Subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE)

Vorweg

So langsam möchte ich im Blog wieder von den Corona-Beiträgen wegkommen und perspektivisch zu den eigentlichen brainpainblog-Themen zurückkehren. Den Themenkomplex Masern und die Komplikationen einer Masern-Infektion finde ich allerdings in sofern interessant, da bei der ganzen Corona-Diskussion immer wieder neben Polio der Vergleich zur SSPE als Masern-Spätkomplikation gezogen wird. Nur was ist das eigentlich? Dafür müssen wir zunächst einmal in die Tiefen der Mikrobiologie und Pädiatrie eintauchen:

Die Masern: Kleiner Crashkurs

Das Masern-Virus

Auch bei der Herkunft des Masern-Virus geht man von einem eigentlich Tiere infizierenden Virus aus, welches allerdings schon frühgeschichtlich den Sprung auf den Menschen geschafft hat, vermutlich im Rahmen der Entwicklung von Viehhaltung. Anders als Corona-Viren hat das Masern-Virus keine feste Form, sondern ist relativ variabel. Auch es hat eine Hülle, die vom M-Protein gebildet wird und in dem mehrere andere – für die Infektion wichtige – Proteine stecken: Das Hämagglutinin, was in der Regel mit H abgekürzt wird und das F-Glykoprotein. Im Inneren der Hülle liegt die Virus-RNA. Übertragen wird das Masern-Virus vor allem durch Tröpfchen-Infektionen. Zunächst infiziert es Abwehrzellen, in dem das H-Protein an einen Oberflächenfaktor von Immunzellen (CD150) bindet. In den Zellen der Immunabwehr vermehrt sich das Virus und gelangt über die Blutbahn auch in die Atemwege. Dort dockt sich das Masern-Virus an das PRLV4-Protein an über dass das Masern-Virus die Zellen später auch wieder verlassen kann. Bei der Infektion der Immunzellen wird die Bildung verschiedener Zytokine induziert, unter anderem IL-6 und IL-8, begleitend wird über verschiedene Virus-Proteine eine wirksame rasche Immunantwort verzögert. Damit gewinnt das Virus Zeit, um sich im Körper vermehren zu können (das Virus lässt sich auch bei Gesunden noch bis zu 90 Tage nach Infektion in Lymphozyten nachweisen). Schlussendlich wird das Virus dann aber von der zellulären (also T-Zell-vermittelten) Immunsystem-Komponente bekämpft und eliminiert, Antikörper bilden sich erst mit Entwicklung des Hautausschlages aus.

Die Masern-Erkrankung

Masern gelten als eine der klassischen Kinderkrankheiten. Masern sind extrem ansteckend, sogar die ansteckendste derzeit bekannte Infektionskrankheit mit einem R0-Wert von 12-18 (Link Wikipedia, der R0 von COVID-19 beträgt 1,4 bis 5,7). Die Inkubationszeit liegt – auch durch die Fähigkeiten des Virus die Immunantwort zu unterdrücken – bei 10-14 Tagen. Dann entwickeln sich zunächst unspezifische Erkältungssymptome (durch die Infektion der oberen Atemwege), wie Husten, Schnupfen, Bindehautentzündungen und Fieber. Als nächstes Treten an der Mundschleimhaut kleine weiße Papeln auf, die berühmten Koplik-Flecken, die alle Mediziner mal in irgendwelchen Staatsexamens-Prüfungen per Multiple Choice ankreuzen durften. Erst 1-2 Tage später entwickelt sich das Masern-Exanthem, was typischerweise hinter den Ohren beginnt und sich von dort über den Körper ausbreitet. Dieses ist – wie es oft heißt – kirschrot mit kleinen Papeln drin, kann stippchenartig einbluten und verblasst nach ungefähr drei Tagen. Die meisten Infizierten erholen sich innerhalb von sieben Tagen. Als Hauptkomplikation in der akuten Masern-Infektion gilt die Masern-Pneumonie mit einer Häufigkeit von ca. 5%, diese ist auch die häufigste Todesursache. Generell nimmt man eine Letalität von 0,2% an, also 2 von 1.000 Infizierten versterben. Seltenere Komplikationen der akuten Erkrankung sind Durchfälle und Mittelohrentzündungen.

