#Medizinbrennt

Im Gesundheitswesen brodelt es. Die Diskussion zum Thema Versorgungsrealität und Personalmangel ist extrem spannend, weil immer wieder sehr kluge Dinge geschrieben werden, bei Twitter z.B. unter dem Hashtag #Medizinbrennt. Ich möchte ein paar Gedanken, die mich in den letzten Monaten dazu umgetrieben haben aufschreiben und weil das die Twitter-Thread-Länge sprengt, mach ich das hier, freu mich aber über eine lebhafte Diskussion, egal auf welchem Kanal.

Eine Klarstellung vorweg:

Wir brauchen eine Entlastung des Personals im Gesundheitswesens, zu allererst des Pflegepersonals, aber generell auch der anderen Berufsgruppen. Und wir werden die Strukturen, in und mit denen wir arbeiten ändern müssen, denn so fährt der ganze Laden einfach vor die Wand. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass die Maßnahmen, die der Gesetzgeber bislang ergriffen hat das Problem nicht wirklich entschärfen und dass es am Ende zu einer Verschlimmbesserung kommt. Und damit fangen wir an.

PpUGV, PPR 2.0 und Herausnahme der Pflegepersonalkosten aus den DRG.: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.

Ende 2018 wurde das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz vom Bundestag beschlossen. In dieser Gesetzesänderung waren zwei Maßnahmen verankert, mit denen der Gesetzgeber versucht, den zunehmenden und eklatanten Mangel an Pflegepersonal und die immer stärker werdende Abwanderung von Beschäftigten in der Pflege (Pflexit) abzuwenden:

  • Die Erweiterung von Pflegepersonaluntergrenzen auf bestimmte Fachrichtungen/Stationen
  • Die Herausnahme der Pflegepersonalkosten aus den DRG

Pflegepersonaluntergrenzen (PpUG)

Pflegepersonaluntergrenzen gab es auch schon vor dem Pflegepersonal-Stärkungsgesetz nämlich im Rahmen einer Verordnung. Mit dem Gesetz wurden sie aber für die Intensivmedizin, Herzchirurgie, Kardiologie, Unfallchirurgie, Geriatrie und in der Neurologie jeweils unterschiedlich für neurologische Normalstationen, neurologische Frührehabiliation und Stroke Units festgelegt. Konkret heißt das für eine neurologische Normalstation, dass tagsüber (6 bis 22 Uhr) eine Pflegekraft für maximal 7 Patienten zuständig sein darf, nachts (22 bis 6 Uhr) für 15 Patienten, Hilfspersonal darf tagsüber 10% und nachts 8% des eingesetzten Personals ausmachen. Dabei ist wichtig zu wissen, dass es sich bei den PpUG um zu bestimmten Stichtagen zu ermittelnde Durchschnitts-Personalbesetzungen handelt. Auf der Stroke Unit ist tagsüber eine 3:1- und nachts eine 5:1-Betreuung vorgeschrieben, auf der Frühreha tagsüber eine 5:1- und nachts eine 12:1-Betreuung. Fachrichtungen mit ebenfalls hochaltrigen, aber meist etwas weniger hilfsbedürftigen Patienten (Geriatrie, Unfallchirurgie, Kardiologie) müssen tagsüber eine 10:1 und nachts eine 20:1-Besetzung auf Station aufweisen. Und in der Intensivmedizin git tagsüber 2:1- und nachts 3:1-Besetzung.

Idee dahinter ist es mit einer Mindestbesetzung an Pflegepersonal (andernfalls drohen saftige Strafen) den wirtschaftlichen Anreiz Geld durch Reduktion von Pflegepersonal zu sparen abzustellen. Um den Hintergrund zu verstehen muss man – wenn man sich bislang noch nicht damit beschäftigt hat – einmal eine Mini-Einführung zum Thema DRG absolvieren, z.B. hier (bis zu „Crashkurs DRG“ scrollen). Ganz, ganz grob gesagt kann man sich eine Fallpauschale (DRG) wie eine Pauschalreisen-Buchung vorstellen. Für Krankheit XY mit den und den Begleitumständen gibt es soundsoviele Euros. Spart man jetzt ganz viel Personal und andere Fixkosten ein, so steigt die Gewinnmarge, beschäftigt man viel Personal, so wird sie eher klein sein (oder man arbeitet sogar defizitär). Dieser „Anreiz“ zum wirtschaftlichen Arbeiten war und ist politisch gewollt und war Hauptgrund für die Einführung der DRG in Deutschland. Jetzt versucht man ihn also durch Pflegepersonaluntergrenzen beim Pflegepersonal zu korrigieren.

