Meine Fibro und ich

Ich glaube, es war mein erster oder zweiter Tag in der Schmerztherapie, als eine Patientin von „meiner Fibro“ sprach und ich sofort dachte, „oh Gott ich bin hier falsch“. Das hat dann nicht mal zwei Wochen gedauert, bis ich zu einer anderen Patientin gesagt habe „Ihre Fibro“. Also, man gewöhnt sich dran. Aber was ist das eigentlich, das Fibromyalgie-Syndrom?

Fibromyalgie vs. Fibromyalgie-Syndrom

So Standard-Definitionen des Fibromyalgie-Syndroms lauten „Das Fibromyalgiesyndrom (FMS) ist eine extreme Ausprägung […] im Sinne eines Kontinuums von regionalen zu generalisierten Schmerzen bei zunehmendem Distress.“ Äh ja. Also, als Fibromyalgie oder Fibromyalgie-Syndrom (warum die zweite Formulierung eigentlich besser ist, dazu gleich noch mehr) oder neudeutsch chronic widespread pain (wobei das eigentlich der Oberbegriff und Fibromyalgie-Syndrom dann der Unterbegriff sein müsste) bezeichnet man diffuse, oft aber nicht immer gelenknahe, Schmerzen an verschiedenen – teils wechselnden – Körperregionen, die teilweise so multipel verteilt sind, dass am Ende Ganzkörper-Schmerzen resultieren. Das wäre dann ein chronic widespread pain. Die Schmerzen nehmen oft bei körperlicher Belastung und psychosozialem Stress zu. Dazu kommen aber noch weitere Symptome, typischerweise Schlafstörungen mit fragmentiertem, nicht erholsamen Schlaf, Morgensteifigkeit und eine vermehrte körperliche und geistige Ermüdbarkeit. Und das ist dann das Fibromyalgie-Syndrom.

Da ganz verschiedene Menschen die Fibromyalgie-Symptome entwickeln können – die typische Spanne geht von Menschen mit einer rheumatischen Erkrankung, die diese Symptomatik im Verlauf entwickeln bis hin zu Menschen mit Traumafolgestörungen und Missbrauchserfahrungen, die dann Jahre nach dem Trauma diese Schmerzen bekommen – kann es sich am Ende nicht um eine definierte Krankheit (also die eine Fibromyalgie) handeln, sondern um ein Syndrom (im klassischen neurologischen Sinne), welches die gemeinsame Endstrecke verschiedener Pathomechanismen darstellt.

Wer und wie bekommt man ein Fibromyalgie-Syndrom?

Klischeemäßig bekommen v.a. übergewichtigere mittelalte Frauen mit Kurzhaar-Frisur ein Fibromyalgie-Syndrom. Aber wie ist die Fibromyalgie wirklich verteilt hinsichtlich ihrer Auftretenshäufigkeit? Insgesamt ist die Fibromyalgie eine Erkrankung der westlichen Industrieländer, je nach Diagnosekriterien kann man davon ausgehen, dass zwischen 1-3% der Bevölkerung betroffen ist. Frauen sind häufiger als Männer betroffen, wobei die Angaben zur Verteilung von 6:1 bis 2:1 schwanken (ebenfalls je nach Diagnosekriterien, 2:1 ist das Verhältnis mit den neueren Diagnosekriterien von 2010). Und es ist eine Erkrankung des mittleren Lebensalters mit einem Peak zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr.

An so schwammigen Sätzen wie „Das FMS kann als funktionelles somatisches Syndrom klassifiziert werden“. kann man erkennen, dass die Pathogenese (bzw. unter der Annahme von oben die verschiedenen Wege der Pathogenese) relativ unklar sind, wobei sich so ganz langsam eine allgemein akzeptierte Auffassung herausbildet. Am Ende kann man sich das Fibromyalgie-Syndrom noch a.e. als eine abgeschlossene Schmerzchronifizierung mit (peripherer und) zentraler Sensibilisierung vorstellen, wobei der Auslöser dieser Chronifizierung nicht eindeutig zu benennen ist, bzw. vermutlich verschiedene Auslöser existieren. Aber die generelle Schmerzüberempfindlichkeit mit den Teils neuropathisch empfundenen Schmerzen und den psychischen Begleitsymptomen entspricht diesem Konstrukt recht gut.