Neurologische Komplikationen durch Masern-Infektionen

Es gibt insgesamt drei neurologische Erkrankungen, die nach einer Masern-Infektion kausal auftreten können und welche die Hauptmotivation für die Impfstoffentwicklung waren: Die ADEM, die Masern-Einschlusskörperchen-Enzephalitis und die SSPE.

Akute demyelinisierende Enzephalomyelitis (ADEM)

Die ADEM ist neben der Masern-Einschlusskörperchen-Enzephalitis die häufigste neurologische Komplikation nach einer Masern-Infektion mit einer Häufigkeit von 0,1% aller Infizierten. Bei der ADEM handelt es sich um einen autoimmun vermittelten Prozess, der wenige Tage bis maximal vier Wochen nach der Infektion auftreten kann und den man in der Neurologie auch nach anderen Erkrankungen und auch nach Impfungen kennt. Eine ADEM nach Masern-Impfung gibt es demnach genauso, allerdings deutlich seltener, man nimmt eine Häufigkeit von 0,25/1.000.000 Impfungen an. Bei der ADEM kommt es – ähnlich zur Multiplen Sklerose – zu einer Entzündung des Marklagers im Gehirn, allerdings deutlich großflächiger und eben monophasisch und nicht wie bei der MS wiederkehrend. Abhängig von den Orten der Infektion kommt es zu neurologischen Ausfällen, zudem werden enzephalopathische Symptome wie Bewusstseinsstörungen und epileptische Anfälle beschrieben.

Bei der ADEM lässt sich kein Masern-Virus im Hirngewebe bei Hirnbiopsien oder im Liquor nachweisen, sie ist als überschießende Immunreaktion zu verstehen. Behandelt wird die ADEM wie andere autoimmun-vermittelte ZNS-Entzündungen auch in erster Linie mit Steroiden. Die Letalität der ADEM liegt unbehandelt bei ungefähr 30%, behandelt deutlich niedriger. Die Prognose gilt gemeinhin als gut, wenn auch durchaus neurologische Residualsymptome nach durchgemachter ADEM beschrieben werden. Die MRT-Auffälligkeiten bilden sich meistens innerhalb von drei Monaten zurück.

Masern-Einschlusskörperchen-Enzephalitis (MIBE)

Hier beginnen die gruseligen Erkrankungen. Die MIBE ist neben der ADEM die zweithäufigste neurologische Masern-Komplikation mit einer Häufigkeit von 0,1-0,3% aller Infizierten. Bei der MIBE kommt es zu einer Viruspersistenz in Nerven- und Gliazellen, und zwar in den namensgebenden Einschlusskörperchen. Aus Biopsien weiß man, dass hier das Virus aus der Primärinfektion einfach im Gehirn zu persistieren scheint. Die MIBE tritt zwischen vier Wochen und neun Monaten nach Infektion auf und ist extrem stark mit Immunschwächen, wie durch Leukämien oder HIV-Infektionen assoziiert. Die Symptomatik ist oft eher unspezifisch, beginnt mit Verhaltensauffälligkeiten, Unruhezuständen, vermehrter Reizbarkeit und im Verlauf dann auch Bewusstseinsstörungen. Für die MIBE sind Letalitätsraten bis 50% der Betroffenen beschrieben. Eine kausale Therapie existiert nicht, es gibt (verzweifelte) Therapieversuche mit hochdosiertem Vitamin A, die – so scheint es zumindest – wenn aber als Post-Expositions-Prophylaxe bei nicht geimpften Kontaktpersonen (Kinder unter 12 Monaten) eines Masern-Ausbruchs wirksam sind. Zudem gibt es es einzelne Fallberichte, die eine erfolgreiche Behandlung mit Ribavirin beschreiben.

