly uncertain. They are closely related to future levels of infection in the population in the period following vaccination; these in turn are influenced by the timing, size and severity of any future waves of infection, and the characteristics of any new variants that may dominate future waves of infection. Vaccination is commonly associated with systemic and local reactions (such as headache, fatigue and local arm pain) which typically resolve within 1 to 3 days.
Overall, the committee agreed that the potential health benefits of vaccination are greater than the potential health risks when not including the opportunity costs of a programme to vaccinate all children aged 5 to 11 due to this being part of a pandemic response. The impact of vaccination on school absences was indeterminate; the balance between school absences due to reactions following vaccination versus school absences avoided due to prevention of infection is highly influenced by the uncertain timing of any future wave of infection and of the vaccination programme. In particular, school absences are affected by whether an infection wave falls within the period of good protection against non-severe infection provided by the vaccine, and whether vaccination occurs during school term time or holiday periods.
Vaccination of children aged 5 to 11 who are not in a clinical risk group is not expected to have an impact on the current wave of Omicron infection. The potential benefits from vaccination will apply mainly to a future wave of infection; the more severe a future wave, the greater the likely benefits from vaccination. Conversely, the less severe a future wave, the smaller the likely benefits from vaccination.
JCVI statement on vaccination of children aged 5 to 11 years old, Published 16 February 2022, Link
Wo man weiterlesen kann
Stellungnahme des JCVI: JCVI statement on vaccination of children aged 5 to 11 years old, Published 16 February 2022, Link (Lesetip)
Epidemiologisches Bulletin 1/2022 mit der wissenschaftliche Begründung der STIKO zur Empfehlung der Impfung gegen COVID-19 bei Kindern im Alter von 5 – 11 Jahren Link (Lesetip, aber lang und trocken)
Impfempfehlung der CDC Link (leider wenig belastbare Informationen, eher dogmatische Herangehensweise)
Es gab bei Twitter – mal wieder – etwas Streit. Es ging – mal wieder – um das Thema COVID-Impfung und das Myokarditis-Risiko durch die Impfung und durch die Infektion und darum, welche Konstellation risikoreicher ist:
Klar, der Twitter-User narkosedoc polarisiert, klar, die echten Impfgegner wird man eh kaum umstimmen, aber insgesamt besteht bei dem Thema so viel Halbwissen bei so viel starker Meinung, dass es Zeit ist, sich mit Myokarditiden ohne und mit COVID, sowie nach COVID-Impfung noch mal intensiver zu beschäftigen.
Man muss sich aber – wenn man das tut – folgendes vor Auge halten: Bei pubmed finden sich Stand heute (15.02.2022) 1.257 Einträge zum Thema myocarditis + covid (Link) und 773 zum Thema myocarditis + vaccine (Link), zuzüglich unzähliger Preprints die durch Twitter geistern, Gesundheits-Survey-Daten von Behörden verschiedener Länder usw. Das führt unweigerlich zu cherrypicking, weil man immer nur einen kleinen, selektiven Teil der zur Verfügung stehenden Datenflut überblicken und benutzen kann.
Es lohnt sich, sich erst einmal mit dem Thema Myokarditis zu beschäftigen, so wie man das in der Prä-Corona-Ära getan hat, um einen generellen Überblick über das Krankheitsbild zu erlangen.
Was man bis Anfang 2020 zum Thema Myokarditis wusste: Myokarditis ohne COVID-Infektion
Wer sich zu diesem Thema – das der klassischen Myokarditis – etwas belesen will (abseits von dem, was wir hier schreiben), kann dies zum Beispiel wunderbar mit diesem Reviews tun, welches es als open access-Artikel gibt: Der Arbeit von Tschöpe et al.: Link.
Eine kleine Begriffsklärung
Als Myokarditis bezeichnet man eine Entzündung des Herzmuskels. Ganz oft ist aber auch das Bindegewebe um das Herz betroffen, dann spricht man von einer Perikarditis. Meistens sind aber Bindegewebe und Herzmuskel entzündet, so dass die korrekte Bezeichnung Perimyokarditis lauten würde. Im wirklichen Leben – und auch den hier zitierten Studien – gehen die Begrifflichkeiten oft durcheinander, teilweise werden sie synonym benutzt, teilweise auch Trennungen zwischen Peri- und Myokarditis gezogen.
Krankheitsdefinition und Ätiologie der Myokarditis
Häufigste Ursache in den westlichen Industrienationen für eine Myokarditis sind Virusinfektionen, sowohl direkt während der akuten Erkrankung als Infektionsmanifestation, als auch nach einer viralen Erkrankung als immunologisch vermitteltes Phänomen. Die häufigsten Erreger der Virus-Myokarditis haben sich in den letzten Jahren verändert. Klassischerweise waren es verschiedene Adeno- und Enteroviren (vor allem Coxsackie-Viren), die als Myokarditis-Verursacher galten. In den letzten Jahren, bzw. dem letzten Jahrzehnt, wurden dann zunehmend häufiger Parvovirus B-19 (Link Wikipedia), der Erreger der Ringelröteln und die Viren der Herpesgruppe, vor allem EBV, HHV6 und CMV als ursächlich für Myokarditiden beschrieben. Dazu kommen – je nach Serotyp und Schwere der Saison – das Influenza-Virus und zwei klassische Viren, die mit Gefäßentzündungen, also Vaskulitiden assoziiert sind: Hepatitis C-Virus und HIV.
Prinzipiell – und das ist in Entwicklungsländern zum Beispiel häufig so – können auch sehr viele Bakterien und auch Parasiten wie Clamydien, der Diphtherie-Erreger, TBC, Staphylokokken, Streptokokken, Pilze, Toxoplasmen usw. eine Myokarditis verursachen, zudem nahezu alle Autoimmunerkrankungen und verschiedene Toxine. Auch hier sind die Stoffe, die eine Vaskulitis verursachen können, besonders häufig beteiligt: Zum Beispiel Kokain und Amphetamine, aber auch Chemotherapeutika und Alkohol. Ebenfalls sind Myokarditiden nach Impfungen beschrieben, vor allem nach der Pocken-Impfung, aber auch nach Influenza- und Tetanus-Impfungen.
Blackbox Myokarditis-Epidemiologie
Schwierig wird es bei der Epidemiologie. Die Myokarditis ist vermutlich stark unterdiagnostiziert, was vor allem an der oft unspektakulären und wenig eindeutigen klinischen Präsentation liegt. Auch wurde – vor allem in der Prä-Kardio-MRT-Ära – die einzige wirklich verlässliche diagnostische Prozedur, die Endomyokardbiopsie auf Grund der Sorge vor Komplikationen nur relativ selten durchgeführt.
Also stochert man im Nebel und vermutete 2013 in den westlichen Industrienationen eine Prävalenz von 22/100.000 pro Jahr mit deutlich mehr betroffenen Männern als Frauen und mit einem besonderen Peak bei jungen Männern (Kindermann et al.). Daten aus Deutschland gibt es nicht, dafür (wie immer) britische epidemiologische Daten. Hier findet sich eine Zusammenfassung: Link. Aber auch die britischen Daten sind relativ überschaubar. Die verschiedenen Paper zur Myokarditis verweisen am Ende immer wieder auf diesen Abstract (Link), in dem NHS-Daten, welche in über 20 Jahren von 1998 bis 2017 gesammelt wurden, vorgestellt werden. In dem Abstract geht es um Krankenhauseinweisungen auf Grund einer Myokarditis, nicht um symptomatische Fälle. Die Autoren berichten über den Beobachtungszeitraum von einer Zunahme der Häufigkeit einer Aufnahme mit einer Myokarditis ins Krankenhaus um 88%. Zwei Drittel der Patienten waren männlich, das mittlere Erkrankungsalter lag bei 33 Jahren bei Männern und 46 Jahren bei Frauen. Es findet sich in dem Abstract eine kleine Grafik, in der die Krankenhausaufnahmen nach Altersgruppen aufgeschlüsselt wurden. Tabellarisch übertragen sieht das in etwa so aus (die Auflösung der Grafik ist so schlecht, dass ich sicherheitshalber gerundet habe):
Alter (Jahre)
Krankenhausaufnahmen / Jahr
0 – 4
40
5 – 9
2
10 – 14
5
15 – 19
130
20 – 24
185
25 – 29
150
30 – 34
140
35 – 40
120
40 – 44
110
45 – 49
110
50 – 54
100
55 – 59
70
60 – 64
60
65 – 69
65
70 – 74
35
75 – 79
30
80 – 84
25
84 – 89
10
> 90
2
nach: Lota AS, Halliday B, Tayal U, et al. Abstract 11463: Epidemiological Trends and Outcomes of Acute Myocarditis in the National Health Service of England. Circulation. 2019;140(Suppl_1):A11463-A11463. doi:10.1161/circ.140.suppl_1.11463
Das sind wie gesagt Daten zu Krankenhausaufnahmen. Zu Prävalenzen findet man wenig, aber z.B. in der Review-Arbeit von Lampejo et al. eine Prävalenzangabe der Myokarditis von 36,5/100.000 bezogen auf die Gesamtbevölkerung Großbritanniens.
Das Ergebnis von Autopsiestudien ist uneinheitlich. Eine Studie zeigte, dass eine Myokarditis bei jedem Dritten Wettkampf-Athleten, der an einem plötzlichen Herztod verstorben ist, vorlag. In anderen Arbeiten zu jungen Männern mit plötzlichem Herztod finden sich Angaben zwischen 2 und 42%, bei denen eine Myokarditis bestand.
Die Prognose der Myokarditis ist abhängig von der Verlaufsform und Schwere der Erkrankung. Je nach Studie wird berichtet, dass bis 25% der Erkrankten eine dauerhafte kardiale Dysfunktion entwickeln. Davon versterben zwischen 12 und 25% oder entwickeln eine terminale Herzinsuffizienz (Kindermann et al.).
Pathophysiologie
Wie es genau zu einer Myokarditis kommt, ist für den Menschen sehr schlecht untersucht. Die meisten Arbeiten beschäftigen sich mit dem Mausmodell der Coxsackie-Virus-Myokarditis, die aber ja in der Realität gar nicht mehr der häufigste Myokarditis-Verursacher ist. Zudem scheinen sich die pathophysiologischen Prozesse auf Zellebene je nach ursächlichem Erreger doch zu unterscheiden.
Beim Coxsackie-Virus scheint es so zu sein: Das Virus wird über einen spezifischen Rezeptor in die Herzmuskelzellen aufgenommen und vermehrt sich dort. Hierunter kommt es zur akuten Myokarditis, die nur wenige Tage andauert. Nun kommt die körpereigene Abwehr ins Spiel, vor allem T-Zellen wandern ins Herzmuskelgewebe ein, diese locken dann mit einer vermehrten Zytokinausschüttung Makrophagen und Monozyten an und später auch B-Zellen, die Antikörper produzieren. Diese Phase nennt man subakute Myokarditis. Kommt es durch autoimmunologische Prozesse zu einer anhaltenden chronischen Entzündungsreaktion, spricht man von einer chronischen postinfektiösen Myokarditis. Diese chronischen Verlaufsformen sind es, die vermutlich in erster Linie zur Kardiomyopathie und Herzinsuffizienz führen.
Symptome einer Myokarditis
Dadurch, dass sehr verschiedene Strukturen des Herzmuskels an einer Myokarditis beteiligt sein können, divergieren die Symptome erheblich. Sie reichen von Herzklopfen (Palpitationen), über Herzrhythmusstörungen bis hin zu Herzinfarkt- und Herzinsuffizienz-Symptomen.
Kinder neigen zu rasch fulminant verlaufenden Myokarditiden, dann aber mit in der Regel guter Erholung im Verlauf trotz zwischenzeitlicher Intensivpflichtigkeit. Bei Erwachsenen scheinen milde Verläufe zu überwiegen, die dafür aber recht häufig übersehen werden.
Diagnosestellung
Neben den oft wenig eindeutigen Symptomen ist das Problem der Diagnosestellung einer Myokarditis der zweite Grund für die anzunehmende Unterdiagnostik.
Als Goldstandard galt ganz lange die Endomyokardbiopsie (EBM), die aber im wahren Leben nur relativ selten durchgeführt wurde. Das ist insofern schade, weil die EBM das einzige Verfahren ist, was durch die Histologie, die gewonnen wird eine genaue, ätiologische Diagnose ermöglicht und hierüber auch die seltenen Formen, z.B. im Rahmen einer TBC oder Sarkoidose detektieren kann.
Laborchemisch ist vor allem der Troponin-Wert für die akute Myokarditis aussagekräftig, insbesondere wenn auch Anamnese und Symptome auf eine Myokarditis hindeuten, die übrigen „Herzenzyme“ aber nicht. Bei der subakuten und chronischen Verlaufsform hilft einem das Troponin hingegen nicht weiter. Die Bestimmung von Virusserologien aus dem Blut wird routinemäßig nicht empfohlen, weil ja viele Myokarditiden erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung nach der eigentlichen Infektion auftreten und zudem viele der in Frage kommenden Viren endemisch mit einer extrem hohen Durchseuchung und entsprechend positiven Antikörper-Titern sind und so die Serologie oft wenig aussagekräftig bleibt.
Im klinischen Alltag haben die transthorakale Echokardiographie und das Kardio-MRT in den letzten Jahren bei der Fragestellung nach einer Myokarditis einen großen, wenn nicht den größten, Stellenwert bekommen. Insbesondere das Kardio-MRT hat die EBM in vielen Fällen als Haupt-Untersuchungsverfahren abgelöst, so dass die EBM vor allem in „Spezialfällen“, wenn z.B. eine Tuberkulose oder Sarkoidose vermutet wird, angewendet wird.
Nachtrag vom 18.02.2022: Wenn man sich ein bisschen mit Kardio-MRT beschäftigt, taucht dort immer wieder ein Begriff auf: Das late gadolinium enhancement (LGE). Gadolinium ist im MRT-Kontrastmittel enthalten, es geht also um eine „späte“ (spät in der MRT-Messung) Kontrastmittelaufnahme im Herzen. LGE ist mit einem signifikant schlechterem Outcome und dem Auftreten von Herzrhythmusstörungen im Verlauf assoziiert (vgl. Tschöpe et al.).
Das EKG selber hat keine besonders große und insbesondere keine spezifische Aussagekraft, wenn nicht parallel Herzrhythmusstörungen auftreten, die man erkennen und behandeln muss.
In der Summe ist die Diagnosestellung einer Myokarditis nicht trivial. Auch ein auffälliges Kardio-MRT alleine belegt noch lange keine Myokarditis. Somit ist nur die Gesamtbetrachtung sinnvoll: Mit der Betrachtung von Troponin, CRP, Klinik, EF in der Echokardiographie, Kardio-MRT, etwaigen Rhythmusstörungen und dem klinische Verlauf lässt sich einigermaßen zuverlässig die Diagnose stellen.
Behandlung der Myokarditis
Es gibt – wenn kein spezifischer behandelbarer Erreger vorhanden ist – keine kausale Therapie der Myokarditis. Prinzipiell wird körperliche Schonung empfohlen, bei Leistungssportlern für 3-6 Monate. Selbst bei eingeschränkter Pumpfunktion des Herzens kommt es in 60% der Fälle zu einer spontanen und weitestgehenden klinischen Besserung.
Besteht eine Herzinsuffizienz, so wird eine Standard-Herzinsuffizienz-Therapie empfohlen, wobei zu beachten ist, dass die verwendeten Paper noch nicht die neuen Empfehlungen der Herzinsuffizienz-Therapie der neuen ESC-Leitlinie (Link) berücksichtigen.
Kritisch kranke Patienten mit einer Myokarditis müssen auf einer Intensivstation behandelt werden, bei hämodynamischer Instabilität brauchen sie medikamentöse Kreislaufunterstützung und bei schweren Verläufen auch eine ECMO. ECMO ist aber nicht gleich ECMO. Von dieser gibt es wiederum verschiedene „Versionen“ je nach genauer Indikationsstellung, wobei dies an dieser Stelle vermutlich zu weit führt.
Wo man weiterlesen kann
Tschöpe C, Ammirati E, Bozkurt B, et al. Myocarditis and inflammatory cardiomyopathy: current evidence and future directions. Nat Rev Cardiol. 2021;18(3):169-193. doi:10.1038/s41569-020-00435-x
Kindermann I, Ukena C, Mahfoud F, Böhm M, Yilmaz A, Klingel K. Myokarditis-Update. Kardiologe. 2016;10(5):311-330. doi:10.1007/s12181-016-0084-2
Lampejo T, Durkin SM, Bhatt N, Guttmann O. Acute myocarditis: aetiology, diagnosis and management. Clin Med. 2021;21(5):e505-e510. doi:10.7861/clinmed.2021-0121
Myokarditis durch SARS-CoV-2
Vorwort von Lars Fischer
Angesichts der ja doch bescheiden Erkenntnisse, die wir so zur „normalen“ Myokarditis haben, ist es extrem wichtig, sich den weisen Thread von Lars Fischer zu COVID-19-Wissenschafts-Themen vor Augen zu halten, wenn man sich jetzt dem Thema COVID-Myokarditis und danach der Myokarditis nach COVID-Impfung widmet:
Kurzer Hinweis zum Umgang mit beruhigenden und beunruhigenden Forschungsergebnissen aller Art über #COVID19.
In den letzten 2 Jahren wurde darüber gefühlt mehr geforscht als über alle anderen Infektionskrankheiten in den letzten 50. Das hat zwei Konsequenzen: 1/4
Häufiges ist häufig: Epidemiologie der COVID-Myokarditis
Zu dem wenigen, was wir über die Myokarditis wissen gehört, dass in erster Linie junge Männer betroffen sind und Myokarditiden gerne nach Virusinfekten auftreten. Es wäre also hochplausibel, wenn das bei COVID-19 nicht anders wäre.
Studien mit US-Uni-Athleten
Erstaunlich viele Daten (allerdings sind das größtenteils Untersuchungen ohne Kontrollgruppe) gibt es zu Athleten mit COVID-Infektion, vermutlich, weil hier das Thema kardiopulmonale Belastbarkeit eine ganz entscheidende Rolle spielt:
In einer Studie von Daniels et al. mit 1.597 Athleten von US-Universitäten, die eine COVID-Infektion erlitten hatten, wiesen 5 Probanden (0,31%) klinische Zeichen einer Myokarditis auf. 37 (2,3%) der Probanden hatten ein pathologisches Kardio-MRT, welches auf eine Myokarditis hindeutete. 73% der Betroffenen waren männlich. Das heißt, dass ein Großteil der COVID-Myokarditiden in dieser Studie klinisch stumm bzw. sehr symptomarm verlaufen sind, so dass sie ohne Kardio-MRT nie als solche identifiziert worden wären. Ebenfalls 73% Studienteilnehmer erhielten innerhalb von 10 Wochen ein Verlaufs-MRT, bei dem sich bei allen die T2-Läsionen zurückbildeten und bei 40,7% die gesamten MRT-Auffälligkeiten.