Als es haarig wurde, zu Beginn der COVID-Pandemie wurden die PpUG flux ausgesetzt und erst zum 01.08.2020, bzw. 31.12.2020 wieder „scharf geschaltet“. Politisch-kommunikativ war das übrigens – zusammen mit den Verrenkungen um COVID-Prämien und für wen sie nun eingeschüttet werden und für wen „leider“ nicht – ein ziemliches Desaster, da vermehrt der Eindruck aufkam, es handele sich um eine Schönwetter-Regel, die man mit ein bisschen Klatschen auf dem Balkon ausgleichen könne.

Die zuletzt vom Gesundheitsminister thematisierte „weitere Entlastung des Pflegepersonals“ bezieht sich auf die aktualisierte Pflegepersonalregelung, die mit PPR 2.0 abgekürzt wird und die im Grunde eine überbrückende Ausdehnung der PpUG auf alle bettanführenden Stationen (exklusive Psychiatrie) ist, aber über eine Pflegebedarfsermittlung für einzelne Patienten unterschieden in Grund- und Spezialpflege abgebildet werden soll (Link). Halten sich die Krankenhäuser nicht daran ist die Konsequenz – wie bei den PpUG – eine finanzielle Sanktionierung. Allerdings gibt es mittlerweile den Kompromiss, dass durch das Finanzministerium mit festgelegt werden soll, wie die Bemessung konkret ausfällt – damit das ganze nicht zu teuer wird (Link).

Herausnahme der Pflegepersonalkosten aus den DRG

Zeitlich etwas später – ab 2020 – wurden die Personalkosten für das Pflegepersonal, allerdings nicht für das ärztliche oder medizinisch-technische (MTAs) oder therapeutische Personal und auch nicht für z.B. OP-Pflege aus den DRG herausgelöst und gesondert – im Grunde nach tatsächlichen Unkosten – vergütet. Wie immer im Gesundheitssystem geschieht das nicht direkt, d.h. die Krankenhäuser stellen nicht ihre Lohnkosten für das Pflegepersonal den Krankenkassen direkt in Rechnung, sondern es werden verschiedene Scores gebildet, die miteinander verrechnet werden (ähnlich wie bei den DRG mit Kostengewichten und Landesbasisfallwert). Grundsätzlich sind aber die Pflegepersonalkosten, die auf den Bettenstationen anfallen damit in der tatsächlich entstandenen Höhe gegenfinanziert.

Der Plan geht sich nicht aus

Auf dem Papier klingt das alles sinnvoll und richtig und trotz garantierter Gegenfinanzierung gelingt es den Krankenhäusern in der Breite nicht offene Stellen nachzubesetzen. Wer mal einen Eindruck von dem Ausmaß der ausgeschriebenen Pflegepersonalstellen bekommen möchte, kann exemplarisch in den Stellenanzeigen verschiedener Hamburger Krankenhäuser und Krankenhausbetreiber schauen (UKE, Asklepios, Albertinen, Marienkrankenhaus). Es ist also kein böser Wille, kein vom kaufmännischen Geschäftsführer identifiziertes Einsparpotential oder ähnliches, der derzeitige Arbeitsmarkt für Pflegepersonal ist komplett leergefegt. Die bislang ergriffenen Maßnahmen haben offenkundig keinen signifikanten Einfluss auf die Personalsituation. Das spricht dafür, dass man bislang die Ursachen des Pflexit nicht ausreichend erfasst, bzw. bekämpft hat.

Über das tatsächliche Ausmaß des Pflexit kann man durchaus kontrovers diskutieren (Link, Link, Link), wobei man nicht außer acht lassen sollte, dass es zum Einen eine Abwanderung von Fachkräften aus der Pflege in andere Berufszweige und zum Anderen aus der Akut- und Notfallmedizin und der Altenpflege in jeweils „ruhigere“ Arbeitsbereiche gibt. Die Fachabteilungen mit PpUG (vielleicht mit Ausnahme der Intensivmedizin und der Geriatrie, die durch ihre strukturellen Besonderheiten, bzw. bei der Intensivmedizin durch den besonderen Stellenwert/Wertschätzung, bei denen das langsamer passiert) sind aber besonders von dem internen Fachkräfte-Shift betroffen (sonst gäbe es die PpUG hier aber auch nicht). Bei uns in der Akutneurologie und der neurologischen Frührehabilitation kann man den Pflexit aber tagtäglich am eigenen Leib spüren und beobachten. Die üblichen Gründe, die in Umfragen und Analysen für den Pflexit aufgeführt werden sind (Link, Link, Link:

