Kurze Paper-Vorstellung, nachdem ich auf dieses COVID-Paper angesprochen wurde:
Ich stelle das Paper kurz vor und dann noch ein späteres der selben Autorengruppe, welches die Ergebnisse der ersten Arbeit noch etwas besser einordnet.
Das Paper aus dem Tweet
Um dieses Paper aus dem April 2021 geht es in dem Tweet:
Merzon, E., Weiss, M. D., Cortese, S., Rotem, A., Schneider, T., Craig, S. G., Vinker, S., Golan Cohen, A., Green, I., Ashkenazi, S., Weizman, A., & Manor, I. (2021). The Association between ADHD and the Severity of COVID-19 Infection. Journal of Attention Disorders, 108705472110036. https://doi.org/10.1177/10870547211003659
Für die Arbeit wurden Daten einer der vier israelischen Krankenkassen, die des Leumit Health Care Services (Link Wikipedia) aus der ersten COVID-Welle zwischen Februar und Juni 2020 analysiert. Von 1.870 positiven COVID-Versicherten litten auch 231 an ADHS und waren zwischen 5 und 60 Jahren alt (was ein Einschlusskriterium für die Studie war). Der durchschnittliche Studienpatient war 29 Jahre alt, 18% litten an Übergewicht, 4% n einem Diabetes mellitus, 5% an einem Bluthochdruck, 6,5% an Asthma, 4,7% rauchten. 12,4% der Studienteilnehmer litten an ADHS (erwartbar in der israelischen Bevölkerung in der Altersgruppe wären 5 bis 7,5%), 2% an einer depressiven Studie (depressive Menschen waren damit unterrepräsentiert) und 1% an einer Schizophrenie.
Asymptomatische Verläufe traten eher bei jüngeren, weiblichen und schlanken Versicherten auf, symptomatische bei männlichen, älteren und übergewichtigen Versicherten. Auch ein niedriger sozioökonomischen Status (festgemacht an der Meldeadresse) war ein Risikofaktor. Die Studienautoren konnten somit auch in dieser Arbeit die üblichen Risikofaktoren Alter, männliches Geschlecht, niedriger sozioökonomischen Status und Übergewicht als Risikofaktoren für einen schwereren COVID-Verlauf herausarbeiten.
Wichtigste Komorbiditäten, die das Risiko für einen symptomatischen Verlauf erhöhten, waren ein Diabetes und ein Bluthochdruck, aber eben auch ein ADHS. Das Risiko für Versicherte mit ADHS für einen symptomatischen Krankheitsverlauf war fast doppelt so hoch wie für Menschen ohne ADHS (OR 1,81), ebenso das für die Notwendigkeit einer stationären Behandlung (OR 1,93). Hier war es aber so, dass auch Menschen mit den anderen beiden erfassten psychischen Erkrankungen (depressive Störungen und Schizophrenien) ein erhöhtes Risiko für eine Krankenhausbehandlung hatten.
Die Autoren schlussfolgern, dass ein ADHS ein unabhängiger Risikofaktor für einen symptomatischen Krankheitsverlauf und auch für eine stationäre Behandlungsbedürftigkeit ist. Sie schreiben, dass in anderen Studien eine verminderte Selbstfürsorge und ein ausgeprägteres Risikoverhalten bei Menschen mit ADHS gezeigt werden konnte. Sie vermuten, dass dies ein Grund für die erhöhte Rate an symptomatischen und stationär behandlungsbedürftigen COVID-Fällen bei Versicherten mit ADHS in der eigentlich sehr jungen Studienpopulation sein könnte.
Das Folge-Paper
Merzon, E., Manor, I., Rotem, A., Schneider, T., Vinker, S., Golan Cohen, A., Lauden, A., Weizman, A., & Green, I. (2021). ADHD as a Risk Factor for Infection With Covid-19. Journal of Attention Disorders, 25(13), 1783–1790. https://doi.org/10.1177/1087054720943271
In einer Folgearbeit aus November 2021 erweiterte die Autorengruppe den Studieninhalt und unterschied zwischen nicht-behandelten und behandelten ADHS-Versicherten mit COVID-19. Das Auswertungsschema anhand der Versichertendaten blieb gleich, zur Unterscheidung zwischen nicht-behandelten und behandelten ADHS-Versicherten verwendeten die Autoren die Verordnung von ADHS-Medikamenten.
Während in der Gruppe der unbehandelten ADHS-Patienten die Infektionsraten höher waren als bei Nicht-ADHS-Patienten, war das in der Gruppe der behandelten ADHS-Versicherten genau umgekehrt. Hier war das Risiko eine Infektion und vor allem einer symptomatischen COVID-Infektion niedriger als in der Normalbevölkerung.
Die Autoren vermuten auch hier einen Zusammenhang vor allem hinsichtlich des Verhaltens der ADHS-Patienten, was mit Medikation deutlich weniger risikoreich sei.
Ganz kurzes Fazit
Dass sich Menschen mit ADHS öfter mit SARS-CoV-2 infizieren, vor allem wenn sie unbehandelt sind, als Menschen ohne ADHS kann nach meinem Verständnis durchaus mit den Verhaltensmustern bei ADHS erklärt werden, vor allem wenn man berücksichtigt, dass bei Menschen mit depressiven Störungen und Schizophrenien keine erhöhte Infektionsgefahr messbar war. Was bei allen drei psychischen Erkrankungen gleich war – und was sich ja auch mit den klinischen Erfahrungen deckt – dass psychische Krankheit ganz generell (nämlich über alle drei Entitäten gleichsam erhöht) mit schwereren COVID-Verläufen (festgemacht an der Notwendigkeit einer Krankenhausbehandlung) assoziiert ist.
Wo man weiterlesen kann
Merzon, E., Weiss, M. D., Cortese, S., Rotem, A., Schneider, T., Craig, S. G., Vinker, S., Golan Cohen, A., Green, I., Ashkenazi, S., Weizman, A., & Manor, I. (2021). The Association between ADHD and the Severity of COVID-19 Infection. Journal of Attention Disorders, 108705472110036. https://doi.org/10.1177/10870547211003659
Merzon, E., Manor, I., Rotem, A., Schneider, T., Vinker, S., Golan Cohen, A., Lauden, A., Weizman, A., & Green, I. (2021). ADHD as a Risk Factor for Infection With Covid-19. Journal of Attention Disorders, 25(13), 1783–1790. https://doi.org/10.1177/1087054720943271