In einer anderen Studie mit US-Sportlern (Moulson et al.) wurden von 3.384 SARS-CoV-2 positive Athleten nach einem Screening 2.820 in die Studie eingeschlossen. Zwei Drittel waren auch hier Männer, das mittlere Alter lag bei 20 Jahren. 337 Probanden (13%) berichteten von Zeichen, die für eine Myokarditis sprechen könnten, wie Brustschmerzen, Atemnot, Palpitationen und Belastungsdyspnoe. Bei 21 Studienteilnehmern (0,7%) wurde eine Myokarditis diagnostiziert. Auch hier gelang die Diagnose nicht mit einem einzelnen Test, sondern entweder in der Kombination EKG, Troponin-Bestimmung und Kardio-MRT oder mit zusätzlicher transthorakaler Echokardiographie. Das Kardio-MRT war auch hier das zuverlässigste diagnostische Instrument. Von der gesamten Kohorte hatten 4,5% irgendeine kardiologische Auffälligkeit, 2,7% Auffälligkeiten die initial eine Myokarditis vermuten ließen. Keiner der Myokarditis-verdächtigen Studienteilnehmer entwickelte in einem Zeitraum von 130 Tagen Nachbeobachtungszeit relevante kardiologische Ereignisse, in der Gesamtkohorte der SARS-CoV-2-positiven Probanden gab es einen plötzlichen Herzstillstand, der Proband wurde erfolgreich reanimiert. Ein Kardio-MRT (am 17. Tag nach Infektion) ergab bei diesem Probanden keine Auffälligkeiten. Insgesamt 10 Athleten wurden auf Grund nicht-kardiologischer COVID-Beschwerden im Krankenhaus behandelt, 5 in der ZNA, 5 wurden stationär aufgenommen.
Es gibt tatsächlich noch etliche weitere Studien zu Athleten mit COVID-19 (warum auch immer), zum Beispiel Starekova et al. oder Clark et al.. Auch hier finden sich niedrige einstellige Prozentangaben von Myokarditiden (meist 1-3%) nach COVID-19-Infektion in diesen – meist – jungen Altersgruppen.
Bevölkerungsweite Übersichtsarbeiten
Vor wenigen Tagen wurde in nature medicine eine große Risikoanalyse zu kardiovaskulären COVID-Langzeitfolgen mit Gesundheitsdaten der US Veteranen-Vereinigung veröffentlicht. Untersucht wurde eine Kohorte von 153.760 Veteranen mit COVID-19-Infektion über ein Jahr, welche man mit zwei großen Kontrollgruppen verglich. 5,5 Millionen nicht-COVID-infizierte Veteranen und eine Gruppe von 5,8 Millionen Veteranen aus der Prä-COVID-Ära. Dadurch, dass die ersten 30 Tage nach COVID-Infektion nicht betrachtet wurden, konnte man akute kardiovaskuläre Komplikation ausschließen. Lars Fischer stellt die Studie auch gut verständlich bei spektrum.de vor: Link. Eine kritischere Einordnung der Studie findet sich ansonsten hier: Link. Zum Thema Myokarditis stellen die Autoren ein über 5 x höheres Risiko nach COVID-Infektion fest. Allerdings – und das führt teilweise zur Verwirrung – ist die absolute Fallzahl der Myokarditis immer noch gering. Die „zusätzliche“ Prävalenz (hier als „excess burden“ angegeben) liegt bei 0,31/1.000 Erkrankte.
Eine große retrospektive Studie stammt von Buckley et al. und wurde auch im Eingangs erwähnten Thread von narkosedoc zitiert. Die Autoren verglichen Gesundheitsdaten aus dem TriNetX-Gesundheitsforschungs-Netzwerk (Link) von COVID-Infizierten mit einer Myo- oder Perikarditis mit einer 1:1-gematchten Kohorte COVID-positiver Probanden ohne Myo-/Perikarditis und mit einer Prä-COVID-Kohorte mit einer Lungenentzündung anderer Genese. Von den 718.365 eingeschlossenen Probanden entwickelten 35.820 (5,0%) eine Myokarditis, 10.706 (1,5%) eine eine Perikarditis.
Interessant ist die Altersverteilung der Myokarditis-Betroffenen, die analog zu dem, was wir schon kennen ist: In der Alterskohorte unter 45 Jahren traten 20.774 Myokarditis-Fälle auf, im Alter zwischen 45 und 70 Jahren 14.444 und über 70 Jahren 5.556 Myokarditiden. In dieser Studie waren mehr Frauen als Männer eingeschlossen, das Durchschnittsalter lag bei 47,4 Jahren, also deutlich höher als in den Studien mit Athleten. Wenig überraschend sind die höheren Raten von Komorbiditäten als in den Athleten-Studien: 44% der COVID-Patienten mit Myokarditis litten zusätzlich an einer vorbestehenden Atemwegserkrankung, 37% an einer Erkrankung des Nervensystems, 31% hatten einen Bluthochdruck, 17% einen Diabetes mellitus und immerhin 7,5% eine vorbestehende Herzinsuffizienz. Das Outcome dieser Patienten-Population war dementsprechend schlechter als das der Athleten: Die 6-Monats-Mortalität der Probanden mit Myokarditis betrug 3,9%, die der Kontrollgruppe 2,9%, die zusätzliche Mortalität durch die Myokarditis, die excess mortality dementsprechend 1%. Patienten mit einer Myokarditis erlitten signifikant häufiger Herzinfarkte und Schlaganfälle als die der Kontrollgruppe.
Die Studie unterscheidet zwischen einer Myokarditis und einer Perikarditis. Die Perikarditis trat seltener auf, war aber mit einem schlechteren Outcome und einer insgesamt höheren Mortalität assoziiert.
Weitere Studien
Die Arbeit von Sawalha ist eine Fallsammlung von 14 Patienten, die im Rahmen einer COVID-19-Infektion mit stationärer Behandlungsbedürftigkeit eine Myokarditis entwickelt hatten. Auch hier waren überwiegend Männer betroffen (58%), das mittlere Erkrankungsalter lag bei 50,4 Jahren und damit höher als in den Athleten-Studien. 91% der Probanden hatten eine Troponin-Erhöhung, 50% EKG-Auffälligkeiten. Die insgesamt schwerer betroffenen COVID-Patienten mussten in der Hälfte der Fälle mittels medikamentöser Kreislaufunterstützung auf der Intensivstation behandelt werden, 17% mittels ECMO. Mele et al. haben wiederum eine Übersicht verschiedener Fallsammlungen erstellt, in der die Arbeit von Sawalha et al. wiederum mit erfasst ist. Hier wird noch einmal die Schwierigkeit betont, dass sich viele zunächst Myokarditis-verdächtige klinische Fälle nicht als solche bestätigen lassen.
Hanneman et al. untersuchten 47 COVID-Patienten nuklearmedizinisch mittels PET des Herzens. Die Studienteilnehmer waren eher jung (mittleres Alter 43 Jahre) und leicht betroffen. 85% hatten ihre COVID-Infektion in der Häuslichkeit auskuriert. Bei 17% der untersuchten Probanden ließ sich eine Myokarditis mittels PET feststellen, im Mittel zwei Monate nach der COVID-Infektion. Bei allen Studienteilnehmern besserten sich die auffälligen Befunde innerhalb von 52 Tagen nach Erstuntersuchung oder waren ganz rückläufig.
Wo man weiterlesen kann
Buckley BJR, Harrison SL, Fazio‐Eynullayeva E, Underhill P, Lane DA, Lip GYH. Prevalence and clinical outcomes of myocarditis and pericarditis in 718,365 COVID‐19 patients. Eur J Clin Invest. 2021;51(11). doi:10.1111/eci.13679
Daniels CJ, Rajpal S, Greenshields JT, et al. Prevalence of Clinical and Subclinical Myocarditis in Competitive Athletes With Recent SARS-CoV-2 Infection: Results From the Big Ten COVID-19 Cardiac Registry. JAMA Cardiol. 2021;6(9):1078-1087. doi:10.1001/jamacardio.2021.2065
Moulson N, Petek BJ, Drezner JA, et al. SARS-CoV-2 Cardiac Involvement in Young Competitive Athletes. Circulation. 2021;144(4):256-266. doi:10.1161/CIRCULATIONAHA.121.054824
Xie Y, Xu E, Bowe B, Al-Aly Z. Long-term cardiovascular outcomes of COVID-19. Nat Med. Published online February 7, 2022. doi:10.1038/s41591-022-01689-3
Weitere Literatur (keine Weiterlese-Tips)
Clark DE, Parikh A, Dendy JM, et al. COVID-19 Myocardial Pathology Evaluation in Athletes With Cardiac Magnetic Resonance (COMPETE CMR). Circulation. 2021;143(6):609-612. doi:10.1161/CIRCULATIONAHA.120.052573
Hanneman K, Houbois C, Schoffel A, et al. Combined Cardiac Fluorodeoxyglucose–Positron Emission Tomography/Magnetic Resonance Imaging Assessment of Myocardial Injury in Patients Who Recently Recovered From COVID-19. JAMA Cardiology. Published online January 12, 2022. doi:10.1001/jamacardio.2021.5505
Mele D, Flamigni F, Rapezzi C, Ferrari R. Myocarditis in COVID-19 patients: current problems. Intern Emerg Med. 2021;16(5):1123-1129. doi:10.1007/s11739-021-02635-w
Starekova J, Bluemke DA, Bradham WS, et al. Evaluation for Myocarditis in Competitive Student Athletes Recovering From Coronavirus Disease 2019 With Cardiac Magnetic Resonance Imaging. JAMA Cardiol. 2021;6(8):945. doi:10.1001/jamacardio.2020.7444
Sawalha K, Abozenah M, Kadado AJ, et al. Systematic Review of COVID-19 Related Myocarditis: Insights on Management and Outcome. Cardiovascular Revascularization Medicine. 2021;23:107-113. doi:10.1016/j.carrev.2020.08.028
Myokarditis nach COVID-Impfung
Noch mal ein Vorwort von Lars Fischer
Für keinen Impfstoff den wir je verimpft haben, hatten wir eine derart breite, dauerhafte und intensive öffentliche und wissenschaftliche Diskussion. Zu keinem Impfstoff gibt es so viele Paper, Surveillance und Social Media-Aufmerksamkeit. Das bedeutet, dass ein Underreporting von Impfnebenwirkungen bei COVID-Impfstoffen ziemlich unwahrscheinlich erscheint. Das bedeutet aber auch, dass – auch hier – der direkte Vergleich mit anderen Impfstoffen und ihren Nebenwirkungen nicht so einfach gezogen werden kann und es bedeutet, dass wir noch mal den Lars Fischer-Thread wirken lassen müssen, bevor es weiter geht:
Kurzer Hinweis zum Umgang mit beruhigenden und beunruhigenden Forschungsergebnissen aller Art über #COVID19.
In den letzten 2 Jahren wurde darüber gefühlt mehr geforscht als über alle anderen Infektionskrankheiten in den letzten 50. Das hat zwei Konsequenzen: 1/4
Myokarditien – so haben wir ja schon erfahren – werden durchaus als Impfnebenwirkung berichtet. Nach allem, was bislang in diesem Artikel so stand wäre eine Sache ziemlich plausibel: Junge Männer müssten besonders häufig betroffen sein. Und wie wir alle wissen, ist es auch so. Wenn wir jetzt einen Vergleich ziehen wollen und alle Underreporting– und Overreporting-Probleme außer Acht lassen, brauchen wir irgendwoher Daten. Da gibt es schlussendlich zwei Möglichkeiten: Paper und Arzneimittelsicherheits-Überwachung.
Daten vom Paul-Ehrlich-Instituts
Die in Deutschland gemeldeten Verdachtsfälle von Impfnebenwirkungen landen beim Paul-Ehrlich-Institut (PEI), dass regelmäßig Sicherheitsberichte herausgibt. Der derzeit aktuellste stammt vom 07.02.2022 (Link) und beinhaltet eingegangene Meldungen über Impfkomplikationen bis zum 31.12.2021.
Das PEI schlüsselt die Häufigkeiten einer Myokarditis in dieser Tabelle nach den beiden mRNA-Impfstoffen von BioNTech und Moderna auf:
Leider wird nirgendwo ersichtlich, wie hoch die Zahl der verimpften Impfdosen je Altersgruppe ist, so dass selber man keine Prävalenz für alle Altersgruppen ausrechnen kann. Das PEI gibt nur eine Prävalenz nach Booster von 0,38 pro 100.000 Impfungen für BioNTech und 0,34 für Moderna an. Für die Gruppe der jungen Männer zwischen 18 und 29 Jahren wird sie mit 1,11 pro 1.000.000 Impfungen für BioNTech und mit 2,98 für Moderna angegeben.
Insgesamt wird aber deutlich, dass in erster Linie junge Männer nach der zweiten Impfung betroffen zu sein scheinen. Die meisten Fälle scheinen an Tag 1-4 nach Impfung aufzutreten, dann fällt die Zahl der berichteten Myokarditiden stark ab. Je sieben Myokarditis-assoziierte Todesfälle wurden in Deutschland für den BioNTech und den Moderna-Impfstoff gemeldet. Bei drei Fällen nach BioNTech-Impfung und keinem nach Moderna-Impfung wurde eine Assoziation seitens des PEI als möglich erachtet.
Bei Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren wurden in Deutschland bislang 147 Verdachtsfälle, ganz überwiegend bei Jungen und nach der zweiten Impfung, gemeldet. Die Melderate für Myokarditiden betrug bei männlichen Jugendlichen 5,1 pro 100.000 Impfungen über beide Impfdosen und 2,0 nach der ersten und 8,6 nach der zweiten Dosis. Für weibliche Jungendliche lang sie stabil bei 0,6 pro 100.000 Impfungen.
Bei Kindern unter 12 Jahren lagen bis zum 31.12. (wen wundert es bei einem Impfstart wenige Tage zuvor) keine Daten zu Myokarditiden vor.
Die britische Arzneimittel-Surveillance
Aktueller und ähnlich umfassend wird man – auch bei diesem Thema – von den britischen Gesundheitsbehörden informiert. Die Medicines and Healthcare products Regulatory Agency (MHRA) veröffentlicht Sicherheitsberichte, wie wir sie auch vom PEI kennen. Hier findet man den aktuellen, für diesen Beitrag verwendeten: Link. Bis zum 02.02.2022 sind dort 1.165 Verdachtsfälle von postvaccinalen Myokarditiden (697) und Perikarditiden (468) nach Impfung mit dem BioNTech-Impfstoff eingegangen. Für den AstraZeneca-Impfstoff waren es 214 Myokarditis-Verdachtsfälle und 212 Perikarditisverdachtsfälle und für Moderna 194 Myokarditis- und 111 Perikarditis-Verdachtsfälle. Jeweils vier tödliche Verläufe wurden für den BioNTech- und den AstraZeneca-Impfstoff gemeldet, keine für den Moderna-Impfstoff. Bei den „meisten“ tödlichen Verläufen sei die Grunderkrankung des jeweiligen Impflings ursächlich gewesen, schreibt die MHRA.
Auf die Gesamtpopulation aller Briten über alle Altersgruppen und alle Impfdosen sind das laut MHRA 9 Myokarditiden pro 1.000.000 Impfungen bei BioNTech, 17 Myokarditiden pro 1.000.000 Impfungen bei Moderna und 4 pro 1.000.000 bei AstraZeneca. Die Aufschlüsselung nach Altersgruppen ergibt den von den infektiös bedingten Fällen bekannten Altersgipfel bei jungen Erwachsenen für den BioNTech- und Moderna-Impfstoff, nicht aber für den AstraZeneca-Impfstoff.
Two large European epidemiological studies have estimated the excess risk of myocarditis following vaccination with COVID-19 Pfizer/BioNTech Vaccine and COVID-19 Vaccine Moderna. One study showed that in a period of 7 days after the second dose of COVID-19 Pfizer/BioNTech Vaccine there were about 27 (95% CI 26 – 28) extra cases of myocarditis in 12-29 year old males per million compared to unvaccinated individuals, and for COVID-19 vaccine Moderna there were about 132 (95% CI 130 – 133) extra cases of myocarditis in 12-29 year old males per million. In another study, in a period of 28 days after the second dose of the COVID-19 Pfizer/BioNTech Vaccine there were 57 (95% CI 39 – 75) extra cases of myocarditis in 16-24 year old males per million compared to unvaccinated persons, and for COVID-19 vaccine Moderna. there were 190 (95% CI 96 – 280) extra cases of myocarditis in 16-24 year old males per million individuals compared to unvaccinated individuals. These studies have shown that these events are very rare post vaccination with the mRNA vaccines, and that these events are more frequent in younger males. The findings of these studies are consistent with the trends seen in the Yellow Card data.
Was die MHRA aber auch schreibt ist dies:
It is important to note that Yellow Card data cannot be used to compare the safety profile of COVID-19 vaccines as many factors can influence ADR reporting.
Okay, schauen wir also noch mal in die medizinische Literatur.
Paper
Arzneimittelüberwachung in den USA
In Impfgegner- und -skeptiker-Kreisen wird in den letzten Tagen immer wieder dieser Artikel zitiert, der auf diese Studie von Oster et al. verweist: Link. Auch narkosedoc verwendet dieses Paper in seinem Thread. Die Daten für dieses Paper stammen aus der Arzneimittelüberwachung der USA. 192.405.448 Personen wurden mit 354.100.845 Dosen mRBA-Impfstoff geimpft. Von 1991 Berichten über eine impfassoziierte Myokarditis konnten 1626 verifiziert werden. Auch hier betrafen die Myokarditiden in erster Linie junge Männer. Männer waren auch in dieser Studie ganz überwiegend betroffen (82% der Fälle), das mittlere Alter für eine Myokarditis nach Impfung lag bei 21 Jahren, die Myokarditiden traten innerhalb von 7 Tagen und besonders häufig nach der zweiten Impfung auf. Die Myokarditidis-Raten lagen bei Jungen im Alter von 12-15 Jahren bei 70,7 pro 1.000.000 Impfungen nach der zweiten Impfung und bei 16-17-Jährigen bei 105,9.
BioNTech
Moderna
D1
D2
D1
D2
expected
Männer
Alter
12 – 15
7,06
70,73
/
/
0,53
16 – 17
7,26
105,86
/
/
1,34
18 – 24
3,82
52,43
10,73
56,31
1,76
25 – 29
1,74
17,28
4,88
24,18
1,45
30 – 39
0,54
7,1
3,0
7,93
0,63
40 – 49
0,55
3,5
0,59
4,27
0,78
50 – 64
0,42
0,68
0,62
0,85
0,77
> 65
0,19
0,32
0,18
0,51
Frauen
Alter
12 – 15
0,49
6,35
/
/
0,17
16 – 17
0,84
10,98
/
/
0,42
18 – 24
0,18
4,12
0,96
6,87
0,38
25 – 29
0,26
2,23
0,41
8,22
0,48
30 – 39
0,72
1,02
0,74
0,68
0,47
40 – 49
0,24
1,73
0,18
1,89
0,89
50 – 64
0,37
0,51
0,65
0,43
1,0
> 65
0,08
0,35
/
0,26
/
Angaben per 1 Million Impfdosen. Nach: Oster ME, Shay DK, Su JR, et al. Myocarditis Cases Reported After mRNA-Based COVID-19 Vaccination in the US From December 2020 to August 2021. JAMA. 2022;327(4):331-340. doi:10.1001/jama.2021.24110
Für 676 Impfstoff-assoziierte Myokarditiden lagen klinische Behandlungsdaten vor. Berichtete Symptome waren in erster Linie Brustschmerzen, verminderter Belastbarkeit und Luftnot. Bei nahezu allen Betroffenen waren das Troponin erhöht, in 72% der Fälle das Kardio-MRT auffällig. Die meisten Betroffenen erhielten eine symptomatische Therapie mit NSAR, seltener mit Steroiden oder Immunglobulinen. 12 Betroffene mussten mittels medikamentöser Kreislaufunterstützung behandelt werden, 2 künstlich beatmet werden. Zum Ende der Nachverfolgung durch die Studie waren 98% der Betroffenen aus dem Krankenhaus entlassen und 97% symptomfrei.
