Legalize it? Cannabis und Schmerzmedizin

Das Fettnäpfchen-Thema kommt zum Schluss. Mit Cannabis in der Schmerztherapie ist es ungefähr so, wie mit der Frage ob und wie man die Schulen bei Corona öffnen sollte, nahezu jeder hat eine vorgefasste Meinung dazu und man versucht diesen Standpunkt durch eine Menge kleiner, schlecht gemachter, nicht verblindeter oder nicht ausreichend gepowerter Studien zu belegen. Vermutlich wird man beim Thema Schmerz und Cannabis für jede These eine bestätigende und widerlegende Arbeit finden. Da das auf Dauer sehr ermüdend ist, nähern wir uns mal ein bisschen anders diesem Thema.

Das Cannabinoid-System

Wie dem Einen der der Anderen sicherlich bekannt ist, besitzen wir ein körpereigenes cannabinoides System mit zwei Cannabinoid-Rezeptoren, nämlich CB1- und CB2-Rezeptoren. Diese sind ganz ähnlich wie die Opioid-Rezeptoren überall im Körper verteilt und nehmen verschiedene Funktionen war. Die CB1-Rezeptoren kommen betont in schmerzverarbeitenden Strukturen vor, z.B. im Hippocampus, dem periäquaduktalen Grau, der Amygdala und den Basalganglien. Die Stimulierung von CB1-Rezeptoren scheint eher die affektive Verarbeitung von Schmerzreizen zu beeinflussen und weniger die Schmerzintensität (also mehr die mediale und weniger die laterale Schmerzmatrix). CB2-Rezeptoren sind an der Steuerung von Entzündungs- und Autoimmunprozessen beteiligt, daher keimt immer wieder die Idee auf, entzündliche Schmerzsyndrome mit Cannabinoiden zu behandeln.

Im Cannabis wie es so im Freien (oder in gut getarnten Plantagen) wächst sind neben den beiden Haupt-Wirkstoffen THC und CBD noch unglaublich viele andere Inhaltsstoffe enthalten, man geht so von 350 aus. Ca. 70 davon sind bislang charakterisiert worden. THC bindet hauptsächlich an CB1-Rezeptoren, CBD an CD2-Rezeptoren. Die beiden Wirkstoffe sind dann aber zusätzlich noch partielle Agonisten am jeweiligen anderen Rezeptor, so dass sich im natürlichen Cannabis die Wirkung teilweise gegenseitig hemmt.

Haddu Haschisch? Die verschiedenen medizinisch zugelassenen Cannabis-Präparate

Okay, ganz schlechter Häschenwitz, musste aber sein. Und nein, Haschisch, also der getrocknete Harz der weiblichen Hanfpflanzen ist weiterhin nur als Rauschmittel beim Dealer des Vertrauens erhältlich. Bis 2017 war es praktisch unmöglich von wenigen Fertigarzneimitteln abgesehen (Sativex bei Spastik bei MS), Cannabis-Produkte medizinisch zu verordnen. Dann kam 2017 das Cannabisgesetz, welches die medizinische Verordnung von Cannabisprodukten regelte und ermöglichte, über das man aber auch trefflich streiten kann und welchem man seine Intention und auch sein Messen mit zweierlei Maß (siehe Ausführungen zur Fahrtauglichkeit dort) anmerkt.