  1. Mangelnde Wertschätzung
  2. Dem Job nicht angemessene Vergütung
  3. Kein verlässlicher Dienstplan, häufiges Einspringen
  4. Arbeitszeiten mit Schichtdienst, Wochenend-, Feiertags- und Nachtarbeit
  5. Unzureichender Personalschlüssel
  6. Fehlende Zeit um Pausen machen zu können, regelhafte Überstunden
  7. Fehlende Zeit um die Patienten adäquat versorgen zu können
  8. Pflegefremde Tätigkeiten, die ausgeübt werden müssen
  9. Zu starke körperliche und psychische Belastung durch den Beruf
  10. Zunehmende Verdichtung von Arbeit durch kürzere Liegezeiten und Fachkräftemangel
  11. Zunehmender Anteil an multimorbiden, hochaltrigen, vollkompensatorisch zu versorgender Patienten
  12. Verlust der Sinnhaftigkeit der Arbeit durch Überversorgung, hierzu hatte ich schon mal hier etwas aufgeschrieben (bis zu „Überversorgung verstärkt den Pflexit“ scrollen).

Zusammenfassend beruhen 3., 5., 6., 7. und 8. auf dem Punkt Fachkräftemangel. Nach meinem Verständnis greifen die Personaluntergrenzen allein deshalb nicht, weil 1. und 2. fehlen. Und ich denke, nur so wird ein Schuh draus, man wird die Vergütung für das Pflegepersonal massiv erhöhen müssen (vermutlich mindestens um ca. 30%), damit die Personaluntergrenzen überhaupt in ihrer eigentlichen Intention greifen können.

Die Kehrseite der Personaluntergrenzen

Seit Einführung der Pflegepersonaluntergrenzen wird immer wieder und bis heute (Link) angemahnt, dass diese in Zeiten von Fachkräftemangel auch ein Mittel zur Reduktion von Krankenhausbetten sind. Das mag auch ein bisschen daran liegen, dass die Bertelsmann-Studie zur Krankenhausstruktur in Deutschland, welche das Ziel ausgab mit der Hälfte an Krankenhäusern eine qualitativ bessere Versorgung zu ermöglichen, in der Zeit der Einführung / Ausweitung der PpUG erschien (Link). Das Problem aber ist, dass diese Verknappung von Krankenhausbetten – die bundespolitisch ja durchaus gewollt ist – eben nicht strukturiert und geplant geschieht, sondern im Umfeld von DRG-finanziertem Krankenhauswesen und PpUG über Verdrängung / Abwerbung von Personal passiert.

Kliniken, die an der Notfallversorgung teilnehmen sind dabei aber besonders benachteiligt, da es mehrere Punkte gibt, die sie besonders vulnerabel für Fachkräftemangel machen:

  • Sie haben per se höhere Infrastruktur- und Personalkosten, da sie rund um die Uhr Notfallversorgung sicher stellen müssen, egal wie diese nachgefragt ist
  • Ambulant bleibende Notfallpatienten werden dabei finanziell unattraktiv über eine Notfallpauschale (ca. 32 EUR) vergütet bei umgerechneten Fallkosten von durchschnittlich 126 EUR durch die Vorhaltungskosten (Link), sind also ein „Minusgeschäft“, das Geld fehlt dann an anderer Stelle
  • Auch Patienten, die mit finanziell unattraktiv vergüteten DRG bei relativ hohem Personalaufwand abgerechnet werden (z.B. Infekt mit Delir bei hochaltrigen, multimorbiden Pat.) müssen natürlich behandelt werden, während Fachkliniken sich auf die Behandlung für sie kostendeckend umzusetzender Erkrankungen spezialisiert haben
  • Durch die Notfallzuführungen sind sie zuständig für die (offiziell nicht existierenden) Versorgungsproblematiken
  • Die meisten PpUG betreffen die Akut- und Notfallmedizin

Jetzt kann man einwenden, wen kümmert’s, das Pflegepersonal ist ja gesondert gegenfinanziert. Das stimmt, die Punkte 9., 11. und 12. von oben betreffen aber besonders Kliniken mit Notfallaufnahme. Und diese Punkte lassen sich nicht einfach ändern, da sie in erster Linie von demographischer Struktur und gesellschaftlichem Verhältnis zu Krankheit, Pflegebedürftigkeit und Tod bestimmt werden.