Der Impfungs-Infektions-Vergleich
Interessant ist noch die Studie von Patone et al. Sie zeigt zunächst die Dinge, die wir nun schon wissen: In erster Linie sind junge Männer betroffen, vor allem nach der zweiten Impfdosis mit einem mRNA-Impfstoff. Die Autoren vergleichen aber die Rate von Myokarditiden nach COVID-Infektion mit der nach COVID-Impfung und können für die Gesamtpopulation deutlich häufigere Myokarditiden durch die Infektion als durch die Impfung zeigen, nicht aber, wenn man die Gruppe der unter 40-jährigen betrachtet.
aus Patone M, Mei XW, Handunnetthi L, et al. Risks of myocarditis, pericarditis, and cardiac arrhythmias associated with COVID-19 vaccination or SARS-CoV-2 infection. Nature Medicine. Published online December 14, 2021. doi:10.1038/s41591-021-01630-0
Myokarditis-Verlauf nach COVID-Impfung bei Kindern und Jugendlichen
Die Arbeit von Jain et al. beleuchtet den Verlauf impfassoziierter Myokarditiden bei Jugendlichen am Beispiel von 63 Fällen aus den USA. 92% betragen Jungen, das mittlere Alter lag bei 15,6 Jahren. Bei 88% der vermuteten Myokarditiden waren die diagnostischen Kriterien auch erfüllt. Alle Verläufe waren leicht, kein Patient musste intensivmedizinisch behandelt werden. Bei 86% der Betroffenen waren Symptome und auffällige Befunde innerhalb von 35 Tagen komplett regredient.
Dionne et al. haben hier eine kleinere Serie von 15 Kindern veröffentlicht, die im Endeffekt die selben, milden Verläufe zeigte.
Problematisches Preprint: Der Infektions-Impfungs-Myokarditis-Vergleich
Dieses Preprint (Link ) scheint dem Titel nach (Risk of Myocarditis from COVID-19 Infection in People Under Age 20: A Population-Based Analysis) und dem Abstract nach
Results: For the 12-17-year-old male cohort, 6/6,846 (0.09%) patients developed myocarditis overall, with an adjusted rate per million of 876 cases (Wilson score interval 402 – 1,911). For the 12-15 and 16-19 male age groups, the adjusted rates per million were 601 (257 – 1,406) and 561 (240 – 1,313).
For 12-17-year-old females, there were 3 (0.04%) cases of myocarditis of 7,361 patients. The adjusted rate was 213 (73 – 627) per million cases. For the 12-15- and 16-19-year-old female cohorts the adjusted rates per million cases were 235 (64 – 857) and 708 (359 – 1,397). The outcomes occurred either within 5 days (40.0%) or from 19-82 days (60.0%).
Conclusions: Myocarditis (or pericarditis or myopericarditis) from primary COVID19 infection occurred at a rate as high as 450 per million in young males. Young males infected with the virus are up 6 times more likely to develop myocarditis as those who have received the vaccine.
auf den ersten Blick alle offenen Fragen zu beantworten. Aber es gibt Punkte, die exemplarisch zeigen, wann man bei Preprints stutzig werden sollte: Das Preprint wurde vor 9 Monaten zur Begutachtung eingestellt und wurde seither nicht offiziell veröffentlicht. Das verwundert bei der Brisanz und Dringlichkeit der Thematik dann doch. Ein Blick in die Kommentare unter dem Preprint enthüllt dann aber auch warum: Es scheint ein massives Problem bei der Statistik der Fallzahlenberechnung zu geben.
Fazit: Nicht verwenden, nicht zitieren, abwarten, ob das Paper durch die Autoren noch gerettet werden kann.
Wo man weiterlesen kann
Jain SS, Steele JM, Fonseca B, et al. COVID-19 Vaccination–Associated Myocarditis in Adolescents. Pediatrics. 2021;148(5):e2021053427. doi:10.1542/peds.2021-053427
Oster ME, Shay DK, Su JR, et al. Myocarditis Cases Reported After mRNA-Based COVID-19 Vaccination in the US From December 2020 to August 2021. JAMA. 2022;327(4):331-340. doi:10.1001/jama.2021.24110
Patone M, Mei XW, Handunnetthi L, et al. Risks of myocarditis, pericarditis, and cardiac arrhythmias associated with COVID-19 vaccination or SARS-CoV-2 infection. Nature Medicine. Published online December 14, 2021. doi:10.1038/s41591-021-01630-0
Ein Fazit
Das, was alle gerne hätten, das gibt es nicht: Eine Tabelle, in der schön nach Geschlecht und Altersgruppe nebeneinander statistisch belastbare Daten zur „normalen“ Virus-Myokarditis, zur COVID-Myokarditis und zur Impf-Myokarditis aufgeschlüsselt sind.
Nachtrag vom 18.02.2022: Die Paper von Fronza et al. versucht sich mit jeweils sehr kleinen Fallzahlen (21 Probanden mit Myokarditis nach COVID-Impfung, 10 Probanden mit Myoarditis nach COVID-Infektion, 61 mit Myoarditis aus anderen Gründen) an diesem Vergleich (Dank an Jesse Ventura für das Paper). Die Myokarditiden nach Impfung waren im Vergleich zu den COVID-Infektions-Myokarditiden und den „anderen“ Myokarditiden milder, mit weniger Einschränkungen der Pumpfunktion und weniger Auffälligkeiten in der Kardio-MRT-Untersuchung. Allerdings waren sie auch im Schnitt 20 Jahre jünger (Altersdurchschnitt 31 Jahre bei der Impf-Myokarditis, 51-Jahre bei der COVID-Myokarditis, 44 Jahre bei den „anderen“ Myokarditiden. Von den Probanden mit Impf-Myokarditis hatten 81% ein LGE (siehe oben) und 29% eine eingeschränkte Pumpfunktion. Zur Einordnung: Ein LGE hatten 90% der COVID-Myokarditis-Probanden und 97% der mit einer „anderen“ Myokarditis, eine eingeschränkte Pumpfunktion 50% der Probanden nach COVID und 77% der „anderen“. In einer follow up-Untersuchung waren nach durchschnittlich 22 Tagen die Impf-Myokarditis-Probanden wieder beschwerdefrei. Die Troponin-Werte hatten sich bei 38% normalisiert, bei 43% verbessert. Alle Probanden hatten wieder eine normale Pumpfunktion. Bei keinem Probanden trat im Nachbeobachtungszeitraum eine behandlungsbedürftige Herzrhythmusstörung oder ein andere akute kardiologische Erkrankung auf. Bei den COVID-Probanden und den „anderen“ war der Nachbeobachtungszeitraum jeweils 10 x so lang (211 und 195 Tage, was aber lt. Autoren an der kurzen Verfügbarkeit der COVID-Impfstoffe liegt). Hier traten in beiden Gruppen behandlungsbedürftige kardiologische Erkrankungen auf (bei 30% der COVID-Gruppe und 8% der „anderen“ Myokarditiden). Keiner der Probanden (egal welcher Kohorte) ist im Beobachtungszeitraum verstorben.
Was kann man nun aus den vorgestellten Arbeiten lernen: Männliche Jugendliche und junge Männer haben ein erhöhtes Risiko einer mRNA-COVID-19-Impfstoff-assoziierten Myokarditis, insbesondere nach der zweiten mRNA-Imfpung. Dieses Risiko übersteigt allem Anschein nach das Risiko einer Myokarditis durch COVID-19 selber. Diese Impfstoff-Myokarditiden verlaufen in der Regel mild und heilen gut ab. Für alle anderen Altersgruppen bei Männern gilt das nicht. Hier ist das COVID-Myokarditis-Risiko höher als dass der Impfung. Bei Frauen kann man einen ähnlichen, wenn aber nicht so ausgeprägten Effekt sehen. Wichtig ist auch zu beachten, dass Männer (auch jüngere) statistisch sehr viel schwerere COVID-Verläufe als Frauen haben. Dementsprechend sollten sich auch junge Männer impfen lassen.
Niemand lässt sich gegen COVID-Impfen, weil er isoliert Sorge vor einer COVID-assoziierten Myokarditis hat. Alle lassen sich impfen, damit sie möglichst keinen schweren Verlauf, kein Long Covid und bei Kindern und Jugendlichen kein PIMS bekommen. Seit der Ausbreitung der Delta-Variante gilt ja der berühmte Jens Spahn-Spruch, der in seinem Pathos etwas übertrieben scheint, aber einen wahren Kern hat:
Die Frage ist nicht, bekommt man einfach kein COVID und kann sich wegducken, sondern bekommt man COVID oder ist man geimpft? Auf das Myokarditis-Thema runter gebrochen: Welche Myokarditis-Version hätte man lieber im Fall der Fälle? Mit Omikron ist selbst diese brachiale Weisheit mehr oder weniger hinfällig. Sehr viele Menschen werden auch geimpft COVID bekommen.
Dennoch erscheint es sinnvoll, dass es Überlegungen gibt, den Impfabstand zumindest bei jungen Männern zu verlängern und auch die Dosis ggfs. zu reduzieren. Hilfreich hierfür ist sicherlich die COV-BOOST-Studie von Munro et al., die entsprechende Signale (bei Probanden > 30 Jahren) zeigen konnte oder auch dieses Preprint (Link) von Buchan et al. (Danke an Dr.Rup für das Paper). In Großbritannien wurde aus genau diesen Überlegungen ein Impfabstand von 12 Wochen bei der COVID-Impfung von 5-11-Jährigen empfohlen (Link).
Wo man weiterlesen kann
Buchan SA, Seo CY, Johnson C, et al. Epidemiology of myocarditis and pericarditis following mRNA vaccines in Ontario, Canada: by vaccine product, schedule and interval. medRxiv. Published online January 1, 2021:2021.12.02.21267156. doi:10.1101/2021.12.02.21267156
Fronza M, Thavendiranathan P, Chan V, et al. Myocardial Injury Pattern at MRI in COVID-19 Vaccine–associated Myocarditis. Radiology. Published online February 15, 2022:212559. doi:10.1148/radiol.212559
Munro APS, Janani L, Cornelius V, et al. Safety and immunogenicity of seven COVID-19 vaccines as a third dose (booster) following two doses of ChAdOx1 nCov-19 or BNT162b2 in the UK (COV-BOOST): a blinded, multicentre, randomised, controlled, phase 2 trial. The Lancet. 2021;398(10318):2258-2276. doi:10.1016/S0140-6736(21)02717-3
Manchmal geschehen komische Dinge und man findet im BILD-Live Ticker plötzlich interessante Literatur. Zum Beispiel diese hier The effectiveness of vaccination against long COVID. A rapid evidence briefing (Link pdf, Link Begleittext) der UK Health Security Agency (UKHSA), was die Public Health-Institution des Vereinigten Königreichs ist. Es handelt sich um eine Zusammenstellung von 15 Studien (davon überwiegend Preprints) zum Thema Auswirkungen von COVID-Impfungen auf Long Covid-Beschwerden, die kurz vorgestellt werden.
Das verrückte ist, dass diese Zusammenstellung viel besser ist, als viele peer reviewed COVID-Paper der letzten Zeit. Die Studien werden in ihrer Qualität beurteilt, es werden Confounder identifiziert und angesprochen, was will man mehr.
Die Twitter-Zusammenfassung
Kurz gesagt steht in dem Bericht inhaltlich das selbe, was Martin Korte letzte Woche bei Holsteins Abendspaziergang berichtet hat: COVID-Impfungen verringern das Risiko bei einer (Durchbruchs-)Infektion mit COVID-19 Long Covid zu entwickeln. Und sie scheinen Long Covid-Symptome abzumildern und zu verkürzen, wenn schon welche bestehen und nach durchgemachter Infektion eine Impfung erfolgt.
Die Blog-Zusammenfassung
Ein bisschen ausführlicher sieht es so aus: Eingeschlossen wurden 15 Studien (vier aus Großbritannien, vier aus den USA, eine aus Frankreich, zwei aus Indien, weine aus Indonesien, eine aus Israel und zwei internationale „Online-Studien“). Bei acht Studien ging es um den Schutz von COVID-Impfungen vor Long Covid, sie betrachteten also Durchbruchsinfektionen. Mit diesen Studien fangen wir an. Sieben Studien beschäftigten sich mit Menschen mit Long Covid, die nach der Infektion mit SARS-CoV-2 und schon bestehenden Long Covid-Symptomen noch eine COVID-Impfung erhielten.
Einschränkungen der Studien
Auch ein schönes Twitter-Thema ist ja das Folgende: Methodische Einschränkungen von Long Covid-Studien. Dies thematisieren auch die MHRA-Autoren. Eine erste Problematik ist die unterschiedliche Definition von Long Covid in den verschiedenen Studien. Eine Zweite die schwierige Objektivierbarkeit der Long Covid-Symptome, die Dritte, dass sich in einigen Studien die Long Covid-Symptome rasch zurückbildeten (das wissen wir ja aus anderen Studien zu dem Thema, dass nur ein Teil der Betroffenen länger als 4-6 Wochen relevante Symptome hat) und die Vierte, dass vermutlich erhebliche Placebo-, aber auch Nocebo-Effekte eine Rolle bei der Bewertung von Long Covid-Symptomen mit und ohne Impfung gespielt haben dürften. Darüber hinaus waren alle Studien Beobachtungsstudien, die andere Confounder nicht ausschließen konnten, auch wurden Online-Befragungen mit den bekannten Problemen (overreporting von Symptomen) und Studien, die ihre Probanden ausschließlich aus der Gruppe hospitalisierter Patienten rekrutierten (mehr Long Covid nach schweren Verläufen) eingeschlossen.
Schutz vor Long Covid durch COVID-Impfung
Im ersten Abschnitt des Berichts geht es um „Vaccination before infection“. Auch hier wird den Studienergebnissen eine Limitierung vorrausgestellt, in diesem Fall eine anzunehmende Unterschätzung der Verhinderung von Long Covid durch Impfungen, da ja nur Menschen mit Durchbruchsinfektionen eingeschlossen wurden und keine repräsentative Gesamtpopulation. In drei von vier Studien konnte gezeigt werden, dass sich das Long Covid-Risiko mit einer vollständigen Impfung (zu den Studienzeitpunkten überwiegend noch zwei Impfungen) in den meisten Fällen ungefähr halbierte (im Vergleich zu einer ungeimpften Kontrollgruppe), bei jüngeren Erwachsenen (18-59 Jahre) in einer Studie sogar auf ein Fünftel des Ausgangsrisikos sank. Das Thema jüngere Erwachsene ist aber so eine Sache, da sich diese in anderen Studien schnell von Long Covid erholten und dementsprechend der Benefit der Impfung dann geringer war.
Bei nur einer Impfdosis bis zur Infektion war das Ergebnis uneinheitlicher, teilweise zeigte sich eine leichte Reduktion des Long Covid-Risikos, teilweise nicht.
Eine indische Studie ergab genau das gegenteilige Bild. Hier waren geimpfte Menschen häufiger von Long Covid betroffen, dies ließ sich aber in den anderen Studien nicht beobachten, wohl aber in einer amerikanischen Studie kein objektivierbarer Effekt auf Long Covid durch eine COVID-Impfung.
Veränderung von Long Covid-Symptomen durch COVID-Impfungen
In meinen Augen spannender, weil immunologisch interessant, ist der zweite Part des Berichts. Hier geht es um „Vaccination after infection“.
Von den sieben Studien hierzu verglichen vier Arbeiten Long Covid-Symptome vor und nach der Impfung. In drei dieser Studien konnte man eine Verbesserung von Long Covid-Symptomen nach einer Impfung feststellen, bzw. mehr Verbesserungen von Symptomen als Verschlechterungen. Dabei geht es aber um so Größenordnungen von jeweils 10% der Probanden (23,2% der Geimpften verspürten eine Verbesserung der Long Covid-Symptome gegenüber 15,4% der ungeimpft bleibenden Kontrollgruppe, 25,6% der Kontrollgruppe berichteten von einer Symptomverschlechterung im Verlauf, jedoch nur 14,3% der geimpften Long Covid-Betroffenen), in einer der Studien auch um gute 50%, die von einer Impfung profitierten. Teilweise wurde auch nur – insbesondere nach der ersten Impfung – von einer passageren Beschwerdebesserung berichtet. Teilweise gab es sehr rasch nach der Impfung eine Symptombesserung.
In einer französischen Arbeit zeigte sich ein konträrer Eindruck, hier führte eine Impfung bei einem großen Teil der Probanden zu einer Symptomverschlechterung.
Was auch zu beobachten war, war dass eine „schnelle“ Impfung bis vier Wochen nach der Infektion eher zu einer Symptomlinderung führte, als wenn der „offizielle“ Abstand von bis zu sechs Monaten eingehalten wurde.
Ein kleines Fazit
Meines Erachtens ein super Bericht mit einer super Aussage. Die Impfung hilft aller Wahrscheinlichkeit nach nicht nur gegen schwere COVID-Verläufe, sondern verringert auch das Risiko Long Covid zu entwickeln, es ist also eine klassische win-win-Situation. Ob und in welchem Ausmaß hier Placebo-Effekte eine Rolle spielen ist aus klinischen Erwägungen ziemlich egal. Wenn es den Menschen hilft, ist es doch gut. Und die Impfung ist auf Grund der Verringerung schwerer Krankheitsverläufe eh indiziert. Außerdem wissen wir aus der Placebo-Forschung (wäre auch noch mal ein gutes Blog-Thema), dass auch Placebo-Effekte deutliche Veränderungen in der Immunantwort von Menschen hervorrufen können.
Die Verkürzung des Genesenenstatus von sechs auf drei Monate, bzw. eigentlich auf den Zeitraum 28. bis 90. Tag nach positivem PCR-Befund schlägt in den klassischen und den sozialen Medien große Wellen. Vielen erscheint sie unverständlich und ungerecht, vielen auch willkürlich. Die offizielle Argumentationslinie ist, die Kommunikation sei „unglücklich“ gelaufen, aber inhaltlich entspreche es dem Stand der Wissenschaft. Zuletzt hatte Karl Lauterbach ja sogar angekündigt, sich auf EU-Ebene ebenfalls für die Verkürzung des Genesenenstatus einzusetzen.
Problematisch ist, dass die Argumentation, die man seitens des Robert Koch-Instituts (RKI) auf der entsprechenden Webseite vorbringt sehr kurz und – ohne Einarbeitung in die Materie – kaum nachvollziehbar ist: Link
Etwas hilfreicher sind die Ausführungen, die Tim Röhn bei Twitter veröffentlicht hat, die er vom RKI erhalten hat:
Zusätzlich wurde dort ein weiteres Preprint als Begründung angeführt, welches auf der RKI-Seite nicht erwähnt wird, auf das wir später noch einmal zurückkommen.