Prinzipiell gibt es synthetische oder halbsynthetische Präparate mit den beiden Cannabis-Hauptwirkstoffen THC und CBD, entweder nur als THC-Präparat oder als Mischung aus THC und CBD. Diese sind häufig als ölige oder alkoholische Lösung aufbereitet. Die gängigste Formulierung ist Dronabinol, eine ölige reine THC-Lösung. Man kann das THC aber auch in Kapseln verpacken, was aber seltener passiert. Verbreitet ist auch Sativex, was aber der Handelsname ist, der Wirkstoff heißt Nabiximol. Das ist eingedicktes THC/CBD, welches als Mundspray appliziert wird und über die Schleimhäute aufgenommen wird. Es gibt auch noch andere Und dann gibt es Vollextrakte, also ausgekochtes Cannabis mit den 348 anderen Wirkstoffen darin. Das, was die meisten mit medizinischem Cannabis verbinden sind aber Cannabis-Blüten. Da gibt es verschiedene Blütensorten, welche von der Bundesopiumstelle als Medizinalcannabis anerkannt sind und welche sich durch verschiedene THC- und CBD-Spiegel haben. Vorgesehen ist die Einnahme als Tee oder im Verdampfer, man muss aber davon ausgehen, dass die meisten Patienten, das Cannabis klassisch als Joint rauchen werden. Das mit dem Rauchen hat sogar einen tieferen Sinn. Und zwar ist das THC in den Cannabis-Blüten (anders als beim Haschisch) überwiegend carboxyliert und wirkt so kaum. Erst durch Hitzeeinwirkung erfolgt die Decarboxylierung und da gilt: Je heißer, desto besser. Daher kann man so eine Wirkstärke-Analogie aufmachen wie: Tee ist weniger wirksam als Kekse (weil die gebacken wurden) sind weniger wirksam als Cannabis, welches verdampft wird, ist weniger wirksam als Cannabis, welches klassisch geraucht wird.

Die Sache mit der Wirksamkeit von Cannabinoiden

Ja, und jetzt kommt das Studien-Problem dann doch. Das Problem an dem Thema Cannabis und Schmerzen ist, dass es unglaublich viele kleine, nicht verblendete, Studien oder Fallberichte zu ganz verschiedenen Schmerz-Themen gibt, meistens mit recht guten Ergebnissen, v.a. was Lebensqualität und Schmerzintensität betrifft, aber eben fehlender Evidenz. Ausnahmen gibt es nur für die Themen Spastik bei MS und neuropathische und zentrale Schmerzen mit Ausnahme der diabetischen Polyneuropathie. Dabei bestätigte sich der Eindruck, dass über die Schleimhäute aufgenommenes und gerauchtes Cannabis besser wirken, als oral eingenommenes. Und noch was bestätigte sich, was sich – bei schlechterer Datenlage aber so ähnlich – auch durch die anderen Indikationsgebiete zieht: Die number needed to treat liegt mit 10-14 für eine relevante Schmerzreduktion um 30-50% sehr hoch, die number needed to harm mit 3-8 deutlich niedriger. Das Problem ist nun aber, dass bei der number needed to härm auch Rauschzustände mit einfließen. Da ein Cannabis-Rausch aber auch ganz nice sein kann, kann es gut sein, dass sich hierin die Diskrepanz zu den nicht-kontrollierten Studien erklärt. Wenn der Rausch als Teil der Wirksamkeit wahrgenommen und positiv attributiert wird, ist die Wirkstärke deutlich besser, wenn man nur eine rauschfreie Cannabis-Wirkung haben will, deutlich schlechter. Dazu kommt, dass selbst den einzigen drei Metaanalyse zum Thema Schmerzen & Cannabis statistische Fehler mit Überschätzung der Cannabis-Wirkstärke vorgeworfen werden müssen.

Daher empfehlen die meisten Leitlinien Cannabinoide nur, wenn andere Therapieverfahren keine Linderung erbracht haben, was wiederum mit der Erwartung vieler Patienten und auch dem sehr Cannabis-freundlichen Gesetzestext des Cannabis-Gesetzes kollidiert. Wen das Thema weiter interessiert, sei besonders der Artikel von Häuser et al. empfohlen.

Wo man weiterlesen kann
  1. Finnerup, N. B., Sindrup, S. H. & Jensen, T. S. The evidence for pharmacological treatment of neuropathic pain. Pain 150, 573–581 (2010).
  2. Karst, M. Cannabinoide in der Schmerzmedizin. Der Schmerz 32, 381–396 (2018).
  3. Mainka, T., Stork, J., Hidding, U. & Buhmann, C. Cannabis bei Parkinson – Hype oder Heilmittel? Fortschritte der Neurol. · Psychiatr. 86, 106–116 (2018).
  4. Häuser, W. & Petzke, F. Evidenz der Wirksamkeit und Sicherheit von Cannabispräparaten bei chronischen Schmerzen. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforsch. – Gesundheitsschutz 62, 836–844 (2019).
  5. Block, F. Cannabis in der Neurologie. DGNeurologie 3, 116–119 (2020).