Subakute sklerosierende Panenzephalitis

Kommen wir zum eigentlichen Aufhänger des Beitrags. Die SSPE ist die seltenste Komplikation, man geht heutzutage von 3-11 Fällen/100.000 Infizierten aus. Die Häufigkeit hat mit steigender Impfquote stark nachgelassen, so finden sich aus den späten 1980er und frühen 1990er Jahren auch Häufigkeitsangaben von 1:1.367 bei unter 5-Jährigen und für Kleinkinder unter einem Jahr sogar von 1:6.09, nach einer anderen Arbeit aus Deutschland bei unter 5-Jährigen zwischen 1:1.700 bis 1:3.300. Man nimmt an, dass dies daran liegt, dass bei hohen Impfquoten um 95% Kleinkinder – die sonst die höchste Inzidenz haben (im Mittleren Osten zum Beispiel weiterhin 360/100.000 Infizierte) – durch die zumindest einigermaßen funktionierende Herdenimmunität geschützt sind. Auch nach Masern-Impfungen kann vermutlich eine SSPE auftreten, allerdings deutlich seltener. Aktuell wird bei einer Impfung mit Dreifachimpfstoffen (Masern, Mumps, Röteln) oder Vierfachimpfstoffen (Masern, Mumps, Röteln, Windpocken) eine Rate von 1,4 Fällen auf 1.000.000 Impfungen angenommen (es gibt aber auch Arbeiten, die dies auf Impfversager zurückführen). Die SSPE wurde erstmals 1934 beschrieben, Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen. Es sind mehrere Krankheitsstadien beschrieben, die SSPE tritt in der Regel frühestens 2 Jahre nach der Masern-Infektion auf, es sind aber auch Fälle beschrieben, bei der die SSPE mehr als 20 Jahre nach Primärinfektion begann. Die SSPE führt in ungefähr 95% der Fälle zum Tod der Betroffenen.

Pathophysiologie und Liquorbefunde

Aus Autopsie-Studien an SSPE Verstorbener weiß man mittlerweile, dass es bei der SSPE offenbar zu einer Viruspersistenz und -mutation im ZNS kommt mit einer schleichende Infektion des ganzen Gehirns mit dem mutierten Virus. Die Invasion von Nervenzellen scheint über das F-Protein des Masernvirus und CD46 als Oberflächenprotein auf den Nervenzellen zu geschehen. Um die infizierten Zellen herum kommt es zu einer starken und destruierenden Entzündungsreaktion. Offenbar führt diese Entzündungsreaktion dazu, dass das Virus nicht mehr alle Proteine ausbildet und sich in der Folge verändert. Hauptrisikofaktor für dieses Geschehen scheint ein nicht ausgereiftes Immunsystem zu sein, vor allem was die zelluläre Immunantwort betrifft, was die starke Altersabhängigkeit der Erkrankung erklären würde.

Im Liquor lässt sich bei der SSPE in der Regel ein entzündliches Liquorsyndrom und eine extrem hohe intrathekale (vergleiche den Beitrag hier) Antikörper-Produktion von Masern-IgG nachweisen (AK-Titer zwischen 1:40 und 1:1280, Antikörper-Spezifitäts-Index zwischen 5:1 bis 40:1), was man sich durch die jahrelange Virus-Persistenz im Nervensystem mit entsprechender Triggerung des Immunsystems erklärt. In neueren Arbeiten werden auch eine hohe Viruslast in PCR-Tests aus Liquores von SSPE-Betroffenen beschrieben, dieses Verfahren gibt es halt noch nicht so lang, so dass viele ältere Arbeiten vor allem die Antikörper-Titer (und die heute völlig verlassenen Viruskulturen) thematisieren.

EEG und MRT

In bis zu gut 80% der Fälle lassen sich im EEG bilaterale periodische Muster aus delta-Wellen und scharfen Wellen nachweisen, welche alle 2 bis 20 Sekunden auftreten, zunächst vor allem im Schlaf und triggerbar durch Außenreize. Man nimmt an, dass die periodischen Entladungen einer neuronale Übererregbarkeit anzeigen und auch für die häufig auftretenden Myoklonien verantwortlich sind.