Die RKI-Argumentation
Die RKI-Prämissen
Das RKI argumentiert in seiner Antwort an Tim Röhn ein wenig komplexer, als man zunächst vermuten kann. Die Wissenschaftler sagen nämlich, dass es ihnen in erster Linie um den Schutz vor Virusweitergabe, also der Virustransmission geht und zwar sowohl als asymptomatisch Infizierter als auch als symptomatisch Infizierter. Was man über die Omikron-Variante weiß sind der stärkere Immunescape, also die Chance sich trotz vorhandener Grundimmunisierung anzustecken, da das Virus die vorhandene Immunantwort besser umgehen kann und die erhöhte Ansteckungs- und Weitergabefähigkeit (secondary attack rate) der Omikron-Variante – auch unter Geimpften und Genesenen – im Vergleich zu den vorherigen Varianten. Das ist ja das, was wir an den schnell steigenden Infektionszahlen auch ganz praktisch derzeit jeden Tag um uns herum bemerken.
Die RKI-Wissenschaftler beziehen sich explizit nicht auf die Dinge, die man vielleicht mit dem Schutz durch eine Impfung assoziieren würde, aber auch durch den durch eine durchgemachte Infektion: Nämlich der Schutz vor schweren Verläufen im Sinne von stationärer Behandlungsbedürftigkeit, Intensivpflichtigkeit oder Tod.
Vom RKI verwendete Literatur
Die auf der Internetseite zum Genesenenstatus angegebene Literatur besteht aus drei Quellen:
(1) Einem Survey des Imperial College in London, bei denen die Zahl der Hospitalisationsraten verschiedener Virusvarianten überwacht wird: Link
(2) Daten aus der SIREN-Study zum Thema Virusvarianten: Link
(3) Der STIKO-Begründung zur Verkürzung des Abstandes der Booster-Impfung auf drei von zuvor sechs Monaten: Link
Zusätzlich gibt es noch das im Nachgang bei der Antwort an Tim Röhn erwähnte Preprint:
(4) Altarawneh H, Chemaitelly H, Tang P, et al. Protection afforded by prior infection against SARS-CoV-2 reinfection with the Omicron variant. medRxiv. Published online January 1, 2022:2022.01.05.22268782. doi:10.1101/2022.01.05.22268782
Das Survey des Imperial College
Ferguson N. Report 50: Hospitalisation Risk for Omicron Cases in England. Imperial College London; 2021. doi:10.25561/93035
Das ist die erste der beiden zitierten britischen Gesundheits-Überwachungs-Erhebungen, die im Vergleich zu dem, was wir hier in Deutschland veranstalten unglaublich umfassend und aktuell ist. Der oben angeführte Link führt zur Studienzusammenfassung, hier kommt man zum pdf: Link.
Eine Kernaussage ist die reduzierte Hospitalisationsrate bei Omikron im Vergleich zu Delta. Betrachtet man die Häufigkeit von ZNA-Kontakten, so liegt die Rate 20-25% unter der von Delta und 40-45% unter Delta, wenn es um Patienten geht, die auch stationär aufgenommen werden müssen. Eine durchgemachte frühere Infektion reduziert das Risiko eines ZNA-Kontaktes um ungefähr 50% und das einer stationären Aufnahme um 69%.
Etwas weiter unten in dem Bericht geht es um eine andere Kernaussage, nämlich dass zwei Mal geimpfte (insbesondere wenn eine oder beide Impfungen mit einem Vektor-Impfstoff, wie dem von AstraZeneca erfolgt sind) auch unter Omikron vor schweren Verläufen geschützt sind, aber nicht mehr vor symptomatischen Infektionen.
Für die RKI-Argumentation ist in erster Linie Tabelle 3 auf Seite 8 des pdfs entscheidend. Dort werden Reinfektionsraten nach Impfstatus aufgeschlüsselt, auch wenn es hier um Hospitalisierungsraten geht und dem RKI um „any infection“ bezieht man sich beim RKI offenbar auf diese Tabelle:
Impfung oder Reinfektion
Fälle
Hospitalisierungen
% Reinfektionen an Fällen
% Reinfektionen an Hospitalisierungen
HR relativ zu primär Delta-Infizierten bei Ungeimpften
Gesamt ohne Reinfektion
306.194
3.238
Gesamt mit Reinfektionen
13.962
53
4,6
1,6
0,53
Ungeimpfte
9.585
56
18,6
8,9
0,59
AstraZeneca 1. Dosis < 21 Tage
0
0
AstraZeneca 1. Dosis > 21 Tage
257
< 5
23,3
0,0
0,29
AstraZeneca 2. Dosis < 14 Tage
29
0
3,4
AstraZeneca 2. Dosis > 14 Tage
11.440
46
14,0
4,3
0,31
AstraZeneca 3. Dosis < 14 Tage
2.877
< 5
9,0
0,07
AstraZeneca 3. Dosis > 14 Tage
2.384
8
7,0
0,0
0,2
mRNA 1. Dosis < 21 Tage
293
0
14,3
mRNA 1. Dosis > 21 Tage
2.526
10
12,9
20,0
0,57
mRNA 2. Dosis < 14 Tage
249
< 5
20,5
0,0
0,44
mRNA 2. Dosis > 14 Tage
22.249
60
11,9
6,7
0,22
mRNA 3. Dosis < 14 Tage
780
< 5
9,7
25,0
0,55
mRNA 3. Dosis > 14 Tage
2.467
11
8,0
9,1
0,34
nach: Altarawneh H, Chemaitelly H, Tang P, et al. Protection afforded by prior infection against SARS-CoV-2 reinfection with the Omicron variant. medRxiv. Published online January 1, 2022:2022.01.05.22268782. doi:10.1101/2022.01.05.22268782
Diese Tabelle benötigt etwas Erklärung: Angegeben sind in der ersten Spalte der Immunisierungsstatus, wobei bei den Impfstoffen nach Anzahl der Impfdosen unterschieden wird und nach dem Zeitraum der Infektion nach der letzten Impfdosis, weniger oder mehr als 14 oder 21 Tage. Dann findet sich die Zahl der Omikron-Reinfektions-Fälle, dann die Zahl der Hospitalisierungen und dann die hazard ratio. Die Berechnung der Prozentangaben erschließt sich mir teilweise nicht. Ich gebe sie hier an, wie in der Originalquelle.
Virus-Varianten-Überwachung aus der SIREN-Study
Die SIREN-Studie ist ein Survey, bei dem es um eine Immunitäts- und Reinfektionsüberwachung unter Beschäftigten im Gesundheitssystem geht, eingeschlossen sind 44.000 Mitarbeiter des NHS: Link, welche zu Beginn des Surveys schon eine hohe Antikörper-Prävalenz hatten (um 30%) und nun zu über 95% vollständig geimpft sind. Das RKI zitiert SIREN-Studien-Daten, welche wiederum in einem Virusvarianten-Survey (was die Briten alles haben … ist aber extrem super) vorgestellt werden. Bei diesen Links zu den technical briefings muss man aufpassen., teilweise werden Links verwendet, die immer zur aktuellen Version (die alle zwei Wochen erscheint) oder zu einer Übersichtsseite führen, das RKI bezieht sich aber auf folgende Veröffentlichung, die man sonst auch hier findet:
UK Health Security Agency: SARS-CoV-2 variants of concern and variants under investigation in England. Technical briefing 34
Bei den britischen Beschäftigen im Gesundheitssystem kommt es seit Mitte Dezember zu stark steigenden Infektionszahlen, so dass zwischenzeitlich über 200 der 44.000 Probanden infiziert waren.
In diesem Abschnitt des technical briefing findet sich auch die von Eric Topol vorgestellte Tabelle, die später noch mal interessant wird:
Booster vaccine effectiveness vs Omicron infections 62% (2 dose 32%) @UKHSA in people without Prior Covid https://t.co/Xf2TnuELyo and higher with Prior Covid, hybrid immunity, as seen in all studies pic.twitter.com/m4g3vUKJcl
In dieser Tabelle kann man sehen, dass der Schutz vor einer symptomatischen Reinfektion bei Omikron für Ungeimpfte bei nur 44% lag.
Aus dem allgemeinen Teil des technical briefing ohne SIREN-Studie ist noch der Abschnitt 2.5 Vaccine effectiveness bedeutsam. Dort wird dargestellt, wie nach einer zweimaligen AstraZeneca-Impfung der Immunschutz mit der Zeit nachlässt, für Delta gegen eine symptomatische Infektion von gut 80% auf gut 40% nach einem halben Jahr, für Omikron von gut 40% auf 0 nach einem halben Jahr. Booster-Impfungen mit einem mRNA-Impfstoff führen (über den kürzeren bislang verfügbaren Beobachtungszeitraum von > 10, bzw. 9 Wochen) zu einem relativ stabilen Immunantwort mit einem Schutz vor einer symptomatischen Delta-Infektion irgendwo zwischen 90 und 100% und gegen Omikron um 60% mit – bei beiden Impfstoffen – einer Tendenz zu einem deutlichen Nachlassen der Schutzwirkung im Verlauf, für den BionTech-Impfstoff auf knapp 50% und für Moderna auf 60% vor einer symptomatischen Infektion, was – soviel Analogie muss sein – ungefähr der Schutzwirkung eines Influenza-Impfstoffs entspricht (auch dort vor einem symptomatischen Verlauf).
Mit mRNA-Impfstoff-Erstimpfungen sieht es etwas besser aus, da fällt der Omikron-Schutz mit zwei Impfungen „nur“ auf 15-20% nach einem halben Jahr, der Booster-Effekt bleibt ungefähr gleich.
Der Schutz vor schweren Verläufen, definiert durch die Notwendigkeit einer Krankenhausaufnahme, ließ gegen Omikron auch recht schnell nach, blieb aber auch nach einem halben Jahr bei 44%, war aber initial auch nur 58% mit zwei Impfungen, mit einem Booster konnte man das (über 10 Wochen Nachbeobachtungszeit) auf 83% steigern. Die Autoren schreiben daher auch:
These estimates suggest that vaccine effectiveness against symptomatic disease with the Omicron variant is significantly lower than compared to the Delta variant and wane rapidly. Nevertheless, protection against hospitalisation is much greater, in particular after a booster dose, where vaccine effectiveness against hospitalisation is around 85 to 90%.
Interessant ist zudem Abschnitt 2.7 Reinfections. Denn hier tauchen auch tatsächlich 90 Tage auf, aber etwas anders als vielleicht erwartet:
Reinfections were defined as new PCR positive infections 90 days after a previous PCR positive date or 28 days after antibody positivity consistent with prior infection.
Das ist zunächst mal eine technische Definition, in der es nur darum geht, ab wann man von einer Reinfektion nach durchgemachter Erstinfektion ausgeht und nicht nur von „Virusresten“, die die PCR positiv erscheinen lassen. Der nächste Absatz ist dann aber wichtig:
Reinfection rates are usually generated using the population of previous infections eligible to become a reinfection (that is with a previous positive test result at least 13 weeks (>90 days) earlier). Using this as a measure of current reinfection rates in the population there is now a marked increase in overall reinfection rates, this is disproportionate to the increase in first infections.
Das heißt, Omikron reinfiziert deutlich mehr Genesene als bei einer 1:1-„Nachinfektion“ (ich schreib mal mit Absicht nicht „Durchseuchung“) zu erwarten wären. Für Schüler weiterführender Schulen ließen sich statistisch sogar frühere Reinfektionsraten (60-89 Tage) errechnen.
STIKO-Begründung zur Verkürzung des Abstandes der Booster-Impfung
Dritte, vom RKI angegebene Quelle ist die STIKO-Begründung zur Verkürzung des Abstandes der Booster-Impfung, die sich im epidemiologischen Bulletin vom 13.01.2022 auf den Seiten 16-18 findet (Link).
Für unsere Fragestellung finden sich in dieser wissenschaftlichen Begründung Argumentationen, die wir nun schon aus den anderen Quellen kennen, weil sie sich auf diese (bzw. auf frühere Versionen des technical briefing beziehen. Ansonsten geht es um Sicherheit, Verträglichkeit usw. Daher halte ich das hier kurz.
Das Preprint aus Katar
Die vierte Quelle ist das nachgeschobene Preprint aus Katar.
Altarawneh H, Chemaitelly H, Tang P, et al. Protection afforded by prior infection against SARS-CoV-2 reinfection with the Omicron variant. medRxiv. Published online January 1, 2022:2022.01.05.22268782. doi:10.1101/2022.01.05.22268782
Einige Kernaussagen dieser Studie hatte ich ja schon bei Twitter vorgestellt, aber hier noch einmal systematisch: Es handelt sich um eine Fall-Kontroll-Studie, in der alle SARS-CoV-2 positiven Befunde der Bevölkerung in Katar eingeflossen sind und welche mit einer Kontrollgruppe ohne SARS-CoV-2-Reinfektion verglichen wurde. Untersucht wurden alle – bislang gängigen – Virusvarianten. Eingeschlossen wurden Reinfektions-Fälle von 336 alpha-Varianten-Infektionen, 1.336 mit der beta-Variante, 2.176 mit Delta und 5.696 mit Omikron. Die mittlere Zeitspanne zwischen erst und Reinfektion war mit 250-314 Tage bei allen Virusvarianten relativ ähnlich, eher so im „ein knappes Jahr“-Zeitraum, was ja in der britischen Erhebung für Omikron anders war. Die Rate an schweren COVID-Verläufen war sehr niedrig, kein Reinfizierter ist verstorben, was aber mit der in Katar sehr sehr jungen Bevölkerung zusammenhängen kann, was auch die Hauptlimitation der Studie ist. Die Risikoreduktion durch Genesung vor einem schweren COVID-Verlauf mit stationärer Behandlungsbedürftigkeit lag bei 69,4% bei Alpha, 88% bei Beta, 100% bei Delta und 87,8% bei Omikron. Das, was für die RKI-Argumentation entscheidend ist, der Schutz vor „symptomatischer Reinfektion“ lag bei 90,2% für Alpha, 84,8% für Beta, 92% für Delta und 56% für Omikron.
Hauptlimitation der Studie, bzw. ihrer Übertragbarkeit auf Deutschland, ist die Bevölkerungsstruktur Katars, mit nur 9% über-50-Jähriger, alle anderen sind jünger als 50. Es konnten bevölkerungsweit nur knapp 20.000 Einwohner mit relevanten Risikofaktoren für schwere COVID-Verläufe identifiziert werden.
Wie das RKI argumentiert
Wenn man das alles zusammen hat, ist die RKI-Argumentation recht logisch, wenn man der Grundannahme folgt (damit tue ich mich aber weiter schwer, doch das ist der letzte Punkt). Aus der britischen Hospitalisierungs-Überwachung kennt man eine recht hohe Rate von Reinfektionen bei Genesenen (9.585 Fälle von insgesamt 42.309 beobachteten Reinfektionen), was sich mit den Erkenntnissen aus der SIREN-Studie deckt (Schutz vor Reinfektion mit Omikron bei UIngeimpften 44%) und eben auch mit dem Preprint aus Katar (56% Schutz vor Reinfektion mit Omikron nach durchgemachter Erstinfektion). In der britischen Virusvarianten-Überwachung konnte man zudem sehen, dass die Zeit zwischen Erst- und Reinfektion (erst Delta, dann Omikron) teilweise recht kurz ist, bei Schülerinnen und Schülern weiterführender Schulen sogar statistisch unter 90 Tagen.
Soweit, so logisch. Meiner Meinung nach. Was ich aber nicht verstehe ist folgendes:
Und was ist mit dem Omikron-Transmissions-Schutz bei Geimpften?
Das erste, was ich nicht verstehen kann, ist warum auf einmal der Fokus weg von einem Schutz vor einem schweren Krankheitsverlauf hin zur Verhinderung von jeglicher symptomatischer Infektion geht. Vor allem, weil das – bei Omikron, aber auch bei Delta (wenn auch weniger ausgeprägt), bei Geimpften nicht groß anders ist.
Und das ist das zweite, was ich nicht verstehen kann. Alle zitierten Surveys zeigen doch genau das selbe Phänomen für die COVID-Impfstoffe. Man muss nicht mal eine andere Arbeit lesen, man kann sogar in exakt die selben Tabellen schauen: Geimpfte haben einen zunächst eher mittelmäßigen Schutz vor einer symptomatischen Omikron-Infektion (besser ist es bei Geboosterten) mit dann raschem Abfall der Schutzwirkung (vom Trend her sieht man das auch bei Geboosterten). Und die Paper zeigen auch das, was wir derzeit tagtäglich um uns herum beobachten können: Auch Geimpfte infizieren sich leicht mit Omikron und geben das Virus weiter (z.B. in der SIREN-Studie mit 95% komplett geimpften Probanden).
Parallel gibt es – bei allen bisherigen Virusvarianten, auch bei Omikron – sowohl nach Genesung einen guten Schutz vor einem schweren COVID-Krankheitsverlauf.
Wenn ihr versteht, warum das RKI entschieden hat wie es entschieden hat, schreibt es gerne in die Kommentare (ich wollte diesen YouTube-Satz unbedingt mal schreiben).
Marc Hanefeld, Allgemeinmediziner aus Bremervörde, der bei Twitter unter dem Namen @Flying__Doc auftritt, hat heute folgenden Thread zum Thema No Covid verfasst:
Habe Bekannte im Gastronomie-Sektor. #2GPlus bedeutet für die, dass Einnahmeverluste drohen, ohne Kompensation.
#NoCovid damals (von Vielen unverstanden!) beinhaltete auch zeitlich begrenzten Lockdown: Recht auf finanzielle Kompensation, frühere Normalisierung.
Es wird deutlich, dass die #NoCovid-Hasser, die immer sagten „Aber die Wirtschaft!“ nun vor einer Situation stehen, in der die Kleinunternehmer in gewissen Branchen in die Knie gehen.
Das zeigt auch ganz deutlich die Moral dieser Bubble. Die ist auf Großwirtschaft zentriert.
Nicht falsch verstehen: #NoCovid (besser: #LowCovid) ist jetzt aktuell total unrealistisch, gerade angesichts der medialen und politischen Kommunikation. Ich fordere das zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Aber ich darf schon mal sagen: Wie dumm kann eigentlich eine Gesellschaft sein?
Ob aus dem FDP- oder aus dem einfachen Rechtsrad.-Umfeld: Die Leute, die ein aktives Pandemie-Management ablehnen und bekämpfen, verursachen genau damit weit mehr Schaden. Wirtschaftlich und medizinisch. Auch Tote. Wer dem das Wort redet, verhält sich gesellschaftsschädigend.
Sicherheitshalber: Wer das hier nutzt für hirnloses NoCovid-Bashing, der wird ohne Vorwarnung geblockt. Ich halte meine Timeline sauber.
Ich versuche mich mal an einer persönlichen Erwiderung und ich hoffe wir bekommen das höflich und ohne gegenseitiges beschimpfen und geblocke hin. Ich gehöre zu denen, die das No Covid-Konzept ablehnen und nicht, weil ich Großkonzernen oder einem Raubtierkapitalismus den Mund rede, sondern weil ich es für ein was Freiheitsrechte betrifft höchst bedenkliches und gefährliches Konzept halte. Und damit für „gesellschaftsschädigend“.