Post-Zoster-Neuralgie

Da die Schmerz-Prüfung naht, muss und darf ich mich in der nächsten Zeit mal wieder ein wenig mit dem Thema Schmerzmedizin befassen, so dass ich mal eine neue Kategorie mit dem Big Lebowski-Zitat-Titel geschaffen habe, in der es um verschiedene – hoffentlich interessante – Aspekte von Schmerzmedizin gehen soll (und um Dinge, die ich mir noch mal zu Gemüte führen muss).

Post-Zoster-Neuralgie

Heute soll es mal um ein richtiges häufiges ist häufig-Thema gehen, die Post-Zoster-Neuralgie, bzw. postherpetische Neuralgie und manchmal eben auch Post-Zoster- Neuropathie, doch zu diesem Punkt später noch mehr. Sowohl der Herpes zoster (also genaugenommen die Zoster-Radikulitis, denn darum handelt es sich pathophysiologisch ja), als auch die Post-Zoster-Neuralgie werden in der alternden Gesellschaft zunehmend häufiger. In Deutschland liegt die Inzidenz für Zoster-Radikulitiden bei mindestens 6/100.000 Einwohner mit steigender Tendenz. Über alle Zoster-Infektionen gemittelt, kommt es in ca. 2% der Fälle zu einer Post-Zoster-Neuralgie. Im Alter steigt die Inzidenz der Post-Zoster-Neuralgie jedoch stark an, so erleiden gut 18% aller über 50-jährigen Zoster-Patienten eine Post-Zoster-Neuralgie, bei über 80-jährigen sogar jeder Dritte. Als Risikofaktoren für die Entwicklung einer Post-Zoster-Neuralgie gelten weibliches Geschlecht, ein Zoster ophtalmicus und starke Schmerzen schon in der Prodromalphase der Zoster-Radikulitis.

Wenn es schon am Anfang wehtut

Bevor man über Post-Zoster-Neuralgien redet, muss man sich einmal vergegenwärtigen, dass auch die akute Zoster-Infektion zu Schmerzen führt und dass sich diese oft von der Post-Zoster-Neuralgie unterscheiden. Die meisten Betroffenen berichten von scharfen, stechenden Schmerzen, welche bis zu 4-8 Wochen nach einer Zoster-Infektion anhalten und teilweise den Effloreszenzen auch vorausgehen (und dann ein Risikofaktor für die Entwicklung einer Post-Zoster-Neuralgie sind). Nur Schmerzen, welche länger als 8 Wochen anhalten, gelten formal als Post-Zoster-Neuralgie. Dennoch treten die Kernsymptome neuropathischer Schmerzen, nämlich eine mechanische Allodynie und eine brennende Schmerzkomponente, durchaus auch schon früher auf.

Post-Zoster-Neuralgie oder Post-Zoster-Neuropathie oder beides?

Update

Im offiziellen Sprachgebrauch bezeichnet man die Schmerzen nach einer Zoster-Infektion ja in der Regel als Post-Zoster-Neuralgie, womit man streng genommen ja nur einschießende, brennend-schneidende Schmerzen meinen müsste. Dennoch hat es sich eingebürgert, auch bei formal neuropathischen, da dauerhaften, brennenden Schmerzen von einer Post-Zoster-Neuralgie zu sprechen. Neuropathische oder neuralgische Spontanschmerzen treten nach einem Zoster typischerweise in den initial betroffenen „Kernarealen“ auf, in denen eine gestörte Sensibilität persistiert und die Betroffenen dort ein anhaltendes Taubheitsgefühl haben. In den umgebenden Arealen mit erhaltener Sensibilität kommt es hingegen eher zur mechanischen Allodynie.

