Legalize it? Cannabis und Schmerzmedizin

Das Fettnäpfchen-Thema kommt zum Schluss. Mit Cannabis in der Schmerztherapie ist es ungefähr so, wie mit der Frage ob und wie man die Schulen bei Corona öffnen sollte, nahezu jeder hat eine vorgefasste Meinung dazu und man versucht diesen Standpunkt durch eine Menge kleiner, schlecht gemachter, nicht verblindeter oder nicht ausreichend gepowerter Studien zu belegen. Vermutlich wird man beim Thema Schmerz und Cannabis für jede These eine bestätigende und widerlegende Arbeit finden. Da das auf Dauer sehr ermüdend ist, nähern wir uns mal ein bisschen anders diesem Thema.

Das Cannabinoid-System

Wie dem Einen der der Anderen sicherlich bekannt ist, besitzen wir ein körpereigenes cannabinoides System mit zwei Cannabinoid-Rezeptoren, nämlich CB1- und CB2-Rezeptoren. Diese sind ganz ähnlich wie die Opioid-Rezeptoren überall im Körper verteilt und nehmen verschiedene Funktionen war. Die CB1-Rezeptoren kommen betont in schmerzverarbeitenden Strukturen vor, z.B. im Hippocampus, dem periäquaduktalen Grau, der Amygdala und den Basalganglien. Die Stimulierung von CB1-Rezeptoren scheint eher die affektive Verarbeitung von Schmerzreizen zu beeinflussen und weniger die Schmerzintensität (also mehr die mediale und weniger die laterale Schmerzmatrix). CB2-Rezeptoren sind an der Steuerung von Entzündungs- und Autoimmunprozessen beteiligt, daher keimt immer wieder die Idee auf, entzündliche Schmerzsyndrome mit Cannabinoiden zu behandeln.

Im Cannabis wie es so im Freien (oder in gut getarnten Plantagen) wächst sind neben den beiden Haupt-Wirkstoffen THC und CBD noch unglaublich viele andere Inhaltsstoffe enthalten, man geht so von 350 aus. Ca. 70 davon sind bislang charakterisiert worden. THC bindet hauptsächlich an CB1-Rezeptoren, CBD an CD2-Rezeptoren. Die beiden Wirkstoffe sind dann aber zusätzlich noch partielle Agonisten am jeweiligen anderen Rezeptor, so dass sich im natürlichen Cannabis die Wirkung teilweise gegenseitig hemmt.

Haddu Haschisch? Die verschiedenen medizinisch zugelassenen Cannabis-Präparate

Okay, ganz schlechter Häschenwitz, musste aber sein. Und nein, Haschisch, also der getrocknete Harz der weiblichen Hanfpflanzen ist weiterhin nur als Rauschmittel beim Dealer des Vertrauens erhältlich. Bis 2017 war es praktisch unmöglich von wenigen Fertigarzneimitteln abgesehen (Sativex bei Spastik bei MS), Cannabis-Produkte medizinisch zu verordnen. Dann kam 2017 das Cannabisgesetz, welches die medizinische Verordnung von Cannabisprodukten regelte und ermöglichte, über das man aber auch trefflich streiten kann und welchem man seine Intention und auch sein Messen mit zweierlei Maß (siehe Ausführungen zur Fahrtauglichkeit dort) anmerkt.