In der Summe heißt das, allein mit Maßnahmen die am Themenkomplex Pflexit ansetzen werden wir nicht auskommen.

Was man sinnvolles tun könnte

Krankenhausbetten werden also ein knappes Gut bleiben mit denen wir sorgsam umgehen und unnötige Belegungen vermeiden müssen. Grundsätzlich kann man dabei an zwei Punkten ansetzen, um Bettenbelegungen „einzusparen“, bei der Aufnahme und der Entlassung (soweit so banal). Doch was ist damit gemeint?

Notwendige stationäre Behandlungen?

Fangen wir mit der Aufnahme ins Krankenhaus an. Dort lautet die Hauptfrage: Ist eine stationäre Krankenhausbehandlung überhaupt notwendig? Rein formal ist eine Krankenhausaufnahme indiziert, wenn „die besonderen Mittel des Krankenhauses“ benötigt werden, wobei dann noch nicht gesagt ist, ob die Behandlung tatsächlich stationär oder teilstationär oder ambulant erfolgen muss oder kann. Aber hier liegt eines der Probleme und mit dem fangen wir an:

Notfallvorstellungen in Notaufnahmen

Hier gab es in den letzten Wochen mehrere sehr schöne Twitter-Threads, von denen ich drei, aus denen die wesentlichen Punkte herausgehen, hier verlinke:

Das Hauptthema sind demnach Notfallvorstellungen, die keine wirklichen Notfälle sind und die fehlende/nicht praktikabel ausgestaltete Verzahnung zwischen ambulantem und stationären Versorgungssystem. Hier braucht es m.E.

  • eine „Abwehrbarriere“ vor den Notaufnahmen um überall alltägliche medizinische Probleme, mit denen sich Menschen in Notaufnahmen vorstellen angemessen behandeln zu können, also Vorstellungen wegen fieberhafter Infekte, Gastroenteritiden, Harnwegsinfektionen, Bauchschmerzen usw. Helfen könnten hier ganz wesentlich Portalpraxen, die m.E. aber nicht nur nach Feierabend der niedergelassenen Ärzte, sondern rund um die Uhr betrieben werden müssten. Hier ist der größte Streitpunkt tatsächlich ein Gerangel zwischen Krankenhäusern und kassenärztlichen Vereinigungen, in dem es um Pfründe und Einfluss und nicht um die eigentliche medizinische Versorgung geht (z.B. hier nachzulesen).
  • eine Option für Fälle, bei denen zwar Großgerätediagnostik, bzw. zeit- und personalaufwändige Untersuchungsverfahren wie in dem Thread von Marc Bota benötigt werden, aber eigentlich keine stationäre Aufnahme erforderlich ist. Und zwar auch außerhalb der Kernarbeitszeiten, also Abends, am Wochenende und Feiertags. In der derzeitigen Realität ist diese Verzahnung – die ja über das eh schon strittige Thema Portalpraxen hinausgeht – überhaupt nicht in Sicht.
  • klare Aufnahmekriterien, wann eine stationäre Aufnahme notwendig ist und wann nicht, an denen sich auch unerfahrene Ärztinnen und Ärzte orientieren können.
Beispiel für stationäre Aufnahmekriterien (hier in die Neurologie)
Beispiel für stationäre Aufnahmekriterien (hier in die Neurologie)

Zeitnah statt sofort und teilstationär statt stationär

Viele Notfallvorstellungen erfolgen wegen Problemen, die sich über eine gewisse Zeit entwickelt haben und dann exazerbiert sind, z.B. in der Neurologie Gangstörungen mit Stürzen. Natürlich erwarten viele Patienten, dass sie jetzt, wo sie es „nicht mehr aushalten“ auch aufgenommen werden, aber ehrlich gesagt ist es fast immer möglich die Aufnahme um einige Tage zu verschieben. Das heißt, wenn es regulär die Option gäbe zu sagen, „alles klar, wir gucken uns das an. Aber nicht heute, dafür aber übermorgen, da haben wir ein Bett und die Untersuchungs-Kapazitäten für Sie“, das ganze noch in Verbindung mit einer unkomplizierten Fall- und Untersuchungsplanung, wäre schon viel gewonnen.