Bei den Begrifflichkeiten Neuralgie und Neuropathie gibt es manchmal etwas Verwirrung. Im Deutschen wird teilweise recht klugscheißerisch zwischen einschießenden, brennend-schneidenden neuralgieformen Schmerzen und neuropathischen Dauerschmerzen unterschieden, welche aber durchaus auch anders mit anderen Anitkonvulsiva (s.u.) behandelt werden. Im internationalen, also englischen, Sprachgebrauch werden die Begrifflichkeiten etwas anders benutzt. Dort bezieht sich Neuralgie auf Schmerzen im Innervationsgebiet eines oder mehrerer bestimmter Nerven, ganz egal, ob es sich um einschießende Schmerzen, Dauerschmerzen oder um beides handelt. Eine Neuropathie bBei den Begrifflichkeiten Neuralgie und Neuropathie gibt es manchmal etwas Verwirrung. Im Deutschen wird teilweise recht klugscheißerisch zwischen einschießenden, brennend-schneidenden neuralgieformen Schmerzen und neuropathischen Dauerschmerzen unterschieden, welche aber durchaus auch anders mit anderen Antikonvulsiva (s.u.) behandelt werden. Im internationalen, also englischen, Sprachgebrauch werden die Begrifflichkeiten etwas anders benutzt. Dort bezieht sich Neuralgie auf Schmerzen im Innervationsgebiet eines oder mehrerer bestimmter Nerven, ganz egal, ob es sich um einschießende Schmerzen, Dauerschmerzen oder um beides handelt. Eine Neuropathie bezeichnet dann aber auch nur ganz allgemein eine Funktionsstörung einer oder mehrerer Nerven, also ein strukturell-läsionelles Defizit, z.B. durch einen Axonuntergang, eine Entzündung oder eine Demyelinisierung, also so wie es uns im Begriff Polyneuropathie geläufig ist.

Wieso macht der Zoster das überhaupt?

Nach der Windpockeninfektion – meistens im Kindesalter – persistieren die Varizella-Zoster-Viren in sensiblen Spinalganglien. Bei einer Reaktivierung kommt es dann zu einer Radikulitis (oder Hirnnervenneuritis, was aber im Endeffekt dasselbe ist). Diese Radikulitis führt neben einer segmentalen Demyelinisierung auch zu einem Axon-Untergang, welcher häufig sogar optisch visualisierbar in einer spinalen Hinterhornatrophie mündet und zu einer Verringerung epidermaler Nervenfasern in der Haut (und damit zu einem ähnlichen Phänomen wie bei der small fibre Neuropathie) führt. Diese Veränderungen verursachen vermutlich zunächst einmal zu den akuten Zoster-Schmerzen. Die Post-Zoster-Neuralgie scheint hingegen in erster Linie durch Regenerations- und Reparationsprozesse zu entstehen. Durch die Hinterhornatrophie kommt es zu einer Störung im absteigenden schmerzhemmenden System, parallel sind die vorgeschädigten small fibre Afferenzen vermehrt aktiv, so dass eine vermehrte Aktivität an nozizeptiven Nervenfasern vorliegt. Parallel kommt es – wie bei allen Schmerzchronifizierungen zu einer peripheren Sensibilisierung (das machen wir mal in einem eigenen Blogbeitrag). Am Ende resultiert ein Schmerz, welcher sich von anderen chronischen neuropathischen Schmerzen gar nicht so sehr unterscheidet. Sekundär kommt es dann zu Fehl- und Schonhaltungen und dadurch oft noch zu zusätzlichen muskuloskelettalen, bzw. myofaszialen Schmerzen.

Impfen hilft (nicht nur gegen Corona)

