Mehr Schüttel als Lähmung: Tremordominantes Parkinson–Syndrom
Aus aktuellem Anlass (brainpainblog hat ein kleines Tip-Problem), wie man ja so schön sagt, versuche ich mich mal mit einem Blog-Beitrag, den ich über Siri diktiere und dann hoffentlich nicht bis unendlich korrigieren muss. Also schauen wir mal, wie das so wird.
„Häufiges ist häufig“ bringt einem manchmal nichts
Das tremordominante Parkinson-Syndrom ist im Vergleich zum Parkinson-Syndrom vom Äquivalenztyp und zum akinetisch-rigiden Parkinson-Syndrom durchaus seltener und führt in der der Wald und Wiesen-Neurologie, wie sie die meisten von uns betreiben, ein wenig ein Schattendasein. Das liegt sicherlich auch daran, dass Patienten mit tremordominanten Parkinson-Syndrom eher früher erkranken als Patienten, die ein Parkinson-Syndrom vom Äquivalenztyp oder ein akinetisch-rigides Parkinson-Syndrom entwickeln und dass auch die genetisch bedingten Parkinson-Syndrome durchaus mit tremordominanten Verlaufsformen einhergehen. Daher findet man diese Patienten eher in spezialisierten Zentren und weniger im klinischen Alltag des Durchschnittsneurologen.
Zudem – und das scheint angesichts der durchaus verschiedenen Erkrankungsverläufe (neben dem früheren Erkrankungsalter sind die Verläufe oft milder, affektive Begleiterkrankungen seltener, Demenzen ebenfalls) auch gut nachvollziehbar – unterscheidet sich die Pathophysiologie bei tremordominanten Parkinson-Erkrankungen durchaus von den anderen Verlaufsformen. Neuroinflammation scheint bei tremordominanten Verlaufsformen eine viel größere Rolle zu spielen, ein Hypometabolismus im präfrontalen Kortex und den Stammganglien hingegen viel seltener aufzutreten.
Parallel ist die Datenlage zur medikamentösen Behandlung der tremordominanten Verlaufsformen eher dünn und das was es gibt, beschäftigt sich vor allem mit dem Thema tiefe Hirnstimulation und neuerdings auch mit ultraschallgestützter läsioneller Chirurgie. Nur das bringt einem im klinischen Alltag alles herzlich wenig, wenn die einzige wirklich gut fundierte Empfehlung ist, Patienten mit tremordominanten Parkinson-Syndromen möglichst frühzeitig in Zentren vorzustellen, wo eine tiefe Hirnstimulation erfolgen kann, wenn die medikamentöse Therapie denn gescheitert ist. Aber genau da stellt sich ja die Frage, wie diese Therapie denn auszusehen hat.
Das Pferd von hinten aufzäumen: Ist die tiefe Hirnstimulation wirklich so gut?
Fangen wir doch von hinten an, wenn es am Ende auf eine tiefe Hirnstimulation hinausläuft, was ist denn der so unschlagbare Vorteil dieses Verfahrens? Es gibt fünf große randomisierte Studien, welche zwischen 2006 und 2013 veröffentlicht wurden und welche alle eine Überlegenheit der tiefen Hirnstimulation gegenüber einer medikamentösen Therapie zeigen konnten, wenn bestimmte Eingangsvoraussetzungen erfüllt waren. Hauptvorteil der tiefen Hirnstimulation ist neben der Verbesserung nahezu aller klinischer Parameter, welche man bei Parkinson-Erkrankten messen kann, die gute Tremor-Unterdrückung, welche medikamentös oft deutlich schlechter gelingt. Nachteilig sind die Komplikationen durch den Hirnstimulator, zum Beispiel Infektionen und die Prozedur der Implantation der Hirnstimulator-Sonden als solche, welche nicht für alle Patienten in Frage kommt. Als Eingangsvoraussetzungen zur Hirnstimulator-Anlage gelten:
- medikamentös nicht ausreichend behandelbare Wirkfluktuationen und/oder Dyskinesien und/oder Tremor
Oder- Patientenalter beim Auftreten von Wirkfluktuationen oder Dyskinesien unter 60 Jahre
- Ansprechen der Symptome prinzipiell auf L-Dopa (30% UPDRS-Besserung bei Wirkfluktuationen, 50%-Besserung bei jungen Patienten)
- keine Frühsymptome einer Demenz
- Keine instabilen psychiatrischen Komorbiditäten
- Keine signifikanten somatischen Komorbiditäten
- Keine neurochirurgischen Kontraindikationen
Und welche Medikamente helfen gegen Tremor?
L-Dopa
Natürlich hilft L-Dopa in den meisten Fällen durchaus gegen Tremor, wenn auch Hypokinese und Rigor oft besser ansprechen. Das mag an den Zielstrukturen liegen – Substantia nigra bei Hypokinese und Rigor und Thalamus und cerebello-thalamische Bahnen beim Tremor und die Stammganglien bei allen Symptomen, dennoch ist – s.o. – das Ansprechen auf L-Dopa sogar Vorbedingung für eine Implantation eines tiefen Hirnstimulators. Zur Dosierung und den Einnahmezeitpunkten unterscheiden sich die Empfehlungen nicht von den Leitgedanken bei hypokinetisch-rigiden oder Parkinson-Syndromen vom Äquivalenztyp.