In der MRT zeigen sich zunächst kortikale und juxtakortikale T2-hyperintense Läsionen, bevor im Krankheitsverlauf flächige „Sklerosen“ vor allem im hinteren periventrikulären Marklager entstehen und im Verlauf auch den Balken und den Thalamus, sowie das Corpus callosum betreffen.

Krankheitsstadien

Man nimmt gemeinhin sechs Krankheitsstadien an, wobei diese von ungefähr 80% der SSPE-Erkrankten durchlaufen werden:

  1. Die Krankheit beginnt mit diskreten neuropsychologischen Defiziten, wie Hyperaktivität, relativ subtilen Sprachentwicklungsstörungen oder schlechteren schulischen Leistungen. Sehr selten kommt es frühzeitig zu epileptischen Anfällen.
  2. Als zweites Krankheitsstadium gilt die Exazerbation der geschilderten Beschwerden, so dass meistens hier die Diagnosestellung erfolgt.
  3. Im dritten Krankheitsstadium kommt es zu Bewegungsstörungen mit stereotypen Bewegungsabläufen, Tremor, aber auch zu Koordinationsstörungen mit einer deutlichen Ataxie.
  4. Es treten zunehmend Bewusstseinsstörungen auf, bis hin zum Koma.
  5. In gut der Hälfte der Fälle kommt es zu einer Besserung der Beschwerden, diese Phase kann mehrere Jahre anhalten.
  6. Es kommt zu einem Wiederaufflammen der Beschwerden, im Durchschnitt versterben die Patienten drei Jahre nach Symptombeginn.

Bei ca. 20% der Betroffenen kommt es eher zu vier Erkrankungsstadien mit deutlich rascherem Tod nach ungefähr einem Jahr nach Symptombeginn.

Therapeutische Ansätze

Es gibt auch weiterhin keine etablierte, evidenzbasierte und wirksame Therapie der SSPE. Mit verschiedenen – experimentellen – Therapieverfahren lässt sich der SSPE-Verlauf bei bis zu einem Drittel der Betroffenen verlangsamen. Die meisten „guten“ Therapieergebnisse wurden aus einer Kombination mit einmal wöchentlich intrathekal injiziertem Interferon-alpha und der Gabe von Isoprinosin erzielt. Isoprinosin soll die Virusreplikation verlangsamen. Weniger überzeugende Ergebnisse soll es für Ribavirin geben, was als Nukleotidanalogon ebenfalls die Virusreplikation stört.

Masern und COVID-19

Ich halte das kurz, da der Vergleich irgendwie Käse ist, wie man hoffentlich nach der Lektüre bis hier gemerkt hat. Trotzdem versuche ich mal die häufigsten Fragen oder Vermutungen zu beantworten.

Sind Long Covid und SSPE das selbe oder etwas ähnliches?

Nein, nach allem, was wir wissen, entsteht ein großer Teil der postinfektiösen Erschöpfungssyndrome durch verschiedene autoimmun vermittelte Prozesse, wie man auch hier im Long Covid-Pathogenese-Beitrag nachlesen kann. Bei besonders lang anhaltenden Long Covid-Beschwerden scheinen zudem biopsychosoziale Gründe eine wichtige Rolle zu spielen. Die SSPE ist eine Gehirninfektion durch ein im ZNS persistierendes und mutiertes Masern-Virus. Es gibt nur ganz wenige Einzelfallberichte, die bei Menschen mit Long Covid SARS-CoV-2-RNA im Liquor und damit im ZNS nachweisen konnten, zum Beispiel die Veröffentlichung von Viszlayová et al., über die man sicherlich trefflich streiten kann.

Kann man eine SSPE-ähnliche Erkrankung bei SARS-CoV-2 ausschließen?

