Migräneprophylaxe und die Sache mit dem CGRP

Heute geht es also um Migräneprophylaxe. Dazu muss man gleich vorweg eine unangenehme Wahrheit schicken. Eine richtige Migräneprophylaxe besteht immer aus drei Dingen: Regelmäßigem Ausdauersport > 30 min (2-3x/Woche), der regelmäßigen (tägliche) Anwendung von Muskelentspannungsverfahren und einer medikamentösen Migräneprophylaxe. Mit diesen drei Komponenten zusammen kann man die Zahl der monatlichen Migränetage um bis zu 70% senken, nur mit der Einnahme eines Medikamentes zur Migräneprophylaxe nur um 20-30%, wenn es richtig gut läuft um 50% (was aber wohl sehr optimistisch ist), wenn es denn lang genug eingenommen wird und auch wirkt. Dies ist bitter für die Ärzte, für dieser Teil der Migräneprophylaxe ja das Kerngeschäft (zumindest traditionell) ist und es ist mindestens so bitter für viele Migränepatienten, denn sowohl der Ausdauersport als auch die Muskelentspannungsverfahren erfordern viel Eigeninitiative, Durchhaltevermögen, einen ständigen Kampf mit dem inneren Schweinehund und auch noch Zeit. Da ist die Einnahme einer Pille deutlich weniger aufwändig und schneller gemacht.

Und trotzdem soll es jetzt hier um die 20-50% Wirkung durch die Pillen gehen. Hier gibt es noch eine unangenehme Wahrheit: Die meisten Migränepatienten setzen die meisten Migräneprophylaktika irgendwann ab, oft wegen Nebenwirkungen oder fehlender Wirksamkeit. Und noch eine: Es sind nur eine Handvoll Medikamente überhaupt zur Migräneprophylaxe zugelassen und davon ist kaum eines wirklich nebenwirkungsarm und eine off label-Migräneprophylaxe ist im ambulanten Bereich ziemlich aufwändig weiterzuverordnen.

Ein großes Problem dabei ist, dass die klassischen Migräneprophylaktika ja alle Zufallsentdeckungen in der Migräneprophylaxe sind, weil halt irgendwer einen Betablocker, Amitriptylin oder was auch immer eingenommen hat aus der jeweiligen Original-Indikation und dann auffiel, dass eine komorbid vorliegende Migräne auch besser (bzw. in erster Linie seltener) wurde. Manche Präparate wurden dann explizit als Migräneprophylaxe in Studien untersucht, andere nie so richtig. Bei den allermeisten dieser klassischen Migräneprophylaktika ist auch der Wirkmechanismus, der die Migräne seltener werden lässt, nicht hinreichend verstanden, eben weil es eine zufällig entdeckte Nebenwirkung ist.

Anders ist das mit Botulinumtoxin und den CGRP-Antikörpern, hier existieren sowohl Wirkkonzepte als auch aussagekräftige Studien.

Wann soll man überhaupt eine Migräneprophylaxe einnehmen

Dazu sagen die Leitlinien folgendes:

  • Drei und mehr Migräneattacken pro Monat, die die Lebensqualität beeinträchtigen
  • Migräneattacken, die regelmäßig länger als 72 Stunden anhalten
  • Attacken, die auf eine Therapie […] zur Akuttherapie (inkl. Triptanen) nicht ansprechen
  • Patienten, welche die Nebenwirkungen der Akuttherapie nicht tolerien können
  • bei Zunahme der Attackenfrequenz und Einnahme von Schmerz- oder Migränemitteln an mehr als 10 Tagen im Monat
  • bei komplizierten Migräneattacken mit beeinträchtigenden (z.B. hemiplegischen) und/oder langanhaltenden Auren
  • Nach einem migränösen Hirninfarkt bei Ausschluss anderer Infarktursachen

Das sind aber Expertenmeinungen, eine Evidenzlage hierzu gibt es nicht.

Klassische Migräneprophylaktika

Bislang gab es drei Betablocker, einen Kalziumkanalblocker, zwei Antikonvulsiva, ein Antidepressivum, zwei NSAR und dann noch Magnesium als Migräneprophylaktika. Seit einigen Jahren ist noch Botulinumtoxin für die chronische Migräne hinzugekommen. Zuerst zu den klassischen Migräneprophylaktika im Einzelnen:

Betablocker: Zugelassen und erprobt sind Metoprolol in der Dosis 50-200 mg, Propranolol (40-240 mg) und Bisoprolol (5-10 mg). Für die Wirksamkeit der Betablocker besteht eine gute Evidenzlage, problematisch sind die typischen Betablocker-Nebenwirkungen (gerade bei jungen Patienten) Hypotonie, Bradykardie und Impotenz. Unproblematischer sind die Betablocker, wenn sie aus kardiologischer Indikation eh gegeben werden müssen oder schon eingenommen werden.

Kalziumkanalblocker: Zugelassen ist nur Flunarizin, die typische Startdosis sind 5 mg, max. 10 mg. Flunarizin macht eher müde, daher gibt man es typischerweise abends. Typischste Nebenwirkungen sind Müdigkeit, Schwindel und eine Gewichtszunahme.