Und ja, wir können das ganze abkürzen, mein Freiheitsverständnis ist offenbar primitiv und nur die FDP und Lars Weisbrod teilen das, usw. Wenn man es schafft, sich nicht an die ins lächerliche gehende Dichotomie zwischen Querschwurblern und Rotknödel zu verlieren, könnte man aber sogar ins Gespräch kommen.
Also, No Covid kann man ja unter 2 Gesichtspunkten vertreten:
Als Übergangsstrategie bis wirksame Impfstoffe zur Verfügung stehen
Als dauerhaftes Pandemie-Eindämmungs-Konzept
Viele Menschen, die ich kenne, auch und insbesondere Mediziner, haben No Covid entsprechend Punkt 1 vertreten. Deutlich weniger verstehen es (außerhalb von Corona-Twitter) entsprechend Punkt 2.
SARS-CoV-2 is here to stay
Ich denke, NoCovid ist nicht auf Grund der „medialen und politischen Kommunikation“ unrealistisch, sondern in erster Linie dadurch, dass SARS-CoV-2 unter allgemein wissenschaftlich akzeptierten Annahmen als weltweit pandemisch gewordenes Virus nicht mehr zu eliminieren / eradizieren ist. Bis zu welchem Zeitpunkt dies realistisch gewesen ist, darüber scheiden sich die Geister, ich persönlich halte die Einschätzung von Francois Balloux für recht überzeugend:
I appreciate covid elimination / eradication was a tenable position until late summer 2020. I'm just intrigued that anyone believes it may still be now, and even more so, that some feel the emergence of yet another possibly more transmissible lineage supports those views. 3/
Auch von Anfang an wäre die SARS-CoV-2-Elimination ein ambitioniertes Ziel gewesen, insbesondere wenn SARS-CoV-2 einem tierischen Wirt entsprungen ist und die Laborhypothese nicht stimmt und es so ein dauerhaftes „Nachschub-Reservoir“ gibt. Seit überzeugende Hinweise bestehend, dass SARS-CoV-2 bei Omikron vom Menschen auf einen tierischen Zwischenwirt und zurück zum Menschen gesprungen ist (vgl. Wei, C., Shan, K.-J., Wang, W., Zhang, S., Huan, Q., & Qian, W. (2021). Evidence for a mouse origin of the SARS-CoV-2 Omicron variant. Journal of Genetics and Genomics, xxxx. https://doi.org/10.1016/j.jgg.2021.12.003) ist die Elimination des Virus wohl kaum mehr zu schaffen. Vor allem, wenn man bedenkt, dass SARS-CoV-2 auch in den Ländern heimisch geworden sind, wo es weder politisch, wirtschaftlich und medizinisch die Strukturen gibt, das Virus aktiv und effektiv zu bekämpfen.
Das No Covid-Konzept
Das Konzept von No Covid (Link) beruht im Wesentlichen auf dem Gedanken, relativ kleinräumig die Zahl der Neuinfektionen mit SARS-CoV-2 nahezu komplett auf null zu senken, bzw. keine nicht nachvollziehbaren Infektionsketten mehr zu haben und dann diese COVID-freien Zonen nach und nach zu größeren zusammenzufügen. Bei neuen Infektionen unklaren Ursprungs erfolgen dann umgehend harte Eindämmungsmaßnahmen um die Infektionsketten wieder zu durchbrechen. Man verspricht sich dadurch eine insgesamt kürzere Zeit mit Einschränkungen, zwischen den Lockdowns ein weitestgehend normales Leben und sowohl was die Zahl an COVID-Toten, als auch was die wirtschaftlichen Auswirkungen betrifft ein besseres Outcome, als wenn man die Infektionen „einfach laufen lässt“. Um das zu erreichen, gibt es zwei Hauptstrategien (Link):
Grüne und rote Zonen und
Test Trace and Isolate (TTI)
Grüne und rote Zonen
Die kleinräumigen Gebiete, in denen durch nicht-pharmazeutische Interventionen (NPI) (Lockdown, Abstandsgebot, Masken, Kontaktbeschränkungen usw.) eine Null-Inzidenz erreicht wurde, werden grüne Zonen genannt. Diese werden gegenüber Vireneintragungen von außen relativ hermetisch abgeriegelt, d.h. bis auf unbedingt notwendigen Transit-, Liefer- und Pendelverkehr (der mit Test- und ggfs. Quarantänemaßnahmen belegt wird) wird die Mobilität in rote Zonen, wo eben höhere Inzidenzen vorherrschen unterbunden. Sie ist im wesentlichen nur zwischen grünen Zonen gestattet.
Als Vorbild werden in der Regel Australien und Neuseeland genannt und z.B. hier der Maßnahmenplan von Melbourne als Vorbild für einen effektiven Lockdown genannt, der bis zu einer 7-Tageinzidenz von weniger als 10/100.000 das Verlassen des eigenen Hauses nur aus triftigem Grund gestattet und Besuche nur bei Alleinlebenden (1 Person), geschlossene Schulen usw. Erst bei einer 7-Tageinzidenz von null über vier Wochen wird „schrittweise“ auch das Arbeitsleben als letzter Schritt normalisiert.
Test Trace and Isolate
Damit ist die Kontaktnachverfolgung mit Quarantänisierung von Kontaktpersonen und Isolation von Infizierten gemeint. Damit eine Nullinzidenz aufrechterhalten werden kann, muss diese sehr effektiv und auch sehr proaktiv stattfinden, im Zweifelsfall werden eher zu viel als zu wenig Quarantänemaßnahmen verhängt. Das No Covid-Testkonzept findet man hier.
No Covid und Freiheitsrechte
Um das No Covid-Konzept aufrechtzuerhalten, müssen Grundrechte eingeschränkt werden, insbesondere die Freizügigkeit. Das fängt bei der Mobilität an, geht weiter bei Dingen wie Ausgangssperren und endet bei Kontaktbeschränkungen. Dazu kommt eine umfassende staatliche Kontrollmöglichkeit darüber, mit wem ich mich wann getroffen habe (denn die brauche ich für TTI). Und jetzt kommen wir zurück auf die Szenarien 1 und 2 von weiter oben.
Szenario 1, dass der zeitlich begrenzten Umsetzung bis zur Verfügbarkeit und Grundimmunisierung weiter Teile der Bevölkerung und
Szenario 2, dass der dauerhaften Pandemie-Kontrolle durch No Covid.
Schon bei Szenario 1 muss sich für mich sagen, empfinden ich den staatlichen Eingriff als übergriffig und totalitär. Jetzt komme ich aus einer politischen Ecke, in der die Einrichtung der Gefahrengebiete auf St. Pauli und im Schanzenviertel Anfang 2014 als Reaktion auf mehrere Rote-Flora- und Lampedusa-Flüchtlings-Demonstrationen (und ich meine auch Esso-Häuser-Anti-Gentrifizierungs-Sachen waren auch dabei) als unzumutbarer staatlicher Übergriff wahrgenommen wurde, ebenso die Polizeimaßnahmen um den G20-Gipfel drei Jahre später. Und selbst wenn man – wie ich – mit vielen kapitalismuskritischen (oder noch schlimmer antiimperialistischen) Demonstrationen nichts anfangen konnte, war klar, dass es ein Unding ist eine Stadt in einen Ausnahmezustand zu versetzen und Transferrouten für das who is who der Despoten, Populisten und Egomanen dieser Welt freizuprügeln.
Die staatlichen Eingriffe für die No Covid-Strategie betreffen aber nicht nur Hamburg oder Teile davon, sondern das ganze Land, ggfs. die ganze EU. Und sie betreffen nicht nur ein paar Zecken und Journalisten, sondern alle Menschen.
Ich kann – sehr widerstrebend – nachvollziehen, dass der Eingriff in Freiheitsrechte in einer sonst unkontrollierbaren Pandemie von Nöten ist, bis bessere Containment-Strategien zur Verfügung stehen. Von daher kann ich Szenario 1 noch irgendwie akzeptieren, auch wenn ich es persönlich nicht für richtig halte.
Szenario 2 hingegen nicht. Wir haben jetzt hochwirksame Impfstoffe, die insbesondere vulnerable Bevölkerungsgruppen vor schweren COVID-Verläufen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit schützen können. Ja, wir haben eine – im Vergleich zu anderen Ländern mit ähnlicher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit – sehr hohe Rate an ungeimpften Menschen. Trotzdem, lehne ich es ab, meine Freizügigkeit auf Dauer aufzugeben, weil Leute sich – aus aus meiner Sicht irrationalen Gründen – gegen eine Impfung gegen COVID-19 entscheiden. Weil das das Problem dieser Leute ist. Und wenn – nach der aktuellen Welle – es nicht mehr zu befürchten steht, dass das Gesundheitssystem angesichts der Anzahl an kritisch kranken Menschen mit COVID-19 kapituliert, akzeptiere ich diese Freiheitseinschränkungen nicht weiter. Einfach weil es Freiheitseinschränkungen sind und nicht weil ich ein „aktives Pandemie-Management“ ablehne oder ähnliches. Szenario 2 hat aus den genannten Gründen kein absehbares Ende, da SARS-CoV-2 nicht verschwinden wird und es so immer wieder Krankheitswellen und Eintragungen des Virus geben wird. No Covid wäre damit der Eintritt in einen Überwachungsstaat (wenn auch aus „noblen“ Gründen, wie unser jetziger Gesundheitsminister mal bei Twitter geschrieben hat).
Off Topic: Einfluss der No Covid-Protagonisten auf Pandemie-Politik in Deutschland
Es lohnt sich durchaus hier nachzuschauen, welche Wissenschaftler zum No Covid-Kernteam gehören und wer davon vor allem zum Beraterstab der Regierung Merkel gehörte. Aber auch im aktuellen Expertenrat der Bundesregierung (Link) finden sich einige Mitglieder wieder. Es lohnt sich durchaus auch nachzuschauen, welche Test- und Eindämmungskonzepte bei No Covid beschrieben wurden und welche wir aus der Vergangenheit aus praktischer Anwendung kennen. Wenn es heißt, Deutschland habe mit die strengsten und rigidesten Pandemie-Eindämmungsmaßnahmen, gibt es so durchaus eine Idee, warum das so sein könnte.
Vielleicht ist es auch nur Psychohygiene, weil ich eigentlich diese Faktenchecker, Faktenfüchse, Volksverpetzer usw. ganz furchtbar finde, weil da meistens mehr Agenda als Faktencheck hintersteckt. Aber wenn wer Freude dran hat:
22.03.2021
(1) Grosse internationale Studie UK/US hat 6 Monate #LongCovid untersucht. Bisher beste Langzeitstudie dazu. Es fällt auf, dass diejenigen, die Denkstörungen und Merkprobleme nach 1 Mon hatten diese in 6 Monaten nicht losgeworden sind. Was heisst das? https://t.co/vIycT8VBibpic.twitter.com/WMh69BIx27
— Prof. Karl Lauterbach (@Karl_Lauterbach) March 22, 2021
Blog-Beitrag zu dem Thema (Link), bis zu „Oft zitiert und oft kritisiert: Die Studie mit dem Internetfragebogen“ scrollen.
08.05.2021
Die Grafik ist wertvoll und beschreibt die Studienlage. Quintessenz: AstraZeneca lohnt für fast alle mit erhöhtem Infektionsrisiko und für ALLE Älteren. Da Eltern erhöhtes Infektionsrisiko haben lohnt sich schneller AstraZeneca Termin auch für sie. https://t.co/LOH8qyxZwr
— Prof. Karl Lauterbach (@Karl_Lauterbach) May 7, 2021
Blog-Beitrag zu dem Thema, das Thema VITT bei jungen mit AstraZeneca-Geimpften war da schon längst bekannt: Link.
12.05.2021
(1) Diese wichtige Studie aus Kalifornien belegt, was lange vermutet wurde. Covid ist viel mehr eine Gefässkrankheit als eine Lungenkrankheit. Das erklärt auch die Schäden an Nieren, Gehirn und Herz. Das Spike Protein selbst beschädigt die Gefässe. https://t.co/H71qSaul13
— Prof. Karl Lauterbach (@Karl_Lauterbach) May 12, 2021
Nein, keine dieser Schlussfolgerungen kann man nach Lektüre dieses Beitrages https://t.co/HqI3x1nWVs ernsthaft behaupten. Es handelt sich um einen interessanten Beitrag aus der Grundlagenforschung zu #COVID19, in dem ein Pseudovirus in einem Tiermodell (Hamster) verwendet wurde.
Wichtige Studie aus Cambridge von @GuptaR_lab zu Varianten und BionTech. Nach der ersten Impfung wirkt BionTech bei Ü80 Geimpften schlecht. Nach 2er Impfung ist Wirkung da, aber Dauer unklar. Auch Wirkung gegen Delta Variante unklar. Der Herbst ist riskant https://t.co/J9i45dhgxy
— Prof. Karl Lauterbach (@Karl_Lauterbach) June 30, 2021
Schon erstaunlich, wie unterschiedlich man die selbe Studie lesen kann. Ich wäre da eher bei @CarstenWatzl. Und ich finde es beeindruckend, wie man immer wieder Analogien ziehen kann, die das zitierte Material gar nicht hergibt („Der Herbst ist riskant“). #COVID19#Delta#impfenpic.twitter.com/laSdxrBQ8a
Ausführliche Zusammenfassung @GuptaR_lab Cambridge UK weshalb Delta Variante so gefährlich auch für Geimpfte ist. Dazu kommt schwererer Verlauf und schlechte Behandelbarkeit. Die Bevölkerung diesem Virus auszusetzen, wie in UK ab morgen der Fall, ist voll verantwortungslos https://t.co/y1EYeAL6wt
— Prof. Karl Lauterbach (@Karl_Lauterbach) July 18, 2021
1/ Selbst im Abstract steht: „Whilst severe disease in fully vaccinated HCW was rare“. Im Paper auch nichts anderes. Wie kommen Sie darauf, dass der Artikel belegt, dass #Deltavariante auch für #Geimpfte gefährlich sei? #COVID19#Impfen#coronaHH
In UK steigen Infektionszahlen, Krankenhauseinweisungen und Todesfälle. Mehrheit der neuen Krankenhausfälle sind geimpft. Das Risiko, jetzt weiter zu öffnen, wäre mir viel zu gross. https://t.co/hiU4pF33C6
— Prof. Karl Lauterbach (@Karl_Lauterbach) July 19, 2021
Weiterhin ist zu beachten: Wenn 95 % einer Bevölkerung vollständig geimpft sind und Impfstoffe Krankenhausaufenthalte um 90 % reduzieren, würden wir erwarten, dass 2/3 der Krankenhausaufenthalte auf geimpfte Personen entfallen: https://t.co/rMln0oncu2
#LongCovid wird immer noch unterschätzt. Eine andauernde Fehlfunktion der kleinen Gefässe und eine Unterdurchblutung bestimmter Gehirnbereiche sind nur ein Beispiel. Auch 20% der Geimpften, die Durchbruchinfektion haben, könnten betroffen sein. https://t.co/WkhOROqs34
Wir sollten die Inzidenz niedrig halten. Weil im Herbst der Schutz vor Ansteckung und vor LongCovid verloren geht. Wahrscheinlich schützt Impfung nur noch 50% vor Ansteckung. Und 20% der Angesteckten nach Impfung bekommen LongCovid. https://t.co/CXw497lzTG
Oh Mann. Wenn man schon @chrischirp zitiert, die mit der ganzen #indieSAGE-Mannschaft sehr auf der #NoCovid Welle reitet und dann noch Fantasieraten von #Geimpften mit #LongCovid hinzuphantasiert… Und das lesen jetzt 570.000 Leute und glauben womöglich das seien Fakten.
10% #LongCovid bezogen auf alle Infizierte waren bereits keine statistisch belastbare Zahl, da die Grundgesamtheit und die Stichprobe der Studien nicht alle Infizierten waren.
Die Studie ist relevant. Sie zeigt, dass Kinder unter 3 J bei Delta Variante besonders ansteckend sind, mehr als ältere Kinder. Daher sollten sich Eltern auf jeden Fall impfen lassen. https://t.co/VldoT42Zht
Führen zu mehr Haushaltsinfektionen als ältere Kinder. Vermutlich weil sie mehr Kontakt haben (logisch, sind ja kranke Kleinkinder). Kinder immer noch weniger ansteckend als Erwachsene (siehe conclusion). Und: es geht nicht um Delta, sondern um die zweite Welle Ende 2020.
(1) Diese interessante Studie aus Irland zu #LongCovid weist erneut darauf hin, dass die Blutgerinnung und die kleinsten Gefässe dabei beschädigt werden. Das würde die Denkstörungen und die Minderdurchblutung des Gehirns bei vielen LC Patienten erklären https://t.co/kKa8tOMm27
Es zeichnet sich ab, dass BionTech Impfung Wirkung gegen Ansteckung relativ schnell verliert, schneller wohl als AstraZeneca. Der Schutz gegen schwere Krankheit hält länger an, aber nicht für Risikopatienten. Daher müssen wir sie vor dem Winter impfen. https://t.co/SuRzSQjCrJ
Diese Studie an Makaken Affen zeigt, dass die Dosis SarsCoV2 beim einatmen 5x höher ist für eine Infektion mit Fieber als für fieberfreie Infektion. Ein sehr starkes Argument für das Tragen von Masken. https://t.co/8t30IQjYoX
Es ist erstaunlich. In den US appellieren öffentlich führende Kinderärzte jetzt an Regierung für besseren Covid Schutz der Kinder. Sie haben Angst vor Langzeitschäden. Bei uns beginnt eine stille Durchseuchung. In Hospitalisierungsquote spielt #LongCovid für Kinder keine Rolle https://t.co/L2fJFi9gNj
Diese wichtige UK Studie zeigt, dass das Risiko für #LongCovid bei Infizierten nach Impfung deutlich geringer ist. Impfung schützt daher vor langfristigen Schäden und Infektion. Ein wichtiger neuer Grund für eine Impfung. https://t.co/JyChlbsJRv
In Japan festgestellte Mu Variante ist gegen BionTech oder Antikörper Genesener resistenter als ALLE anderen Varianten. Wenn eine Variante wie Mu auch zu hoher Ansteckung mutiert wäre das äusserst gefährlich. Bei Milliarden Ungeimpfter jederzeit möglich. https://t.co/1GO5utajhR
Wichtige Studie. Sie zeigt, dass in China Frauen nach Covid, auch bei leichterem Verlauf, später hormonell weniger fruchtbar waren. Ob sich Fruchtbarkeit erholt ist unklar. Somit gilt: nicht die Impfung bedroht die Fruchtbarkeit sondern die Infektion https://t.co/hvs9huy1XJ
Studie zeigt erneut, dass Covid im Gehirn Spuren hinterlässt, auch bei relativ leichten Fällen. Da Veränderungen Gehirnbereiche beschädigen, die bei Alzheimer beschädigt sind, können wir alle nur hoffen, dass die Veränderungen weggehen. Niemand weiss das https://t.co/h6VaEglyUx
1/ Ich versuch mal mein Glück: Es handelt sich um eine Studie, die automatisiert MRT-Aufnahmen von Menschen vor und nach #COVID-Infektion verglichen hat, gepaart mit einer Kontrollgruppe ohne C19-Infektion. Die Probanden wurden zudem neuropsychologisch getestet. https://t.co/8vIxiXqjdi
Moderna hat leicht höheres Risiko von Herzmuskelentzündungen als BionTech, besonders bei jungen Männern. Moderna ist höher dosiert als BionTech, hat daher auch wahrscheinlich einen etwas längeren Schutz. Die Entscheidung in Schweden/Dänemark ist fragwürdig https://t.co/2cFsWJR7B6
Oder es ist vorsichtiger. Moderna hat einen wahrscheinlich längeren Schutz vor „any infection", vor schweren Verläufen, Hospitalisation und Tod helfen beide Impfstoffe und auch beide länger als 6 Monate lieber @Karl_Lauterbach. https://t.co/njwQKQfMRW
Die Daten stammen aus den zusammengelegten Gesundheitsdatenbanken von 🇩🇰 , 🇫🇮, 🇳🇴& 🇸🇪 . So etwas wirkt aus deutscher Sicht möglicherweise unwirklich futuristisch, ist allerdings alles andere als „fragwürdig“.