Prinzipiell gibt es synthetische oder halbsynthetische Präparate mit den beiden Cannabis-Hauptwirkstoffen THC und CBD, entweder nur als THC-Präparat oder als Mischung aus THC und CBD. Diese sind häufig als ölige oder alkoholische Lösung aufbereitet. Die gängigste Formulierung ist Dronabinol, eine ölige reine THC-Lösung. Man kann das THC aber auch in Kapseln verpacken, was aber seltener passiert. Verbreitet ist auch Sativex, was aber der Handelsname ist, der Wirkstoff heißt Nabiximol. Das ist eingedicktes THC/CBD, welches als Mundspray appliziert wird und über die Schleimhäute aufgenommen wird. Es gibt auch noch andere Und dann gibt es Vollextrakte, also ausgekochtes Cannabis mit den 348 anderen Wirkstoffen darin. Das, was die meisten mit medizinischem Cannabis verbinden sind aber Cannabis-Blüten. Da gibt es verschiedene Blütensorten, welche von der Bundesopiumstelle als Medizinalcannabis anerkannt sind und welche sich durch verschiedene THC- und CBD-Spiegel haben. Vorgesehen ist die Einnahme als Tee oder im Verdampfer, man muss aber davon ausgehen, dass die meisten Patienten, das Cannabis klassisch als Joint rauchen werden. Das mit dem Rauchen hat sogar einen tieferen Sinn. Und zwar ist das THC in den Cannabis-Blüten (anders als beim Haschisch) überwiegend carboxyliert und wirkt so kaum. Erst durch Hitzeeinwirkung erfolgt die Decarboxylierung und da gilt: Je heißer, desto besser. Daher kann man so eine Wirkstärke-Analogie aufmachen wie: Tee ist weniger wirksam als Kekse (weil die gebacken wurden) sind weniger wirksam als Cannabis, welches verdampft wird, ist weniger wirksam als Cannabis, welches klassisch geraucht wird.

Die Sache mit der Wirksamkeit von Cannabinoiden

Ja, und jetzt kommt das Studien-Problem dann doch. Das Problem an dem Thema Cannabis und Schmerzen ist, dass es unglaublich viele kleine, nicht verblendete, Studien oder Fallberichte zu ganz verschiedenen Schmerz-Themen gibt, meistens mit recht guten Ergebnissen, v.a. was Lebensqualität und Schmerzintensität betrifft, aber eben fehlender Evidenz. Ausnahmen gibt es nur für die Themen Spastik bei MS und neuropathische und zentrale Schmerzen mit Ausnahme der diabetischen Polyneuropathie. Dabei bestätigte sich der Eindruck, dass über die Schleimhäute aufgenommenes und gerauchtes Cannabis besser wirken, als oral eingenommenes. Und noch was bestätigte sich, was sich – bei schlechterer Datenlage aber so ähnlich – auch durch die anderen Indikationsgebiete zieht: Die number needed to treat liegt mit 10-14 für eine relevante Schmerzreduktion um 30-50% sehr hoch, die number needed to harm mit 3-8 deutlich niedriger. Das Problem ist nun aber, dass bei der number needed to härm auch Rauschzustände mit einfließen. Da ein Cannabis-Rausch aber auch ganz nice sein kann, kann es gut sein, dass sich hierin die Diskrepanz zu den nicht-kontrollierten Studien erklärt. Wenn der Rausch als Teil der Wirksamkeit wahrgenommen und positiv attributiert wird, ist die Wirkstärke deutlich besser, wenn man nur eine rauschfreie Cannabis-Wirkung haben will, deutlich schlechter. Dazu kommt, dass selbst den einzigen drei Metaanalyse zum Thema Schmerzen & Cannabis statistische Fehler mit Überschätzung der Cannabis-Wirkstärke vorgeworfen werden müssen.

Daher empfehlen die meisten Leitlinien Cannabinoide nur, wenn andere Therapieverfahren keine Linderung erbracht haben, was wiederum mit der Erwartung vieler Patienten und auch dem sehr Cannabis-freundlichen Gesetzestext des Cannabis-Gesetzes kollidiert. Wen das Thema weiter interessiert, sei besonders der Artikel von Häuser et al. empfohlen.

Wo man weiterlesen kann
  1. Finnerup, N. B., Sindrup, S. H. & Jensen, T. S. The evidence for pharmacological treatment of neuropathic pain. Pain 150, 573–581 (2010).
  2. Karst, M. Cannabinoide in der Schmerzmedizin. Der Schmerz 32, 381–396 (2018).
  3. Mainka, T., Stork, J., Hidding, U. & Buhmann, C. Cannabis bei Parkinson – Hype oder Heilmittel? Fortschritte der Neurol. · Psychiatr. 86, 106–116 (2018).
  4. Häuser, W. & Petzke, F. Evidenz der Wirksamkeit und Sicherheit von Cannabispräparaten bei chronischen Schmerzen. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforsch. – Gesundheitsschutz 62, 836–844 (2019).
  5. Block, F. Cannabis in der Neurologie. DGNeurologie 3, 116–119 (2020).

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