Muskuläre Schmerzen

Myofasziale Schmerzen & Triggerpunkte: Es hätte so schön sein können

Heute geht es um ein Kernthema der Schmerztherapie: Die myofaszialen Schmerzen. Hier hat sich seit den 1970er Jahren eine ganze eigene Welt um die Beobachtung herum entwickelt, dass es bei vielen Menschen mit chronischen Schmerzen zu ausgesprochen druckdolenten, verhärteten und verkürzten Muskeln kommt, die im Laufe einer Schmerzerkrankung irgendwann den Hauptfaktor des Schmerzerlebens darstellen können. Dieses Konstrukt der myofaszialen Schmerzen wurde immer weiter erweitert und zuletzt sogar um Beobachtung zu CGRP ergänzt. 2015 kam dann ein aufwändig recherchiertes Paper von Quinter et al. heraus, welches das Konzept myofaszialer Schmerzen ziemlich rigoros in Frage gestellt hat. Doch Schritt für Schritt, erst einmal zum myofaszialen Schmerzsyndrom, da es auch weiterhin im wahren Leben in der Schmerztherapie und in der Physiotherapie und da besonders in der manuellen Therapie kaum weg zu denken ist.

Die Entstehung der Triggerpunkte

Um Muskelfasern herum, im umgebenden Bindegewebe (den Faszien) und in den Gelenkkapseln liegen relativ viele Nozizeptoren, die über A-𝛿-Fasern und C-Fasern zum Rückenmark projizieren. Normalerweise haben diese Nozizeptoren relativ hohe Reizschwellen, kommt es jedoch zu Gewebsverletzungen und zur Freisetzung proinflammatorischer Zytokine, werden diese Nozizeptoren zunehmend sensibilisiert (wie sonst auch bei der peripheren Sensibilisierung) und reagieren nun auch auf geringere Reize. Die peri-muskulären Schmerzfasern werden insbesondere durch freies ATP und einen sauren pH-Wert aktiviert. Diese Beobachtung entstammt u.a. auch der Pathogenese anderer Erkrankungen mit muskulärer Beteiligung wie den Schmerzen bei pAVK. Durch Muskeltraumata, z.B. im Rahmen einer Mehr- oder Fehlbelastung lässt sich der selbe Effekt erzielen. Durch eine vermehrte Acetylcholin-Ausschüttung kommt es dann zu einer Dauerkontraktion einzelner Muskelfasern, welche wiederum zu einer latenten Hypoxämie mit Entstehung eines noch saueren pH-Wertes führt. Diese Dauerkontrakturen kann man als „Myogelosen“ oder „Triggerpunkte“ tasten, im Englischen findet sich häufig auch der Begriff „taut band“. Diese Triggerpunkte gibt es in schlimmer, dann schmerzen sie schon in Ruhe oder nur bei leichter Belastung und heißen dann aktive Triggerpunkte oder in etwas weniger schlimm, dann schmerzen sie nur bei stärkere Druck und heißen latente Triggerpunkte. Zuletzt gab es dann noch Beobachtungen, dass in Muskeln mit aktiven Triggerpunkte z.B. erhöhte CGRP-Spiegel bestimmbar waren, welches ja zu einer neurogenen Entzündung führt, was dem ganzen Geschehen ja durchaus zu entsprechen scheint, und daher ganz passend erschien.

Auf Rückenmarksebene kommt es ebenfalls zur Sensibilisierung mit Aktivierung „stiller Synapsen“, welche ursächlich für die Übertragung des Schmerzes in weiter entfernte Körperregionen sein sollen (referred pain).

Durch psychosozialen Stress, schlechten Schlaf, Fehl- und Schonhaltungen, repetitive Bewegungen und Inaktivität kann man dieses Phänomen deutlich verschlimmern.

Wie bekommt man Triggerpunkte wieder weg?

Die Therapie gestaltet sich recht mechanistisch. Zum einen bekommt man Triggerpunkte durch manuelle Therapie wieder weg, zum anderen verhindert man durch die Anwendung von Mukelentspannungstechniken die Wiederentstehung. Danach stehen ein Muskelaufbau und vermehrte körperliche Aktivität zur Vermeidung erneuter fokaler Überlastungen der Muskeln im Vordergrund.

Der ärztliche Part in der Behandlung myofaszialer Schmerzen ist relativ überschaubar, die Wirkevidenz von muskelrelaxierend wirkenden Medikamenten noch überschaubarer, die Injektion von Botulinumtoxin war in kleinen Studien vielversprechend, ist aber off label und wird nicht von den Krankenkassen erstattet, was dazu führt, dass es angesichts des Preises von Botulinumtoxin kaum angewendet wird. Eine interessante Beobachtung bei der Botulinumtoxin-Injektion ist, dass die genaue Stelle der Injektion – also in den Triggerpunkt hinein – gar nicht so entscheidend zu sein scheint. Das macht Sinn, wenn man sich vor Augen hält, dass die Hauptwirkung von Botulinumtoxin auch bei anderen Erkrankungen gar nicht die muskelrelaxierende Wirkung ist, sondern die Blockade u.a von CGRP und Substanz P an Schmerzfasern.