So dahergesagt, wissen wir das irgendwie alle, die Windpocken-Impfung hilft die Rate von Zoster-Infektionen und damit auch von Post-Zoster-Neuralgien im Alter signifikant zu senken. Dabei muss man wissen, dass man – für einen signifikanten Impfschutz eigentlich zwei mal impfen muss – und es dafür auch zwei unterschiedliche Impfstoffe gibt: Im frühen Kindesalter gegen Windpocken und ab dem 50. Lebensjahr (offizielle Empfehlung ist ab dem 60. Lebensjahr) noch mal eine Zoster-Auffrischimpfung. Warum das so ist, wird bei kurzem Nachdenken schnell klar: Damit es keinen Zoster und damit keine Post-Zoster-Neuralgien geben kann, muss man das Einnisten der Varizella Zoster-Viren in die Spinalganglien verhindern. Dafür dürfen sich die Personen aber nicht mit Windpocken anstecken, weil dann unweigerlich die Kaskade abläuft, bei der es zur Einnistung der Viren kommt. Und im Alter, wenn das mit dem Zoster eigentlich so richtig interessant wird, muss man die Impfung dann noch einmal auffrischen.
Abseits der Impfung gibt es Hinweise, aber keine statistische Evidenz, dass eine frühzeitige Zoster-Behandlung (definiert als \< 72h nach Auftreten der Zoster-Effloreszenzen) das Auftreten einer Post-Zoster-Neuralgie unwahrscheinlicher machen kann.

Wie behandeln?

Zur Behandlung der Post-Zoster-Neuralgie stehen systemische medikamentöse, lokale medikamentöse und nicht-medikamentöse Behandlungsverfahren zur Verfügung.

Systemische Behandlung

Die erste Frage bei der Behandlung der Post-Zoster-Neuralgie sollte lauten, ob es sich überhaupt um eine Post-Zoster-Neuralgie handelt, oder ob die Infektion immer noch aktiv ist. Hier muss im Zweifel ggfs. per Liquorpunktion der Versuch des Nachweises von VZV-DNA geführt werden und notfalls auch noch einmal eine Behandlungsequenz mit Aciclovir ergänzt werden.

Ist man sich sicher, dass es sich um eine Post-Zoster-Neuralgie handelt, sind drei Wirkstoffgruppen zur Behandlung zugelassen:

Am häufigsten werden sicherlich Antikonvulsiva aus der Gruppe der neuronalen Kalziumkanalantagonisten eingesetzt, namentlich Pregabalin und Gabepentin. Gängiger – durch intensive Vermarktung nach Marktzulassung – ist Pregabalin, was aber weder wirkungsstärker noch besser verträglich ist. Pregabalin wird typischerweise in zwei Einzeldosen gegeben, eine typische Tagesdosis liegt zwischen 100 und 300 mg, wobei auch 600 mg/Tag möglich sind. Fallstrick Nummer 1 ist beim Pregabalin die Tatsache, dass Pregabalin durchaus ein ein end-of-dose-Phänomen hervorrufen kann, da es nicht bei allen Menschen wirklich eine 12-stündige Wirkkinetik hat. Fallstrick Nummer 2 ist die schlechte Titrierbarkeit gerade bei älteren Menschen, bei der eine 50 mg-Dosis zu niedrig ohne hinreichende Wirksamkeit und eine 75 mg-Dosis schon zu hoch mit dem Auftreten von schweren Nebenwirkungen sein kann. Fallstrick Nummer 3 ist das – vermutlich moderate – Abhängigkeitspotential durch die sedierende und anxiolytische Wirkung. Gabapentin muss immer in 3 Einzeldosen verabreicht werden, teilweise reichen schon Tagesdosen von 300 mg, oft muss man aber deutlich höher dosieren, wobei man locker bis zu einer Tagesdosis von 2400 mg hochgehen kann. Gabapentin ist durch die Verfügbarkeit von 100 mg-Tabletten deutlich besser titrierbar, wirkt etwas weniger sezierend und anxiolytisch und eignet sich dementsprechend auch weniger gut als Downer. Ein praktisch relevantes, aber wenig verstandenes, Phänomen ist der Umstand, dass es durchaus Menschen gibt, bei denen eines der Medikamente gut und das andere kaum wirkt. Das ist wenig logisch, da der Wirkmechanismus der selbe ist und beide Präparate kaum mit anderen Substanzen interagieren, sollte aber dazu führen, dass man bei fehlendem Ansprechen auf eines der beiden Präparate eine Rotation auf das jeweils andere Medikamente wagt. Eine wirklich belastbare Umrechentabelle gibt es dabei nicht, vermutlich ist eine Dosis von 2 x 75 mg Pregabalin in etwa mit 3 x 300-400 mg Gabapentin vergleichbar.