Als akzeptierte Risikofaktoren für die Entwicklung eines Fibromyalgie-Syndromes gelten folgende Punkte, welche man noch einmal in drei Gruppen unterteilen kann:

Biologische Faktoren:

  • Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis
  • Genpolymorphismen des 5HT2- Rezeptors
  • Vitamin D Mangel

Lebensstil-Faktoren:

  • Nikotinabhängigkeit
  • Adipositas
  • Mangelnde körperliche Aktivität

Psychische Faktoren:

  • Körperlicher und sexueller Missbrauch in der Kindheit
  • sexuelle Gewalt im Erwachsenenalter
  • Depressive Erkrankungen

Zu den Veränderungen, die ich mit „abgeschlossene Schmerzchronifizierung“ zusammengefasst habe, kommen noch andere Aspekte hinzu. So konnte man bei einem Teil von Fibromyalgie-Patienten in Studien eine autonome Dysfunktion herausarbeiten, wobei sowohl sympathikotone (die meisten Arbeiten), aber auch asympathikotone Dysregulationen (dtl. weniger Arbeiten) beschrieben wurden. Relativ neu ist die Beobachtung, dass ebenfalls bei einem Teil von Fibromyalgie-Patienten eine reduzierte intraepidermale Nervenfaserdichte gefunden wurde. Dieses Phänomen findet sich (mit etwas anderer histologischer Betonung) bei der small fibre Neuropathie, aber auch bei der Zoster-Neuralgie und auch bei Parkinson-Patienten (die ja ebenfalls häufig über Schmerzen klagen). Warum das so ist bei der small fibre Neuropathie (wobei die genaue Pathogenese recht unverstanden erscheint), ist mal einen eigenen Blogeintrag wert. Auch ist mir nicht ganz klar, warum beim Fibromyalgie-Syndrom autonome Störungen als eigner Pathomechanismus neben der small fibre-Pathologie gelten, wo sie bei der small fibre Neuropathie als eine Unterformen beschrieben werden.

Wie diagnostiziert man ein Fibromyalgie-Syndrom?

In unseren Köpfen spuken beim Thema Fibromyalgie und deren Diagnose immer noch die tender points herum, wobei diese in den mittlerweile 30 Jahre alten ACR-Diagnosekriterien von 1990 vorkamen und in den auch schon 10 Jahre alten revidierten Kriterien ersatzlos gestrichen wurden. In den aktuell verwendeten Diagnosekriterien geht es einmal um einen Ausschluss einer anderen, die Symptomatik erklärenden, Diagnose und zum anderen um die Feststellung, dass an mindestens 7 von 19 Lokalisationen (die dann doch wieder den tender points ähneln) Schmerzen bestehen und dass es Zusatzsymptome wie Bauchschmerzen, depressive Störungen, Müdigkeit, nicht-erholsamer Schlaf usw. gibt. Diese Symptome werden in der Regel standardisiert über Fragebögen erfasst. Als Ausschlussdiagnostik empfehlen die Autoren der aktuellen Leitlinie eine vollständige neurologische und orthopädische Untersuchung und eine laborchemische Diagnostik incl. BSG, CRP, BB, CK, Kalzium, TSH und Vitamin D. Gefordert wird dann noch eine „Vollständige medizinische Anamnese inkl. Medikamentenanamnese“ und das wars. Das erscheint mir ingesamt recht überschaubar.

Und wie behandelt man ein Fibromyalgie-Syndrom

Zunächst einmal nicht kausal, da wir den oder die Gründe für die Entwicklung eines Fibromyalgie-Syndromes ja nicht kennen. Medikamentös ist die Studienlage sehr überschaubar, in erster Linie gibt es eine schwache Evidenz für Medikamente, welche die absteigende Schmerzhemmung stärken, also Trizyklika (und Duloxetin), das ganze aber auch nur zeitlich begrenzt. Und dann kann man noch Pregabalin erwägen, das war es dann aber schon. Der Schwerpunkt der Behandlung des Fibromyalgie-Syndromes liegt aber sowieso in den nicht-medikamentösen Verfahren, in ganz viel Edukation, ganz viel Schmerz-Psychologie und -Psychotherapie, um Schmerz-Teufelskreise zu durchbrechen, ein Verständnis für ggfs. vorliegende psychiatrische Komorbiditäten und ihre Behandlung zu schaffen und um erste Ansätze von Selbstwirksamkeit zu vermitteln; das ganze kombiniert mit der regelmäßigen Anwendung von Muskelentspannungsverfahren und einem freundlich aber bestimmten Heranführen an körperliche Betätigung in Form von Ausdauersport. Am besten gelingt dies – insbesondere bei schwereren Krankheitsverläufen – in einem multimodalen schmerztherapeutischen Behandlungssetting, idealerweise in einem tagesklinischen Setting.

Wo man weiterlesen kann

S3-Leitlinie Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie des Fibromyalgiesyndroms https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/145-004.html

  1. Woolf, C. J. Central sensitization: Implications for the diagnosis and treatment of pain. Pain 152, S2–S15 (2011).
  2. Eich, W. et al. Das Fibromyalgiesyndrom. Der Schmerz 26, 247–258 (2012).
  3. Chinn, S., Caldwell, W. & Gritsenko, K. Fibromyalgia Pathogenesis and Treatment Options Update. Curr. Pain Headache Rep. 20, 25 (2016).
  4. Evdokimov, D. et al. Reduction of skin innervation is associated with a severe fibromyalgia phenotype. Ann. Neurol. 86, 504–516 (2019).

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