Hier sieht man die neuesten Daten aus UK zu Covid. Die Aufarbeitung ist erneut sehr gut. Die Hospitalisierungen der Kinder sind problematisch trotz der Tatsache, dass kaum Kinder sterben. Man muss von bedeutsamer Quote #LongCovid bei Kindern ausgehen. https://t.co/U601mIozUSpic.twitter.com/jBwhe5h6FP
Es sind Tweets wie dieser, der heutige mit den ONS-Daten, die ganz sicher keine hohe Quote von #LongCovidKids zeigen, der mit der nebenwirkungsfreien Impfung vor einiger Zeit oder der mit der noblen Idee #NoCovid warum man Ihnen Populismus vorwerfen muss. https://t.co/i1YJ9CMw2N
Methodisch sehr hochwertige Studie Oxford Universität zur Wirksamkeit Lockdown Massnahmen in 2. und 3. Welle. Die Massnahmen verloren leicht an Wirkung im Vgl. zur 1. Welle, blieben aber sehr wirksam. So erklärt sich der relativ grosse Erfolg Deutschlands https://t.co/PaOBehyE33
Lieber @Karl_Lauterbach, das ist die Studie, deren Preprint schon Ende März diskutiert und damals als Begründung für die #Ausgangssperre angebracht wurde. Die Studienautor*innen sprachen diesbezüglich von einer "Fehlinterpretation".https://t.co/rzKL0fZS9g
(1) Immer wieder wird Kindern in Deutschland abgesprochen, dass auch sie stark unter #LongCovid leiden. Das ist im Ausland anders. In Israel wurden Eltern von Covid Kindern befragt. 6 Mon nach Infekt hatten je nach Alter noch 11% Symptome. https://t.co/mUK4N1vJtm
Für die vielen, die Covid überstanden haben, muss noch viel getan werden. Studien zeigen klar, dass die Krankheit den Prozess der Alterung deutlich beschleunigt. Man altert im Zeitraffer und wird gegen chronische Krankheiten anfälliger sein. https://t.co/x4ZlgBK6Cp
Same procedure at nearly every day: Nein, man altert nicht im Zeitraffer und das steht in der Arbeit auch so nicht drin. Auch nicht, wenn man die Ergebnisse stark verkürzt, @Karl_Lauterbach, sondern ⬇️ https://t.co/CjfD9c33Gl
Nein, Herr Lauterbach, das steht da nicht. In dem Paper steht, dass einige CpG Dinukleotide, (das heißt, die DNA Basen C und G nebeneinander, die in der Regel in regulierenden Nicht-Gen Regionen der DNA vorkommen und über Anknüpfung von bestimmen Molekülresten zB das Ablesen von https://t.co/x2u3RwJfvB
In den Niederlanden steigt nach Lockerungen die Zahl der Corona-Infektionen stark an, bei einer mit unserer vergleichbaren Impfquote. Auch die Zahl der Todesfälle ist relativ hoch. Ob wir den FreedomDay von Gassen und Spahn bekommen steht noch offen. https://t.co/PsifNXnJIQ
Die Fallzahlen steigen wieder, dass war zu erwarten. Die Impfquote ist noch zu niedrig. Die FreedomDay Diskussion hilft auch nicht. Mehr 2G und eine neue, innovativere Impfquote würden helfen. https://t.co/rG5gJFRkVn
Wir führen jetzt eine innovative Impfquote nach Schroedinger ein. Sie ist gleichzeitig hoch genug und zu niedrig. Im Winter öffnen wir den Kasten und schauen nach. https://t.co/kAwAWA4D1z
Diese wichtige Arbeit zu Covid von der Uni Lübeck bestätigt die Hypothese, dass SARSCoV2 im Gehirn die kleinen Blutgefässe zerstört. Das kann viele neurologische Covid Befunde erklären. Obwohl die Studie dies nicht zeigt legt das Ergebnis ein erhöhtes späteres Demenzrisiko nahe https://t.co/ncVV9wTWW2
Die Studie zeigt keine Hinweise auf ein späteres erhöhtes Demenzrisikio, untersucht es auch nicht und die Autoren spekulieren auch nicht darüber. Es ist eine extrem komplexe Grundlagenforschungsstudie, bei der es im wesentlichen um die Frage geht, ist #COVID19 eine Gefäßkrankheit https://t.co/RvSBBIifIU
Diese grosse Studie der Uni Dresden in Kooperation mit RKI und Krankenkassen zeigt, dass Kinder so viel #LongCovid in Deutschland erlitten wie Erwachsene. Der Satz: Kinder werden bei Covid nicht ernsthaft krank, entspricht nicht den Studien preprint_post_covid_2021-10-20.pdf  pic.twitter.com/KUoz8H3t09
… und die wichtigste Erwiderung darauf: https://t.co/JqodUte4iY Und jetzt würden wir uns auch noch auf den korrekten Link zur Studie freuen, @Karl_Lauterbach, damit man sie auch lesen kann …
Herr @Karl_Lauterbach so langsam wird das was sie betreiben Desinformation! Selbst in der Zusammenfassung steht schon dass die Rate bei Kindern niedriger ist! Long Covid ist ein wichtiges Problem, aber das was sie hier betreiben ist schandhaft! https://t.co/ePDlpCOL9w
Herr @Lauterbach, das ist so nicht richtig! Selbst im Abstract der Studie steht bereits, dass Kinder signifikant seltener Post-Covid/#LongCovid bekamen als Erwachsene! Das trifft sowohl auf die incidence rate als auch auf die incidence rate ratio zu, die bereits die https://t.co/lEBN5ifni0pic.twitter.com/KuDMbjMgDx
Cambridge Uni Studie zeigt, wie andere Studien zuvor, dass #LongCovid mit Verlusten der Denkfähigkeit einhergehen kann. Andere Studien haben Verlust an grauer Substanz gezeigt. Das sind bei und immer noch Tabuthemen https://t.co/K4VthFBDmG
Nein, Herr @Karl_Lauterbach – #LongCovid und kognitive Defizite sind kein Tabu – es gibt nur bisher wenig gute (zB. prospektive, kontrolliert erhobene) Studien dazu. Aber dennoch qualitativ deutlich hochwertigere, als die, die Sie hier zitieren. https://t.co/y05uIMGgFg
Der Freedom Day in Dänemark ist komplett gescheitert. Ich erinnere mich noch als Herr Gassen, KBV, das gleiche bei uns forderte und empört war, als ich das im Streitgespräch mit ihm ablehnte. https://t.co/ZUTwCGVkXl
Wenn man komplexe Themen auf simple Phrasen runterbricht & behauptet, der Freedom Day in Dänemark wäre gescheitert, dann könnte man genauso behaupten, dass der Nicht-Freedom Day in Deutschland noch deutlicher gescheitert ist.
Das Paper hatten wir ähnlich unglücklich kommuniziert weiter oben schon mal:
1) Immer wieder wird bestritten, dass es #LongCovid überhaupt gibt. Daher hier noch einmal eine besonders wichtige Studie der Oxford Uni zur Klarstellung. Die Studie konnte besonders genau die Gehirne von Covid Patienten mit Gesunden vergleichen. Ergebnis: https://t.co/nLI1IOdA0m
Dass Covid den Gehirnstoffwechsel beschädigen kann, auch bei leichteren Verläufen, ist lange bekannt. Das will in Deutschland kaum jemand hören. Konzept ist „tot oder genesen“. Aber bei Kindern sollten wir so fair sein, jede unnötige Infektion zu vermeiden https://t.co/E0LhXlqxSg
Ich finde jetzt ein geändertes F18-FDG PET (ich nehme an auf diese Studie bezieht sich der Artikel HINTER DER PAYWALL) erstmal per se noch keine Beschädigung. Eine veränderte Zuckeraufnahme (und damit vermutlich ein veränderter Stoffwechsel, das zeigt diese Methode nämlich an) https://t.co/657cd4STH3
Im nächsten Jahr werden hunderttausende in Deutschland mit den Folgen von #LongCovid kämpfen. Sie werden nicht arbeiten. Auch dieser wirtschaftliche Schaden zählt. Er ist grösser, als 2 Wochen die Geschäfte zu schliessen. https://t.co/AqSrCOlUKz
Hier noch kleine Zusammenfassung, worum es in dem Paper wirklich geht:
Es ist eine australische prospektive Studie, bei der 253 Patienten, die an #EBV, einer bakteriellen Infektion mit Coxiella burnetii oder einer Virusinfektion mit Ross River-Virus (das kannte ich gar nicht) https://t.co/RxHAUWZm1B
Das ist der bisher beste Thread zu Omicron. In der Quintessenz wissen wir derzeit 1) dass Omicron sehr gefährlich ist und 2) dass es noch immer unklar ist ob die Gefahr auch für Geimpfte wirklich grösser ist. https://t.co/FmpOOjQwJb
Lieber @Karl_Lauterbach. Dies ist ein wunderbarer wissenschaftlicher Thread, nicht die übliche banale Panikmache eines @DrEricDing. Also geben Sie sich bitte etwas mehr Mühe beim Zusammenfassen.
Kurz zusammengefasst, für die, die den ersten (Link) und zweiten Teil (Link) nicht gelesen haben: Im ersten Teil ging es um das grundsätzliche Phänomen HIT Typ 2-artiger Thrombozytenabfälle in Verbindung mit thrombotischen venösen Komplikationen, in erster Linie Sinus- und Hirnvenentrhombosen. Es wurden beide Krankheitsbilder (HIT und Sinusthrombose) kurz vorgestellt. Im zweiten Teil ging es um die Pathogenese, die Klinik und die vorgeschlagenen Behandlungsoptionen der Impfstoff-bedingten Thrombozytopenien mit Thrombosekomplikationen, die man auch VITT (vaccine-induced immune thrombotic thrombocytopenia) nennt.
Updates (Changelog):
04.07.2021: Ich habe den neuesten Sicherheitsbericht vom Paul-Ehrlich-Institut in den Blogbeitrag mit einbezogen und ein kleines Fazit hinzugefügt.
Wie häufig passiert das überhaupt?
Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) veröffentlicht regelmäßig sogenannte Sicherheitsberichte zu den COVID19-Impfstoffen, die man hier abrufen kann. Diese Sicherheitsberichte sind nicht tagesaktuell, sondern werden in Intervallen bereitgestellt und beleuchten dann einen einige Tage zurückliegenden Zeitraum. Der letzte Sicherheitsbericht (Link) stammt vom 10.06.2021 und schließt Impfkomplikationen ein, die bis 31.05.2021 berichtet wurden. Nach diesem Sicherheitsbericht ist es bis zum 31.05.2021 zu 60 Fällen einer Sinus- oder Hirnvenenthrombose in Verbindung mit einer Thrombozytopenie gekommen (insgesamt 106 Fälle einer VITT), 15 SVT-Fälle (21 von 106 „Gesamt-VITT-Fällen“) verliefen tödlich. 43 der SVT haben Frauen erlitten und 17 wurden bei Männern berichtet. Verimpft wurden bis zu diesem Zeitpunkt in Deutschland 9.230.103 Impfdosen des AstraZeneca-Impfstoffes. Wenn man es sich einfach macht, kann man folgende Rechnung aufmachen:
60 SVT / 9.230.103 Impfdosen = 0,00065% Risiko einer SVT pro Impfung.
Was eine Halbierung des Risikos gegenüber 0,0012% bei dem letzten Update dieses Artikels im Juni bedeuten würde. Doch so einfach ist es nicht. Es gibt – wie die meisten ja wissen – einen geschlechtsspezifischen und einen altersabhängigen Faktor, welcher erheblich ist. Der größte Teil der SVT ist bei Frauen aufgetreten und hiervon wieder der größte Teil bei jüngeren Frauen unter 60 Jahren.
Wenn man jetzt eine spezifischere Risikoberechnung machen will, stößt man auf das Problem, dass es kein umfassendes Impfmonitoring in Deutschland gibt. Wir wissen also nicht bundesweit, wer welchen Impfstoff erhalten hat, wie alt sie oder er war, welches Geschlecht sie oder er hatte usw. Alles was es gibt, ist das Impfdashboard des Gesundheitsministeriums (Link) und diese Übersicht vom Robert-Koch-Institut (Link). An dieser Problematik scheitert übrigens auch der Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts. Was kann man also machen?
Option 1: Britische Daten verwenden
Folgende Grafiken von Alexandra Freeman von der Universität von Cambridge vom Winton Centre for Risk and Evidence Communication, die mit ihrer Arbeitsgruppe Nutzen und Risiko der AstraZeneca-Impfung nach Altersgruppen aufgeschlüsselt hat und zwar sowohl bei niedrigen, moderaten und hohen COVID19-Inzidenzen wurden in der letzten Zeit viel zitiert:
Our graphics to illustrate the potential benefits and potential harms of the AstraZeneca vaccine as announced by the MHRA this afternoon.
Benefits accrued over 16 weeks, at three different levels of exposure to the virus. pic.twitter.com/awB80xes3m
Hier zeigt sich nur bei der niedrigen Inzidenz (2/10.000 Einwohner, in „unserer“ Rechnung 20/100.000 Einwohner) für die jüngste Altersgruppe kein Benefit der Impfung mit einem höheren Risiko einer Intensivstationsaufnahme durch die Impfung. In allen anderen Fällen gibt es einen klaren Vorteil der Impfung. Diese Grafiken wurden auch in der Stellungnahme der Medicines and Healthcare products Regulatory Agency (MHRA) in Großbritannien (das ist sowas ähnliches wie das Paul-Ehrlich-Institut bei uns) vom 07.04.2021 zum AstraZeneca-Impfstoff verwendet (Link, Link Präsentation). Die MHRA empfiehlt den AstraZeneca-Impfstoff diesen Berechnungen folgend nur für unter 30-Jährige nicht.
Die Grafiken wurden auch ins Deutsche übersetzt und z.B. von Quarks (der WDR-Wissensendung) verwendet:
Lieber #Astrazeneca und bereits jetzt vor Corona geschützt sein oder erstmal keine Impfung? Die Antwort hängt nicht nur vom Alter, sondern vom individuellen Ansteckungsrisiko ab. Ein Thread👇 pic.twitter.com/8iWIlAqZFd
Eine Trennung nach Geschlechtern findet hier sowohl in der englischen als auch in der deutschen Version nicht.
Option 2: Selber rechnen:
Hier kommt man schnell an das selbe Problem wie das Paul-Ehrlich-Insitut, das fehlende „richtige“ Impfmonitoring. Dort wird etwas geraten und die Autoren schreiben folgendes:
Unter Berücksichtigung der Vaxzevria-Impfdosen ergibt sich eine Gesamtmelderate von 1,24 Fällen eines TTS auf 100.000 Erstimpfungen mit Vaxzevria. Allerdings stellt diese Melderate vermutlich eine deutliche Unterschätzung des Risikos dar, da nicht alle Fälle eines TTS gemeldet werden (Dunkelzifferrate). Außerdem beträgt die Zeit zwischen Impfung, Auftreten erster Symptome, Krankenhauseinweisung, Meldung und Bewertung der Meldung durch das Paul-Ehrlich-Institut zuweilen mehrere Wochen. Beispielsweise wurden ca. 80 % der TTS Fälle vor dem 11.04.2021 geimpft, also zu einem Zeitpunkt, zu dem die Anzahl verimpfter Dosen noch wesentlich geringer war. Würde als Data-lock-point (DLP) beispielsweise der 11.04.2021 betrachtet, so würde die Melderate 2,1 auf 100.000 Vaxzevria-Impfdosen betragen.
Etwas behelfen kann man sich, wenn man die etwas älteren Daten aus dem Risikobericht des Paul-Ehrlich-Instituts von Anfang April verwendet (Link). So kann man dort recht einfach nachlesen, dass bis zum 02.04.2021 2.945.125 Dosen des AstraZeneca-Impfstoffs verimpft wurden, 86% der Dosen gingen beim AstraZeneca-Impfstoff auf Grund der Zulassungshistorie in Deutschland (erst nur junge Impflinge, dann Impfstop, dann wieder junge Impflinge, jetzt ältere Impflinge) an Impflinge unter 60 Jahren. Das wären nach Adam Riese und Siri 2.532.808 Dosen, die Menschen unter 60 Jahre erhalten haben. Über alle COVID19-Impfstoffe lag der Anteil der weiblichen Impflinge bei 64%. Rechnen wir also:
42 SVT / 2.945.125 Impfdosen = 0,00142608548% Risiko einer SVT pro Impfung
Man kann das auch umrechnen: Dann kommt man auf 1,43 SVT / 100.000 Impfungen über alle Altersgruppen hinweg nach Impfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff in Deutschland. Für unter 60-Jährige wären das dann wie folgt:
42 SVT / 2.532.808 Impfdosen = 0,0016582386% Risiko einer SVT pro Impfung
Umgerechnet bedeutet dies 1,66 SVT/100.000 Impfungen bei unter 60-jährigen Impflingen nach Impfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff in Deutschland. Ist das jetzt viel oder wenig? Gefühlt nicht so wenig, auf Hamburg bezogen wären das (alle, incl. Kinder, durchgeimpft) immerhin 25,74 SVT.
Es gibt aktuelle Arbeiten, die bei ausreichend großer Datenbasis sowohl Angaben zur Mortalität nach Altersgruppen und Geschlecht für den COVID19-Wildtyp und die B.1.1.7-Mutation aufführen. Wenn man das dann tabellarisch aufarbeitet, sieht das Risiko wie folgt aus:
Geschlecht
Alter
Risiko Impfung
Risiko C19-Wildtyp
Verhältnis
Risiko B.1.1.7
Verhältnis
weiblich
0-34
0,00166%
0,00069%
2,4 : 1
0,0011%
1,5 : 1
35-54
0,00166%
0,033%
1 : 20
0,05%
1 : 30
55-69
0,00143%
0,18%
1 : 126
0,28%
1 : 196
70 – 84
0,00143%
2,9%
1 : 2028
4,4%
1 : 3077
> 85
0,00143%
13%
1 : 9091
19%
1 : 13287
männlich
0-34
0,00166%
0,0031%
1 : 1,9
0,0047%
1 : 2,8
35-54
0,00166%
0,064%
1 : 39
0,099%
1 : 60
55-69
0,00143%
0,56%
1 : 391
0,86%
1 : 601
70 – 84
0,00143
4,7%
1 : 3287
7,2%
1 : 5035
> 85
0,00143
17%
1 : 11888
25%
1 : 17483
Mortalität-Daten COVID19 nach Altersgruppen und Geschlecht nach: Davies, N. G., Jarvis, C. I., Edmunds, W. J., Jewell, N. P., Diaz-Ordaz, K., & Keogh, R. H. (2021). Increased mortality in community-tested cases of SARS-CoV-2 lineage B.1.1.7. Nature. https://doi.org/10.1038/s41586-021-03426-1
Demnach sollten sich Frauen unter 34 Jahren auf jeden Fall nicht mit AstraZeneca impfen lassen, bei Männern unter 34 Jahren gibt es einen kleinen Benefit der Impfung, alle anderen Altersgruppen unter 69 Jahren profitieren deutlich. Die darüber erst recht.