Präparategruppe Nummer 2 sind trizyklische Antidepressiva, in erster Linie Amitriptylin, welches in einer abendlichen Einzeldosis von 10-75 mg die körpereigene absteigende Schmerzhemmung unterstützen soll. Auch für Nortriptylin besteht eine Zulassung zur Behandlung neuropathischer Schmerzen, Nortriptylin ist aber sicherlich deutlich weniger verbreitet. Hauptvorteil der Trizyklika ist die schlafanstoßende Komponente, die Wirkung auf die Schmerzverarbeitung im Allgemeinen (und damit auch bei Chronifizierung auf muskuläre Schmerzen) und die Wirkung auch auf andere – ggfs. komorbid vorliegende Erkrankungen – wie primäre Kopfschmerzen, Reizdarmsyndrome usw. Hauptnachteil sind die auch in niedriger Dosierung nicht selten auftretende Gewichtszunahme und die Interaktion der Trizyklika mit vielen anderen Substanzen.

Drittens sind auch Opiate wirksam in der Behandlung neuropathischer Schmerzen und auch zugelassen, zumindest Tramadol, Oxycodon retard und Morphin retard. In Neurologenköpfen ist diese Option meist wenig präsent, obwohl sie gerade beim Versagen einer Monotherapie mit Kalziumkanalblockern sicherlich eine reiz- und sinnvolle Option darstellt. Zudem ist auch Tapentadol als „neues“ Opioid zur Behandlung neuropathischer Schmerzen zugelassen und wird mit seiner zusätzlichen Noradrenalin-Wiederaufnahme beworben. Hauptnachteil neben den erheblichen Behandlungskosten ist der Umstand, dass es einen relevanten Anteil an Patienten gibt, bei denen Tapentadol relativ wirkungsfrei bleibt, zudem ein Teil, bei dem die Wirkung schon nach 2-3 Wochen wieder nachlässt.

SSNRI (also Venlafaxin und Duloxetin) sind interessanterweise zur Behandlung der Post-Zoster-Neuralgie gar nicht zugelassen und können nur off-label gegeben werden.

Das gilt auch für die unter Neuralgie-Aspekten (auf Grund des einschießenden Schmerzcharaktera und damit der Analogie zu anderen Neuralgien wie der Trigeminusneuralgie) eigentlich naheliegenden Antikonvulsiva mit Blockade neuronaler Natriumkanäle also Carbamazepin, Oxcarbazepin und Lamotrigin. Gerade zur Behandlung einschießender – eben neuralgieformer – Schmerzattacken erscheinen diese Medikamente ja pathophysiologisch sinnvoll, wenn auch abseits von theoretischen Herleitungen keine Testung der Substanzen in randomisierten Studien existiert. Dennoch gilt – ähnlich wie bei der Behandlung der Epilepsie auch – dass oft eine Kombinationstherapie niedrig dosierter Substanzen wirksamer und besser verträglich ist, als die Ausdosierung eines einzigen zugelassenen Medikamentes. Carbamazepin (und Oxcarbazepin auch) sind halt dirty drugs im engeren Sinne, interagieren so ziemlich mit allen anderen Substanzen, sind CYP3A4-Induktoren und können so gut wie gar nicht bei bestehender oraler Antikoagulation gegeben werden. Wenn man es dennoch verabreichen will, sollte man bei Carbamazepin möglichst die Retard-Formulierung verwenden und sich auf Grund der Nebenwirkungen (Ataxie, Schwindel, Hyponatriämie) behutsam von unten an die Zieldosis rantasten. Teilweise reichen schon 200 mg Carbamazepin/Tag. Lamotrigin muss halt deutlich langsamer eindosiert werden, ist dafür aber nebenwirkungs- und interaktionsärmer und damit eher was für chronische, schwere Fälle. Aber am Ende handelt es sich auch bei der Lamotrigin-Gabe um eine off label-Medikation.