Antikonvulsiva: Die zur Migräneprophylaxe zugelassenen und wirksamen sind ein Trauerspiel. Valproat (500-1000 mg) macht dick und kann Frauen im gebärfähigen Alter nicht verschrieben werden. Topiramat macht zwar eher dünn, ist zumindest gefühlt das am meisten abgesetzte und nicht-eingenommene Medikament überhaupt. Dafür sind v.a. die Nebenwirkungen verantwortlich, es macht müde, Gedächtnis- und Sprachstörungen. Das soll zwar offiziell nur in hohen Dosierungen passieren, sehr viele Migränepatienten bemerken dies aber auch schon bei geringen Tagesdosen. Wenn es eingenommen wird, muss man nur selten mehr als 75 mg geben. Generell, aber insbesondere bei Topiramat gilt der Migräneprophylaxe-Grundsatz start slow, go low besonders.

Antidepressiva: Da gibt es nur das unvermeidliche Amitriptylin. Das ist zwar nice, wenn eine Mischform von Migräne mit Spannungskopfschmerzen oder eine klomorbide Schlafstörung vorliegen; eher ungünstig ist aber, dass man schon Tagesdosen bis 50 mg geben muss und die berüchtigte Amitriptylin-Gewichtszunahme schon dosisabhängig zu sein scheint und überschaubar bei 10 mg, aber oft erheblich bei 50 mg ist.

NSAR führen in der Migräneprophylaxe ein Nischendasein. Mit Naproxen kann man recht gut eine Intervall-Prophylaxe bei der zyklusgebundenen Migräne mit 2 x 250 mg vier Tage vor bis drei Tage nach der Periode versuchen, man braucht aber oft einen Magenschutz mit einem Protonenpumpenhemmer. Zudem ist vermutlich ASS in der 300 mg-Thrombozytenfunktionshemmungs-Dosis in der Migräneprophylaxe wirksam. Die Datenlage ist aber dünn, das Ausmaß der Wirksamkeit vermutlich auch.

Magnesium (2 x 300 mg) v.a. in der Kombination mit Vitamin B2 (2 x 200 mg) und Koenzym Q10 (2 x 75 mg) verringert wohl in erster Linie die Heftigkeit der Migräneattacken und weniger ihre Frequenz. Die Kombinationsgabe ist aber eine gute Option, wenn die anderen Medikamente auf Grund ihres Nebenwirkungsprofils nicht in Frage kommen, nicht aber in der Schwangerschaft, da Magnesium mit fetalen Knochenschäden assoziiert wird (dann tatsächlich eher Betablocker oder Amitriptylin).

Weniger Falten und weniger Migränetage: Botulinumtoxin

Botulinumtoxin konnte in zwei Studien eine gute Wirksamkeit in der Prophylaxe der chronischen Migräne zeigen, nicht aber in der der episodischen Migräne. Botulinumtoxin wirkt vermutlich auf verschiedene Arten migräneprophylaktisch. Einmal sehr mechanistisch, in dem durch die Injektion von Botulinumtoxin in Kopf-, Nacken- und Schultermuskeln der Tonus dort gesenkt wird und darüber die verspannten Muskeln weniger Migräneattacken triggern können, aber auch durch direkte Wirkung von Botulinumtoxin auf Schmerzfasern (C-Fasern) und auf die Ausschüttung von nozizeptiv wirkenden Botenstoffen.

Gängig in der Migräneprophylaxe mit Botulinumtoxin ist die Injektion von 195 IE Botulinumtoxin A nach dem PREEMPT-Schema an 31 Injektionspunkten (je 5 IE) an der mimischen Muskulatur, der Kau-, Nacken- und Schultermuskulatur.

Die Wirkung von Botulinumtoxin hält (wie bei anderen Indikationen auch) ca. 3 Monate an, so dass man die Behandlung typischerweise alle 3 Monate wiederholt. Sollte es auch nach dem 3. Zyklus kein Ansprechen geben, ist eine generelle Wirksamkeit nicht sehr wahrscheinlich und die Behandlung mit Botulinumtoxin sollte abgebrochen werden.