Option 3: Die aktuelleren Daten der DGN nehmen:
Das Studiendesign
Eine Studiengruppe der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) hat am 04.05.2021 ein Preprint veröffentlicht Link Pressemitteilung, Link Preprint, in welchem alle neurologischen Kliniken hinsichtlich VITT-Fällen bis zum 11. April 2021 abgefragt wurden. Es wurden 62 überwiegend neurovaskuläre Impfkomplikationen gemeldet, davon 45 Sinus- und Hirnvenenthrombosen, neun ischämische Schlaganfälle und vier Hirnblutungen, sowie vier „sonstige Ereignisse“. 11 der Fälle seien tödlich verlaufen. 37 der Sinus- und Hirnvenenthrombosen seien nach Impfung mit AstraZeneca aufgetreten, acht nach Impfung mit BioNTech. 78% der Komplikationen betrafen Frauen, 22% wurden bei Männern gemeldet. 80% der Komplikationen traten bei Impflingen unter 60 Jahren auf, 20% aber auch bei über 60-Jährigen. Die Autoren der Studie haben sich die Mühe gemacht, die verfügbaren Impfmonitoring-Daten aus neun Bundesländern (Baden-Württemberg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, and Schleswig- Holstein), die umfassender als die bundesweit erhältlichen sind zu benutzen und so eine genauere Aussage über die Inzidenzen in verschiedenen Alters- und Geschlechtsgruppen zu erzielen. Außerdem wurden nur Erstimpfungen berücksichtigt, da es bei AstraZeneca auf Grund des längeren Abstandes zwischen den beiden Impfungen deutlich weniger Zweitimpfungen bislang gibt und so bei der ausschließlichen Betrachtung der Erstimpfungen eine bessere Vergleichbarkeit besteht.
Die DGN-Studie ist zudem insofern interessant, da sie eine Risikostratifizierung vorgenommen hat, indem sie die gemeldeten Nebenwirkungen danach eingeteilt hat, wie wahrscheinlich eine VITT als Ursache der Impfkomplikation ist. Hierzu wurde ein Punktwert aus den vier Kernsymptomen der VITT (Impfkomplikation 1-16 Tage nach Impfung, Thrombozytopenie < 150/nl, positiver anti-PF4-AK-ELISA und positiver VITT-Bestätigungstest) gebildet, der folglich von 0 bis 4 reichen konnte. Ab > 2 Punkten wurde eine VITT als wahrscheinlich erachtet.
Die Ergebnisse nach verschiedenen Impfstoffen aufgeschlüsselt
Bei der Impfung mit dem BioNTech-Impfstoff kam es bei 1,3 Impfungen/100.000 Personenjahre zu einer Sinusthrombose. Das deckt sich ziemlich genau mit dem statistischen Risiko einer Sinus- und Hirnvenenthrombose in Deutschland, vergleiche auch Teil 1 der Mini-Serie. In keinem der Fälle wurde ein VITT-Risikoscore von 2 oder größer ermittelt. Bei den Impfungen mit Moderna wurde kein einziger Fall einer SVT berichtet, das liegt aber vermutlich an der relativ kleinen Grundgesamtheit der Moderna-Geimpften, die in die Studie eingeflossen sind. Für den Johnson & Johnson-Impfstoff lagen gar keine Daten vor (da er bislang kaum verimpft wurde und im Studienzeitraum gar nicht), eine kurze Anmerkung zu diesem Impfstoff findet sich weiter unten.
Beim AstraZeneca-Impfstoff kam es bei 17,9 Impfungen zu einer SVT, der Risiko-Score war in 62% der Fälle positiv.
Die Ergebnisse nach Alter und Geschlecht aufgeschlüsselt
Das wird als Tabelle übersichtlicher:
Frauen
Männer
BioNTech
alle Altersgruppen
keine Angabe
keine Angabe
unter 60 Jahren
3,6
3,5
über 60 Jahren
0,76
0
AstraZeneca
alle Altersgruppen
23,5
6,2
unter 60 Jahren
24,24
8,86
über 60 Jahren
20,52
0
Alle Angaben beziehen sich auf SVT / 100.000 Personenjahre. Nach: Schulz, J. B., Berlit, P., Diener, H.-C., Gerloff, C., Greinacher, A., Klein, C., Petzold, G., Poli, S., Piccininni, M., Kurth, T., Roehrig, R., Steinmetz, H., & Thiele, T. (2021). COVID-19 vaccine-associated cerebral venous thrombosis in Germany: a descriptive study. MedRxiv, 2021.04.30.21256383. https://doi.org/10.1101/2021.04.30.21256383
Das bedeutet, dass Frauen ein 9,68-fach erhöhtes Risiko einer SVT nach Impfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff gegenüber einer Impfung mit dem BioNTech-Impfstoff haben, ein 3,14-fach erhöhtes Risiko gegenüber Männern, die mit AstraZeneca geimpft wurden und ein 2,14-fach erhöhtes Risiko für unter 60-jährige Frauen gegenüber über 60-jährigen Frauen.
Die Sache mit Johnson & Johnson
Beim Impfstoff von Johnson & Johnson, der ja auch ein Vektorimpfstoff (Link Wikipedia) ist (er benutzt ein Adenovirus statt des Schimpansen-Virus von AstraZeneca als Vektor) hat die EMA am 09.04.2021 bekannt gegeben, dass sie den Impfstoff auf Grund von fünf Fällen von schweren Thrombosen in Verbindung mit einer Thrombozytopenie, welche nach Impfungen in den USA aufgetreten seien, genauer untersuchen werde (Link). Die FDA in den USA berichtete am 13.04.2021 von sechs Sinus- und Hirnvenenthrombosen nach Verimpfung von 6,8 Millionen Dosen Johnson und Johnson-Impfstoff (Link). Ähnliche, insgesamt sehr niedrige, Fallzahlen einer VITT wurden auch offenbar in zwei nicht frei erhältlichen Studien publiziert: Link DGN JournalClub.
Kleines Fazit
Insgesamt scheint es beim Thema VITT nach Impfung mit einem Vektor-Impfstoff – und dabei v.a. dem von AstraZeneca – eine gewisse Stabilität und Konstanz in den Daten zum jeweiligen Erkrankungsrisiko zu geben. Ich glaube, man lehnt sich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn man feststellt, dass junge Frauen in keinem Fall und Frauen unter 60-Jahren ziemlich sicher nicht mit dem AstraZeneca-Impfstoff geimpft werden sollten, analog zur derzeitigen STIKO-Empfehlung. Nicht ganz verkehrt wäre m.E. sogar die Maßgabe, Frauen überhaupt nicht mit dem AstraZeneca-Impfstoff zu impfen und bei Männern unter 60 Jahren vorsichtig und bei über 60 Jahren großzügig mit dem Impfstoff zu sein.
Wo man weiterlesen kann
Davies, N. G., Jarvis, C. I., Edmunds, W. J., Jewell, N. P., Diaz-Ordaz, K., & Keogh, R. H. (2021). Increased mortality in community-tested cases of SARS-CoV-2 lineage B.1.1.7. Nature. https://doi.org/10.1038/s41586-021-03426-1
Greinacher, A., Thiele, T., Warkentin, T. E., Weisser, K., Kyrle, P. A., & Eichinger, S. (2021). Thrombotic Thrombocytopenia after ChAdOx1 nCov-19 Vaccination. New England Journal of Medicine, NEJMoa2104840. https://doi.org/10.1056/NEJMoa2104840
Schulz, J. B., Berlit, P., Diener, H.-C., Gerloff, C., Greinacher, A., Klein, C., Petzold, G., Poli, S., Piccininni, M., Kurth, T., Roehrig, R., Steinmetz, H., & Thiele, T. (2021). COVID-19 vaccine-associated cerebral venous thrombosis in Germany: a descriptive study. MedRxiv, 2021.04.30.21256383. https://doi.org/10.1101/2021.04.30.21256383
Kurz zusammengefasst, für die, die den ersten Teil (Link) nicht gelesen haben: Eine Arbeitsgruppe um Transfusionsmediziner aus der Uniklinik in Greifswald hat sehr schnell nach den ersten Berichten zu Sinus- und Hirnvenenthrombosen (SVT) nach Impfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff ein Preprint (Link, Link pdf) und 09.04.2021 das peer reviewd-Paper hierzu im New England Journal of Medicine (NEJM) veröffentlicht (Link). Hier konnte gezeigt werden, dass der Mechanismus der Thrombosekomplikationen mit gleichzeitigem Abfall der Thrombozyten offenbar in vielen Punkten einer Heparin-induzierten Thrombozytopenie Typ 2 (HIT Typ 2) ähnelt. Was das ist habe ich übrigens im ersten Teil der Reihe erklärt. In der Arbeit aus Greifswald wurde eine Fallserie von 11 Patienten aus Deutschland und Österreich mit schweren Impfkomplikationen nach Impfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff vorgestellt, wobei davon neun Frauen und zwei Männer waren, das Alter zwischen 22 und 49 Jahren lag. Von diesen 11 Patienten litten 9 an einer Sinus- oder Hirnvenenthrombose, drei an einer Pulmonalarterien-Embolie, drei an einer Thrombose des Pfortaderkreislaufes und fünf an einer disseminierten intravasalen Gerinnungsstörung. Die Fälle verliefen schwer, sechs der 11 Patienten sind verstorben. In den zunächst von vier Patienten verfügbaren Blutproben fanden sich in drei Fällen anti-PF4/Heparin-Antikörper (also wie bei einer Heparin-induzierten Thrombozytopenie Typ 2), ohne dass diese zuvor Heparin erhalten hatten.
Updates (Changelog):
12.05.2021: Die American Heart Association und die American Stroke Association haben eine gemeinsame Stellungnahme mit Handlungsempfehlungen zur Behandlung der VITT veröffentlicht.
Vaccine-induced immune thrombotic thrombocytopenia (VITT), was ist das eigentlich und wie entsteht es?
Nach dem ersten Nachweis von HIT Typ 2-typischen Antikörpern wurden weitere Blutproben (insgesamt 24, also demnach auch noch weitere Blutproben von Patienten, die in der Fallserie nicht auftauchen) untersucht, welche ebenfalls von Patienten mit schweren thrombotischen Komplikationen nach Impfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff stammten. Von diesen kam es bei 22 Patienten zu einer starken Thrombozytenaktivierung nach Gabe von PF4 und nach Gabe des AstraZeneca-Impfstoffes. Es gab eine Kontrollgruppe mit 20 Patientenseren von mit AstraZeneca-Geimpften, welche keine Komplikationen entwickelt hatten, bei denen diese Thrombozytenaktivierung nicht gezeigt werden konnte.
Bei allen Patienten-Serumproben konnte die Thrombozytenaktivierung durch die Gabe von intravenösen Immunglobulinen (IVIG) gehemmt werden und durch einen monoklonalen Antikörper gegen CD32 (Monoklonaler Antikörper IV.3). CD32 (Link englische Wikipedia) als Oberflächenprotein kommt auf einer Menge von Immunzellen vor und bindet u.a. an IgG-Antikörper, insbesondere aber an Immunkomplexe. Im Umkehrschluss heißt das, dass bei den Serumproben die Thrombozytenaktivierung aufhörte, wenn zirkulierende Immunkomplexe aus IgG-Antikörpern gebunden wurden (was wiederum zu dem passt, was bei einer Heparin-induzierten Thrombozytopenie Typ 2 passiert).
Die Autoren betonen, dass sowohl das klinische Bild, als auch die serologischen Befunde dem ähneln, was man bei einer Heparin-induzierten Thrombozytopenie Typ 2 beobachten kann. Sie erwähnen, dass in den letzten Jahren verschiedene Chemikalien und Medikamente, virale und bakterielle Infekte, aber auch Kniegelenksersatz-Operationen beschrieben wurde, bei denen es zu einem Bild einer Heparin-induzierten Thrombozytopenie Typ 2 gekommen sei, ohne dass zuvor (so wie bei den mit AstraZeneca-Geimpften) Heparin gegeben worden sei. Hierfür sei der Begriff autoimmun Heparin-induzierte Thrombozytopenie geprägt worden. Im Gegensatz zu Patienten mit klassischer Heparin-induzierter Thrombozytopenie würden Patienten mit autoimmuner Heparin-induzierter Thrombozytopenie oft eine ungewöhnlich schwere Thrombozytopenie, eine erhöhte Häufigkeit einer disseminierten intravasalen Gerinnungsstörung und atypische thrombotische Ereignisse zeigen. Anders als bei der klassischen Heparin-induzierten Thrombozytopenie würde niedrig dosiertes niedermolekulares Heparin eher protektiv wirken und den Immunprozess nicht noch weiter antreiben. Hinsichtlich der Nomenklatur dieser autoimmunen Heparin-induzierten Thrombozytopenien wurde der Begriff „vaccine-induced immune thrombotic thrombocytopenia (VITT)“ vorgeschlagen. Das Paul-Ehrlich-Institut nennt die VITT in seinen Veröffentlichungen übrigens Thrombosen mit Thrombozytopenie-Syndrom (TTS).
Am 20. April 2021 wurde von der selben Arbeitsgruppe, erweitert um Forscher u.a. aus dem UKE, ein Preprint (also entsprechend müssen die Aussagen noch unter Vorbehalt verstanden werden) veröffentlicht (Link), welches sich genauer mit den Mechanismen der Entstehung der VITT beschäftigt. Hier wurde in einem recht aufwändigen experimentellen Setting ein mehrstufiger Prozess beschrieben, der direkt nach der Injektion des Impfstoffes beginnt und durch die Art des Impfstoffes, seine Zusatzstoffe und die starke Entzündungsreaktion, die er auslöst, bedingt ist.
Nach der Injektion kommen Impfstoffbestandteile und Thrombozyten unweigerlich in Kontakt, was zu einer Aktivierung der Thrombozyten führt. Im Rahmen der Aktivierung exprimieren die Thrombozyten Plättchenfaktor 4 (PF4). PF4 wiederum bindet an verschiedene Impfstoffbestandteile, u.a. das als Vektor verwendete Adenovirus, aber auch an menschliche Proteine, die im Impfstoff enthalten sind und die offenbar bei der Impfstoffherstellung verwendet wurden. So entstehen erste Komplexe aus Thrombozyten und Impfstoffbestandteilen. Dadurch, dass im Impfstoff geringe Mengen EDTA (Link Wikipedia) enthalten sind, welches zu einer vermehrten Durchlässigkeit insbesondere der Kapillaren führt, kommen zum Einen der Impfstoff und seine Bestandteile, zum Anderen aber auch die PF4-Impstoff-Komplexe in den Blutkreislauf. An diese binden natürlich vorkommende IgG-Antikörper, so dass „klassische“ Immunkomplexe entstehen, die jetzt eine immunologische Reaktion auslösen: Die Aktivierung des Komplementsystems (Link Wikipedia) und eine B-Zell-vermittelte Immunantwort. Spätestens das führt mit zu der systematischen Entzündungsreaktion, die ja insbesondere jüngere Menschen 8 bis 24 Stunden nach der Injektion erleiden.
Und: Wie wir bei dem HIT-Exkurs in Teil 1 gelernt haben, begünstigen systemische Entzündungsreaktionen und Gewebetraumen (die Muskulatur an der Injektionsstelle) die Entstehung einer HIT. Warum das so ist scheint ein unglaublich komplexer Prozess zu sein, den ich nur so halb verstehe, deshalb kürze ich ihn ab. Am Ende kommt es hier zu noch mehr Thrombozytenaktivierung und PF4-Freisetzung und zu einer Aktivierung neutrophiler Granulozyten, Monozyten und Endothelzellen mit der Entstehung von Thrombosen. In dieser Konstellation bilden sich dann Antikörper gegen PF4, was wiederum zu einer weiteren Immunreaktion führt, der HIT-ähnlichen VITT.
Klinische Merkmale der Patienten mit VITT
Im Paper wird eine Tabelle mit den 11 beschriebenen Fällen aufgeführt, in der auf verschiedene Laborparameter, aber auch auf die Erkrankungsart und das Outcome eingegangen wird. Ich habe hier mal die wichtigsten Parameter aufgeführt:
Fall
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
Thrombozyten min. (/nl)
13
107
60
9
23
75
29
16
13
8
??
D-Dimer max. (mg/ml)
142
1,8
13
??
??
2,6
33
??
21
35
??
Ort der Thrombose
Pfortader, Aorta, LAE, SVT
LAE
SVT
SVT
SVT, Pfortader, LAE, VCI, RV
SVT
SVT
SVT, disseminiert im ganzen Körper
SVT, multiple Organe
SVT, Pfortader
SVT, ICB
Symptombeginn nach Impfung
5
6
9
7
13
7
8
8
16
11
12
Gerinnungsstörung
nein
nein
nein
nein
ja
nein
nein
nein
nein
nein
nein
Outcome
letal
Besserung
unklar
letal
Besserung
Besserung
Besserung
letal
letal
letal
letal
nach: nach: Greinacher, A., Thiele, T., Warkentin, T. E., Weisser, K., Kyrle, P. A., & Eichinger, S. (2021). Thrombotic Thrombocytopenia after ChAdOx1 nCov-19 Vaccination. New England Journal of Medicine, NEJMoa2104840. https://doi.org/10.1056/NEJMoa2104840, Link pdf
Auffällig ist, dass die Patienten, die an den Komplikationen nach der Impfung verstorben sind, alle extrem niedrige Thrombozytenwerte (um 20/nl) hatten und die mit gutem Outcome deutlich höhere. Auffällig ist auch, dass das Auftreten der schweren Impfreaktionen mindestens fünf Tage gedauert hat, was nahelegt, dass die thrombotischen Komplikationen nicht direkt durch den Impfstoff, sondern durch die immunologische Reaktion auf die Impfung ausgelöst werden.