Die elektiven Patienten die wir in der Neurologie sehen, bedürfen ganz überwiegend zwar „der besonderen Mittel des Krankenhauses“, müssten aber streng genommen nicht im Krankenhaus schlafen. Ich mach ein paar Beispiele um das zu verdeutlichen: Standard-Zuweisungen bei uns sind Demenz-, Polyneuropathie- und Multiple Sklerose-Abklärungen, zusätzlich Gang- und Bewegungsstörungen (bei denen das Bett und die Übernachtung aber oft notwendig ist). Die erstgenannten drei Krankheitsbilder zur Abklärung können wir – ein Anamnese- und Planungsvorgespräch vorausgesetzt – innerhalb kurzer Zeit abklären. Für eine Demenzabklärung veranschlage ich 2 Behandlungstage (1 Nacht im Krankenhaus schlafen), dann schaffen wir MRT, EEG, Liquorpunktion mit Bestimmung der neurodegenerativen Marker und ausführliche neuropsychologische Testung (z.B. CERAD). Für eine MS-Abklärung 1-2 Nächte, je nachdem ob schon eines der beiden erforderlichen MRT (Kopf und Rückenmark) ambulant erfolgt ist, wir ergänzen zusätzlich Liquorpunktion, Labordiagnostik und elektrophysiologische Testungen (VEP und SEP). Bei einer Polyneuropathieabklärung gilt das selbe. Ausführliche elektrophysiologische Untersuchung (ENG und EMG), Labordiagnostik, kleine Tumorsuche und ggfs. Liquordiagnostik kann ich geplant in 2 Behandlungstagen (1 x schlafen) durchführen, benötigen wir noch weiterführende MRT-Untersuchungen, z.B. weil eine Spinalkanalstenose differentialdiagnostisch erwogen werden muss, können es auch 2 Nächte (also 3 Behandlungstage) werden.

Diese Patienten kommen – in der Regel – zugewiesen durch niedergelassene Neurologen zu uns. Sie kommen, weil einzelne Teile der erforderlichen Diagnostik im ambulanten Versorgungssystem nicht adäquat oder einigermaßen zeitnah realisierbar sind, die neuropsychologische Testung bei der Demenz-Diagnostik, das ENG bei der PNP-Abklärung und teilweise die Liquorpunktionen, v.a. wenn hier Spezial-Labordiagnostik gewünscht wird. Natürlich könnten wir diese Untersuchungen auch teilstationär oder ambulant durchführen, wenn es denn einen Rahmen dafür gebe, über den das finanziert würde. Natürlich könnte man sich auch hinstellen und sagen, wir renovieren das ambulante Facharzt-System so, dass diese Untersuchungen auch dort durchführbar (und finanziell abbildbar) sind. Hier gibt es insofern einen kleinen Lichtblick, als dass das Thema „Hybrid-DRG“ kommen wird (hier ein paar Erläuterungen dazu), die diese „Ambulantisierung“ erlauben werden. Und hier wird man konsequent sein und diese Hybrid-DRG nicht nur für operative Leistungen, sondern auch für die konservative Medizin ausrollen müssen.

Entlassmanagement und Versorgungsprobleme

Damit neue Patienten aufgenommen werden können, müssen vorhandene entlassen werden. Dies kann man in der Regel – mit ein bisschen Lust am Mikromanagement – gut planen und voraussagen, für die nächsten 24 Stunden (zumindest in der Neurologie) nahezu 100% genau, in den nächsten 48 Stunden ebenfalls noch sehr genau und innerhalb der nächsten 3 Tage zumindest einigermaßen, am Ende also ähnlich wie wir das von einem handelsüblichen Wetterbericht kennen.