Nein, in der Medizin kann man nie irgendetwas ausschließen. Wir kennen aber Coronaviren sowohl beim Menschen, als auch bei Tieren seit Jahren. Beim Menschen sind – auch und insbesondere bei der SARS-1- und MERS-Epidemie derartige Erkrankungen nicht beschrieben worden, diese Epidemien liegen nun knapp 20, bzw. knapp 10 Jahre zurück, so dass man analog zur SSPE „so langsam“ Fälle erwarten würde. Bei Tieren hatte Christian Drosten in der Coronavirus-Podcast-Folge 99 (Link Podcast, Link Transkript) von der felinen infektiösen Peritonitis, bei der bestimmte mutierte Katzen-Coronaviren häufig tödlich verlaufende Bauchfellentzündungen verursachen gesprochen. Hier ein tiermedizinischer Artikel hierzu: Link. Dies mag etwas an die SSPE erinnern, allerdings gibt es bei der felinen infektiösen Peritonitis keine so langen Latenzen zwischen Infektion und Erkrankungsausbruch, wie bei der SSPE.

Wo man weiterlesen kann

Gutierrez, J., Issacson, R. S., & Koppel, B. S. (2010). Subacute sclerosing panencephalitis: an update. Developmental Medicine & Child Neurology, 52(10), 901–907. https://doi.org/10.1111/j.1469-8749.2010.03717.x

Weber, T. (2018). Masern – Warum ist die Impfung notwendig und wie gehe ich mit Impfgegnern um? Aktuelle Neurologie, 45(09), 672–689. https://doi.org/10.1055/a-0681-9696

Literaturangaben (keine Weiterlese-Tips)

Viszlayová, D., Sojka, M., Dobrodenková, S., Szabó, S., Bilec, O., Turzová, M., Ďurina, J., Baloghová, B., Borbély, Z., & Kršák, M. (2021). SARS-CoV-2 RNA in the Cerebrospinal Fluid of a Patient with Long COVID. Therapeutic Advances in Infectious Disease, 8, 204993612110485. https://doi.org/10.1177/20499361211048572

Kremendahl, J. (2014). Feline infektiöse Peritonitis – ein aktueller Überblick. Kleintier Konkret, 17(02), 10–14. https://doi.org/10.1055/s-0033-1361536

Parkinson für Dummies 01: Behandlung jüngerer Patienten

Medikamentöse Behandlung von jüngeren Patienten mit idiopathischen Parkinson-Syndromen: Dopaminagonisten

Für die Behandlung idiopathischer Parkinson-Syndrome existiert ein eigentlich sehr schönes, wenn auch etwas in die Jahre gekommenes Schema aus den alten Leitlinien-Versionen, welches eine relativ einfache Unterteilung nach Krankheitsform und Alter des Patienten macht. Unterschieden werden dabei hypokinetisch-rigides und Parkinson-Syndrom vom Äquivalenztyp vom tremor-dominanten Parkinson-Syndrom und junge Patienten – womit man ein Lebensalter bei Erstmanifestation von < 70 Jahren meint – und Patienten, die älter als 70 Jahre sind.

Jüngere Patienten werden demnach in den allermeisten Fällen initial mit einem Dopaminagonisten behandelt, wovon in der Regel nur noch die Non-Ergot-Dopaminagonisten eingesetzt werden. Von diesen gibt es wiederum vier verschiedene Präparate (Piribedil, Pramipexol, Ropinirol und Rotigotin), wobei Pramipexol und Ropinirol auch als Retard-Präparate verfügbar sind, Rotigotin nur als trandermales Pflaster. Die Eindosierung und die Zieldosis unterscheiden sich von Präparat zu Präparat. Relativ praktisch empfinde ich aber diese Aufstellung, an die man sich gut halten kann und die – so glaube ich jedenfalls, finde die Originalquelle nicht mehr) ebenfalls aus einer älteren Leitlinienversion stammt:

