Thematisch perfekt zum aktuellen Thema der Verkürzung des Genesenenstatus nach durchgemachter SARS-CoV-2-Infektion ist gestern folgendes Paper veröffentlicht wurden:
Mensah AA, Lacy J, Stowe J, et al. Evaluation of disease severity during SARS-COV-2 reinfection, January 2020 to April 2021, England: an observational study. Journal of Infection. Published online January 2022:S016344532200010X. doi:10.1016/j.jinf.2022.01.012
Zeitliche Einordnung
Die – retrospektive – Arbeit beruht auf NHS-Daten von 3,8 Millionen Briten, welche sich zwischen Januar 2020 und Mai 2021 mit SARS-CoV-2 infiziert hatten. In dieser Gruppe wurden knapp 14.000 Reinfektionen registriert, davon die erste im Juni 2020. Ab April 2021 kam es mit der dritten Krankheitswelle und ca. 1 Jahr nach einem Großteil der Primärinfektionen zu einem starken Anstieg der Reinfektionen.
Was man bedenken muss: Der untersuchte Zeitraum fällt in die Zeit des SARS-CoV-2-Wildtyps und der alpha-Variante, die damals noch „britische Variante“ hieß. Vollständige Impfungen gab es zu der Zeit (der anlaufenden Massenimpfungen) noch nicht in allzu großer Zahl.
Das Risiko schwerer Verläufe nach Genesung
Während es für Erstinfektionen ja bekannt ist, das Männer schwerer (und häufiger) an SARS-CoV-2 erkranken als Frauen, war das bei den Reinfektionen anders herum: Hier waren Frauen deutlich häufiger von Reinfektionen betroffen, zudem spielte das Alter eine große Rolle: Ab einem Alter von 70 Jahren stieg das Reinfektionsrisiko stark an (odds Ration 1,73), ab einem Alter von mehr als 80 Jahren war das Risiko sogar um das Dreifache erhöht.
Diese Häufungen führten dazu, dass nur nach Adjustierung für Geschlecht und vor allem Alter sich zeigte, dass das Versterberisiko nach durchgemachter SARS-CoV-2 um 61% reduziert war, für die Notwendigkeit der Aufnahme auf eine Intensivstation um 76%. Das Risiko stationär behandelt werden zu müssen war hingegen in der Gesamtpopulation nur leicht bis gar nicht erniedrigt, in der Hochrisikogruppe für schwere COVID-Verläufe jedoch um 34% niedriger.
Das Risiko schwerer Verläufe nach Impfung
Hier ist die Datenlage durch den Untersuchungszeitraum etwas dünner, dennoch konnte gezeigt werden, dass auch schon die Erstimpfung (von damals noch zwei Impfungen) das Risiko von Krankenhauseinweisungen um 58% reduzierte, wobei die zum derzeitigen Zeitpunkt auch im Vereinigten Königreich bestehende Impfstoffpriorisierung zu so starken statistischen Verzerrungen durch das meist höhere Lebensalter führte, dass sich keine sicheren Unterschiede bei Intensivstationsaufnahmen zwischen ungeimpften und geimpften Erkrankten zeigte. Besser wurde es nur, wenn man die Subgruppe der health care worker untersuchte (das sind aber naturgemäß eher jüngere Menschen mit einem höheren Anteil von Frauen gegenüber Männern), die einen 70% Schutz von symptomatischen Infektionen nach Erst- und 85% nach Zweitimpfung mit dem BionTech-Impfstoff hatten.
Anmerkungen der Autoren
Die Autoren zitieren eine Arbeit zu den anderen humanpathogenen Coronaviren – die übereinstimmend mit ihren Ergebnissen – eine nachlassende Immunantwort und vermehrte Reinfektionen ein Jahr nach Primärinfektion gezeigt hätten (vgl. Edridge et al.), so dass sie hier ein allgemeines Muster bei Coronaviren vermuten.
Als Schwächen ihrer Arbeit identifizieren die Autoren den Studienzeitraum, der die Ergebnisse ggfs. nur eingeschränkt auf die aktuellen Virusvarianten übertragbar macht, m.E. vor allem auf Omikron und weniger auf Delta. Dies gilt insbesondere, wenn man sich die Studienergebnisse anderer Autorengruppen anschaut, die einen guten Schutz vor Reinfektion mit der Deltavariante nach durchgemachter Primärinfektion mit der Alpha-Variante oder dem Wildtyp zeigten (vgl. Kim et al.). Auch schreiben die Autoren, dass durch die zu Beginn der Pandemie eingeschränkten Testmöglichkeiten mit Priorisierung und im Verlauf dann bei hochaltrigen Pflegheimbewohnern und Beschäftigten im Gesundheitssystem vermehrten Testungen diese Bevölkerungsgruppen in der Studie überrepräsentiert sein könnten.
Wo man weiterlesen kann
Edridge AWD, Kaczorowska J, Hoste ACR, et al. Seasonal coronavirus protective immunity is short-lasting. Nat Med. 2020;26(11):1691-1693. doi:10.1038/s41591-020-1083-1
Kim P, Gordon SM, Sheehan MM, Rothberg MB. Duration of Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus 2 Natural Immunity and Protection Against the Delta Variant: A Retrospective Cohort Study. Clinical Infectious Diseases. Published online December 3, 2021:ciab999. doi:10.1093/cid/ciab999
Mensah AA, Lacy J, Stowe J, et al. Evaluation of disease severity during SARS-COV-2 reinfection, January 2020 to April 2021, England: an observational study. Journal of Infection. Published online January 2022:S016344532200010X. doi:10.1016/j.jinf.2022.01.012