Kurz- und Langlieger

Ich plaudere noch mal ein bisschen aus dem Nähkästchen meiner Bettenbelegung: Im letzten halben Jahr ist bei uns die durchschnittliche Verweildauer von 5,2 auf 5,6 Tage angestiegen, parallel haben wir aber die Elektivaufnahmen komplett – wie oben skizziert – durchgeplant und bei den erwähnten drei Symptombildern auch in der Liegezeit reduziert. Was sich aber extrem verlängert hat sind die Wartezeiten auf Reha-Plätze, Betten in geriatrischen Kliniken und Pflegeheim-Plätze, selbst auf Pflegedienst-Valenzen. Die Gründe hierfür sind die „übliche“ Mischung des Personalmangels, Pflexit, COVID-Ausbrüche und hoher Krankenstand und – so hört man immer wieder, ist bei uns im Krankenhaus hingegen nicht spürbar – die einrichtungsbezogene Impfpflicht. Dazu kommen die „Langlieger“, bei denen sich der Aktenstau in den Amtsgerichten bemerkbar macht: Patienten die richtig gestrandet sind, z.B. weil sie nicht krankenversichert sind und nun – bei uns oft auf Grund eines Schlaganfalls – nicht in der Lage sind die entsprechenden Formulare auszufüllen, noch aussichtsloser wird es wenn sie auch wohnungslos sind und kein eigenes Konto haben. Und nein, wir reden hier nicht von Flüchtlingen, illegalen Einwanderern usw., sondern in der Regel von 50-70-jährigen deutschsprachigen Menschen, die irgendwie „durch das Raster gefallen“ sind, zuletzt scheinselbstständig waren, bei Freunden auf der Couch geschlafen haben usw. Diese Patienten benötigen einen gesetzlichen Betreuer, der aber erst richterlich eingesetzt werden muss, bevor überhaupt ein Aufnahmeantrag bei den Krankenkassen gestellt werden kann, bevor irgendeine Art von Weiterversorgung planbar ist.

Gründe für eine institutionelle Weiterversorgung

Ein Grundproblem des Themas Entlassung aus dem Krankenhaus ist dabei die Institutionalisierung von Pflege. Zum einen haben wir eine zunehmend alternde, multimorbide werdende Bevölkerung mit einem immer größeren Anteil an hilfs- und pflegebedürftigen Personen, einem zunehmenden Anteil an Demenzerkrankungen (Link). Zum anderen ist in den modernen Arbeits- und Familienleben eigentlich gar keine Zeit und kein Platz für die Pflege von Angehörigen. Das führt regelhaft zu Situationen, dass Patienten ins Krankenhaus stationär aufgenommen werden, dann aber nach eigenen Aussagen oder dem Willen der Angehörigen nicht mehr entlassen werden können. Dabei gibt es grob gesagt zwei Szenarien:

  • Eine akute Erkrankung, die das bisherige Lebensmodell komplett „umkrempelt“, wie ein akuter Schlaganfall. Hier ist die Notwendigkeit einer Schaffung einer Weiterversorgung aus dem Krankenhaussetting heraus sicherlich unstrittig.
  • Eine Verschlechterung einer chronischen Erkrankung, z.B. einer Demenz, einer Gangstörung, einer zunehmenden Dekompensation in der Häuslichkeit bei Multimorbidität. Hier wird der Wunsch/die Aufforderung nach Organisation einer institutionellen Versorgung oft an das Krankenhaus herangetragen, man muss sich aber durchaus hinterfragen, ob man dem nachkommen kann und will. Schlussendlich kann man auch argumentieren, dass die Situation auch vor Hospitalisierung schwierig gewesen ist und dass es Aufgabe der Familie ist, sich um eine Versorgung ihrer Angehörigen zu kümmern. Hierfür gibt es – analog zu „Kind krank“ – sogar eine staatliche Unterstützungsleistung, die aber kaum jemand kennt und in Anspruch nimmt, das Pflegeunterstützungsgeld (Link), welches man für 10 Tage beziehen kann. Ich bin mittlerweile fest davon überzeugt – und setze das auch durch – dass man das von Angehörigen einfordern kann, genau wie die Beantragung eines Pflegegrades.

Wenn man davon ausgeht, dass auch in der Altenpflege die Gehälter der Beschäftigten massiv erhöht werden müssten, damit überhaupt genug Menschen längerfristig bereit sind dort zu arbeiten, werden sich die gesamtgesellschaftlichen Kosten für Pflege massiv erhöhten. Bei gleichzeitig knappen Plätzen in Pflegeinstitutionen und bei Pflegediensten bleibt uns als Gesellschaft gar nicht viel anderes übrig, als unsere Konzepte, wie wir uns und unsere Angehörigen im Alter versorgt haben wollen zu überdenken und Pflege wieder in die Familien zu integrieren. Das Problem dabei ist, dass dort wo es bislang so stattfindet, z.B. wenn Angehörige Pflegegeld erhalten, es eigentlich immer die Frauen sind, die Pflege leisten (an dieser Stelle Danke an Franziska Briest, die diesen Input beigetragen hat). Wenn das nicht in so einer One-Woman-Show enden soll, bei der Frauen – wie in der Pandemie – aus dem Beruf zurück in den Haushalt gedrängt werden, wird es mehr Lösungen wie Mehrgenerationenhäuser brauchen.