DosierungWie häufig?Zugelassen?
Trizyklika
Amitriptylin10-75 mg1 x abendsJa
Nortriptylin10-100 mg2-3 x tgl.Ja
Kalziumkanalblocker
Gabapentin300-2.400 mg3 x tgl.Ja
Pregabalin75-600 mg2-3 x tgl.Ja
Opioide
Tramadol100-600 mg2 x tgl.Ja
Oxycodon retard20-80 mg2 x tgl.Ja
Morphin retard20-200 mg2-3 x tgl.Ja
Tapentadol100-400 mg2 x tgl.Ja
SSNRI
Venlafaxin75-375 mg1-2 x tgl.Nein
Duloxetin30-90 mg2 x tgl.Nein
Natriumkanalblocker
Carbamazepin retard200-1.000 mg2-3 x tgl.Nein
Oxcarbazepin300-1.800 mg2-3 x tgl.Nein
Lamotrigin25-300 mg1-2 x tgl.Nein
Topika
Lidocain-Pflaster5%, 12h Anwendung1 x tgl.Ja
Capsaicin-pflaster8%, 60 min Anwendung
(30 min bei Anwendung an den Füßen)
Alle 90 TageJa
Nach; Goßrau, G. Postzosterneuralgie. Nervenarzt 86, 219–230 (2015).
Topische Medikamente

Relativ charmant – wenn der Zoster nicht das Gesicht betrifft – ist die Option topisch Medikamente anzuwenden. Derlei gibt es zwei, Lidocain-Pflaster und Capsaicin als Pflaster oder als Salbe. Lidocain wirkt (erwartungsgemäß) rein symptomatisch und muss täglich (idealerweise nachts) angewendet werden, da man es 12 Stunden lang auf dem betroffenen Areal anwenden soll und das Pflaster ehrlich gesagt nicht besonders gut haftet. An diese 12 Stunden Behandlung schließen sich 12 Stunden Behandlungspause an und so weiter. Das Lidocain-Plaster eignet sich dementsprechend gut zur Krisenintervention, wenn systemische Medikamente nicht schnell genug wirken oder auf Grund von Komorbiditäten nicht gegeben werden können.

Nachhaltiger erscheint die Capsaicin-Anwendung, die mittlerweile überwiegend per Pflaster erfolgt. Das Capsaicin-Pflaster muss man nämlich nur alle 3 Monat anwenden, da das Capsaicin ist, dass es zu einer Dauerdepolarisation und damit zur Zerstörung von Nozizeptor-Nervenfasern in der Haut führt. Die Anwendung ist schon eine ziemliche Rosskur und für viele Patienten doch sehr schmerzhaft. Der Vorteil ist, dass die meisten Betroffenen dann doch auf einen überwiegenden Teil der systemische Medikamente verzichten oder zumindest die Dosis reduzieren können.

Nicht-medikamentöse Therapieverfahren

Die Datenlage zu nicht-medikamentösen Therapieverfahren bei der Post-Zoster-Neuralgie ist relativ dünn. Für die transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) gibt es in der Behandlung der Post-Zoster-Neuralgie eine positive Studie. Da außer einer passageren Verstärkung der mechanischen Allodynie keine relevanten Nebenwirkungen zu erwarten sind, kann TENS durchaus ausprobiert werden. Physiotherapie, physikalische Therapie, Psychotherapie, Anwendung von Entspannungsverfahren u.ä. haben ihren Platz v.a. in der Behandlung chronifizierter Schmerzsyndrome, dann idealerweise in einem strukturierten multimodalen Behandlungssetting.

Wo man weiterlesen kann

S2K-Leitlinie Diagnose und nicht interventionelle Therapie neuropathischer Schmerzen https://www.dgn.org/leitlinien/3805-ll-030-114-diagnose-und-nicht-interventionelle-therapie-neuropathischer-schmerzen-2019

  1. Goßrau, G. Postzosterneuralgie. Nervenarzt 86, 219–230 (2015).
  2. Binder, A. & Baron, R. The pharmacological therapy of chronic neuropathic pain. Dtsch. Arztebl. Int. 113, 616–625 (2016).
  3. Trier, M. M. Diagnose , Therapie und Prävention der Zosterneuritis. InFo Neurol. Psychiatr. 22, 38–46 (2020).