So und jetzt die Sache mit dem CGRP

CGRP und der CGRP-Rezeptor

Die Erkenntnis, dass CGRP eine wichtige Rolle in der Pathophysiologie der Migräne spielt ist fast 30 Jahre alt und stammt aus den frühen 1990er Jahren. Lange war aber nicht klar, was genau passiert. Hier hat sich erst in den letzten Jahren deutlich mehr Klarheit ergeben. Migräneattacken werden – und das wissen wir u.a. aus fMRT-Studien ja recht viel über das trigeminale Schmerzsystem getriggert und projizieren hinsichtlich ihrer Schmerzlokalisation ja auch hin. Im trigeminalen Innervationsgebiet ist die Dichte von Schmerzfasern sehr hoch. Die unmyelinisierten C-Fasern können (das können sie aber auch überall anders im Körper) bei Reizung Schmerzmediatoren freisetzen, die dann weitere Nervenfasern reizen (nämlich die A𝛿-Fasern. Dafür benutzen sie Substanz P und – wer hätte es gedacht – CGRP, welches wiederum an CGRP-Rezeptoren andocken kann und so die bemerkten A𝛿-Fasern sensibilisiert. Die so gereizten Nervenfasern enden im unteren Trigeminuskern und projizieren von dort in den Thalamus und den Hypothalamus. Ab dort befinden sie sich in der Schmerzmatrix und zwar sowohl in nach kortikal projizierenden Strukturen, als auch im Ursprung der absteigenden Schmerzhemmung, die durch diese direkte Innervation in ihrer Funktion massiv gehemmt wird. Auch durale perivaskuläre Schmerzfasern weisen diese CGRP-Sensibilisierung auf. Reizt man die dualen perivaskulären Schmerzfasern, z.B. durch eine massive Vasodilatation, wie sie CGRP ja als Mediator einer neurogenen Entzündung vermittelt, kann man einen pochenden, migräneähnlichen Kopfschmerz experimentell auslösen. Serotonin-Rezeptoren haben wiederum eine hemmende Wirkung auf die CGRP-Ausschüttung, an diesen wirken wiederum Triptane.

So, bis da hab ich das mit der Pathogenese ungefähr verstanden, dann geht es irgendwie noch um Thalamusneurone dritter Ordnung und da hört dann meine Expertise auch auf.

CGRP-Antikörper

CGRP-Antikörper gibt es in zwei Bauarten, einmal als monoklonaler Antikörper gegen den CGRP-Rezeptor (das ist dann Erenumab) und drei Mal als monoklonaler Antikörper gegen CGRP selber (Eptinezumab, Fremanezumab und Galcanezumab). Alle diese Antikörper werden im Intervall s.c. oder i.v. gespritzt, teils monatlich, teils vierteljährlich. Wirksam sind sie sowohl in der Behandlung der episodischen, als auch der chronischen Migräne. Der Witz an der Sache ist jetzt, das so alles über alles, Verum gegen Placebo, diese teuren und hochmodernen monoklonalen Antikörper auch nur eine 30%-Reduktion von Migränetagen erreichen, also genauso viel wie die alten und nicht-spezifischen Medikamente auch. Allerdings scheint es in dem Kollektiv der behandelten Patienten welche zu geben, die exzellent ansprechen, bei denen die ansonsten kaum behandelbare Migräne dann nahezu weg ist, welche bei denen das so Mittel ist und bleibt und Non-Responder, bei denen das ganze nur wenig bis keine Wirkung hat.

Das spricht wiederum dafür, dass CGRP ein Baustein, aber nicht die Erklärung der gesamten Migränepathophysiologie ist und es auch noch andere Mechanismen geben muss, die zu Migräneattacken führen können.

Andererseits gibt es jetzt eine sehr nebenwirkungsarme Option (allerdings machen die Antikörper weil sie auch auf CGRP im Darm wirken relativ fiese Verstopfung), welche für einen Teil der Betroffenen eine Erlösung ist. Weil die Tages- und Jahrestherapiekosten aber so exorbitant hoch sind, gibt es die Bedingung zur Verordnung, dass man die gängige low Budget Migräneprophylaxe nicht vertragen hat oder sie kontraindiziert ist, damit die Behandlungskosten von den Krankenkassen übernommen werden. Gefordert wird einen Betablocker, Flunarizin, Valproat und Topiramat und Amitriptylin auszuprobieren oder nicht geben zu können. Bei chronischer Migräne muss auch noch Botulinumtoxin gescheitert sein. Zudem muss mit einem Kopfschmerztagebuch der Therapieerfolg gemonitort werden. Analog zum Botulinumtoxin muss man eine nicht erfolgreiche Therapie nach 3 Zyklen dann auch beenden.

Wo man weiterlesen kann

S1-Leitlinie Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne https://www.dgn.org/leitlinien/3583-ll-030-057-2018-therapie-der-migraeneattacke-und-prophylaxe-der-migraene

S1-Leitlinienergänzung Prophylaxe der Migräne mit monoklonalen Antikörpern gegen CGRP oder den CGRP-Rezeptor https://www.dgn.org/leitlinien/3859-ll-030-057-cgrp-addendum-migraene-leitlinie-2019

  1. Iyengar, S., Johnson, K. W., Ossipov, M. H. & Aurora, S. K. CGRP and the Trigeminal System in Migraine. Headache 59, 659–681 (2019).
  2. Diener, H.-C. et al. Prophylaxe der Migräne mit monoklonalen Antikörpern gegen CGRP oder den CGRP-Rezeptor, Ergänzung der S1-Leitlinie Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne. DGNeurologie 3, 124–128 (2020).
  3. Diener, H.-C. & Nägel, S. Prophylaxe episodischer und chronischer Migräne mit CGRP ( Rezeptor ) -Antikörpern. InFo Neurol. Psychiatr. 22, 28–39 (2020).

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