Mobilisation und Sozialdienst: Sparen am falschen Ende

Während die Pflegepersonalkosten aus den DRG herausgelöst wurden (siehe oben), zumindest die des Personals auf den Bettenstationen, gilt das für andere Personalkosten nicht. Hier geht der Trend – dem Grundwesen des DRG-Systems folgend – dazu, nicht „produktive“, den Case-Mix-Index erhöhende Berufe weiter zu reduzieren, z.B. Therapeuten in „nicht erlösrelevanten“ Bereichen oder auch das Personal des Sozialdienstes/Case Managements. Das ist allerdings ein fataler Fehler, wenn man bedenkt, dass es genau zwei Gründe gibt, warum Patienten länger als medizinisch notwendig im Krankenhaus bleiben:

  • Fehlende Mobilität, bzw. fehlende Eigenständigkeit in den Aufgaben des täglichen Lebens (ADL)
  • Fehlende Anschlussversorgung

Daher bin ich fest überzeugt, dass Stations-Physiotherapeuten (und in der Neurologie auch Ergotherapeuten und Logopäden) auch bei den „normalen“ Patienten notwendig sind, ebenso wie eine möglichst üppige personelle Ausstattung des Sozialdienstes. Am Ende ist dies eine Investition in kürzere Liegezeiten.

Ein faules Ei: Die Übergangspflege

Nahezu als Analogie zum Pflegeunterstützungsgeld und erstmals als „Anerkennung“ von Versorgungsproblemen durch die Kostenträger wurde Ende 2021 die Übergangspflege eingeführt (Link). Hier bekommen die Krankenhäuser für maximal 10 Tage Geld für die Weiterbetreuung und Pflege von Menschen mit Versorgungsproblemen, um in dieser Zeit die Weiterversorgung zu sichern und zu organisieren. Aber: Die Patienten in der Übergangspflege unterliegen nicht der PpUG und hier wird es makaber: Wenn man davon ausgeht, dass die Patienten, für die Übergangspflege in Frage kommt, in der Regel multimorbide, immobil oder demenzkrank sein werden (weil es sonst die Übergangspflege nicht bräuchte) und damit genau die Patienten sind, warum es PpUG auf Normalstationen gibt, beißt sich hier die Katze in den Schwanz.

Mal abgesehen davon, dass ich persönlich aktuell kein Krankenhaus kenne, welche Übergangspflege anbietet.

Der Nachteil der Maßnahmen

Alle hier vorgeschlagenen Maßnahmen würden zu einer Konzentration von multimorbiden, hochaltrigen und schwer kranken Patienten in den Krankenhausbetten führen, da die „Aufsteher“ entweder gar nicht oder in erster Linie teilstationär oder ambulant behandelt werden würden. Das beutetet aber, dass das Thema PpUG noch wichtiger würde und die Betreuungsschlüssel sogar weiter verschafft werden müssten.

Ein kurzes Fazit

Das waren jetzt viele Worte, daher noch einmal eine kurze Synopsis: PpUG ohne parallele kräftige Gehaltserhöhung der Pflegegehälter ändern nichts am Pflexit, da sich der Fachkräftemangel so nicht ändern wird, sondern verstärken die Knappheit von Krankenhausbetten sogar noch. Sie sind eher ein verdecktes Instrument der Krankenhausbettenreduktion. Um perspektivisch mit den eher knapper werdenden stationären Betten zurecht zu kommen bedarf es einer Ambulantisierung von derzeit stationär durchgeführten Krankenhausbehandlungen, einer Vermeidung von unnötigen Notfallaufnahmen durch Stärkung der ambulanten Versorgung auch in Randzeiten mit Möglichkeit der Durchführung von personal- oder zeitintensiven Diagnostiken und Großgeräteeinsatz und einer Neustrukturierung von Entlassmanagement und Weiterversorgung von pflegebedürftigen Menschen nach der stationären Behandlung. Dabei werden die Familien wieder mehr in die Betreuung ihrer Angehörigen mit einbezogen werden müssen.

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