Pramipexol
Für Pramipexol existiert eine Studie aus 2002, welche ein besonders gutes Ansprechen auch des Tremors auf die Pramipexol-Standarddosis von 2,1 mg/Tag zeigen konnte. Ob die anderen Dopaminagonisten genauso gut helfen, bleibt auch bei intensiverer Recherche etwas schwammig, vermutlich aber schon.
Biperiden
Mit den Anticholinergika ist das so eine Sache. Es gibt wenige Medikamente, welche noch mehr psychotrop wirken, als Anticholinergika und welche gleichzeitig auch noch ein Abhängigkeitspotential (mehr bei der i.v.-, als bei der p.o.-Gabe) haben. Wenn man einen psychisch gesunden, jüngeren Parkinson-Patienten dennoch mit Biperiden behandeln will, beginnt man mit 1 mg 1 x Tag und steigert dies auf 3 x 2-4 mg. Ein bisschen witzig ist, dass eine besondere tremorlytische Eigenschaft von Biperiden überhaupt nicht belegt ist, Biperiden aber in allen mir bekannten Neurologenköpfen relativ weit vorne herumspukt, wenn es um die Behandlung von tremordominanten Parkinson-Syndromen geht,
Amantadin
Getestet und belegt ist die Wirkung auf motorische Wirkfluktuationen, insbesondere Dyskinesien in Spätstadien der Parkinson-Erkrankung, nicht aber in der Frühphase. Sichere Daten, die eine Tremorlyse abseits von Expertenmeinungen zeigen, gibt es nicht, außer wenn der Tremor insbesondere bei Wirkfluktuationen auftritt. Die übliche Tagesdosis bei Parkinson-Patienten liegt zwischen 100 und 300 mg Amantadin, welche in 1-2 Einnahmezeitpunkte aufgeteilt wird. Hauptproblem bei Amantadin sind psychotische Nebenwirkungen, welche teilweise schon bei niedriger Tagesdosis auftreten können.
Clozapin
Clozapin ist sozusagen der Gegenentwurf zum Biperiden. Clozapin wirkt recht gut auf Tremores, ist allerdings auf Grund seiner blutdrucksenkenden und sezierenden Nebenwirkungen bei Parkinson-Patienten nicht ganz unproblematisch, ganz abgesehen von den anderen Clozapin-Besonderheiten (Blutbildkontrollen, Gewichtszunahme). Dafür wirkt es antipsychotisch und gegen den Tremor, was sozusagen ein Alleinstellungsmerkmal im Vergleich zu den anderen Substanzen ist. Clozapin kann man in Dosierungen von 25-75 mg abends versuchen, ggfs. auch noch etwas steigern.
Propranolol und Primidon
Mit sehr schlechter Evidenz oder bei Überschneidungen mit einem essentiellen Tremor (Haltetremor steht im Vordergrund), gibt es auch noch die Option die symptomatische essentielle Tremor-Therapie zu versuchen.
Das Kochrezept
Alles in allem kann man vermutlich festhalten: Am Ende unterscheidet sich die Erstbehandlung von tremordominanten Parkinson-Syndromen gar nicht so sehr von der der anderen Verlaufsform. Man würde also bei jüngeren Patienten mit Dopamin-Agonisten und dann L-Dopa beginnen, bei älteren direkt mit L-Dopa. Spannender wird, wenn diese Standardbehandlung nicht ausreicht. Dann wird man eines oder mehrere der genannten zusätzlichen Medikamente probieren müssen, je jünger und weniger psychiatrisch krank die Patienten dann sind, desto mehr Optionen hat man.
Muss die Therapie-Schema-Abbildung nicht geändert werden?
Hier (Mini-Serie: Parkinson für Dummies // 01) und hier (Mini-Serie: Parkinson für Dummies // 02) hatte ich ja ein Therapieschema-Bild gepostet, was seit Jahren durch meine Unterlagen spukt. Ich würde es nach der jetzigen Recherche ein wenig anpassen und dann auch in den älteren Beiträgen geändert einfügen.

Wo man weiterlesen kann
S3-Leitlinie Idiopathisches Parkinson-Syndrom: https://www.dgn.org/leitlinien/3219-030-010-idiopathisches-parkinson-syndrom
- Prodoehl, J. et al. Differences in brain activation between tremor- and nontremor-dominant parkinson disease. Arch. Neurol. 70, 100–106 (2013).
- Bond, A. E. et al. Safety and efficacy of focused ultrasound thalamotomy for patients with medication-refractory, tremor-dominant Parkinson disease a randomized Clinical trial. JAMA Neurol. 74, 1412–1418 (2017).
- Dirkx, M. F. et al. Dopamine controls Parkinson’s tremor by inhibiting the cerebellar thalamus. Brain 140, 721–734 (2017).
- Lian, T.-H. et al. Tremor-Dominant in Parkinson Disease: The Relevance to Iron Metabolism and Inflammation. Front. Neurosci. 13, 1–9 (2019).
Ich glaube, die Welt hätte mehr schlaue Ärzte und damit weniger Behandlungsfehler, wenn wir in der Facharztausbildung alles so einfach (und genial) erklärt bekommen hätten.
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Schöner Artikel! Ich würde nur gerne ergänzen, dass a) Domperidon nicht mehr länger als 1 Woche wegen QT-Zeit-Verlängerung gegeben werden sollte (Rote Hand Brief) und b) Propranolol eigentlich oft gar nicht so schlecht wirkt, man aber bei Asthma (oder ACOS) sowie Diabetes vorsichtig sein sollte.
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