Etwas aus der Mode gekommen ist die Neuraltherapie, also die Injektion von Lokalanästhetika in die Triggerpunkte, ebenfalls das etwas martialische „dry needling“, bei der einfach fächerförmig in einen Triggerpunkt mit einer Nadel reingestochen wird, um eine Hyperämie auszulösen und den Triggerpunkt so zu zerstören.

Das Charmante an der Triggerpunkt-Hypothese

Das Charmante an der Triggerpunkt-Hypothese und dem Syndrom der myofaszialen Schmerzen ist, dass es auch für die Betroffenen, aber auch für die ärztlichen und nicht ärztlichen Behandler ein rundes Bild abgibt. Es lässt logisch erscheinen, warum die Therapie chronischer Schmerzen so ist, wie sie ist, mit Muskelentspannung und parallel regelmäßiger körperlicher Bewegung, es deckt sich mit der unbestreitbaren klinischen Beobachtung der verhärteten, druckdolenten Muskeln, es begründet die medikamentöse Zurückhaltung. Und es lässt sich wirklich gut um die aktuellen Themen der Schmerzmedizin erweitern, wie man in dem Artikel von Gerwin et al. nachlesen kann.

Das Dumme an der Triggerpunkt-Hypothese

Dumm ist nur, dass es für all das keine oder nur eine ganz schlechte Evidenz gibt. Und hier setzt die Arbeit von Quinter et al. an. Die Autoren führen gleich eine ganze Armada von Gegenargumenten gegen das Konstrukt myofaszialer Schmerzen in die Schlacht, von der unglaublich schlechten Interrater-Reliabilität bei der Identifikation von aktiven und latenten Triggerpunkten, der schwierigen Abgrenzung gegenüber normalen chronischen Schmerzen, der Tatsache, dass die erhöhte CGRP-Konzentration z.B. auch in nicht betroffenen Muskeln gemessen werden konnte, der Ungenauigkeit bei der angeblichen Beobachtung von Spontanaktivität im EMG in den Triggerpunkten und der Tatsache, dass es bis heute nicht reproduzierbar gelungen ist, Triggerpunkte im MRT oder auch sonographisch als strukturell verändertes Muskelgewebe darzustellen, was sie aber angesichts der Hypothese sein müssten.

Auch die Behandlungsmethoden kommen nicht besonders gut weg. Quintessenz ist zusammenfassend, dass zum Einen der Placeboeffekt wahnsinnig hoch ist, dass unklar ist, ob die manuelle Therapie oder die detonisierenden Eigenübungen eigentlich die Schmerzen lindern und dass die meisten Behandlungsverfahren einfach nur schmerzhaft sind, was wiederum durch eine Verschiebung der Aufmerksamkeit auch zu einer Linderung des zuerst bestehenden Schmerzes führt.

Evidenz sehen die Autoren bei Überlegungen, dass eine fokale Neuritis Ursache der lokal druckdolenten Muskeln sein könnte – was wiederum CGRP mit ins Spiel bringen würde.

Die Antwort auf diese Kritik ist übrigens ziemlich müde. Sie besteht v.a. darin, zu betonen, dass es Triggerpunkte aber gibt und dass man – nur weil es überwiegend schlechte Studien ohne Evidenz gibt – nicht auf die Falschheit der Hypothese schließen könne.

Das eigentlich überraschende ist aber, dass sich in den 5 Jahren seit diesem Paper an der Behandlungsrealität in der Behandlung muskulärer Schmerzsyndrome gar nichts relevantes geändert hat. Muss es vielleicht auch nicht, da das Konstrukt ja in seiner Gänze auch weiterhin funktioniert und sich als durchaus alltagstauglich bewiesen hat und auch Quinter et al. zumindest zugestehen mussten, dass es das Phänomen der myofaszialen Schmerzen (wenn man sie denn so nennen möchte) schlicht und einfach gibt.

Wo man weiterlesen kann
  1. Gerwin, R. D., Dommerholt, J. & Shah, J. P. An expansion of Simons’ integrated hypothesis of trigger point formation. Curr. Pain Headache Rep. 8, 468–475 (2004).
  2. Quintner, J. L., Bove, G. M. & Cohen, M. L. A critical evaluation of the trigger point phenomenon. Rheumatology 54, 392–399 (2015).
  3. Dommerholt, J. & Gerwin, R. D. A critical evaluation of Quintner et al: Missing the point. J. Bodyw. Mov. Ther. 19, 193–204 (2015).

2 Gedanken zu „Muskuläre Schmerzen“

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