Empfehlung für das Management von Impfreaktionen
Die Autoren des Papers führen an, dass die Kombination aus einer Thrombozytopenie und thrombotischen Komplikationen nach einer Impfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff unbedingt an eine vaccine-induced immune thrombotic thrombocytopenia (VITT) denken lassen sollte. Sie betonen, dass der Nachweis von anti-PF4/Heparin-Antikörpern in vielen Krankenhäusern geführt werden kann, da es überall Konzepte und Abläufe zur Detektion von Heparin-induzierten Thrombozytopenien gibt, weisen aber auch darauf hin, dass eben nicht alle der Patienten mit schlechtem Outcome anti-PF4/Heparin-Antikörper hatten. In diesen Fällen sollten auch andere immunvermittelte Ursachen einer Thrombozytopenie wie ein hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS, Link Wikipedia) (das war das von EHEC, Link Wikipedia) oder ein Antiphospholipid-Syndrom (Link Wikipedia) bedacht werden. Zudem kann in der Universitätsklinik Greifswald ein spezieller Thrombozytenaktivierungs-Test mit „PF4-Verstärkung“ angefordert werden.
Die Autoren empfehlen zum Einen den Einsatz von intravenösen Immunglobulinen (IVIG) (1 g/kg Körpergewicht) zum Stoppen der Immunreaktion, sowie eine Antikoagulation mit direkten oralen Antikoagulanzien wie Rivaroxaban oder Apixaban (also Faktor Xa-Antagonisten) oder Argatroban oder Fondaparinux, deren Einsatz auch bei der Heparin-induzierten Thrombozytopenie empfohlen wird.
Ende April 2021 erschien in Stroke ein Konsensuspaper von der American Heart Association und der American Stroke Association, in dem die Behandlungsempfehlungen der VITT noch einmal zusammengefasst wurden. Einzig relevante Ergänzung zu der Greifswalder Arbeit ist die Empfehlung der IVIG-Gabe über zwei Tage. Die restlichen Handlungsempfehlungen sind im wesentlichen deckungsgleich.
In einer am 28.04.2021 veröffentlichten Arbeit in Blood (Link) aus Hannover mit einer Fallserie mit fünf Patienten mit einer VITT nach AstraZeneca-Impfung werden einige ergänzende – fundierte – Anmerkungen zum Thema VITT-Management gemacht. So weisen die Autoren dieser Arbeit darauf hin, dass niedermolekulare, aber auch umfraktionierte, Heparine bei den von ihnen berichteten fünf Patienten keine negative Wirkung gehabt hätten, vermutlich weil der Trigger einer VITT anders sei, als der einer HIT. Allerdings sei der Effekt der Gabe von IVIG „uncertain“, also ungewiss. Die Empfehlung für IVIG sei von der HIT Typ 2 abgeleitet worden, es gebe aber keine Evidenz, dass die IVIG-Gabe auch bei der VITT helfe. In ihrer Fallserie hätten zwei von drei mit IVIG behandelten Patienten zwar eine Zunahme der Thrombozytenzahl gehabt, allerdings auch neue thrombembolische Ereignisse entwickelt. Die Autoren dieser Arbeit weisen auch darauf hin, dass die VITT-assoziierten anti-PF4-Antikörper nicht mit jedem HIT-Panel detektiert werden könnten, so z.B. nicht mit dem „HIT IgG CLIA“, wohl aber mit einem anti-PF4-Antikörper-ELISA.
Durchgemachte Thrombose, Thrombophilie und AstraZeneca-Impfung:
Eine durchgemachte Thrombose sollte eigentlich kein Problem darstellen, da der Mechanismus der Entstehung „normaler“ Thrombosen und auch „normaler“ SVT ein ganz anderer ist als bei der überschießenden Impfreaktion. Eine andere Frage ist, ob eine durchgemachte Heparin-induzierte Thrombozytopenie nicht eine absolute Kontraindikation für die Impfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff darstellt. Hier gibt es ja zwei Möglichkeiten: Entweder bestehen schon präformierte anti-PF4/Heparin-Antikörper und es kommt sehr rasch zu einer schweren Immunreaktion oder es passiert gar nichts, weil der Weg der Induktion der Heparin-induzierten Thrombozytopenie ein ganz anderer ist (einmal Heparin, einmal Impfstoff). Die Aussagen der Arbeit von Tiede et al. Deuten ja eher in Richtung Version 2.
Menschen, die auf Grund einer Thrombophilie schon eine orale Antikoagulation einnehmen, nehmen ja sozusagen schon die Therapie der möglichen Impfnebenwirkung ein.
Wo man weiterlesen kann
Greinacher, A., Thiele, T., Warkentin, T. E., Weisser, K., Kyrle, P. A., & Eichinger, S. (2021). Thrombotic Thrombocytopenia after ChAdOx1 nCov-19 Vaccination. New England Journal of Medicine, NEJMoa2104840. https://doi.org/10.1056/NEJMoa2104840
Greinacher, A., Selleng, K., Wesche, J., Handtke, S., Palankar, R., Aurich, K., Lalk, M., Methling, K., Völker, U., Hentschker, C., Michalik, S., Steil, L., Schönborn, L., Beer, M., Franzke, K., Rangaswamy, C., Mailer, R. K., Thiele, T., Kochanek, S., … Renné, T. (2021). Towards Understanding ChAdOx1 nCov-19 Vaccine-induced Immune Thrombotic Thrombocytopenia (VITT). Research Square. https://doi.org/10.21203/rs.3.rs-440461/v1
American Heart Association/American Stroke Association Stroke Council Leadership. (2021). Diagnosis and Management of Cerebral Venous Sinus Thrombosis with Vaccine-Induced Thrombotic Thrombocytopenia. Stroke, STROKEAHA.121.035564. https://doi.org/10.1161/STROKEAHA.121.035564
Tiede, A., Sachs, U. J., Czwalinna, A., Werwitzke, S., Bikker, R., Krauss, J. K., Donnerstag, F. G., Weißenborn, K., Höglinger, G. U., Maasoumy, B., Wedemeyer, H., & Ganser, A. (2021). Prothrombotic immune thrombocytopenia after COVID-19 vaccine. Blood. https://doi.org/10.1182/blood.2021011958
Nach COVID19-Impfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff (und offenbar auch bei dem Johnson & Johnson-Impfstoff) kommt es selten und vor allem bei jüngeren und weiblichen Geimpften 3 bis 16 Tage nach der Impfung zu schweren Thrombosekomplikationen, meist in Verbindung mit einem massiven Abfall der Thrombozyten (also der Blutplättchen, Link Wikipedia). In den meisten Fällen ist es zu einer Hirnvenen- und Sinusthrombose gekommen, vereinzelt auch zu Thrombosen im Pfortadersystem.
Bevor man jetzt weiter macht, muss man als erstes einmal rekapitulieren, was eine Sinus- und Hirnvenenthrombose überhaupt ist.
Exkurs: Die „normale“ Sinus- und Hirnvenenthrombose
Neuroanatomie
Das venöse Blut des Gehirns wird in den sogenannten Hirnvenen gesammelt und über die Brückenvenen (das sind die, die beim Subduralhämatom (Link) einreißen) in die Sinus in der harten Hirnhaut (der Dura mater) abgeleitet, von wo aus es in die großen Halsvenen und dann zurück zum Herzen fließt.
In blau sind die duralen venösen Sinus dargestellt, Quelle: Link.
Klugscheißerei vorweg
Der korrekte Name der Erkrankung lautet Sinus- oder Hirnvenenthrombose und wenn doch zerebrale Sinus- und Hirnvenen betroffen sind, dann Sinus- und Hirnvenenthrombose. Man sagt nicht Sinusvenenthrombose, da die Sinus keine Gefäßwand haben und somit keine Venen sind. Für den Begriff Sinusvenenthrombose werden Assistenzärzte in der Neurologie in der Regel in der Röntgenbesprechung aus der ersten Reihe heraus gemaßregelt (same bei Apoplex und Krampfanfall).
Der englischsprachige Begriff der Erkrankung (wenn man mal googeln muss) lautet „cerebral venous thrombosis (CVT)“.
Epidemiologie und Klinik
Die spontane Sinus- und Hirnvenenthrombose (SVT) ist mit einer Prävalenz von 1,3-1,6/100.000 Einwohner eine seltene Erkrankung, aber doch ungefähr 3-4 x häufiger, als man noch vor wenigen Jahren angenommen hat. Die meisten SVT verlaufen mild, die Mortalität liegt unter 5% und die Rate an Betroffenen mit vollständiger Erholung bei mindestens 75%.
Abhängig vom Ort der Thrombose und dem Durchmesser der betroffenen Hirnvene oder des betroffenen Sinus reichen die Beschwerden von leicht und unspezifisch bis hin zu schwer und lebensbedrohlich. Klassische Symptome einer (schweren) SVT sind lageabhängige Kopfschmerzen (im Liegen stärker durch einen erhöhten Hindruck durch den gestörten venösen Abfluss), Sehstörungen (durch eine Stauungspapille (Link Wikipedia), ebenfalls durch den Hirndruck) und dann Komplikationen, die durch den fehlenden venösen Abfluss entstehen, insbesondere eine Ödembildung um das verschlossene Gefäß, aber auch Stauungsblutungen (sozusagen die Steigerung des Ödems mit Einblutung in das Gehirngewebe). Hierdurch kommt es häufig zu neurologischen Ausfallserscheinungen und epileptischen Anfällen.
Bei mindestens 20-35% der SVT lässt sich keine Ursache identifizieren, bei ca. 10% der Erkrankungen besteht eine orale Kontrazeption (also die Antibabypille) als möglicher Risikofaktor. Auch wenn es naheliegend scheint, besteht keine sichere Assoziation zu vermehrten SVT bei genetischen oder erworbenen Thrombophilien (Gerinnungsstörungen Link Wikipedia). Dies betrifft maximal 10% der Fälle, in wenigen Arbeiten werden auch 25% angenommen. Wohl aber kommt es in der Schwangerschaft zu vermehrten SVT. Hier schätzt man die Häufigkeit auf 12/100.000 Schwangerschaften, also als ca. 10 x häufiger als in der Gesamtbevölkerung.
Diagnostik
Die Bildgebung per CT und MRT insbesondere in Verbindung mit einer venösen Angiographie (Gefäßdarstellung) kann mit hoher Sensitivität relevante Hirnvenen- oder Sinusthrombosen detektieren. Bei jüngeren Patienten wird zur Reduktion der Strahlenbelastung die MRT angeraten. Auch wenn es formal anders empfohlen wird, kann man auch mit einer nativen MRT ohne Angiographie schon die allermeisten (und in jedem Fall größere) SVT ausschließen. Laborchemisch kommt – analog zur tiefen Beinvenenthrombose – die Bestimmung der D-Dimere (Link Wikipedia) zum Einsatz. Hier ist es – wie immer bei den D-Dimeren – so, dass negative D-Dimere in Verbindung mit einer klar umrissenen Klinik (in diesem Fall isolierte Kopfschmerzen ohne objektivierbares neurologisches Defizit) mit einer Spezifität von 99,8% eine SVT ausschließen können. Anders herum liegt die Spezifität für ein relevantes thrombotisches Ereignis bei positiven D-Dimeren nur bei 33% und man muss dann auf jeden Fall ein weiteres diagnostisches Verfahren anwenden, um eine SVT nachweisen oder ausschließen zu können. Kurz gesagt, negative D-Dimere schließen eine relevante Thrombose mit hoher Sicherheit aus, positive belegen diese aber eben nicht.
Therapie
Die Therapie leitet sich (auf Grund der schlechten Studienlage) von der Behandlung der tiefen Bein- und Beckenvenenthrombosen (Link Wikipedia) ab und besteht aus einer Antikoagulation (Gerinnungshemmung) zunächst mit Heparinen (Link Wikipedia). Hier kommt es im praktischen Alltag immer wieder zu erbitterten Diskussionen, ob nun ein Heparin-Perfusor mit unfraktioniertem Heparin angewendet oder die Gabe von niedermolekularen Heparinen in therapeutischer Dosis erfolgen sollte. Hierzu muss man wissen, dass es insgesamt nur zwei brauchbare klinische Studien mit insgesamt 79 eingeschlossenen Patienten zu der Fragestellung gibt und man daher kaum belastbare Aussagen treffen kann. Insgesamt konnte immer wieder die Überlegenheit von niedermolekularen Heparinen gegenüber einem Heparin-Perfusor gezeigt werden, allerdings haben alle Studien kleinere bis größere methodische Schwächen (z.B. wurden in einer Studie die schwerer betroffenen Patienten v.a. mit Heparin-Perfusoren behandelt). Zugelassen ist weiterhin nur die Gabe von unfraktioniertem Heparin. Im klinischen Alltag wird meist mit einem Heparin-Perfusor begonnen und wenn dann – erwartbar – die PTT immer zwischen unter- und übertherapeutisch pendelt – irgendwann auf die Gabe von 2 x tgl. niedermolekularen Heparinen umgestellt.
Im Verlauf erfolgt dann klassischerweise eine orale Antikoagulation mit Vitamin K-Antagonisten (also Marcumar, Link Wikipedia) und zwar auch, wenn eine Stauungsblutung vorliegt. Es gibt eine neuere Studie, die den Einsatz von Dabigatran (Link Wikipedia) als besser steuerbares Antikoagulanz im Vergleich zu Vitamin K-Antagonisten getestet hat (mit etwas uneindeutigem Ergebnis). Zugelassen sind aber weiterhin nur Vitamin K-Antagonisten. Die Dauer der Antikoagulation wird von den Empfehlungen zur Beinvenenthrombose abgeleitet, in der Regel antikoaguliert man für ein halbes Jahr, bei wiederholten Thrombosen oder einer nachgewiesenen Thrombophilie lebenslang.
Bei schweren Verläufen kann – bei schlechter Evidenzlage – eine mechanische Thrombektomie und ggfs. lokale Lysebehandlung und bei raumfordernden Blutungen eine Kraniotomie erwogen werden.
Wo man weiterlesen kann:
Ferro, J. M., Coutinho, J. M., Dentali, F., Kobayashi, A., Alasheev, A., Canhão, P., Karpov, D., Nagel, S., Posthuma, L., Roriz, J. M., Caria, J., Frässdorf, M., Huisman, H., Reilly, P., & Diener, H.-C. (2019). Safety and Efficacy of Dabigatran Etexilate vs Dose-Adjusted Warfarin in Patients With Cerebral Venous Thrombosis. JAMA Neurology, 76(12), 1457. https://doi.org/10.1001/jamaneurol.2019.2764
Weimar, C., Holzhauer, S., Knoflach, M., Koennecke, H., Masuhr, F., Mono, M.-L., Niederstadt, T., Nowak-Göttl, U., Schellong, S. M., & Kurth, T. (2019). Zerebrale Venen- und Sinusthrombose. Der Nervenarzt, 90(4), 379–387. https://doi.org/10.1007/s00115-018-0654-6
Wie entstehen die Sinus- und Hirnvenenthrombosen nach Impfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff?
Nachdem es zunächst ein Preprint aus der Transfusionsmedizin der Uniklinik in Greifswald gab (Link, Link pdf), ist am 09.04.2021 das peer reviewd-Paper hierzu im New England Journal of Medicine (NEJM) veröffentlicht worden (Link). Im Vergleich zum Preprint ist dies noch mal ausführlicher und aufschlussreicher. Der Erstautor scheint sich schwerpunktmäßig mit dem Thema Heparin-induzierte Thrombozytopenien zu beschäftigen (und ist dementsprechend auch Erstautor des verlinkten Papers beim Exkurs Heparin-induzierte Thrombozytopenie unten).
In der Arbeit wird eine Fallserie von 11 Patienten aus Deutschland und Österreich mit schweren Impfkomplikationen nach Impfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff berichtet, wobei davon neun Frauen und zwei Männer waren, das Alter zwischen 22 und 49 Jahren lag. Von diesen 11 Patienten litten 9 an einer Sinus- oder Hirnvenenthrombose, drei an einer Pulmonalarterien-Embolie (Lungenarterienembolie, Link Wikipedia), drei an einer Thrombose des Pfortaderkreislaufes (einer seltenen internistischen Erkrankung, welche normalerweise in Kombination mit einer Leberzirrhose auftritt, Link Wikipedia) und fünf an einer disseminierten intravasalen Gerinnungsstörung (Link Wikipedia). Die Fälle verliefen schwer, sechs der 11 Patienten sind verstorben.
In den zunächst von vier Patienten verfügbaren Blutproben fanden sich in drei Fällen anti-PF4/Heparin-Antikörper (also wie bei einer Heparin-induzierten Thrombozytopenie Typ 2; siehe unten), ohne dass diese zuvor Heparin (was ja ansonsten die Voraussetzung für eine Heparin-induzierte Thrombozytopenie ist) erhalten hatten.
Exkurs: Heparin-induzierte Thrombozytopenie
Prinzipiell lässt sich – v.a. bei der Gabe von unfraktioniertem Heparin – bei gut 25% der damit behandelten Patienten in den ersten Tagen ein Abfall der Thrombozyten um 30 bis maximal 50% beobachten, bevor die Thrombozytenwerte wieder ansteigen. Dieses Phänomen nennt man Heparin-induzierte Thrombozytopenie (HIT) Typ I (Link Wikipedia). Die HIT Typ 1 entsteht, da unfraktioniertes Heparin stark negativ geladen ist und Thrombozyten stark positiv und das Heparin so an die Thrombozyten bindet und diese aktiviert. Bei der HIT Typ 1 handelt es sich eher um ein Phänomen als eine Erkrankung, eine Behandlung ist in der Regel nicht notwendig.
Bei der Heparin-induzierte Thrombozytopenie Typ II ist das anders. Hier entsteht durch das eben beschriebene Binden der Thrombozyten mit dem Heparin eine Immunreaktion bei den Patienten, in deren Folge vier bis fünf Tage nach Erstgabe Antikörper gegen ein Oberflächenprotein der Thrombozyten, den Plättchenfaktor 4 (PF4) gebildet werden. Diese Antikörper binden an die Thrombozyten und verklumpen diese, weshalb dann Thrombosen sowohl im venösen als auch im arteriellen System entstehen. Parallel fällt die Zahl der Thrombozyten stark ab (diese werden ja auch gerade immunologisch bekämpft), so dass neben den Thrombosen durch den Thrombozytenmangel auch Blutungskomplikationen entstehen können.
Systemische Entzündungen und Gewebetraumata sind wichtige Risikofaktoren, die die Entstehung einer HIT Typ 2 wahrscheinlicher machen.
Wichtigste präventive Maßnahme ist das Verwenden niedermolekularer Heparine, die eben nicht so stark negativ geladen sind und daher auch weniger an Thrombozyten binden und dadurch auch weniger wahrscheinlich (und weniger stark) eine derartige Immunreaktion auslösen. Zweite präventive Maßnahme ist die möglichst kurze und niedrig dosierte Heparin-Gabe.
Oft können bei der HIT Typ 2 Antikörper gegen den Plättchenfaktor 4 nachgewiesen werden. Schon beim Verdacht auf eine HIT Typ 2 muss die Heparin-Gabe umgehend beendet werden und alternativ Präparate, die eben nicht Plättchenfaktor 4-Antikörper induzieren, gegeben werden. Dies sind in der Regel Argatroban oder Fondaparinux. Bis zu einem Drittel der Fälle einer HIT Typ 2 verlaufen schwer, durchaus auch mit letalem Ausgang.
Greinacher, A., Thiele, T., Warkentin, T. E., Weisser, K., Kyrle, P. A., & Eichinger, S. (2021). Thrombotic Thrombocytopenia after ChAdOx1 nCov-19 Vaccination. New England Journal of Medicine, NEJMoa2104840. https://doi.org/10.1056/NEJMoa2104840