SubstanzBeginnWöchentlich. SteigerungErhaltungsdosisGesamtdosis
Piribedil50 mg abends50 mg alle 2 Wochen2-3 x 50-100 mg150-250 mg
Pramipexol0,088 mg 3 x tgl.2. Woche:
0,18 mg 3 x tgl.
3. Woche:
0,35 mg 3 x tgl.
danach:
0,18 mg 3 x tgl. pro Woche
0,35-0,7 mg 3 x tgl.1,05-3,3 mg
Pramipexol retard0,26 mg morgens2. Woche:
0,52 mg morgens
3. Woche:
1,05 mg morgens
danach:
2,1 mg morgens
3,15 mg morgens
1,05-2,1 mg morgens1,05-3,15 mg morgens
Ropinirol1 mg morgens1 mg
ab 6 mg 1,5-3 mg/Woche
3-8 mg 3 x tgl.6-24 mg
Ropinirol retard2 mg morgens2 mg6-24 mg6-24 mg
Rotigotin transdermal2 mg/24 h2 mg/24 h4-8 mg/24 h (Frühstadium)
8-16 mg/24 h (fortgeschrittenes IPS)
6-16 mg/24 h

Zu Beginn einer Behandlung mit einem Dopaminagonisten kann – genauso wie bei der Behandlung mit L-Dopa – die vorübergehende prokinetische und antiemetische Behandlung mit Domperidon hilfreich sein. Dopaminagonisten sind ansonsten in der Regel gut verträglich, können aber zu relevanten Nebenwirkungen führen: Zum Einen zu einer Tagesmüdigkeit mit imperativem Schlafdrang, welcher durchaus auch beim Autofahren auftreten kann. Zum Anderen zu Impulskontrollstörungen und insbesondere bei älteren und ggfs. komorbid demenzkranken Patienten zu Halluzinosen und psychotischem Erleben. Sowohl Impulskontrollstörungen (welche von Hypersexualität bis zu Suchterkrankungen wie Kauf-, Spielsucht oder Substanzkonsum reichen können) und psychotische Nebenwirkungen sollten zu einem umgehenden Absetzen des Dopaminagonisten und zur Einleitung einer Therapie mit L-Dopa führen, um die es das nächste Mal gehen soll.

Medikamentöse Behandlung von jüngeren Patienten mit idiopathischen Parkinson-Syndromen: MAO-Hemmer

Eine weitere – gerade in der Frühtherapie des Parkinson-Syndroms – gerne genutzte Option ist die Behandlung mit einem MAO-Hemmer und zwar mit einem MAO-B-Hemmer (MAO-A-Hemmer werden als Antidepressiva eingesetzt). MAO-B-Hemmer gibt es nur zwei: Rasagilin und Selegilin. Selegilin ist das ältere Präparat wird im Gehirn teilweise in Amphetamine umgewandelt, scheint hierüber neurotoxisch zu wirken und wird dementsprechend kaum noch eingesetzt. Für Rasagilin gilt das nicht, zwischenzeitliche gegenteilige Hoffnungen auf einen direkten neuroprotektiven Effekt konnten zwar nie so richtig bestätigt werden, es konnte aber eine Art „krankheitsmodifizierende“ Wirkung gezeigt werden. Und zwar wurde in der Hoffnung der Bestätigung des neuroprotektiven Effektes, welcher sich wohl in Labor- und Tierstudien angedeutet hatte, ein sogenanntes Delayed-Start-Design in einer der Zulassungsstudien (ADAGIO) verwendet. D.h. ein Teil der Patienten begann mit Rasagilin, die anderen mit Placebo und im Laufe der Studie erfolgte ein Wechsel der zweiten Gruppe auch auf Rasagilin. Die früher behandelten Patienten wiesen einen für die mit Placebo gestarteten Probanden uneinholbaren Vorsprung in den motorischen Untersuchungsscores auf, so dass zumindest eine nur rein symptomatische Wirkung von Rasagilin wenig plausibel erscheint.
Mit 1 mg Rasagilin 1 x tgl. kann man Frühphasen einer Parkinson-Erkrankung teilweise sogar als Monotherapie behandeln und ansonsten ca. 100 mg L-Dopa-Äquivalent in der Tagesdosis einsparen (s.u.). Insbesondere Rasagilin ist sehr gut verträglich, relevante Nebenwirkungen treten kaum auf.

Äquivalenzdosis-Tabelle

Nicht ganz so präzise wie bei Opiaten, aber mit gewissen Einschränkungen ist es durchaus möglich, eine Äquivalenzdosis-Tabelle für Parkinson-Medikamente zu erstellen, so dass eine Umrechnung und Einordnung der gewählten Medikamenten-Dosis möglich wird:

MedikamentenklasseMedikamentÄquivalent 100 mg L-Dopa
L-DopaL-Dopa100
L-Dopa ret.133
Duodopa90
COMT-Hemmer*EntacaponL-Dopa x 0,33
TolcaponL-Dopa x 0,5
Dopamin-AgonistenPramipexol0,7 – 1,0 mg
Ropinirol3,0 – 5,0 mg
Rotigotin4 mg/24h
Piribedil100
MAO-B-HemmerSelegilin 10 mg p.o.10
Selegilin 1,25 mg s.l.1,25
Rasagilin1,0
andereAmantadin100
Apomorphin10
* bei den COMT-Hemmern die gesamte L-Dopa-Dosis incl. L-Dopa ret. mal den entsprechenden Wert nehmen. Bei Stalevo muss man L-Dopa + 33% mehr Wirkung über Entacapon zusammen rechnen.

nach S2K-Leitlinie Parkinson-Syndrome: Diagnostik und Therapie, 2012.
https://www.dgn.org/images/red_leitlinien/LL_2012/pdf/ll_09_2012_parkinson-syndrome__diagnostik_und_therapie.pdf

Wann behandeln?

Bei der Behandlung von Parkinson-Syndromen müssen wir uns „eigentlich“ ja immer noch und weiterhin mit einer rein symptomatischen Therapie begnügen, was auf den ersten Blick wenig für eine umgehenden Therapiebeginn zu sprechen scheint. In den gängigen aktuelleren Publikationen wird aber immer mehr die früher durchaus akzeptierte „wait and see“-Strategie bei Parkinson-Syndromen in Frage gestellt und eine Behandlung bei Diagnosenstellung empfohlen. Hierfür werden in der Regel vier Punkte angeführt, wobei die ersten beiden und der letzte sich lediglich darauf beziehen, dass auch bei einem motorisch „frühen“ Parkinson-Syndrom ja „eigentlich“ die Erkrankung schon recht weit fortgeschritten ist und dementsprechend meist alltagsrelevante motorische und nicht-motorische Beschwerden mit in Studien relevanter Einschränkung der Lebensqualität bestehen, wovon wir in erster Linie die motorischen gut lindern können und das dementsprechend auch sollten. Entscheidender ist aber Punkt 3. Hier geht es noch einmal um Rasagilin und die „krankheitsmodifizierende“ Wirkung. Auf Grund dieses Umstandes wird ein unmittelbarer Therapiebeginn bei Diagnosenstellung empfohlen. Dies müsste man m.E. aber dann auch konsequent auf eine (Ko-)Behandlung mit Rasagilin eingrenzen, da es bis heute nicht überzeugend gelungen ist, einen ähnlichen Effekt z.B. für Dopaminagonisten zu zeigen.

Wo man weiterlesen kann

S3-Leitlinie Idiopathisches Parkinson-Syndrom: https://www.dgn.org/leitlinien/3219-030-010-idiopathisches-parkinson-syndrom

  1. Jost, W. H. Medikamentöse Therapie der motorischen Symptome beim Morbus Parkinson. Nervenarzt 88, 373–382 (2017).
  2. Deuschl, G. Frühtherapie bei Morbus Parkinson. Aktuelle Neurol. 38, 483–487 (2011).
  3. Jost, W., Friede, M. & Schnitker, J. Indirekte Metaanalyse randomisierter plazebokontrollierter klinischer Studien zu Rasagilin und Selegilin in der symptomatischen Behandlung der Parkinson-Krankheit. Aktuelle Neurol. 38, 242–252 (2011).
  4. Olanow, C. W. et al. A Double-Blind, Delayed-Start Trial of Rasagiline in Parkinson’s Disease. N. Engl. J. Med. 361, 1268–1278 (2009).
  5. Parkinson Study Group. A Controlled Trial of Rasagiline in Early Parkinson Disease. Arch. Neurol. 59, 1937 (2002).